
Rom) Zu einer ungewöhnlichen Premiere kam es gestern in der Großen Audienzhalle des Vatikans. Papst Franziskus empfing dort die Führung und eine große Delegation der linken Gewerkschaft CGIL in Sonderaudienz.
Die Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), zu deutsch Allgemeiner Italienischer Gewerkschaftsbund, wurde 1944 von den damals im Kampf gegen den Faschismus und seine nationalsozialistischen Verbündeten vereinten Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten gegründet, also jenen Kräften, die die italienische Nachkriegspolitik bis 1992 bestimmen sollten. Als die stalinistische, streng auf Moskau ausgerichtete Kommunistische Partei (PCI) die CGIL und das Bündnis nach 1945 dazu nützen wollte, um aus Italien eine Sowjetrepublik zu machen, zerbrach die gewerkschaftliche Einheit, wie sie im deutschen Sprachraum bis heute besteht. 1948/1950 trennten sich die christlichen Gewerkschaften und jene Sozialisten von der CGIL, die sich der engen Umarmung durch die Kommunistische Partei entziehen wollten, und gründeten mit der christlichen CISL und der sozialistischen UIL eigene Gewerkschaftsbünde. In der politischen Aufsplitterung kamen dann noch weitere Gewerkschaftsbünde dazu. Die drei genannten Bünde konföderierten sich jedoch und erhielten vom Staat das exklusive Recht zuerkannt, Tarifverhandlungen führen zu können.
Die CGIL war spätestens ab 1948 die Gewerkschaft der Kommunisten und der Volksfrontler. Wer Gewerkschaftsmitglied war, mußte nicht Parteimitglied sein. Wer aber politisch aktiv werden wollte, hatte dies in der Kommunistischen Partei zu tun. Abweichlertum wurde nicht geduldet. In den unruhigen 70er Jahren, in denen die Linkswende möglich schien, versuchten vielmehr nicht orthodoxe Linke, die christliche Gewerkschaft zu übernehmen, um sie in eine Volksfront mit den Kommunisten zu führen und so die Errichtung einer „Volksdemokratie“ vorzubereiten.
Die CGIL zählt heute 5,5 Millionen Mitglieder (CISL 4,1 Millionen, UIL 2,2 Millionen). Größte nicht konföderierte Gewerkschaft ist heute die 1996 entstandene UGL mit 1,8 Millionen Mitgliedern, die der Lega von Matteo Salvini und den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni nahesteht.
Während die CISL immer gute Kontakte mit den Christdemokraten und der Kirche pflegte, stand die CGIL auf den kirchenfeindlichen Barrikaden. Alle gesellschaftspolitischen Kämpfe gegen die natürliche Ordnung wurden von der CGIL propagandistisch, finanziell und auf der Straße unterstützt, vor allem die Legalisierung der Tötung ungeborener Kinder. Zuletzt wurde die Diskriminierung von Ärzten gefordert, die aus Gewissensgründen jede Mithilfe an Abtreibungen ablehnen.
Die Kommunistische Partei Italiens erlebte ab 1991 einige Metamorphosen, als sie sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Auflösung der Sowjetunion in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) umbenannte, dann in Linksdemokratische Partei und schließlich nach US-amerikanischem Vorbild in Demokratische Partei (PD). Letztere ist ein gemeinsames Projekt der ehemaligen Kommunisten und des ehemaligen linken Flügels der Christdemokraten. Auf Gewerkschaftsebene hatte sich allerdings wegen der starken christlichen Gewerkschaft bisher keine Annäherung gezeigt.
Unter Papst Franziskus, dessen Umarmung der politischen Linken hinlänglich bekannt ist, zeigen sich neue Allianzen, so auch gestern durch die erste große Audienz für die stramm linke Gewerkschaft CGIL, die auch heute das gewerkschaftliche Sammelbecken der radikalen Linken ist.

In seiner umfangreichen Kritik an Mißständen in der Arbeitswelt zu Ungunsten der Arbeitnehmer schaffte es Papst Franziskus, die „Pandemie-Jahre“ anzusprechen, ohne ein Wort des Trostes für die unglaubliche Härte zu finden, mit der die damaligen italienischen Regierungen ganze Berufsgruppen wie Ärzte, medizinisches Personal, Polizei, Militär, Lehrer zur „Impfung“ mit einem experimentellen genmanipulierenden Präparat nötigten oder diese ohne Gehaltszahlung suspendiert wurden. Franziskus fand auch kein Wort dazu, daß der italienische Staat alle über 50jährigen, die sich nicht „impfen“ ließen, mit einem Bußgeld belegte (dessen Zahlung durch die neue Regierung vorerst bis 30. Juni 2023 ausgesetzt wurde) und von der Arbeitswelt ausschloß.
