Von Roberto de Mattei*
Es gibt viele historische Persönlichkeiten, die darauf warten, auf die Altäre erhoben zu werden, weil sie aus Haß gegen den Glauben und die christliche Zivilisation getötet wurden: Simon de Montfort (1170–1218), Opfer der albigensischen Häretiker; Maria Stuart, Königin von Schottland, die Elisabeth I. Tudor 1587 töten ließ; das Königspaar von Frankreich Ludwig XVI. und Marie Antoinette, die 1793 von den Jakobinern guillotiniert wurden, und nicht zuletzt Marcantonio Bragadin, der heldenhafte Verteidiger von Famagusta, der 1571 von den Türken bei lebendigem Leib gehäutet wurde. In diesem Jahr wird der 450. Jahrestag des Sieges bei Lepanto begangen, aber auch des Opfers von Marcantonio Bragadin. Der tragische Tod des venezianischen Aristokraten ist der Geschichte durch einen Augenzeugen, Nestore Martinengo (1547–1598), überliefert, der 1572 der Regierung der Seerepublik Venedig einen berühmten Bericht über die Belagerung und Einnahme von Famagusta vorlegte. Wer dieses Ereignis in seinen religiösen und politischen Kontext einordnen möchte, kann mehr darüber in meinem Buch „Pio V. Storia di un Papa Santo“ („Pius V. Geschichte eines heiligen Papstes“) nachlesen, das in diesem Jahr im Verlag Lindau erschienen ist.
Alles begann in der Nacht vom 13. auf den 14. September 1569, als eine gewaltige Explosion Venedig erschütterte. Das riesige Munitionsdepot des Zeughauses war in die Luft gesprengt worden. Der Senat der Republik machte Saboteure verantwortlich, die von Josef Nassì, einem reichen Juden portugiesischer Herkunft und erklärten Feind der Republik Venedig, der in Konstantinopel lebte und Sultan Selim II. zur Eroberung aller Inseln der Ägäis drängte, angeheuert worden waren.
Selim II. (1524–1574), der seinem Vater Süleiman dem Prächtigen an der Spitze des Osmanischen Reiches nachgefolgt war, beschloß, den 1540 mit Venedig geschlossenen Frieden zu brechen, indem er angebliche Rechte auf die Insel Zypern einforderte, das eine venezianische Kolonie von großer strategischer Bedeutung und zusammen mit Malta die einzige christliche Enklave in einem von den Türken beherrschten Meer war.
Die Staatsführung der Republik Venedig stand vor einem Dilemma: die Insel Zypern aufzugeben oder die osmanische Macht herauszufordern und die Politik des Ausgleichs mit den Türken, die die Serenissima in den letzten Jahrzehnten verfolgt hatte, aufzugeben. Am 28. März 1570 schickte Selim einen seiner Gesandten nach Venedig, um ein Ultimatum zu stellen: die Übergabe der Insel Zypern oder Krieg. Das Gespräch zwischen dem türkischen Gesandten und dem Dogen Pietro Loredan dauerte nur wenige Minuten. „Die Republik wird sich verteidigen, im Vertrauen auf Gottes Hilfe und auf die Stärke ihrer Waffen“, erklärte der alte Doge. Am Ostermontag wurde im Markusdom die Kriegsstandarte an den „Capitano general da mar“, den Oberbefehlshaber der Flotte der Serenissima, Girolamo Zane, übergeben. Venedig bereitet sich auf den Krieg vor.
Papst Pius V. (1566–1572), der seit vier Jahren regierte, freute sich über die Nachricht: Der Krieg würde eine große Chance sein, das Ziel zu erreichen, das er sich seit Beginn seines Pontifikats gesetzt hatte: die Gründung einer „Heiligen Liga“ der christlichen Fürsten gegen den weltlichen Feind des katholischen Glaubens. Er war überzeugt, daß nicht nur die Interessen Venedigs, sondern der gesamten Christenheit auf dem Spiel standen.
In der Zwischenzeit landeten am 3. Juli 1570 die von Selim II. entsandten Truppen von Lala Mustafa Pascha (ca. 1500–1580) auf Zypern und belagerten Nikosia, die Hauptstadt der Insel. Die venezianische Garnison zählte 6.000 Mann gegen mehr als 100.000 Osmanen, die mit 1.500 Kanonen bewaffnet waren und von etwa 150 Schiffen unterstützt wurden, die den Nachschub und die Verstärkung für die Belagerten blockierten. Trotz der erbitterten Verteidigung fiel Nikosia nach einer zweimonatigen Belagerung. Die Garnison wurde niedergemetzelt, mehr als zweitausend Einwohner wurden gefangengenommen und in die Sklaverei verkauft. Famagusta, die wichtigste Festung der Insel, blieb jedoch unter venezianischer Kontrolle.
Die Türken schickten den Verteidigern von Famagusta den abgeschlagenen Kopf von Niccolò Dandolo, dem Gouverneur von Nikosia, und forderten sie auf, sich zu ergeben. Doch die Venezianer unter der Führung des Gouverneurs von Famagusta Marcantonio Bragadin und des Militärkommandanten Astorre Baglioni (1526–1571) waren entschlossen, bis zum bitteren Ende Widerstand zu leisten.
