Pater Carlo Buzzi vom Päpstlichen Institut für die auswärtigen Missionen (PIME), einem 1850 gegründeten Missionsorden, wirkt seit 1975 als Missionar in Bangladesch, wo die Christen eine sehr kleine Minderheit sind. Der weitaus größte Teil der Einwohner des ehemaligen Ost-Pakistan sind Muslime. 2014, als die beiden von Papst Franziskus einberufenen Familiensynoden noch bevorstanden, meldete er sich „von den Rändern“ zu Wort, um gegen die Zulassung sogenannter wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion Stellung zu nehmen, die im Februar jenes Jahres von Kardinal Walter Kasper gefordert worden war. In einem Brief an den Vatikanisten Sandro Magister schildert P. Buzzi nun, wie seine Mission in Bangladesch das Coronavirus erlebt.
In den Händen Gottes
von Pater Carlo Buzzi
Es war der 8. März, der zweite Fastensonntag, als ich am Ende der Messe alle bat, sich noch einmal hinzusetzen, und ihnen mitteilte, daß es in Italien, meinem Heimatland, viele Menschen gibt, die an einem Virus erkranken, das aus China stammt, und daß tausende Menschen sterben. Um die Infizierung einzudämmen, wurde von der Regierung alles geschlossen: Schulen, Büros, Transport. Die Menschen können nicht einmal mehr zur Messe gehen. Die Krankheit betrifft insbesondere ältere Menschen und ich mache mir Sorgen, weil meine Brüder und Schwestern zwischen 80 und 90 Jahre alt sind. Betet für sie – sagte ich – und betet auch dafür, daß diese Krankheit nicht zu uns nach Bangladesch kommt, sonst könnte es schlimmer sein als in der Pockenzeit, als die Menschen wie die Fliegen starben.
Meine Missionsstation befindet sich in einer ländlichen Gegend im Nordwesten des Landes, im Distrikt Sirajganj am Ganges, nahe der Grenze zu Indien. Der Ort heißt Gulta. Diese Mission wurde vor vierzig Jahren gegründet. Sie umfaßt Menschen aus drei Völkern: (dravidische) Oraon, (austroasiatische) Santal und (tibetobirmanische) Garo. Es gibt mehr als 800 Christen, verteilt auf 8 Dörfer im Umkreis von 80 Kilometern. Im Vergleich zu anderen Missionen ist meine Mission klein und auf mein Alter zugeschnitten. Andere Missionen haben auch 6–7000 Christen, die über 100 Dörfer verstreut sind.
Im Zentrum habe ich ein Internat für Jungen und eines für Mädchen mit ungefähr 150 Schülern von der dritten Klasse Grundschule bis zum Abitur. Mehr als die Hälfte davon sind keine Christen, aber ihre Eltern schicken sie hierher, weil sie uns vertrauen und die Bildung schätzen, die wir vermitteln.
Wir haben eine Ambulanz, die von Ordensfrauen geführt wird, und in die viele Patienten kommen, insbesondere muslimische Frauen, die nicht gerne von männlichen Ärzten untersucht werden. Wir haben eine genossenschaftlich organisierte Sparkasse, auf die nur Christen zugreifen können, und die ständig wächst.
In 25 Dörfern, fast alle nicht christlich, haben wir Schulen eröffnet, die Kinder bis zur dritten Grundschulklasse unterrichten, damit sie dann öffentliche Schulen besuchen können. Ohne die Elementarschulen hätten diese Kinder Schwierigkeiten, staatliche Schulen zu besuchen, da sie zu Hause eine andere Sprache als Bengali sprechen.
Wir haben Äcker, auf denen die Schüler nach ihren Fähigkeiten arbeiten und so ihre schulische mit einer landwirtschaftlichen Ausbildung verbinden. Es gibt viel Eintracht zwischen allen, die in der Mission tätig sind. Jeder hat seine Aufgabe. Aber dieses Schöne hat nun auch hier aufgehört.
Am 17. April ordnete die Regierung an, alles zu schließen: Schulen, Institutionen, Büros, Transport. Nur LKWs mit Vorräten dürfen fahren. Nachdem ich alle Anweisungen zur Abwehr einer Infektion gegeben hatte, mußte ich mich von allen Schülern verabschieden, die in ihre Dörfer zurückzukehren hatten. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen werde!
Telefonisch informierte ich die Lehrer der 25 Schulen, die den Unterricht einstellen mußten, und schickte ihnen das Gehalt für den Monat März. Ich teilte ihnen mit, daß ich ihnen kein Geld mehr geben könne, solange die Schulen geschlossen bleiben, da keine Hilfe kommt.
Auf der Mission bei mir blieben drei Ordensschwestern, sieben Jungen und Mädchen, die keine Familie haben, eine Köchin, ein Bauer, der auf die Felder schaut, und ein Lehrer. Wir können sagen, daß wir fast autark sind.
Jeder hat seine Arbeit, aber die gemeinsame Arbeit aller ist das Gebet. Das berühmte Wort: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“, lautet deshalb bei uns sinngemäß: „Wer nicht betet, der soll auch nicht essen“.
Um 6.30 Uhr: Gebet und Messe. Um 11 Uhr eine Stunde der Anbetung, die mit dem Angelus endet. Um 18 Uhr eine weitere Stunde der Anbetung. Um 20 Uhr beten wir den Rosenkranz.
