Da man immer „mit dem Schlimmsten rechnen“ muss, waren die Ausführungsbestimmungen, die der Präfekt der „Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung“ Erzbischof Arthur Roche im Auftrag von Papst Franziskus am Vortag des 4. Adventsonntages als „Responsa ad dubia zu einigen Bestimmungen des Apostolischen Schreibens Traditionis Custodes“ veröffentlichte, keine wirkliche Überraschung mehr. In ihrer Rigorosität und Unbarmherzigkeit gegenüber dem überlieferten Ritus sollte es nun dem Letzten wie Schuppen von den Augen fallen, dass der regierende Papst nicht nur das Lebenswerk seines noch lebenden hochverehrten Vorgängers schleift, sondern der Jahrhunderte alten Liturgie den endgültigen Todesstoß versetzen will.
Papst Franziskus lässt mit den von einem seiner Handlanger verfassten und in eine unwürdige Sprache gekleideten Anweisungen die Gläubigen, welche die Liturgie des 2. Vatikanischen Konzils gegenüber jener NACH dem Konzil konstruierten Liturgieform bevorzugen, seine Aggressivität und Gnadenlosigkeit mit voller Wucht spüren.
„Wenn der Hirt zum Wolf wird, muss die Herde sich selbst verteidigen!“
So hat nun womöglich eine Epoche begonnen, in der nicht staatliche und antikirchlich gesinnte Regierungen und Behörden Katholiken in den Untergrund treiben, sondern die Kirche selbst. Müssen Katholiken, die zur Alten Messe gehen, zusammen mit ihren Priestern in die Keller und Katakomben hinabsteigen? Sie werden sicherlich nicht, wie geschehen im Anschluss an das 2. Vatikanischen Konzil, sich noch einmal im treuen Gehorsam gegenüber Papst und Bischöfen jene Liturgie verbieten lassen, unter der unzählige Gläubige geheiligt wurden.
Eine Warnung ergeht an die ehemaligen „Ecclesia Dei-Gemeinschaften“, die sich womöglich in Sicherheit wähnen, da sie nicht ausdrücklich in den Ausführungsbestimmungen von Erzbischof Roche erwähnt worden sind. Sie mögen sich aber nicht täuschen. Wenn die Diözesanbischöfe die römischen Vorgaben umsetzen, haben auch die traditionellen Gemeinschaften keinen Platz und keine Kirche mehr für die Zelebration der überlieferten heiligen Messe.
Den gläubigen Laien kommt es zu, ihre eigene Widerstandskraft mit jener dieser Gemeinschaften und mit allen treuen Priestern zu vereinigen.
Professor Dr. Michael Fiedrowicz, Ordinarius für Kirchengeschichte des Altertums, Patrologie und Christliche Archäologie an der Theologischen Fakultät Trier und Priester des Erzbistums Berlin, hat das in Rom verursachte Desaster kommen sehen. Schon Tage vor dem Erscheinen der Responsa ad dubia veröffentlichte er seinen Aufsatz: „Wenn der Hirt zum Wolf wird, muß die Herde sich selbst verteidigen“.
Denn jeder Christ habe nicht nur die notwendige Kenntnis der wesentlichen Dinge des Offenbarungsschatzes erhalten, sondern auch die Pflicht, diese zu schützen.
Prof. Michael Fiedrowicz hat katholisches.info die Erlaubnis erteilt, seinen vorausschauenden, aber gleichzeitig auch wegweisenden Aufsatz veröffentlichen zu dürfen. Hierfür bedankt sich katholisches.info ausdrücklich und sehr herzlich!
Hans Jakob Bürger
„Wenn der Hirt zum Wolf wird, muß die Herde sich selbst verteidigen“
Klassische Theologen zum Widerstandsrecht gegenüber dem Mißbrauch kirchlicher Amtsgewalt
Von Prof. Michael Fiedrowicz
Mit dem Schlimmsten rechnen
Es gehört zur Weisheit der katholischen Kirche, stets auch ein worst-case-Szenario im Blick zu haben, das heißt damit zu rechnen, daß der schlimmste aller vorstellbaren Fälle eintritt. Man denke etwa an die Instruktionen ‚De defectibus‘ in den alten Missalien, wo alle möglichen Situationen bedacht sind, die einen geordneten Ablauf der Zelebration verhindern, und Anweisungen gegeben werden, wie zu verfahren sei, wenn z. B. der Priester nach der Konsekration der Hostie ohnmächtig wird, im Winter das heilige Blut im Kelch gefriert oder etwas Giftiges hineingelangt.
