Ein Predigtkommentar von Hubert Hecker.
Martin Luther führte erstmals die selektive Bibellesung ein: Die Passagen in den Evangelien und NT-Briefen, in denen Jesus oder die Apostel von guten Werken sowie Lohn im Himmel sprechen, wurden als „strohene Episteln“ desavouiert, denn sie passten nicht in Luthers neuerfundenes Konzept von sola fide et gratia. Ähnlich ergeht es den zahlreichen biblischen Mahnungen und Warnungen vor den Konsequenzen des göttlichen Gerichts, die inzwischen auch von katholischen Exegeten und Predigern gezielt übergangen werden. Schließlich unterschlägt die große Zahl von ökumenischen Allerlösungstheologen die Bibelstellen, in denen Jesus vom Ausschluss aus dem Himmelreich und Hinauswurf in die Finsternis spricht.
Begründet wird diese Bibelzensur mit der stillschweigenden Unterstellung: Da der allbarmherzige Liebesgott mit seiner Frohbotschaft das Heil aller Menschen wolle, hätte der Sohn Gottes solche theologisch unkorrekten Drohbotschaften (und auch die Lohn-im-Himmel-Zusagen) nicht aussprechen sollen. Das Pendant dieser theologischen Überheblichkeit gegenüber Jesus Christus und der biblischen Offenbarung besteht in der goethischen Selbstversicherung vieler Taufscheinchristen, dass ihr strebendes Bemühen ohne Bezug auf Bibel und Jesus Christus allemal genüge für Erlösung und Himmel.
Göttliche Strafaktionen – nicht nur für Luther schrecklich unpassend
Bei solchen Voreinstellungen erwies sich das Sonntagsevangelium vom 11. Oktober 2020 für manche Prediger als äußerst problematische Vorlage. Im Reich-Gottes-Gleichnis vom Hochzeitsmahl (Mt 22, 1–14) ist unübersehbar gleich von zwei Strafaktionen die Rede: Als die Eingeladenen zum königlichen Hochzeitsmahl nach verschiedenen Ausreden schließlich die ausgesandten Knechte des Königs töten, lässt der zornige Herr die Mörder umbringen und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Nachdem dann die Diener von den Straßen der Welt alle Angetroffenen in den Hochzeitssaal geführt hatten, „Gute und Böse“, prüft der Hausherr die Gäste. Einen der Geladenen ohne hochzeitliches Gewand lässt er von seinen Knechten in die Finsternis hinauswerfen:
„Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt“.
Schon Luther hatte dieses Evangelium als „schrecklich“ (unpassend) bezeichnet. Er wollte nur ungern darüber predigen. Heutige Prediger dürften angesichts der göttlichen Strafaktionen das gleiche Unbehagen haben, aber sie nutzen die selektive Methode, mit der sie sich das für ihre Ansprache Passende aus dem Evangeliumstext herauspicken.
Papst Franziskus kommentierte in seiner Angelus-Ansprache vom 12. Oktober das Gleichnis vom Hochzeitsmahl mit folgenden Ausführungen: Gottes Güte sei grenzenlos. Seine großherzige Einladung zu dem Hochzeitsmahl des Reiches Gottes gelte „für alle“ – universal. Er diskriminiere niemanden. Mit dieser Fokussierung ausschließlich auf die beruhigenden Handlungselemente des Gleichnisses beschloss Franziskus seine Predigt.
Der Papst unterschlug, dass der Herr auf die Zurückweisung und Beseitigung der Einladenden mit Zorn und Strafaktion reagiert und dass er Eingeladene mit Verweigerungshaltung aussperren lässt. Anscheinend hat sich Franziskus – nicht nur in dieser Predigt – in einem Gottesbild eingerichtet, das mit dem ganzen Evangelium nicht zusammenpasst. Insbesondere stimmt die inklusive Allbarmherzigkeitstheologie des Papstes nicht mit dem Sinnschluss des biblischen Gleichnisses überein: Zwar sind alle eingeladen zum Reich Gottes, aber von den vielen, die dem Ruf folgen, zeigen nur wenige Bereitschaft für die Jüngerschaft Christi.
