
(Rom) Nachdem die Meßzeiten radikal eingeschränkt wurden, wird nun mit einem eigenen Pilger-Parcours die fortschreitende Musealisierung des Petersdoms für alle sichtbar.
Für die ersten Veränderungen wurde die Corona-Zeit genützt. Zuerst wurde mit Verweis auf eine angeblich tödliche Pandemie der Petersdom geleert. Gespenstisch trostlos wirken noch heute die Bilder vom leeren Petersdom in der Osternacht 2020.
Dann trat am 22. März 2021 eine Neuregelung der Meßzelebrationen in Kraft, die vom vatikanischen Staatssekretariat in einem Handstreich erlassen worden war. Dabei verfügt das Staatssekretariat über keine Zuständigkeit über die Patriarchalbasilika. Zur Durchsetzung, die nur mit päpstlicher Einwilligung möglich war, wurde ein Ausnahmezustand ausgenützt, weil damals die Dombauhütte einem päpstlichen Kommissar unterstand und gerade ein Wechsel im Amt des Erzpriesters stattfand. Kardinal Angelo Comastri, von Benedikt XVI. 2006 zum Erzpriester und Vorstand der Dombauhütte ernannt, war am 20. Februar 2021 von Papst Franziskus emeritiert, sein Nachfolger, der Minoritenpater Mauro Gambetti, aber erst am 29. März in sein Amt eingeführt worden. Die Sache war jedoch schon länger davor geplant gewesen: Kardinal Comastri war de facto schon im Juni 2020 die Zuständigkeit über die Bauhütte entzogen und einem außerordentlichen Kommissar, Titularerzbischof Mario Giordana, übertragen worden. Der emeritierte Vatikandiplomat leitete die Bauhütte bis zum Amtsantritt von P. Gambetti, dessen Erhebung in den Kardinalsrang Papst Franziskus schon im Herbst 2020 bekanntgeben hatte, der Minorit also zu diesem Zeitpunkt bereits für das neue Amt vorgesehen war.
Der Petersdom werde „wie ein Museum“, es herrsche „Grabesstille“, so beschrieb Edward Pentin, Vatikanist des National Catholic Register, die Umsetzung.
Bis dahin hatte im Petersdom immer irgendwo an einem der vielen Altäre irgendein Priester eine Messe zelebriert. Gelegentlich auch im überlieferten Ritus, obwohl es dafür zunächst einige Hindernisse gab (noch 2009 teilte Kardinal Comastri auf die Klage eines traditionsverbundenen Priesters mit, daß die Sakristei des Petersdoms über kein Missale von 1962 verfügte und er sich verpflichtete, vier Exemplare zu besorgen. Tatsächlich fehlte es damals noch an mehr, um im überlieferten Ritus zelebrieren zu können). Die Gegnerschaft des Staatssekretariats gegenüber dem überlieferten Ritus galt immer als notorisch, auch zur Zeit von Papst Benedikt XVI. An Zelebrationen im überlieferten Ritus haftete deshalb im Petersdom häufig ein Hauch von Klandestinität.

Tatsache ist, daß seit der Neuregelung die 45 Seitenaltäre und jene der elf Kapellen fast immer leer und verwaist sind. Zelebriert werden darf nur mehr am Morgen in einer genau festgelegten Zeitspanne von zwei Stunden, und zwar nur mehr vier Messen, die höchstens 30 Minuten dauern dürfen. Im überlieferten Ritus darf im Petersdom selbst nicht mehr zelebriert werden. Die Heiligen Messen in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus, wie Papst Benedikt XVI. es definierte, sind in die Vatikanischen Grotten verbannt. Immerhin, so könnte man sagen, herrscht seither zumindest in der Patriarchalbasilika „Gleichheit“, da vier Messe im Novus Ordo und vier Messen im überlieferten Ritus zelebriert werden dürfen. Durch das Motu proprio Traditionis custodes, das wenige Monate später folgte, wurde der praktischen Nutzung dieser neuen Situation allerdings ein anderer, radikaler Riegel vorgeschoben.
Bereits im Juni 2021 erließ der neue Erzpriester P. Gambetti, inzwischen zum Kardinal kreiert, eine Erklärung, in der er sich auf die vollendeten Tatsachen berief, die (sieben Tage) vor seiner Amtseinführung geschaffen worden waren. Aus dieser ergebe sich für den Novus Ordo, so Gambetti, daß er und alle anderen Priester zur Konzelebration gezwungen seien, weil wegen des zeitlichen Korsetts keine Einzelzelebrationen mehr erlaubt sind. In Wirklichkeit hätte P. Gambetti als zuständiger Erzpriester die unrechtmäßige Einmischung des Staatssekretariats wieder aufheben können, was er nicht tat. Es geht nicht fehl, wer annimmt, daß mit seiner Ernennung die Beibehaltung der Einmischung gekoppelt worden war. So wäscht eine Hand die andere.