Zur Kategorie solcher Extremfälle im Leben der Kirche gehört auch die Möglichkeit, daß ein Nachfolger Petri den dem Apostelfürsten von Christus gegebenen Auftrag „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ (Joh 21,15–17) mißachtet und sein Amt in kontraproduktiver Weise ausübt.
Wenngleich schon im kirchlichen Altertum einzelne Päpste unglücklich agierten, wie etwa Liberius, der Mitte des 4. Jahrhunderts Athanasius, den Vorkämpfer der nizänischen Orthodoxie, exkommunizierte, oder Honorius I., dem Mitte des 7. Jahrhunderts vorgeworfen wurde, die häretische Flamme des Monotheletismus nicht von Anfang an mit apostolischer Vollmacht ausgetreten, sondern durch Nachlässigkeit angefacht zu haben, widmeten sich erst zu Beginn der Neuzeit einzelne Theologen ausdrücklich der Frage eines Mißbrauchs päpstlicher Amtsvollmacht. Interessanterweise waren es zumeist gerade solche Autoren, die die Vorrechte des Papstamtes klar gegenüber der Polemik von protestantischer Seite verteidigten, kontroverstheologisch geschickt jedoch zugleich ihren Gegnern keine Angriffsflächen bieten wollten und die nötigen Kautelen für den nicht auszuschließenden Fall eines päpstlichen abusus potestatis formulierten.
Bedingungen legitimen Widerstands
Keinesfalls nur hypothetischer Natur waren die diesbezüglichen Überlegungen des spanischen Dominikaner-Theologen Francisco de Vitoria, der in seinen Vorlesungen ‚Über die Vollmacht des Papstes und des Konzils‘ (1534) den Machtmißbrauch der Renaissance-Päpste harsch kritisierte, die so großzügig alle möglichen Dispensen erteilten, daß die Zahl derer, die in den Genuß derselben kamen, weitaus größer war als die derjenigen, die sich treu an die Gebote der Kirche hielten. Wenn ein Papst durch willkürlich gewährte Dispensen offensichtlich die Kirche ruiniert, dann, so die Folgerung, müßten die Bischöfe, unbeschadet der dem Pontifex gebührenden Ehrerbietung, die Akzeptanz und Umsetzung verweigern. De Vitoria schrieb: „Wenn Anordnungen oder Akte des Papstes die Kirche zerstören sollten, kann man Widerstand leisten und die Ausführung der Anweisungen verhindern.“ (Relecciones Teológicas, proposición 22).
Diese klaren Worte veranlaßten Papst Sixtus V., die veröffentlichten Vorlesungen des Dominikaners auf den Index zu setzen, doch verstarb Sixtus vor der Veröffentlichung des Dekrets, so daß sein Nachfolger die geplante Sanktion zurücknahm.