Warum der Papst dazu schweigt, ist offensichtlich: Weil er er selbst diese Härten noch radikaler für die Angestellten des Vatikanstaates und des Heiligen Stuhls eingeführt hatte. Maßnahmen, die bis heute nicht aufgehoben wurden. Warum Franziskus allerdings diese Radikalmaßnahmen teils nachahmte, teils antizipierte, ist nach wie vor ungeklärt.
Hier die vollständige Übersetzung seiner Ansprache an die Führung und die zahlreiche Delegation des Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL:
Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
Ich heiße Sie willkommen und danke dem Generalsekretär für seine Worte. Dieses Treffen mit Ihnen, die Sie eine der historischen Gewerkschaftsorganisationen Italiens bilden, lädt mich ein, erneut meine Verbundenheit mit der Welt der Arbeit und insbesondere mit den Menschen und Familien zum Ausdruck zu bringen, die am meisten zu kämpfen haben.
Es gibt keine Gewerkschaft ohne Arbeitnehmer, und es gibt keine freien Arbeitnehmer ohne Gewerkschaften. Wir leben in einer Zeit, die trotz des technologischen Fortschritts – und manchmal gerade wegen dieses perversen Systems, das man Technokratie nennt (vgl. Laudato si‘, 106–114) – die Erwartungen an die Gerechtigkeit im Bereich der Arbeit in gewissem Maße enttäuscht hat. Dies erfordert in erster Linie einen Neubeginn in bezug auf den Wert der Arbeit als Ort, an dem sich persönliche Berufung und soziale Dimension treffen. Die Arbeit ermöglicht es dem Menschen, sich selbst zu verwirklichen, Brüderlichkeit zu leben, soziale Freundschaften zu pflegen und die Welt zu verbessern. Die Enzykliken Laudato si‘ und Fratelli tutti können helfen, Bildungswege zu beschreiten, die Gründe für ein Engagement in der heutigen Zeit bieten.
Arbeit baut die Gesellschaft auf. Es handelt sich um eine primäre Erfahrung der Bürgerschaft, in der eine Schicksalsgemeinschaft entsteht, die aus dem Engagement und den Talenten jedes einzelnen erwächst; diese Gemeinschaft ist viel mehr als die Summe der verschiedenen beruflichen Fähigkeiten, denn jeder wird in der Beziehung zu anderen und für andere anerkannt. Und so wird das Gewebe der „Demokratie“ Tag für Tag im gewöhnlichen Geflecht der Verbindungen zwischen Menschen und wirtschaftlichen und politischen Projekten mit Leben erfüllt. Es ist ein Gewebe, das nicht am Schreibtisch in irgendeinem Palast gewebt wird, sondern mit kreativem Fleiß in Fabriken, Werkstätten, Bauernhöfen, im Handel, Handwerk, auf Baustellen, in öffentlichen Verwaltungen, Schulen, Büros und so weiter. Sie kommt „von unten“, aus der Realität.
Liebe Freunde, wenn ich diese Vision in Erinnerung rufe, dann deshalb, weil es zu den Aufgaben der Gewerkschaft gehört, zum Sinn der Arbeit zu erziehen und die Brüderlichkeit unter den Arbeitnehmern zu fördern. Dieses erzieherische Anliegen darf nicht fehlen. Sie ist das Salz einer gesunden Wirtschaft, die in der Lage ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. In der Tat ist „der menschliche Preis immer auch ein wirtschaftlicher Preis, und die wirtschaftlichen Mißstände fordern immer auch einen menschlichen Preis. Aufzuhören, in die Menschen zu investieren, um einen größeren Sofortertrag zu erzielen, ist ein schlechtes Geschäft für die Gesellschaft “ (Laudato si‘, 128).
Neben der Ausbildung ist es immer notwendig, auf die Verzerrungen der Arbeit hinzuweisen. Die Kultur der Verschwendung hat sich in die Wirtschaftsbeziehungen eingeschlichen und ist auch in die Arbeitswelt eingedrungen. Dies ist zum Beispiel dort der Fall, wo die Menschenwürde durch geschlechtsspezifische Diskriminierung mit Füßen getreten wird – warum muß eine Frau weniger verdienen als ein Mann? Warum schickt man eine Frau weg, sobald man sieht, daß sie „dick“ wird, um den Mutterschaftsurlaub nicht zu bezahlen? Sie zeigt sich in der prekären Situation der Jugend – warum müssen Menschen ihre Lebensentscheidungen wegen eines chronischen Prekariats aufschieben? – oder in der Entlassungskultur; und warum sind die anspruchsvollsten Arbeitsplätze immer noch so schlecht geschützt? Zu viele Menschen leiden unter Arbeitslosigkeit oder unwürdiger Arbeit: Ihre Gesichter verdienen es, gehört zu werden, sie verdienen das Engagement der Gewerkschaften.
