Von Wolfram Schrems*
Der US-Theologe, Philosoph und Komponist Peter Kwasniewski wirkte von 1998 bis 2006 am International Theological Institute (ITI) und am österreichischen Programm der Franciscan University of Steubenville im niederösterreichischen Gaming. Wie man damals hören konnte, war das Thema Lateinische Messe am ITI, das mittlerweile nach Trumau (südlich von Wien) übersiedelte, ein „no go“. Es wurde am Campus aufgrund der Präsenz vieler Katholiken des östlichen Ritus der Byzantinische Ritus zelebriert, die Überlieferte Messe des Westens sei aber ein Tabu gewesen.
In der Zwischenzeit wurde Kwasniewski zum Fachmann auf genau diesem Gebiet und zum Verkünder der Überlieferten Messe. Wie viele andere Katholiken, ob Priester oder Laien, Theologen oder Nicht-Theologen, hat er trotz aller Diskussionsverbote und Widerstände – und vielleicht gerade wegen dieser, weil diese doch zeigten, daß es um etwas Wichtiges geht – zur Messe aller Zeiten gefunden.
Nun kam sein neuestes Buch auf Deutsch auf den Markt.
Um es gleich zu sagen: Es ist profund, kompakt, gut geschrieben und sehr wichtig.
Wahrer Gehorsam in der Kirche will im Gefolge der Tyrannei von Traditionis Custodes Orientierung für schikanierte Priester und Laien bieten. Es wurde hier schon kurz vorgestellt, auch die Besprechung der deutsch-amerikanischen Historikerin und Journalistin Dr. Maike Hickson wurde auf dieser Seite bereits gebracht.
Da ich Prof. Kwasniewski seit 2005 kenne und ihn 2017 bei der Präsentation der deutschen Ausgabe seines Buches Neuanfang in der Krise unterstützte und auch ein Podiumsgespräch mit dem Autor moderierte, und vor allem, weil ich die gegenständliche Abhandlung für sehr wichtig halte und mit ihr die Hoffnung auf Widerstand gegen tyrannische Kirchenführer verbinde, sei auch von meiner Seite das neue Buch angemessen vorgestellt und dringend empfohlen. –
Zunächst zum Grundsätzlichen:
Gehorsam als angemessene Haltung des Geschöpfs gegenüber dem Schöpfer
Klarerweise ist angesichts der totalitären Systeme im 20. Jahrhundert der „Gehorsam“ in Verruf geraten.
„Die Aussage “Gehorsam ist die Wurzel allen Übels” ist Ausdruck der Grundhaltung der Moderne. Die so genannte Aufklärung entstand aus dem Wunsch, frei von Autoritäten zu sein, “selbst zu denken” und von niemandem abhängig – kurz gesagt, Gott der eigenen Welt zu sein. Immanuel Kant sagt in seinem kurzen Aufsatz “Was ist Aufklärung?”, dass der Mensch nur dann frei sein kann, wenn er von allen frei ist und es wagt, selbst, für sich selbst zu denken (aude sapere); solange er von anderen abhängig ist, bleibt er ein Knecht. Solche Gedanken entspringen demselben zerstörerischen Wahn, den der gefallene Mensch seit dem verhängnisvollen Ungehorsam Adams und Evas immer gehegt hat. Auch wenn sich Kants Position in das elegante Gewand von Königsberg kleidet, unterscheidet sie sich in keiner Weise von derjenigen der Schlange im Garten Eden“ (Seite 3).
Jesus Christus ist das Vorbild des Gehorsams gegenüber Gott, dem Vater. Er nahm den grausamen Tod aus der Hand der ungerecht handelnden politischen und religiösen Autoritäten an, um uns zu erlösen. Dafür wurde er über alles erhoben (5).
Grundsätzlich ist dieser Gehorsam für alle normativ.
Grenzen des Gehorsams
Kwasniewski legt dar, daß „nicht der Gehorsam an erster Stelle steht, sondern die Wahrheit und die Liebe, und deshalb ist der richtig verstandene Gehorsam nicht blind. (…) Wer die Wahrheit wegnimmt, nimmt die Liebe weg; wer die Liebe wegnimmt, nimmt die Wurzel des Gehorsams weg“ (7).
Es kann Gründe geben, dem Vorgesetzten nicht zu gehorchen, nämlich wegen des Befehls einer höheren Macht und wenn der Vorgesetzte in einer Sache befiehlt, in der der Untertan nicht unterworfen ist.1
Gemeinwohl der Kirche – Begründung der kirchlichen Autorität
Das Gemeinwohl, das gemeinsame Gut in der Kirche (bonum commune), das die in ihr ausgeübte Autorität begründet, „ist das göttliche Leben Jesu Christi, ihres obersten Hauptes – die überreiche Gnade Seiner vergöttlichten Seele, die mit Seinen Gliedern durch die Erleuchtung des Verstandes aufgrund der Offenbarung und der Entflammung des Herzens durch die übernatürliche Liebe Seines Herzens geteilt wird – und die Vergöttlichung der Seelen durch das sakramentale Leben und das Gebet (vor allem durch den feierlichen, ordentlichen, öffentlichen Gottesdienst, den wir die heilige Liturgie nennen)“ (21).
Kwasniewski ist völlig klar: Die kirchliche Machtausübung muß diesem bonum commune dienen. Sonst wird sie illegal und zerstört sich darüber hinaus das eigene Fundament, auf dem sie steht.
Lex orandi – lex credendi: Die überlieferte Liturgie schützt den vollen Glauben
Kwasniewski kommt damit zum Anlaß des Buches, nämlich die beabsichtigte Vernichtung der gewachsenen Liturgie des Westens durch Papst Franziskus und seine Clique.
Er legt dar, wie sich die Liturgie unter dem Beistand des Heiligen Geistes entfaltete und dann unter demselben Beistand zu einer verbindlichen (und allenfalls in Details zu ändernden) Form wurde (25). Mit Dom Prosper Guéranger, dem hl. John Henry Kardinal Newman, Bischof Smiljan Franjo Čekada und Pater Nicolas Gihr wird die Normativität der liturgischen Entwicklung, die unter der Einwirkung des Hl. Geistes stattfand, dargestellt. Die lex orandi steht nicht zur Disposition, weil sie nicht etwas rein Menschliches ist, „das der jeweilige Boss nach Belieben ändern kann. Die lex orandi umfasst die gesamten zwanzig Jahrhunderte der Kirchengeschichte, und es gibt keinen Menschen, keine Gruppe von Menschen auf der Welt, die dieses zwanzig Jahrhunderte alte Depositum ändern könnte. Es gibt keinen Papst, kein Konzil und kein Episkopat, die das Evangelium, das Depositum Fidei oder das universale Lehramt der Kirche ändern können. Auch die Liturgie aller Zeiten kann nicht [entscheidend] verändert werden“ (28, Zitat von Massimo Viglione).
Auch der emeritierte Bischof von Chur, Msgr. Vitus Huonder, wird zustimmend zitiert. Das ist deswegen interessant, weil dieser Kirchenmann seinen Lebensabend in einem Haus der Piusbruderschaft verbringt und auf diese Weise seine Verbundenheit mit der Tradition unter Beweis stellt.
Kwasniewski bezieht sich auf eine Stellungnahme der Priesterbruderschaft:
„Die traditionelle Messe ist wesentlicher Bestandteil des Gemeinwohls der Kirche. Sie einzuschränken, sie in Ghettos zu verbannen und schließlich ihr Verschwinden zu planen, ist illegitim. Ein solches Gesetz kann kein Gesetz der Kirche sein, weil es, wie der heilige Thomas sagt, kein gültiges Gesetz gegen das Gemeinwohl gibt“ (32).
Daß Kwasniewski hier auch der FSSPX Raum gibt, ist insofern gut und wichtig, weil das natürlich auch eine Anerkennung der Verdienste von Erzbischof Marcel Lefebvre und seiner Nachfolger ist.
