Aus der Bibel getilgte Mahnworte und Weherufe

Gedanken zu seinem Gleichnis


Papst Franziskus mit Luther
Papst Franziskus mit Martin Luther

Ein Pre­digt­kom­men­tar von Hubert Hecker.

Anzei­ge

Mar­tin Luther führ­te erst­mals die selek­ti­ve Bibel­le­sung ein: Die Pas­sa­gen in den Evan­ge­li­en und NT-Brie­fen, in denen Jesus oder die Apo­stel von guten Wer­ken sowie Lohn im Him­mel spre­chen, wur­den als „stro­he­ne Epi­steln“ des­avou­iert, denn sie pass­ten nicht in Luthers neu­erfun­de­nes Kon­zept von sola fide et gra­tia. Ähn­lich ergeht es den zahl­rei­chen bibli­schen Mah­nun­gen und War­nun­gen vor den Kon­se­quen­zen des gött­li­chen Gerichts, die inzwi­schen auch von katho­li­schen Exege­ten und Pre­di­gern gezielt über­gan­gen wer­den. Schließ­lich unter­schlägt die gro­ße Zahl von öku­me­ni­schen Aller­lö­sungs­theo­lo­gen die Bibel­stel­len, in denen Jesus vom Aus­schluss aus dem Him­mel­reich und Hin­aus­wurf in die Fin­ster­nis spricht.

Begrün­det wird die­se Bibel­zen­sur mit der still­schwei­gen­den Unter­stel­lung: Da der all­barm­her­zi­ge Lie­bes­gott mit sei­ner Froh­bot­schaft das Heil aller Men­schen wol­le, hät­te der Sohn Got­tes sol­che theo­lo­gisch unkor­rek­ten Droh­bot­schaf­ten (und auch die Lohn-im-Him­mel-Zusa­gen) nicht aus­spre­chen sol­len. Das Pen­dant die­ser theo­lo­gi­schen Über­heb­lich­keit gegen­über Jesus Chri­stus und der bibli­schen Offen­ba­rung besteht in der goethi­schen Selbst­ver­si­che­rung vie­ler Tauf­schein­chri­sten, dass ihr stre­ben­des Bemü­hen ohne Bezug auf Bibel und Jesus Chri­stus alle­mal genü­ge für Erlö­sung und Himmel.

Göttliche Strafaktionen – nicht nur für Luther schrecklich unpassend

Bei sol­chen Vor­ein­stel­lun­gen erwies sich das Sonn­tags­evan­ge­li­um vom 11. Okto­ber 2020 für man­che Pre­di­ger als äußerst pro­ble­ma­ti­sche Vor­la­ge. Im Reich-Got­tes-Gleich­nis vom Hoch­zeits­mahl (Mt 22, 1–14) ist unüber­seh­bar gleich von zwei Straf­ak­tio­nen die Rede: Als die Ein­ge­la­de­nen zum könig­li­chen Hoch­zeits­mahl nach ver­schie­de­nen Aus­re­den schließ­lich die aus­ge­sand­ten Knech­te des Königs töten, lässt der zor­ni­ge Herr die Mör­der umbrin­gen und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Nach­dem dann die Die­ner von den Stra­ßen der Welt alle Ange­trof­fe­nen in den Hoch­zeits­saal geführt hat­ten, „Gute und Böse“, prüft der Haus­herr die Gäste. Einen der Gela­de­nen ohne hoch­zeit­li­ches Gewand lässt er von sei­nen Knech­ten in die Fin­ster­nis hinauswerfen: 

„Denn vie­le sind beru­fen, weni­ge aber auserwählt“.

Schon Luther hat­te die­ses Evan­ge­li­um als „schreck­lich“ (unpas­send) bezeich­net. Er woll­te nur ungern dar­über pre­di­gen. Heu­ti­ge Pre­di­ger dürf­ten ange­sichts der gött­li­chen Straf­ak­tio­nen das glei­che Unbe­ha­gen haben, aber sie nut­zen die selek­ti­ve Metho­de, mit der sie sich das für ihre Anspra­che Pas­sen­de aus dem Evan­ge­li­ums­text herauspicken.