Ich möchte Ihnen vor allem einige Bedenken mitteilen. Erstens: die Sicherheit der Arbeitnehmer. Ihr Generalsekretär hat darüber gesprochen. Es gibt immer noch zu viele Tote – ich sehe sie in den Zeitungen: Jeden Tag gibt es jemanden – zu viele Verstümmelte und Verletzte am Arbeitsplatz! Jeder Todesfall bei der Arbeit ist eine Niederlage für die gesamte Gesellschaft. Wir sollten sie nicht nur am Ende eines jeden Jahres zählen, sondern uns ihre Namen merken, denn sie sind Menschen und keine Nummern. Lassen wir nicht zu, daß Profit und Mensch gleichgesetzt werden! Der Götzendienst des Geldes neigt dazu, alles und jeden mit Füßen zu treten und Unterschiede nicht zu würdigen. Es geht darum, uns dazu zu erziehen, uns um das Leben der Arbeitnehmer zu kümmern und uns dazu zu erziehen, die Sicherheitsvorschriften ernst zu nehmen: Nur eine kluge Allianz kann jene „Unfälle“ verhindern, die für Familien und Gemeinschaften tragisch sind.
Eine zweite Sorge ist die Ausbeutung der Menschen, als wären sie Leistungsmaschinen. Es gibt gewalttätige Formen, wie das „caporalato“ 1 und die Versklavung von Arbeitern in der Landwirtschaft oder auf Baustellen und anderen Arbeitsplätzen, die Nötigung von Arbeitern zu zermürbenden Schichten, das Abwärtsspiel bei Verträgen, die Mißachtung von Mutterschaft, den Konflikt zwischen Arbeit und Familie. Wie viele Widersprüche und wie viele Kriege zwischen den Armen finden rund um die Arbeit statt! In den letzten Jahren hat die Zahl der so genannten „Working Poor“ zugenommen: Menschen, die trotz Arbeit nicht in der Lage sind, ihre Familien zu ernähren und ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben. Die Gewerkschaft – hören Sie gut zu – ist dazu aufgerufen, die Stimme der Stimmlosen zu sein. Sie müssen Lärm machen, um den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Insbesondere möchte ich Sie dafür loben, daß Sie sich um junge Menschen kümmern, die oft in prekäre, unzureichende, ja sklavenähnliche Verträge gezwungen werden. Ich danke Ihnen für jede Initiative, die eine aktive Arbeitspolitik fördert und die Würde der Menschen schützt.
Außerdem ist in diesen Pandemiejahren die Zahl derjenigen gestiegen, die ihre Arbeit aufgeben. Jung und alt sind unzufrieden mit ihrem Beruf, dem Klima am Arbeitsplatz, den Vertragsformen und ziehen es vor, zu kündigen. Sie suchen nach anderen Möglichkeiten. Dieses Phänomen bedeutet nicht, daß man sich abkoppelt, sondern daß man die Arbeit humanisieren muß. Auch hier können die Gewerkschaften präventiv tätig werden, indem sie sich auf die Qualität der Arbeit konzentrieren und die Menschen auf dem Weg zu einem Arbeitsplatz begleiten, der ihren Talenten besser entspricht.
Liebe Freunde, ich lade Sie ein, „Wächter“ der Arbeitswelt zu sein, die Allianzen und keine sterilen Gegensätze schaffen. Die Menschen dürsten nach Frieden, besonders in diesem historischen Moment, und der Beitrag eines jeden ist von grundlegender Bedeutung. Friedenserziehung auch am Arbeitsplatz, der oft von Konflikten geprägt ist, kann zu einem Zeichen der Hoffnung für alle werden. Auch für künftige Generationen.
Danke für das, was Sie für die Armen, die Migranten, die Gebrechlichen und Behinderten, die Arbeitslosen tun und tun werden. Vergessen Sie nicht, sich auch um diejenigen zu kümmern, die der Gewerkschaft nicht beitreten, weil sie den Glauben verloren haben, und Raum für jugendliche Verantwortung zu schaffen.
Ich vertraue Sie dem Schutz des heiligen Josef an, der wußte, wie schön und mühsam es ist, seine Arbeit gut zu machen, und wie befriedigend es ist, das Brot für die Familie zu verdienen. Schauen wir auf ihn und seine Fähigkeit, durch Arbeit zu erziehen. Ich wünsche Ihnen allen und Ihren Lieben ein friedliches Weihnachtsfest. Möge der Herr Sie segnen und die Gottesmutter Sie beschützen. Und wenn Sie können, beten Sie bitte für mich. Ich danke Ihnen!
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshots)
1 „Caporalato“ meint im Italienischen Wanderarbeiter, die irregulär in der Landwirtschaft arbeiten, oft nur die Hälfte der regulären Helfer verdienen, aber länger arbeiten müssen.