Ausnahmen sind möglich, müssen jedoch eigens genehmigt werden und betreffen nur externe Priester mit größeren Gruppen zu besonderen Anlässen.
Eine der Überlegungen, die das Staatssekretariat im Auftrag von Santa Marta zum Handstreich bewog, waren die Touristenströme, die seit eh und je in die Basilika strömen, aber meist erst im Laufe des Vormittags, also nach dem Frühstück, einsetzen. Bis dahin sollen die Zelebrationen beendet sein.
Gestern freute sich VaticanNews über einen eigenen „Pilger-Zugang zum Petersdom“, der eingerichtet wurde.
„Schlangestehen vor dem Petersdom? Das war mal. Wer sich als Beter tarnt, kommt künftig schneller in die Basilika…“
Sehen wir einmal über die ungewöhnliche Wortwahl hinweg und lesen weiter:
„Wer zum Gebet, zur Beichte oder zur Teilnahme an einer Messe in den römischen Petersdom will, braucht sich ab sofort nicht mehr in die allgemeine Warteschlange einzureihen. Das teilt die vatikanische Dombauhütte mit. Für Beter und Pilger sei in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsverantwortlichen eine eigene ‚Abfertigung‘ eingerichtet worden.“
Die Warteschlangen sind den Anti-Terror-Maßnahmen geschuldet, die bis in die 90er Jahre hinein noch unbekannt waren – auch zu den Zeiten, als in den 70er und frühen 80er Jahren in Italien tatsächlich ein grausamer Terrorismus wütete. Diesen gibt es schon seit über 30 Jahren nicht mehr. Die Veränderungen traten hingegen erst nach dem 11. September 2001 in Kraft, standen in keinerlei Zusammenhang mit dem Vatikan, wurden aber dennoch von diesem in Anlehnung an Italien und die anderen westlichen Staaten auf Empfehlung der US-Geheimdienste übernommen. Man könnte auch von hausgemachten Problemen sprechen.
Die Beter und Pilger, die nun sozusagen einen „bevorzugten“ Zugang erhalten, müssen „sich allerdings an einen eigenen Parcours halten, der u. a. an der Pietà von Michelangelo, am Grab des heiligen Johannes Paul II. und an der Sakramentskapelle vorbeiführt. Der Ausgang muß über die vatikanischen Grotten erfolgen“, soweit VaticanNews.
Im Klartext ist die Basilika weder für die anderen Besucher noch für die Gläubigen mehr allgemein zugänglich. Es erfolgt eine Separierung, obwohl die meisten Katholiken aus aller Welt als Pilger und natürlich auch als kulturinteressierte Besucher in die Hauptkirche der Christenheit kommen. Das läßt sich gar nicht trennen und sollte auch nicht getrennt werden.
Dennoch wird genau das nun getan und sogar als Verbesserung präsentiert. Tatsächlich handelt es sich um einen weiteren Schritt in Richtung Musealisierung. Den vermeintlichen „Vorteil“, als der die Neuregelung präsentiert wird, gibt es im Gesamtkontext nicht. Die Warteschlangen vor dem Petersdom wurde ja erst durch anlaßlose Maßnahmen herbeigeführt, die nun angeblich weitere Maßnahmen erforderlich machen. Die Kirche wird geteilt in einen Teil für die Beter – samt dem Generalverdacht, sich nur als solche zu tarnen – und einen für die „Touristen“. Die natürliche Verbundenheit eines Gotteshauses, in dem die wunderbaren Werke der Sakralkunst bestaunt werden und sich der Betrachter von ihnen berühren läßt, mit dem Gebetsmoment wird auseinandergerissen.
Die Beter mit ihrem gesonderten Parcours sind nur vermeintlich „Gewinner“. Tatsächlich erlebt die Musealisierung einen Siegeszug. Bisher ist der Zutritt zum Petersdom frei. Es wird aber gemunkelt, daß in einem nächsten Schritt alle, die nicht den enggesteckten Beter-Parcours wählen, Eintritt bezahlen müssen. Davon ist offiziell noch keine Rede. Mit der Neuregelung werden jedoch die Voraussetzungen dafür geschaffen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews/Youtube