Papst Fran­zis­kus kom­men­tier­te in sei­ner Ange­lus-Anspra­che vom 12. Okto­ber das Gleich­nis vom Hoch­zeits­mahl mit fol­gen­den Aus­füh­run­gen: Got­tes Güte sei gren­zen­los. Sei­ne groß­her­zi­ge Ein­la­dung zu dem Hoch­zeits­mahl des Rei­ches Got­tes gel­te „für alle“ – uni­ver­sal. Er dis­kri­mi­nie­re nie­man­den. Mit die­ser Fokus­sie­rung aus­schließ­lich auf die beru­hi­gen­den Hand­lungs­ele­men­te des Gleich­nis­ses beschloss Fran­zis­kus sei­ne Predigt.

Der Papst unter­schlug, dass der Herr auf die Zurück­wei­sung und Besei­ti­gung der Ein­la­den­den mit Zorn und Straf­ak­ti­on reagiert und dass er Ein­ge­la­de­ne mit Ver­wei­ge­rungs­hal­tung aus­sper­ren lässt. Anschei­nend hat sich Fran­zis­kus – nicht nur in die­ser Pre­digt – in einem Got­tes­bild ein­ge­rich­tet, das mit dem gan­zen Evan­ge­li­um nicht zusam­men­passt. Ins­be­son­de­re stimmt die inklu­si­ve All­barm­her­zig­keits­theo­lo­gie des Pap­stes nicht mit dem Sinn­schluss des bibli­schen Gleich­nis­ses über­ein: Zwar sind alle ein­ge­la­den zum Reich Got­tes, aber von den vie­len, die dem Ruf fol­gen, zei­gen nur weni­ge Bereit­schaft für die Jün­ger­schaft Christi.

Bibelfälschung durch sinnentstellende Verkürzung der Originalschrift

Im offi­zi­el­len lit­ur­gi­schen Peri­ko­pen­buch des deut­schen Sprach­raums ist bei län­ge­ren Evan­ge­li­ums­tex­ten die Alter­na­ti­ve einer „Kurz­fas­sung“ vor­ge­se­hen. Mit die­sem Kunst­griff ergibt sich die Mög­lich­keit, beun­ru­hi­gen­de Stel­len aus dem Evan­ge­li­um her­aus­zu­schnei­den. Das ist auch mit dem Mat­thä­us-Gleich­nis zum 11. Okto­ber gesche­hen: Die Kurz-Peri­ko­pe endet mit dem Satz: „Die Die­ner hol­ten alle zusam­men, die sie tra­fen, Böse und Gute“. In die­sem Fall brau­chen die Pre­di­ger gar nicht mal den Evan­ge­li­ums­text zu zen­su­rie­ren oder selek­tiv zu inter­pre­tie­ren. Die Jesus­wor­te sind schon in dem Vor­la­gen­text so zurecht­ge­stutzt, dass sich eine sinn­ent­stel­len­de Pre­digt direkt dar­auf bezie­hen kann:

Ein Sonn­tags­pre­di­ger über­trug die Ein­la­dung an alle zum Hoch­zeits­mahl des Königs­soh­nes, das im Gleich­nis aus­drück­lich für das Reich Got­tes steht, umstands­los auf das eucha­ri­sti­sche Mahl. Er for­dert, dass die Kir­che alle und jeden zur Kom­mu­ni­on ein­la­den soll­te – „Böse und Gute“ wie bei der Ein­la­dung zum Fest­mahl. Da in dem gekapp­ten Evan­ge­li­um der mah­nen­de Schluss des Gleich­nis­ses unter­schla­gen wur­de, brauch­te der Pre­di­ger auch bei sei­ner Über­tra­gung auf die Kom­mu­ni­on weder auf Pau­lus‘ War­nung vor unwür­di­gem Emp­fang des Lei­bes Chri­sti ein­zu­ge­hen noch Kom­mu­ni­on­vor­be­rei­tung durch Dis­po­si­ti­on, Gebet, Glau­ben an die Real­prä­senz und Ehr­furchts­ge­sten anzu­mah­nen. Er ver­wies auf Papst Fran­zis­kus, der in sei­ner Fuß­no­ten-Theo­lo­gie die „Eucha­ri­stie als ein groß­zü­gi­ges Heil­mit­tel“ für Sün­der und „Nah­rung für die Schwa­chen“ bezeich­net hat. Die frü­hen Chri­sten­ge­mein­den hät­ten die eucha­ri­sti­sche Gabe eben­falls ein „Medi­ka­ment zum ewi­gen Leben“ genannt.

