Gehirnwäsche für Hongkongs Gefangene

Repression und Umerziehung


Mindestens zwei Dutzend Gefängnisse werden in Hongkong betrieben. Im Bild das Stanley-Gefängnis, dessen Ursprünge in die Zwischenkriegszeit zurückreichen und das laufend erweitert wurde.
Mindestens zwei Dutzend Gefängnisse werden in Hongkong betrieben. Im Bild das Stanley-Gefängnis, dessen Ursprünge in die Zwischenkriegszeit zurückreichen und das laufend erweitert wurde.

1997 gab Groß­bri­tan­ni­en die Sou­ve­rä­ni­tät über das knapp 1100 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ße Ter­ri­to­ri­um von Hong­kong an Chi­na zurück. 156 Jah­re hat­ten die Bri­ten die Kon­trol­le über das klei­ne Gebiet aus­ge­übt. Chi­na war aller­dings nicht mehr das alte Kai­ser­reich, dem Groß­bri­tan­ni­en das Stück Land ent­ris­sen hat­te, son­dern eine kom­mu­ni­sti­sche Volks­re­pu­blik. Die­se gab Garan­tie­er­klä­run­gen ab, daß Hong­kong als Son­der­ver­wal­tungs­ge­biet wei­ter­hin beson­de­re demo­kra­ti­sche Rech­te genie­ßen wer­de. Die gewähr­ten Rech­te wur­den jedoch schritt­wei­se aus­ge­höhlt. Dage­gen ent­stand 2014 eine erste Pro­test­be­we­gung zur Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie und 2019 eine zwei­te, die Mas­sen­pro­te­ste zur Fol­ge hat­te. Die kom­mu­ni­sti­schen Macht­ha­ber reagier­ten mit roher Gewalt. 2020 erlie­ßen sie ein neu­es Sicher­heits­ge­setz, das ein wei­te­res Auf­mucken der Bevöl­ke­rung im Kei­me ersticken soll. Was jene Anhän­ger der Demo­kra­tie­be­we­gung erle­ben, die in Hong­kong ver­haf­tet wer­den, schil­dert der fol­gen­de Bericht.

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Auf Befehl Pekings wur­de in Hong­kong eine Ent­ra­di­ka­li­sie­rungs­kam­pa­gne in den Gefäng­nis­sen gestar­tet. Dadurch wer­den die zahl­rei­chen jun­gen Hong­kon­ger, die wegen der anti­kom­mu­ni­sti­schen Pro­te­ste von 2019 ver­haf­tet wur­den, einer Umer­zie­hung unter­wor­fen. All­tag die­ser Kam­pa­gne sind Mär­sche wie beim Mili­tär, Pro­pa­gan­da­fil­me, öffent­li­che Geständ­nis­se, kör­per­li­che Züch­ti­gun­gen und per­ma­nen­te Gehirnwäsche.

Die Umer­zie­hungs­kam­pa­gne nennt sich offi­zi­ell „Geziel­te Reha­bi­li­tie­rung“. Offi­zi­ell nahm das Regime bis­her nicht dazu Stel­lung, obwohl ihr bis zum 30. April bereits min­de­stens 871 jun­ge Men­schen unter­zo­gen wur­den, von denen eini­ge erst 14 Jah­re alt sind.

Zehn ehe­ma­li­ge Häft­lin­ge leg­ten einen Bericht vor, der von der Washing­ton Post ver­öf­fent­licht wur­de. Bestra­fun­gen gibt es für jene, die sich nicht „bes­sern“. Sie kön­nen von Ein­zel­haft bis zur kör­per­li­chen Züch­ti­gung reichen.

Im Rah­men der Gehirn­wä­sche wer­den Ver­tre­ter der Demo­kra­tie­be­we­gung, der sich 2019 bis zu einem Drit­tel der Bevöl­ke­rung ange­schlos­sen hat­te, mit isla­mi­schen Boko-Haram-Ter­ro­ri­sten in Nige­ria, Dro­gen­ab­hän­gi­gen oder rechts­extre­mi­sti­schen Atten­tä­tern in Nor­we­gen und Neu­see­land gleich­ge­setzt. Demon­stra­tio­nen wer­den als vom Aus­land finan­zier­te Mani­pu­la­ti­on bezeich­net. Stän­dig wird der Vor­wurf wie­der­holt: „Wie viel haben sie euch bezahlt?“

Jeden Tag wird über jeden Gefan­ge­nen ein Bericht an die Vor­ge­setz­ten geschickt. Dar­in wer­den der Tag und „Fort­schrit­te“ beschrie­ben. Auch die Gefan­ge­nen selbst müs­sen Berich­te schrei­ben. So wer­den ihnen Pro­pa­gan­da­fil­me gezeigt wie „Die Schlacht am Chan­j­jin-See“, zu dem sie anschlie­ßend ange­ben müs­sen, wer ihre Lieb­lings­fi­gur in dem Film ist und warum.

Teil der Gehirn­wä­sche sind auch Lesun­gen und Vor­trä­ge über „die wah­re Geschich­te Chi­nas“. Eben­so wer­den Wer­be­fil­me gezeigt, mit denen „der Nut­zen und die Vor­tei­le“ des neu­en Sicher­heits­ge­set­zes bewor­ben wer­den, mit dem im Som­mer 2020 die bür­ger­li­chen Frei­hei­ten in Hong­kong fak­tisch aus­ge­löscht wurden.

Zu bestimm­ten Anläs­sen müs­sen die Gefan­ge­nen Ent­schul­di­gungs­brie­fe an das chi­ne­si­sche Vater­land oder ihre Fami­lie schrei­ben und vor Ver­wand­ten, dem Wach­per­so­nal oder ande­ren Gefan­ge­nen laut vorlesen.

Im Gefäng­nis wer­den Psy­cho­lo­gen ein­ge­setzt mit dem Zweck, die jun­gen Gefan­ge­nen zu einem „Geständ­nis“ zu bewe­gen. Sie sol­len sich selbst davon über­zeu­gen, „Extre­mi­sten“ zu sein, und „Reue“ emp­fin­den für ihr „staats- und volks­feind­li­ches Verhalten“.

Wer sich auf­zu­leh­nen ver­sucht oder nicht die vor­ge­schrie­be­nen „Fort­schrit­te“ macht, wird als „Pro­blem­fall“ ein­ge­stuft und bestraft. Die erste Stu­fe der Bestra­fung sieht die Beschlag­nah­me von Freun­den und Ver­wand­ten vor. Ankom­men­de Post wird nicht aus­ge­hän­digt. Auf die­se Wei­se sol­len sich die Gefan­ge­nen iso­liert und von der Außen­welt abge­schnit­ten füh­len. Wer die 19 Gefäng­nis­re­geln nicht auf­sa­gen kann, wird mit einem Stock auf die Fuß­soh­len geschla­gen. Mit 40 Stock­hie­ben wur­de einer der ehe­ma­li­gen Gefan­ge­nen bestraft, ande­re mit dem Ell­bo­gen oder mit einem Knie gezüchtigt.

Die Wir­kung wur­de erreicht. Die zehn ehe­ma­li­gen Gefan­ge­nen beken­nen sich zwar wei­ter­hin zu ihrem Kampf für die Demo­kra­tie, füh­len jedoch eine Hoff­nungs­lo­sig­keit und haben sich ganz aus der akti­ven Poli­tik zurückgezogen.

Bezeich­nend ist dafür die Aus­sa­ge eines von ihnen:

„Der Haß, den ich gegen das kom­mu­ni­sti­sche Regime emp­fin­de, ist grö­ßer als frü­her. Aber ich habe jetzt auch Angst vor den Behör­den, und wenn ich einen Poli­zi­sten sehe, wen­de ich mich ab. Ich ver­su­che mich nicht in die Poli­tik ein­zu­mi­schen. Da kann ich sowie­so nichts machen.“

In Hong­kong gibt es min­de­stens zwei Dut­zend Gefäng­nis­se, von denen das Stan­ley-Gefäng­nis (im Bild) das bekann­te­ste ist.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Goog­le Maps (Screen­shot)

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