Bibelfälschung durch sinnentstellende Verkürzung der Originalschrift
Im offiziellen liturgischen Perikopenbuch des deutschen Sprachraums ist bei längeren Evangeliumstexten die Alternative einer „Kurzfassung“ vorgesehen. Mit diesem Kunstgriff ergibt sich die Möglichkeit, beunruhigende Stellen aus dem Evangelium herauszuschneiden. Das ist auch mit dem Matthäus-Gleichnis zum 11. Oktober geschehen: Die Kurz-Perikope endet mit dem Satz: „Die Diener holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute“. In diesem Fall brauchen die Prediger gar nicht mal den Evangeliumstext zu zensurieren oder selektiv zu interpretieren. Die Jesusworte sind schon in dem Vorlagentext so zurechtgestutzt, dass sich eine sinnentstellende Predigt direkt darauf beziehen kann:
Ein Sonntagsprediger übertrug die Einladung an alle zum Hochzeitsmahl des Königssohnes, das im Gleichnis ausdrücklich für das Reich Gottes steht, umstandslos auf das eucharistische Mahl. Er fordert, dass die Kirche alle und jeden zur Kommunion einladen sollte – „Böse und Gute“ wie bei der Einladung zum Festmahl. Da in dem gekappten Evangelium der mahnende Schluss des Gleichnisses unterschlagen wurde, brauchte der Prediger auch bei seiner Übertragung auf die Kommunion weder auf Paulus‘ Warnung vor unwürdigem Empfang des Leibes Christi einzugehen noch Kommunionvorbereitung durch Disposition, Gebet, Glauben an die Realpräsenz und Ehrfurchtsgesten anzumahnen. Er verwies auf Papst Franziskus, der in seiner Fußnoten-Theologie die „Eucharistie als ein großzügiges Heilmittel“ für Sünder und „Nahrung für die Schwachen“ bezeichnet hat. Die frühen Christengemeinden hätten die eucharistische Gabe ebenfalls ein „Medikament zum ewigen Leben“ genannt.
Bei diesem Begründungsbeispiel verschwieg der Prediger, dass die Bischöfe in den ersten Jahrhunderten öffentlich bekannte Sünder (etwa Ehebrecher) mit zeitweiligem Ausschluss von der Eucharistiefeier bestraften – darunter sogar einen regierenden Kaiser. So lautet denn auch die Lehre der Kirche seit Anbeginn, dass bei schwerer Sündenschuld vor der Kommunion die sakramentale Beichte stehen muss und bei jedem Kommunionempfang Schuldbekenntnis, Reue, Buße und Umkehrwillen vorauszugehen haben. Eben das ist der Sinn von dem biblischen Bildwort des hochzeitlichen Gewandes: Ohne das Kleid der Umkehr oder das Lampenöl der guten Werke (siehe folgendes Gleichnis) haben die Eingeladenen keine Teilhabe am Himmelreich.
Wohlfühlpredigten durch Aussparung der biblischen Mahnungen und Warnungen
Auch in Franziskus‘ Predigt zum Sonntagsevangelium am 8. November ist eine selektive Aussparung des beunruhigenden Schlusswortes der Perikope festzustellen. Im Text heißt es: „Die (klugen) Jungfrauen, die bereit waren (mit ihren ölgefüllten Lampen), gingen mit dem Bräutigam in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen.“ Als die törichten Jungfrauen nach ihrem Einkauf von Lampenöl um Einlass baten mit den Worten: „Herr, Herr, mache uns auf!“ rief der Herr: „Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht!“ Dann kommt das Schlusswort: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“
Die Kommentatoren (und auch der Prediger Franziskus) sind sich einig, dass die Lampe das Licht des Glaubens symbolisiert, das aber erst durch das Öl der guten Werke zum Leuchten gebracht wird. Die klugen Jungfrauen hatten in ihrem Leben genügend „Öl angesammelt“, weshalb sie beim Ruf des Herrn trotz ihrer Schläfrigkeit „nicht beunruhigt“ waren, wie der Papst ausführte.