Noch grundsätzlicher hatte schon Kardinal Juan de Torquemada das Problem behandelt, der in seiner systematischen Abhandlung über die Kirche (1489) die Unfehlbarkeit und Vollgewalt der Päpste verteidigte, aber auch die Möglichkeit eines päpstlichen Traditionsbruchs, insbesondere im Bereich der Liturgie, erwog, wodurch ein Nachfolger Petri zum Schismatiker werde könne: „Der Papst kann sich ohne irgendeinen vernünftigen Grund, rein durch seinen Eigensinn, vom Leib der Kirche und vom Kollegium der Bischöfe trennen, indem er das nicht einhält, was die universale Kirche aufgrund apostolischer Tradition einhält […] oder indem er das nicht beachtet, was von allgemeinen Konzilien oder der Autorität des Apostolischen Stuhles allgemeingültig angeordnet wurde, insbesondere bezüglich des Gottesdienstes, falls er nämlich das nicht für sich einhalten will, was den universalen Status der Kirche und den universalen Ritus des Gottesdienstes der Kirche betrifft“ (Summa de Ecclesia, lib. IV, pars I, cap. 11). Päpstliche Übergriffe auf das liturgische Erbe der Kirche hatte auch der berühmte spanische Jesuitentheologe Francisco de Suárez (1548–1617) im Blick, wenn er den Fall eines schismatischen Papstes erörterte, der kein formeller Häretiker sein müsse:
„Der Papst kann Schismatiker sein, wenn er nicht an der Einheit und Verbindung mit dem ganzen Leib der Kirche festhalten will, wie er sollte; wenn er versuchte, die gesamte Kirche zu exkommunizieren oder wenn er alle kirchlichen Zeremonien, die, wie Cajetan bemerkt, auf der apostolischen Tradition beruhen, abschaffen wollte“ (De caritate, disp. XII, sect. I; nr. 2).
Auch Suárez betonte das Recht, Gehorsam zu verweigern und Widerstand zu leisten:
„Wenn er (d. h. der Papst) etwas anordnet, was gegen die guten Sitten verstößt, muß man ihm nicht gehorchen; wenn er versucht, etwas zu tun, was der offenkundigen Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl widerspricht, wird es erlaubt sein, ihm zu widerstehen“ (De Fide, disp. X, sect. VI, nr. 16). Ein weiterer Theologe aus dem Jesuitenorden, Robert Bellarmin, erläuterte 1586, wie dieser Widerstand erfolgen könne: „Wie es erlaubt ist, einem Papst zu widerstehen, wenn er den Leib angreift, so ist es auch erlaubt, ihm zu widerstehen, wenn er die Seele angreift oder den Staat bedrängt, und noch viel mehr, falls er die Kirche zu zerstören trachtet. Es ist erlaubt, sage ich, sich ihm zu widersetzen, indem man nicht tut, was er befiehlt, und die Ausführung seines Willens verhindert. Es ist jedoch nicht erlaubt, ihn zu richten oder zu strafen oder abzusetzen, was allein Sache eines Höherstehenden ist“ (De Summo Pontifice, lib. II, cap. 29,7). So weit einige repräsentative Stimmen namhafter Theologen, die zeigen, daß es unter gravierenden Umständen ein Recht geben kann oder eine Pflicht geben muß, auch dem Papst Widerstand zu leisten.
Die Pflicht aller Gläubigen
„Wenn der Hirt zum Wolf wird, muß die Herde sich selbst verteidigen.“ Diese Worte, nicht auf das Papstamt bezogen, aber auch darauf unter Umständen übertragbar, stammen von Dom Prosper Guéranger OSB. In seinem mehrbändigen, 1841 begonnenen Werk über das Kirchenjahr beschrieb er am Festtag des heiligen Bischofs Cyrill von Alexandrien (9. Februar), wie dessen Kontrahent, Patriarch Nestorius von Konstantinopel, am Weihnachtsfest des Jahres 428 vom Bischofsthron herab der versammelten Menschenmenge zurief: „Maria hat nicht Gott geboren; ihr Sohn war nur ein Mensch, das Werkzeug Gottes.“