Im Januar 1571 durchbrach der kühne venezianische Kommandant Marco Querini, der von Kreta aus in See stach, mit sechzehn seiner Galeeren die türkische Blockade, evakuierte die Zivilisten aus Famagusta und verstärkte die kleine Garnison mit Munition, Proviant und 1600 Mann. Bragadin und Baglioni gelang es, den ganzen Winter hindurch standzuhalten, dank des hervorragenden Befestigungssystems der Stadt und der Überraschungsangriffe, die sie außerhalb der Stadtmauern in das Lager der Belagerer unternahmen. Die Venezianer vergifteten die Außenbrunnen und erweckten den Anschein, sie hätten die Stadt geräumt, was den Feind veranlaßte, sich unvorsichtig zu nähern und große Verluste zu erleiden.
Im Frühjahr wurden die Angriffe der Türken mit zunehmender Heftigkeit fortgesetzt, während es Pius V. gelungen war, seine Heilige Liga zu gründen, an der der Kirchenstaat, Spanien und die Republik Venedig beteiligt waren.
Bragadin zählte nur noch auf das Eintreffen eines christlichen Entsatzes, aber Mustafa, der eine weitere katastrophale Niederlage nach jener auf Malta fünf Jahre zuvor befürchtete, forderte weitere Verstärkungen an, und sein Heer erreichte 250.000 Mann gegen kaum mehr als 2000 venezianische Kämpfer. Nach elf Monaten des heldenhaften Widerstands zwangen ständige Bombardierungen und der Mangel an Lebensmitteln und Munition Bragadin am 1. August 1571 zur Kapitulation von Famagusta.
Lalà Mustafà hatte in einem von ihm unterzeichneten Dokument versprochen, den Überlebenden das Verlassen der Insel zu gestatten und sich auf ihre Schiffe zu begeben, „im Takt der Trommel, mit entrollten Insignien, Artillerie, Waffen und Gepäck, Frau und Kindern“, aber er machte sich eines niederträchtigen Verrats schuldig. Am 2. August begab sich Bragadin in Begleitung von Astorre Baglioni zum Zelt von Lalà Mustafà, um ihm die Schlüssel der Stadt zu übergeben, doch die beiden venezianischen Befehlshaber wurden beschimpft und festgenommen. Astorre Baglioni und die anderen Vertreter der venezianischen Delegation wurden an Ort und Stelle enthauptet, während Bragadin ein weitaus schlimmeres Schicksal erwartete: Ihm wurden Ohren und Nase abgeschnitten, und er war zwölf Tage lang in einem Käfig unter der sengenden Sonne eingesperrt, mit sehr wenig Wasser und Nahrung. Am vierten Tag boten ihm die Türken die Freiheit an, wenn er zum Islam konvertieren würde, was Bragadin entrüstet ablehnte.
Am 17. August wurde der venezianische Gouverneur am Mast seines Schiffes aufgehängt und mit mehr als hundert Peitschenhieben geschlagen. Anschließend mußte er einen großen Korb voller Steine und Sand auf dem Rücken durch die Straßen von Famagusta tragen, bis er zusammenbrach. Dann wurde er auf den Hauptplatz der Stadt zurückgebracht und an eine Säule gekettet, wo ihm ein genuesischer Abtrünniger ein Messer in die linke Schulter rammte und ihn bei lebendigem Leib zu häuten begann. Der venezianische Befehlshaber ertrug sein Martyrium mit heldenhaftem Mut, rezitierte das Miserere und rief den Namen Christi an, bis er, nachdem sie seinen Rumpf und seine Arme gehäutet hatten, rief: „In manus tuas Domine commendo spiritum meum“, „In deine Hände, Herr, lege ich voll Vertrauen meinen Geist“, und seinen letzten Atemzug tat. Es war 15 Uhr des 17. August 1571. Bragadins Leichnam wurde gevierteilt, seine mit Stroh und Baumwolle ausgestopfte und mit der Kleidung und den Insignien des Befehlshabers bedeckte Haut wurde in einer makabren Prozession durch die Straßen von Famagusta getragen und dann zusammen mit den Köpfen der christlichen Anführer als Trophäe an den Mast einer Galeere gehängt, die sie nach Istanbul brachte.
Die christliche Antwort auf das Massaker von Famagusta fand am 7. Oktober 1571 in den Gewässern von Lepanto statt, wo die türkische Flotte vernichtend geschlagen wurde. Die Haut von Marcantonio Bragadin wurde 1580 aus dem Istanbuler Arsenal entwendet und nach Venedig gebracht. Sie wurde in die Kirche San Zanipolo in das Denkmal für den venezianischen Helden übergeführt und dort verehrt.
Marcantonio Bragadin verdient es, zu den Seligen des fünften Himmels des Paradieses gezählt zu werden, den Dante in der Göttlichen Komödie beschreibt, und neben den großen Kämpfern für den Glauben der vergangenen Jahrhunderte, von den Vandeanern bis zu den Cristeros, in Erinnerung zu bleiben. Vielleicht wird die Kirche ihn eines Tages als Märtyrer heiligsprechen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons