
(Washington) Vor vier Tagen, am Abend des 26. Oktober, bestätigte der US-Senat die Ernennung von Amy Coney Barrett zur Richterin am Obersten Gerichtshof. Die 48jährige Juristin und Mutter von sieben Kindern ist damit auf Lebenszeit eine der neun Höchstrichter der USA und zugleich die jüngste Richterin. Dem bedeutendsten Richtersenat gehören nur mehr drei Richter an, die von den demokratischen Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama ernannt wurden.
Am Ende eines letzten 30 Stunden dauernden Marathons stimmte die Mehrheit des Senats mit 52 zu 48 Stimmen für die Nominierung Barretts. Die Senatoren folgten streng der Parteizugehörigkeit, obwohl sie an keine Fraktionsdisziplin gebunden sind. Einzig die republikanische Senatorin Susan Collins, die den Staat Maine vertritt, stimmte gegen Barrett, allerdings nicht aus inhaltlichen, sondern aus verfahrenstechnischen Gründen, wie sie erklärte wohlwissend, damit deren Ernennung nicht zu blockieren.
Barrett ist damit die fünfte Stimme für eine erstmals solide konservative Mehrheit am Gerichtshof seit über einem halben Jahrhundert. Auf dem Papier bestand diese zwar bereits seit der 2018 erfolgten Berufung von Brett Kavanaugh, nun aber ohne auf die unsichere Stimme von John Roberts angewiesen zu sein. Sollte Trump am kommenden Dienstag wiedergewählt werden, wofür einiges spricht, bekommt er vielleicht sogar die Gelegenheit, einen vierten Richter zu ernennen. Der mit 82 Jahren älteste Richter Stephen Breyer, der 1994 von Bill Clinton ernannt wurde, ist auch ein Vertreter der schrumpfenden Linksfraktion. Sie hatte 1973 im berüchtigten Urteil Roe gegen Wade mit sieben gegen zwei Stimmen die Abtreibung legalisiert und seither ihre Mehrheit am Höchstgericht verteidigt.
Grund dafür war, daß die Demokraten in dem Jahrzehnt von 1959 bis 1969 über eine so starke Mehrheit im US-Senat verfügten, daß sie zusammen mit demokratischen Präsidenten nicht nur im Alleingang, sondern unter Ausschaltung der Opposition Ernennungen durchsetzen konnten.
Prekäre Situation nach dem Tod Scalias 2016
Dabei sah die Lage Anfang 2016 noch ganz anders aus. Der unerwartete Tod von Richter Antonin Scalia hatte das Gewicht weiter nach links verschoben. Fünf „liberalen“ Richtern standen nur mehr drei konservative Richter gegenüber, von denen einer der „gemäßigte“ Konservative John Roberts war. „Gemäßigt konservativ“ wird am Obersten Gerichtshof ein unsicherer Kantonist genannt, der dazu neigt, mit der linken Mehrheit zu stimmen. Im Zweifelsfall stand das Verhältnis 2016 also sogar sechs zu zwei zu Ungunsten der Konservativen. Vor allem regierte damals noch Barack Obama, dem Scalias Tod die Chance in die Hand zu spielen schien, am Obersten Gerichtshof eine „strukturelle“ Linkswende herbeizuführen, wie sie manche Kreise bereits bejubelten.
Im Senat verfügten die Republikaner jedoch, anders als in den 60er Jahren, über eine ausreichend starke Position, das Nominierungsverfahren so lange zu verzögern, daß erst der neugewählte Präsident Donald Trump 2017 die Scalia-Nachfolge regeln konnte.
Die Liberals, wie die politisch Linksgeneigten in den USA genannt werden, sind über den Verlust ihrer bisherigen Hochburg außer Rand und Band. Ihr Kandidat Joe Biden wird aufgefordert, sollte er die Wahl gewinnen und sollten die Demokraten auch im Senat eine Mehrheit erringen, den Obersten Gerichtshof durch Aufstockung der Richterzahl so zu „reformieren“, daß wieder eine linke Mehrheit sichergestellt wird. Theoretisch ist das möglich, weil die US-Verfassung die Zahl der Richter nicht festlegt. Seit 1869 sind es jedoch deren neun, weshalb eine Änderung einen schweren Eingriff bedeuten würde in einem Land, in dem auf formale Traditionen der Staatsorgane besonderer Wert gelegt wird. Die Tatsache, daß die amerikanische Rechte jahrzehntelang selbstverständlich eine linke Mehrheit am Höchstgericht zu erdulden hatte (und auch tatsächlich ruhig erduldete), was die Linke umgekehrt für inakzeptabel hält, bietet Einblick in das Rechts- und Demokratieverständnis, aber auch das Staatsverständnis. Eine Erweiterung des Richtersenats scheint dennoch unwahrscheinlich, da es der sehr hohen formalen Stabilität bestimmter Verfassungsorgane widersprechen würde.

Trumps schnelles und effizientes Handeln
Die Ernennung Barretts begeistert hingegen Amerikas Konservative und darüber hinaus. Trump gilt als der lebensfreundlichste Präsident der jüngeren US-Geschichte. In den bisher drei Verfahren zur Ernennung neuer Höchstrichter handelte Trump zusammen mit dem republikanischen Vorsitzenden des Justizausschusses, Senator Lindsey Graham (South Carolina), und dem republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Senator Mitch McConnell (Kentucky), schnell, gezielt und unbeeindruckt von der Obstruktionspolitik der Demokraten und von außerparlamentarischen linken Querschüssen.
Ihnen gelang es in nur vier Jahren eine prekäre Minderheitensituation in eine solide konservative Mehrheit umzudrehen. Das jüngste Ernennungsverfahren dauerte vom Freiwerden eines Sitzes bis zur Vereidigung Barretts nur 38 Tage.
Amy Coney Barrett erwies sich dabei für das Nominierungverfahren als sehr glückliche Wahl: als Frau, sympathisch, anerkannte Juristin, Mutter von fünf eigenen Kindern und zwei Adoptivkindern, die beide schwarz sind (in Zeiten von Black Lives Matter von besonderer Bedeutung), einem Kind mit einer Behinderung, was ihre Sensibilität für das Lebensrecht ungeborener Kinder unterstreicht. Das alles machte es den Demokraten sehr schwer bis unmöglich jene brutale Schmutzkampagne zu wiederholen, die 2018 das Nominierungsverfahren von Kavanaugh überschattet hatte. Die Fangfragen demokratischer Senatoren bei den zermürbenden Anhörungen parierte Barrett gekonnt.
Vom katholischen Sitz zur katholischen Mehrheit
Auch die religiöse Zusammensetzung am Höchstgericht hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auf grundlegende Weise verschoben. Als 1973 das Urteil Roe gegen Wade gefällt wurde, waren acht von neun Höchstrichtern Protestanten, nur einer Katholik. Seit Montag besteht der Richtersenat aus sieben Katholiken und zwei Juden. Auch Barrett ist Katholikin, was ihr in untergriffigen Kommentaren und auch bei der Senatsanhörung zum Vorwurf gemacht wurde. Am bissigsten war dabei die jüdische Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien. Wenn in der Vergangenheit Anhörungen von demokratischen Kandidaten stattfanden, thematisierte kein Senator die Religionsfrage.
Fünf der sieben katholischen Richter sind konservativ, einer ist gemäßigt konservativ und eine liberal.
Mit der Vereidigung von Amy Coney Barrett durch Präsident Trump, die noch am Montag erfolgte, gibt es den katholischsten Obersten Gerichtshof der US-Geschichte. Bis vor einem halben Jahrhundert waren Katholiken als Kandidaten für einen höchstrichterlichen Stuhl kaum existent. In den ersten hundert Jahren des 1789 errichteten Verfassungsorgans gab es dort nur einen einzigen Katholiken. Erst ab 1894 entwickelte sich das ungeschriebene Gesetz den Katholiken zumindest einen Sitz zuzugestehen. Dabei blieb es bis zur Ernennung von Antonin Scalia durch Ronald Reagan im Jahr 1986.
Das Höchstgericht war 200 Jahre lang eine exklusive protestantische Domäne. Kaum zu glauben, wie schnell und grundlegend sich die Verhältnisse seit 1986 verändert haben. Ausgerechnet die republikanischen Präsidenten waren es, die auf der Suche nach geeigneten Richtern die Katholiken aus der Paria-Position befreiten, obwohl diese bis zur Reagan-Ära als besonders treue Wähler der Demokraten galten. Die demokratischen Präsidenten setzten seit Clinton hingegen vorwiegend auf jüdische Richter, um die linke Position am Gerichtshof zu stärken. Die amerikanischen Juden verfügten seit 1916 über eine Ein-Sitz-Regelung wie die Katholiken, waren aber von 1969 bis zum ersten Mandat von Bill Clinton nicht mehr am Höchstgericht präsent. Bis zum Tod von Richterin Ruth Bader Ginsburg am vergangenen 18. September waren die jüdischen Richter hingegen mit drei Sitzen proportional noch weit überrepräsentierter als die Katholiken heute. Auffallend ist zudem, daß der Protestantismus seit 1990 offenbar nicht mehr als geeignetes Reservoir für Höchstrichter angesehen wird. Clinton, Bush Junior und Obama ernannten nur Katholiken und Juden zu Höchstrichtern, Trump ausschließlich Katholiken. 1990 war mit David Souter von Bush Senior der letzte protestantische Richter berufen worden. Mit John Paul Stevens ist 2010 der letzte Protestant ausgeschieden. Dabei gab es bisher mit dem Demokraten John F. Kennedy erst einen US-Präsidenten der Katholik war.

Große Chancen
Nun liegt es an dem neugeformten Richtersenat an der Weggabelung die Chance zu nützen, eine Grundsatzentscheidung zwischen ius quia iustum (Recht, weil gerecht) oder ius quia iussum (Recht, weil angeordnet) zu treffen, ob das Gesetz nach dem Rechtsprinzip der Gerechtigkeit oder nur als technische Verfahrensfrage zu behandeln ist. So besteht auch die Möglichkeit, dem überkommenen Rechtsgrundsatz Lex iniusta non est lex (ungerechtes Recht ist kein Recht) neue Lebendigkeit einzuhauchen und ihn für den Gesetzgeber widerhallen zu lassen. Denn das Gesetz muß im Wesentlichen dem Naturrecht entsprechen und willkürliche Rechtssetzungen ausschließen, selbst dann, wenn das Gesetzgebungsverfahren formal ordnungsgemäß erfolgt sein sollte.
Die Hoffnungen konzentrieren sich nun vor allem auf eine Überwindung des verhängnisvollen Urteils Roe gegen Wade, das am Gesetzgeber vorbei die Tötung ungeborener Kinder in den USA erlaubte. Dieses Urteil, wie insgesamt die Lebensrechtsfrage, ist der Lackmustest, an dem sich zeigt, ob die Fehlentwicklungen nach 1968 korrigiert werden können.
Der neue Richtersenat hat eine historische Gelegenheit, im Interesse des Gemeinwohles, einem falsch verstandenen schrankenlosen Rechtspositivismus, der die Rechtsordnungen seit dem frühen 20. Jahrhundert aushöhlt, klare Grenzen zu setzen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: CR/Wikicommons
Laien in derartigen Positionen haben inzwischen eine grössere Bedeutung als höchste Würdenträger der Kirche, denn auf sie ist nicht mehr zu hoffen.. (Minderheiten ausgenommen)
Nun, warten wir es ab. Gerade Richter am Supreme Court pflegen eine zunehmende Unabhängigkeit zu entwickeln, was die konkrete Auslegung der Verfassungsurkunde im Einzelfall angeht. Davon könnten Generationen konservativer wie progressiver US-Politiker ein Liedchen singen…