Der Benediktinerabt von Solesmes schilderte die entsetzte Reaktion der Gläubigen, aus deren Menge sich ein Mann namens Eusebius, ein gebildeter Laie und späterer Bischof von Doryläum, erhob, um gegen die skandalösen Äußerungen, immerhin des Bischofs der damaligen Reichshauptstadt, zu protestieren und Widerstand zu mobilisieren. In einem weiteren Protestschreiben, im Namen der zutiefst getroffenen Gläubigen verfaßt und verbreitet, wurde der Patriarch offen der Ketzerei bezichtigt. Jeder Leser, so der Appell des Schreibens, sollte den Inhalt bekanntmachen und Abschriften an alle Bischöfe sowie den Klerus und die Laien von Konstantinopel verteilen. Guéranger kommentiert das Ereignis: „Wird der Hirte zum Wolf, ist es die erste Pflicht der Herde, sich zu verteidigen. Normalerweise kommt die Glaubenslehre von den Bischöfen zu den Gläubigen und es ist nicht Sache der Gläubigen, die nach der Ordnung des Glaubens Untergebene sind, über ihre Ranghöheren zu richten. Doch hat jeder Christ, gerade weil er den Christennamen führen darf, nicht nur die notwendige Kenntnis der wesentlichen Dinge des Offenbarungsschatzes, sondern auch die Pflicht, sie zu schützen. Das Prinzip ist unveränderlich, ob es um den Glauben oder die Lebensführung, d.h. um das Dogma oder die Moral geht. Ein Verrat wie der des Nestorius ist selten in der Kirche, doch kann es geschehen, daß einige Hirten aus diesem oder jenem Grund in Situationen schweigen, wo der Glaube selbst auf dem Spiel steht. Die wahren Gläubigen sind jene, die unter solchen Umständen einzig ihrer Taufe die Richtschnur ihres Verhaltens entnehmen, nicht die Kleinmütigen, die unter dem trügerischen Vorwand der Unterordnung unter die bestehenden Autoritäten ihren Widerstand gegen den Feind in der Erwartung aufschieben, eine Anweisung zu empfangen, die weder nötig noch angemessen ist“ (P. Guéranger, L’année liturgique. Le Temps de la Septuagésime, Paris 81889, 321f).
Für die Wahrheit kämpfen
Widerstand gibt es nicht zu herabgesetzten Preisen. Dom Guéranger zeigte dies, indem er Bischof Cyrill von Alexandrien zitierte, der in die Kontroverse eingriff und jene innerkirchlichen Pazifisten kritisierte, die den Irrtum des Nestorius zwar nicht teilten, es aber für opportun hielten, seinen Thesen nicht entgegenzutreten, da sie fürchteten, durch ihren Widerstand gegen die Autorität des Patriarchen einen noch größeren Skandal zu provozieren. Bischof Cyrill gehörte nicht zu jenen, die meinten, die nestorianische Blasphemie einfach aussitzen zu können, ohne selbst aktiv werden zu müssen (vgl. ebd. 324). Er schrieb (epistula 9): IK-Nachrichten 12–2021 / 01–2022 Seite 3 „Wenn wir aus Furcht vor Unannehmlichkeiten davor zurückschreckten, zur Ehre Gottes die Wahrheit auszusprechen, wie könnten wir es dann wagen, in Gegenwart des christlichen Volkes die Kämpfe und Triumphe der Martyrer zu feiern, deren Ruhm gerade darin gründet, daß sie in ihrem Leben das Wort verwirklichten: ‚Kämpfe bis zum Tod für die Wahrheit‘ (Sir 4,28).“
Niemand geringeres als Kardinal Raymond Burke zitierte bei einem Pontifikalamt in der überlieferten Form am Festtag des heiligen Cyrill von Alexandrien (9. Februar 2017) in Kansas City Guérangers Ausführungen und hob die heroische Tugend des Heiligen bei der Verteidigung des Glaubens hervor, und zwar gegen den Rat „vieler seiner Mitbischöfe, die ihn drängten zu schweigen, um die Fassade der Einheit der Kirche aufrechtzuerhalten“. Der Kardinal betonte, daß angesichts der Lüge – selbst von denen in hohem kirchlichen Rang – die notwendige Antwort „des heiligen Cyrill und aller Gläubigen zu allen Zeiten und an allen Orten“ darin besteht, Widerstand zu leisten. Er fügte hinzu: „Der heilige Cyrill besaß die Ehrlichkeit und den Mut, eine Lüge zu bekämpfen, auch wenn sie von einem Mitbischof verbreitet, von anderen Bischöfen unterstützt und von weiteren stillschweigend geduldet wurde. Dank sei Gott für seine Ehrlichkeit und seinen Mut, wodurch uns der wahre und rettende Glaube überliefert wurde.“ (Zit. nach hier)
Die Erstverwertungsrechte liegen bei „IK-Nachrichten 12–2021 / 01–2022“.
Bild: Saint Buffalo.org (Screenshot)