Sensus fidelium
Kwasniewski thematisiert sehr schön den Glaubenssinn der Gläubigen, der „ein unverzichtbarer Bestandteil der Unfehlbarkeit der Kirche“ (43) ist. Dieser Sinn verleiht die Fähigkeit, Abweichungen vom Glauben zu erkennen. Kardinal Newman habe bekanntlich in einem berühmten Aufsatz festgestellt, daß in der arianischen Krise die Laien bei weitem mehr die Tradenten des wahren, katholischen Glaubens waren als der Episkopat.2
Damit in Zusammenhang steht das Gewissen, das nach Kwasniewski vom II. Vaticanum richtig charakterisiert wurde. Das Gewissen steht seinerseits „immer in Verbindung mit der wahren Lehre“, ist also nicht ein Vorwand, sich alle möglichen Freiheiten herauszunehmen.
Nein zum „blinden Gehorsam“
Kwasniewskis Schlußfolgerung ist, daß es „blinden Gehorsam“ im christlichen Leben nicht geben kann. Denn trotz der allgemeinen Handlungsregeln und ausnahmslosen Normen könne nur der Einzelne im konkreten Augenblick des Handelns wissen und entscheiden, was richtig ist und was nicht. Diese Verantwortung könne nicht an andere ausgelagert werden.
Daher sollten sich Katholiken auf ihr Gewissen berufen, wenn man ihnen lebenswichtige Güter gewaltsam entzieht und Übel aufzwingt.
Das gelte besonders für die nachkonziliare „Liturgiereform“ und ihre „rücksichtlose Umsetzung und die erneuten Bemühungen von Papst Franziskus, die vorangegangene Tradition auszulöschen“ (49). Diese können nicht als legitim angekommen oder als der Wille Gottes begrüßt werden.
Handlungsanweisung: Widerstand gegen die Ungerechtigkeit
In Zeiten von Traditionis Custodes und dem Corona-Wahnsinn zieht Kwasniewski die pointierte Schlußfolgerung:
„Es muss ganz eindeutig feststehen, dass kein Amtsträger, weder in der Kirche noch im Staat, nach natürlichem, göttlichem oder kirchlichem Recht die Befugnis hat, die Messe zu verbieten oder katholischen Gläubigen, die dafür disponiert sind, die Sakramente zu verweigern. Die Geistlichen, die sich aus Prinzip ausschließlich dem alten Ritus verschrieben haben, dürfen keine Kompromisse eingehen, ungeachtet von Drohungen oder Strafen. Vielmehr sollten sie die rechtliche Leere dieser grundlosen Ritus-Unterdrückungs-Manöver anerkennen. Jetzt, da unsere Feinde deutlich gemacht haben, dass sie letztendlich unsere Liquidierung beabsichtigen, kommen die klassischen Rechtsgrundsätze der Selbstverteidigung, des verhältnismäßigen Widerstands und der Ungültigkeit von ungerechtfertigten Strafen voll zum Tragen. Einigen Priestern mag es vielleicht gelingen, ungerechte Gesetze (ob von kirchlichen oder zivilen Behörden erlassen) jahre- oder jahrzehntelang zu umgehen oder zu missachten; andere hingegen werden von Spitzeln angezeigt oder auf andere Weise zur Rechenschaft gezogen. Ihre Vorgesetzten können ihnen die Vollmachten entziehen oder eine Versetzung anordnen; die Angeschwärzten können suspendiert werden und ihrer Bezüge verlustig gehen (…) Was sie jedoch nicht vergessen dürfen: Solange der einzige Grund für die Disziplinarmaßnahmen ihr grundsätzliches Festhalten an den traditionellen Riten der römischen Kirche ist, sind solche Strafen null und nichtig, und sie können ihren priesterlichen Dienst unvermindert fortsetzen“ (58, Hervorhebung WS).
Gläubige Laien werden das zu schätzen wissen und solche Priester in jeder Hinsicht unterstützen.