Die törichten Frauen dagegen hatten keine Ölreserven. Aber warum gab ihnen der Herr keine letzte Chance, obwohl sie doch auch mit (Glaubens-)Lampen und (leider zu wenig) Öl auf den Bräutigam warteten und sich dann um das Öl bemühten? Hätte nicht der allbarmherzige Christus, der als guter Hirte den verlorenen Schafen nachging und großherzig von Gottes unendlicher Liebe kündigte, das ernsthafte Bemühen der vergesslichen Frauen würdigen müssen und deshalb die Türe zu seinem Freudenfest für alle öffnen sollen, eben auch für die abgehängten Gläubigen, fragt ein Kommentator. Doch das Evangelium beharrt auf der schroffen Abweisung: „Ich kenne euch nicht!“ Dieses Urteil wird mit der hoheitlichen Formel „Amen, ich sage euch“ als endgültig bestätigt.
Das Evangelium spricht hier unabweislich von dem strengen Richter und seinem Urteil – in diesem Fall zum Ausschluss der Hälfte der Frauen vom himmlischen Hochzeitsmahl. So haben die Kirche und die Maler den wiederkommenden Christus in früheren Zeiten dargestellt: als göttlichen Richter mit dem Schwert der Gerechtigkeit und der Lilie der Barmherzigkeit.
Aber wo bleibt denn die göttliche Barmherzigkeit in dem behandelten Gleichnis? Nach dem Theologen Willibald Sandler erfolgt in vielen Lebenssituationen der Gläubigen der Anruf Gottes zu guten Taten. Die Barmherzigkeit Gottes bestehe in den vielen gewährten Gelegenheiten für das Sammeln vom Öl der Nächstenliebe: Gott gewähre „viele zweite Chancen, aber eine davon – und wir wissen nicht welche – wird die letzte sein“. Und wenn die auch nicht genutzt wird, dann bleibt die Tür verschlossen.
Papst Franziskus hat zu seiner Allerlösungstheologie verkündet, dass Gottes Barmherzigkeit über seiner Gerechtigkeit stünde und immer das letzte Wort hätte. Im Evangelium dagegen zeigt sich Gottes Güte in seiner langmütigen Geduld gegenüber Sündern, aber irgendwann sind die letzten Chancen zur Umkehr vertan. Dann steht der Mensch selbst als erloschene Glaubenslampe vor ihm, denn „der Glaube ohne die Werke (der Nächstenliebe) ist tot“ (Jak 2,17). Und das ist sein Gericht und die göttliche Gerechtigkeit: Im Licht der göttlichen Güte erkennt er sich in seiner egoistischen Verkümmerung als lichtloser Ausgeschlossener vom Himmelreich, was er mit seinen sündhaften Verweigerungen im Leben eingeleitet und bewirkt hat.
Das abschließende Mahnwort des Gleichnisses zur ständigen Bereitschaft, den Ruf des Herrn zur Umkehr zu hören, konterkarieren die meisten Prediger zu einem Banalwort, wenn sie die Konsequenzen des göttlichen Gerichts bis hin zum Ausschluss unterschlagen. Die Eliminierung des „anstößigen“ Gotteswortes verfälscht das Evangelium zu einer Wohlfühlgeschichte. Sie erzeugt bei den Gläubigen eine schlaftrunkene Sicherheit zum ewigen Heil – mit bösem Erwachen am Ende.
Das Evangelium will eben nicht mit einer Allbarmherzigkeitsbotschaft die damaligen Jünger und die heutigen Gläubigen „beruhigen“, sondern durch die klare Ansage – „Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht!“ – eine produktive Unruhe für die Heilssorge erzeugen.
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Bei diesem Bild dreht sich mir der Magen um.
Luther hat unseren Herrn Jesus Christus mit Schmähworten belegt die man nicht wiedergeben darf.
Christus Stellvertreter steht lächelnd vor dieser Statue, das ist ein Skandal ohnegleichen.