Jedes Mal, wenn wir ein Gebet beginnen, läuten wir die Glocken, damit auch die Christen, die in der Nähe sind, zu uns kommen. Das ist schön und wichtig, denn hier sind viele religiöse „Rufe“ zu hören. Hindus benutzen das Horn, Muslime benutzen den Lautsprecher, wir Christen läuten die Glocken. Unsere Angelus-Glocke wird von allen geschätzt, weil sie allen anzeigt, daß es 12 Uhr mittags ist.
Das Virus erreichte Bangladesch Mitte März. Alle waren unvorbereitet, denn alle dachten, es würde hierher nicht kommen. Die Regierung war auch dieser Meinung. In keinem staatlichen oder privaten Krankenhaus gab es einen darauf vorbereiteten Apparat, auch nicht in den Luxuskrankenhäusern.
Gut 70 Prozent der Privatkliniken schlossen kurzerhand die Tore, um keine Belästigungen zu haben. Die staatlichen Krankenhäuser der Hauptstadt und einige Privatkliniken haben begonnen, Plätze herzurichten, mit völlig unzureichender Ausrüstung und Kleidung. Nacheinander sind Ärzte und Krankenschwestern krank geworden, ganz zu schweigen von denen, die einfach abgetaucht sind. Das eigentliche Problem wird sein, daß es in Kürze nicht mehr genügend Personal geben wird, um die Kranken zu versorgen. Eine vollständige Schutzkleidung aus dem Ausland kostet hier 100 Euro, was der Hälfte des Gehalts einer Krankenschwester entspricht. Das medizinische Personal, das im Dienst bleibt, macht auch Schichten von 24 Stunden.
Für mich ist es ein Schlag, weil ich vielen Mädchen zum Beruf der Krankenschwester geraten habe, damit sie einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen, eine gute Stellung erhalten und ihren Familien finanziell helfen können.
Jenen, die sich jetzt dem Dienst entziehen, entzieht die Regierung das Ausbildungsdiplom.
Die Regierung verordnete die Schließung von allem, daher beginnen Menschen, die nicht arbeiten können, Schwierigkeiten zu haben. Die Caritas und der Bischof unserer Diözese Rajshahi ließen uns Listen der Bedürftigen erstellen, aber aus Angst vor Ansteckung haben sie noch keine konkreten Schritte unternommen. Der Höhepunkt der Bedürfnisse ist noch nicht gekommen, aber er wird bald kommen, dann werde ich den Christen helfen müssen, weil die Regierung sie einfach übergeht. In Erwartung einer Hungersnot habe ich einen guten Vorrat an Reis angelegt, mit dem ich helfen kann.
Mit dieser Pandemie ist für uns eine beispiellose Situation entstanden. In Bangladesch treten fast jedes Jahr Unglücksfälle wie Überschwemmungen und Wirbelstürme auf. Es gab aber immer Hilfe aus dem Ausland, aus Ländern, in denen die Menschen in Sicherheit waren. Dieses Mal scheint alles anders. Das Unglück des Virus wirkt sich auch auf die Länder aus, die uns bisher geholfen haben. Wer wird uns eine Hand reichen?
Von Ende April bis Mitte Mai werden sich viele, verordnete Schließungen hin oder her, nicht daran halten und hinausgehen, um den jetzt reifen Reis zu ernten. Was für Auswirkungen wird das haben? Der Wirbelsturm kommt in dieser Saison fast jedes Jahr. Wer weiß, ob der Herr uns dieses Jahr einen Nachlaß gewährt.
Die bisherige Zahl lautet: 163 Tote. Sie liegt aber weit unter der Wirklichkeit, weil sich viele Kranke nicht zeigen und lieber zu Hause sterben.
Die Polizei arbeitet hart daran, die Schließungen durchzusetzen. Hier kommt jedoch der kulturelle und religiöse Faktor ins Spiel. Muslime wollen ihre Glaubenspraktiken nicht aufgeben. Kürzlich starb ein religiöser Führer, der unter Muslimen im Ruf der Heiligkeit stand. Inmitten der Sperrmaßnahmen der Regierung versammelten sich 100.000 Muslime zu seiner Beerdigung.
Muslime glauben sehr an das ewige Leben, den Himmel und die Hölle. Das Virus kümmert sie nicht. Sie strömten zu dieser Beerdigung, weil nach ihrem Verständnis die Teilnahme an der Bestattung eines Heiligen eine zusätzliche Garantie ist, mit ihm ins Paradies zu gelangen.
Ich will mit meinem Bericht enden.
Gott und Unsere Liebe Frau sehen sicher alles, und sie sehen auch, daß Menschen an diesem Virus sterben. Wir beten viel, weil wir die Gewißheit haben, daß die Gebete die Gnade des Herrn erlangen können. Wenn wir schlechte Werke gegen die Gebote Gottes und wider die Natur tun, müssen wir uns auch bewußt sein, daß wir es sind, die diese Leiden und Unglücke verursachen.
Wird das Virus dazu dienen, unsere Augen und unseren Geist zu öffnen?
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Ave Maria Gulta/Facebook (Screenshot)
Gibt es die Möglichkeit dem Pater Carlo Buzzi eine Spende zukommen zu lassen?
Die Möglichkeit besteht über den Missionsorden PIME, dem P. Buzzi angehört. Angaben auf englisch finden sich auf der vom Orden betreuten Nachrichtenseite AsiaNews, die von P. Bernardo Cervellera geleitet wird:
http://www.asianews.it/en/Help-AsiaNews.html
Über AsiaNews können die notwendigen direkten Kontakte hergestellt werden. Andernfalls genügt auch bei einer Überweisung „P. Buzzi, Bangladesch“ anzugeben.