Bei die­sem Begrün­dungs­bei­spiel ver­schwieg der Pre­di­ger, dass die Bischö­fe in den ersten Jahr­hun­der­ten öffent­lich bekann­te Sün­der (etwa Ehe­bre­cher) mit zeit­wei­li­gem Aus­schluss von der Eucha­ri­stie­fei­er bestraf­ten – dar­un­ter sogar einen regie­ren­den Kai­ser. So lau­tet denn auch die Leh­re der Kir­che seit Anbe­ginn, dass bei schwe­rer Sün­den­schuld vor der Kom­mu­ni­on die sakra­men­ta­le Beich­te ste­hen muss und bei jedem Kom­mu­nion­emp­fang Schuld­be­kennt­nis, Reue, Buße und Umkehr­wil­len vor­aus­zu­ge­hen haben. Eben das ist der Sinn von dem bibli­schen Bild­wort des hoch­zeit­li­chen Gewan­des: Ohne das Kleid der Umkehr oder das Lam­pen­öl der guten Wer­ke (sie­he fol­gen­des Gleich­nis) haben die Ein­ge­la­de­nen kei­ne Teil­ha­be am Himmelreich.

Wohlfühlpredigten durch Aussparung der biblischen Mahnungen und Warnungen

Auch in Fran­zis­kus‘ Pre­digt zum Sonn­tags­evan­ge­li­um am 8. Novem­ber ist eine selek­ti­ve Aus­spa­rung des beun­ru­hi­gen­den Schluss­wor­tes der Peri­ko­pe fest­zu­stel­len. Im Text heißt es: „Die (klu­gen) Jung­frau­en, die bereit waren (mit ihren ölge­füll­ten Lam­pen), gin­gen mit dem Bräu­ti­gam in den Hoch­zeits­saal und die Tür wur­de zuge­schlos­sen.“ Als die törich­ten Jung­frau­en nach ihrem Ein­kauf von Lam­pen­öl um Ein­lass baten mit den Wor­ten: „Herr, Herr, mache uns auf!“ rief der Herr: „Amen, ich sage euch: Ich ken­ne euch nicht!“ Dann kommt das Schluss­wort: „Seid also wach­sam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“

Die Kom­men­ta­to­ren (und auch der Pre­di­ger Fran­zis­kus) sind sich einig, dass die Lam­pe das Licht des Glau­bens sym­bo­li­siert, das aber erst durch das Öl der guten Wer­ke zum Leuch­ten gebracht wird. Die klu­gen Jung­frau­en hat­ten in ihrem Leben genü­gend „Öl ange­sam­melt“, wes­halb sie beim Ruf des Herrn trotz ihrer Schläf­rig­keit „nicht beun­ru­higt“ waren, wie der Papst ausführte.

Die törich­ten Frau­en dage­gen hat­ten kei­ne Ölre­ser­ven. Aber war­um gab ihnen der Herr kei­ne letz­te Chan­ce, obwohl sie doch auch mit (Glaubens-)Lampen und (lei­der zu wenig) Öl auf den Bräu­ti­gam war­te­ten und sich dann um das Öl bemüh­ten? Hät­te nicht der all­barm­her­zi­ge Chri­stus, der als guter Hir­te den ver­lo­re­nen Scha­fen nach­ging und groß­her­zig von Got­tes unend­li­cher Lie­be kün­dig­te, das ernst­haf­te Bemü­hen der ver­gess­li­chen Frau­en wür­di­gen müs­sen und des­halb die Türe zu sei­nem Freu­den­fest für alle öff­nen sol­len, eben auch für die abge­häng­ten Gläu­bi­gen, fragt ein Kom­men­ta­tor. Doch das Evan­ge­li­um beharrt auf der schrof­fen Abwei­sung: „Ich ken­ne euch nicht!“ Die­ses Urteil wird mit der hoheit­li­chen For­mel „Amen, ich sage euch“ als end­gül­tig bestätigt.