Weitere Themen in Verbindung mit dem Gehorsam
In den Endnoten werden weitere wichtige Themen behandelt:
- der „moderne Mensch“, der „zwischen der Verachtung jeglicher Autorität und der blinden Unterwerfung unter die Autorität, die er noch anerkennt“ schwankt,
- der Einfluß des extremen Gehorsamsbegriffs der Jesuiten auf den allgemeinen kirchlichen Gehorsam,
- die Warnung, Lehren alter Meister des geistlichen Lebens ungeprüft und wörtlich zu übernehmen, weil sich ja die Voraussetzungen radikal änderten: Die alten Heiligen konnten damals in der Kirchenhierarchie und den Orden als selbstverständlich voraussetzen, was wir nicht mehr können: die allgemeine Zustimmung zur katholischen Lehre, den Respekt vor der Tradition und für die überlieferte Liturgie u. a.3
Resümee
Kwasniewski legt hier möglicherweise ein künftiges Standardwerk vor.
Der Traktat hätte gerne auch noch länger sein können, denn der Leser nimmt das Gesagte dankbar und freudig auf – eine Stimme des Glaubens und des glaubensmäßig informierten Hausverstandes.
Die Übersetzung wurde offenbar von einem professionellen Büro besorgt. Daher ist der Text zwar fehlerfrei und gut lesbar übersetzt, nur den innerkirchlichen Jargon kennt man dort offenbar nicht, denn „to assist at Mass“ heißt nicht „bei der Messe assistieren“ (12), sondern einfach „an der Messe teilnehmen“. –
Dem Traktat ist große Verbreitung zu wünschen. Möge er dazu beitragen, daß der in „konservativen“ Kreisen existierende, lähmende und peinliche Papalismus verschwinde. Es wäre schön, wenn Kwasniewskis Einsichten sich auch in Trumau verbreiten würden.
Peter Kwasniewski, Wahrer Gehorsam in der Kirche – Ein Leitfaden in schwerer Zeit, Os Justi Press, Lincoln, Nebraska, 2022, 104 S., erhältlich bei Falkmedien.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer, entdeckte über den Umweg der östlichen Liturgie 2005 die Traditionelle Messe des Westens und hat nicht vor, sich diese wegnehmen zu lassen.
Bild: Peter Kwasniewski/Facebook
1 Das betrifft auch den skandalösen und verbrecherischen COVID-Impfzwang, den Obere mit Berufung auf den gelobten Gehorsam ihren Untergebenen auferlegen. Man hört schaurige Geschichten aus Klöstern im deutschen Sprachraum, dabei scheinen besonders weibliche Ordensobere mit blindem Fanatismus vorzugehen.
2 Hochinteressant ist die Erwähnung eines Dokumentes der Internationalen Theologischen Kommission vom Jahr 2014, das ebenfalls dem sensus fidei fidelium eine wichtige Funktion zuweist: „Nach Meinung des heiligen Thomas kann, ja muss sich ein Gläubiger, selbst wenn er nicht über theologische Kompetenz verfügt, kraft des Sensus fidei seinem Bischof widersetzen, wenn dieser eine Irrlehre verkündet. In einem solchen Fall sieht sich der Gläubige nicht als letzten Maßstab der Wahrheit des Glaubens, doch angesichts einer “autorisierten” Verkündigung, die er als verstörend empfindet, ohne genau erklären zu können, warum, zögert er mit seiner Zustimmung und appelliert innerlich an die höhere Autorität der universalen Kirche“ (43f). (!)
3 Wichtig scheint dem Rezensenten auch, daß Kwasniewski die Rede von der „Revision“ des Klassischen Römischen Ritus durch die „Liturgiereform“ ablehnt und daher auch die Rede von den „zwei Formen ein und desselben Römischen Ritus“. Damit kritisiert er diesen semantischen Trick von Benedikt XVI. in Summorum pontificum. Papst Franziskus hat klargemacht, daß für ihn die Zelebration des Novus Ordo und der Traditionellen Messe „Biritualismus“ sei, also genauso, wie wenn ein westlicher Priester im byzantinischen Ritus zu zelebrieren berechtigt ist. Damit hat Franziskus – beabsichtigt oder nicht – die Wahrheit gesagt.