(Rom) Papst Franziskus läutete mit seiner Amtsübernahme eine neue Ostpolitik gegenüber der kommunistischen Diktatur der Volksrepublik China ein. Sein politischer Arm, Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, bezeichnete das totalitäre Regime als die derzeit „beste“ Umsetzung der kirchlichen Soziallehre. Franziskus selbst vermeidet es, das Thema Menschenrechte im Zusammenhang mit dem roten „Reich der Mitte“ anzusprechen. Nun grüßte er gestern überraschend Taiwan.
Dies gilt nicht erst, aber besonders seit der Unterzeichnung des Geheimabkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking im September 2018, das vor allem die Bischofsernennungen regeln soll. Der genaue Inhalt des Abkommens wurde bisher nicht veröffentlicht. Vor allem taugt es nicht wirklich etwas, denn die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) setzt weiterhin ihre Agenten ein, wo und wann es ihr gefällt, wie jüngst in Schanghai. Franziskus fügt sich, akzeptiert die Willkür und schweigt dazu.
2020 übte das Kirchenoberhaupt Selbstzensur, als es bei einem Angelus eine Passage zu Hongkong nicht aussprach, die in der vorbereiteten Rede vorgesehen, also vom vatikanischen Staatssekretariat abgesegnet war. Seit diesem Vorfall werden den Journalisten die vorbereiteten Reden von Franziskus nicht mehr mit Sperrfrist vorab zur Verfügung gestellt.
Umso mehr erstaunte, was Franziskus gestern beim Angelus zu Ostasien hören ließ. Die kommunistischen Machthaber in Peking könnten es als Affront aufgenommen haben. Während der üblichen Grußworte grüßte Franziskus „die Jugendlichen von Taiwan“.
Aus dem Kontext könnte man schließen, daß er die Jugendlichen meinte, die an dem vor kurzem in Anwesenheit von Franziskus zu Ende gegangenen Weltjugendtag in Lissabon teilgenommen hatten, doch, wer kann das mit Sicherheit sagen.
Peking und die Welt hörten, daß Franziskus ausdrücklich die Jugendlichen von Taiwan grüßte. Taiwan wird von der Volksrepublik China als abtrünnige Provinz betrachtet. Die Konfliktsituation geht auf den Chinesischen Bürgerkrieg zurück, der von 1927 bis 1949 um die Macht im Staat zwischen den Nationalchinesen (Kuomintang) und Tschiang Kai-schek und den Kommunisten (Kommunistische Partei Chinas) unter Mao Tse-tung herrschte. Beide Parteiführer waren Schwiegersöhne von Sun Yat-sen, dem zentralen chinesischen Staatsmann, der die Monarchie stürzte, das Kaiserreich beseitigte und die Republik etablierte, deren erster Staatspräsident er 1912 wurde. Sun Yat-sen wird bis heute von beiden chinesischen Staaten als Gründer des modernen (republikanischen) Chinas verehrt.
Beide Parteien kämpften um die Macht in ganz China und beanspruchen diese noch heute. Als die Kommunisten siegten, zog sich Tschiang Kai-schek mit seinen Kuomintang-Anhängern unter dem Schutz der USA auf die Insel Taiwan (Formosa) als letzten Rest der Republik China zurück (daher auch die gelegentlich verwendete Bezeichnung Republik China auf Taiwan). Seither standen sich die Volksrepublik China (auf dem Festland) und die Republik China auf der Insel, beide als Einparteiendiktaturen, unversöhnlich gegenüber. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kam es auf Taiwan, so wird die Republik China bevorzugt international genannt, um Peking nicht zu provozieren, zu einer Demokratisierung. Die Kuomintang verlor ihre dominierende Stellung und befindet sich seit 2016 in der Opposition. Während sie der Ein-China-Politik verpflichtet, also gesamtchinesisch ausgerichtet ist, bevorzugen andere Parteien Taiwans, so auch die regierende liberale Demokratische Fortschrittspartei, die Unabhängigkeit der Insel im Sinne einer Zwei-Staaten-Lösung. Allerdings hält auch die Kommunistische Partei Chinas an der Ein-China-Politik fest und erhebt Anspruch auf die Insel als integralen Bestandteil Chinas.
Es gibt kaum mehr Staaten, die mit Taiwan diplomatische Beziehungen unterhalten. Die meisten Länder haben diese aus Rücksicht auf die um ein Vielfaches größere und für Handelsbeziehungen interessantere Volksrepublik aufgegeben, auch die USA. Der Heilige Stuhl hingegen hält seit den 1940er Jahren an den diplomatischen Beziehungen fest.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va/Wikicommons (Screenshot)