Das Evan­ge­li­um spricht hier unab­weis­lich von dem stren­gen Rich­ter und sei­nem Urteil – in die­sem Fall zum Aus­schluss der Hälf­te der Frau­en vom himm­li­schen Hoch­zeits­mahl. So haben die Kir­che und die Maler den wie­der­kom­men­den Chri­stus in frü­he­ren Zei­ten dar­ge­stellt: als gött­li­chen Rich­ter mit dem Schwert der Gerech­tig­keit und der Lilie der Barmherzigkeit.

Aber wo bleibt denn die gött­li­che Barm­her­zig­keit in dem behan­del­ten Gleich­nis? Nach dem Theo­lo­gen Wil­li­bald Sand­ler erfolgt in vie­len Lebens­si­tua­tio­nen der Gläu­bi­gen der Anruf Got­tes zu guten Taten. Die Barm­her­zig­keit Got­tes bestehe in den vie­len gewähr­ten Gele­gen­hei­ten für das Sam­meln vom Öl der Näch­sten­lie­be: Gott gewäh­re „vie­le zwei­te Chan­cen, aber eine davon – und wir wis­sen nicht wel­che – wird die letz­te sein“. Und wenn die auch nicht genutzt wird, dann bleibt die Tür verschlossen.

Papst Fran­zis­kus hat zu sei­ner Aller­lö­sungs­theo­lo­gie ver­kün­det, dass Got­tes Barm­her­zig­keit über sei­ner Gerech­tig­keit stün­de und immer das letz­te Wort hät­te. Im Evan­ge­li­um dage­gen zeigt sich Got­tes Güte in sei­ner lang­mü­ti­gen Geduld gegen­über Sün­dern, aber irgend­wann sind die letz­ten Chan­cen zur Umkehr ver­tan. Dann steht der Mensch selbst als erlo­sche­ne Glau­bens­lam­pe vor ihm, denn „der Glau­be ohne die Wer­ke (der Näch­sten­lie­be) ist tot“ (Jak 2,17). Und das ist sein Gericht und die gött­li­che Gerech­tig­keit: Im Licht der gött­li­chen Güte erkennt er sich in sei­ner ego­isti­schen Ver­küm­me­rung als licht­lo­ser Aus­ge­schlos­se­ner vom Him­mel­reich, was er mit sei­nen sünd­haf­ten Ver­wei­ge­run­gen im Leben ein­ge­lei­tet und bewirkt hat.

Das abschlie­ßen­de Mahn­wort des Gleich­nis­ses zur stän­di­gen Bereit­schaft, den Ruf des Herrn zur Umkehr zu hören, kon­ter­ka­rie­ren die mei­sten Pre­di­ger zu einem Banal­wort, wenn sie die Kon­se­quen­zen des gött­li­chen Gerichts bis hin zum Aus­schluss unter­schla­gen. Die Eli­mi­nie­rung des „anstö­ßi­gen“ Got­tes­wor­tes ver­fälscht das Evan­ge­li­um zu einer Wohl­fühl­ge­schich­te. Sie erzeugt bei den Gläu­bi­gen eine schlaf­trun­ke­ne Sicher­heit zum ewi­gen Heil – mit bösem Erwa­chen am Ende.

Das Evan­ge­li­um will eben nicht mit einer All­barm­her­zig­keits­bot­schaft die dama­li­gen Jün­ger und die heu­ti­gen Gläu­bi­gen „beru­hi­gen“, son­dern durch die kla­re Ansa­ge – „Amen, ich sage euch: Ich ken­ne euch nicht!“ – eine pro­duk­ti­ve Unru­he für die Heils­sor­ge erzeugen.

Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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