Zum Tod von Elio Kardinal Sgreccia (1928–2019)

Eine kritische Anmerkung, die nicht verschwiegen werden kann


Kardinal Elio Sgreccia, hochverdient um die Bioethik, der sich aber politischen Strategien beugte.
Kardinal Elio Sgreccia, hochverdient um die Bioethik, der sich aber politischen Strategien beugte.

Am ver­gan­ge­nen 5. Juni ist in Rom, kurz vor sei­nem 90. Geburts­tag, Kar­di­nal Elio Sgreccia ver­stor­ben. Er war ein Pio­nier der Bio­ethik und vie­le Jah­re Prä­si­dent der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben. Der Kar­di­nal war zudem Autor zahl­rei­cher, wich­ti­ger Ver­öf­fent­li­chun­gen, dar­un­ter ein Hand­buch der Bio­ethik, das als inter­na­tio­na­les Stan­dard­werk gilt. Im Bereich der Anthro­po­lo­gie befaß­te er sich vor allem mit dem Beginn und dem Ende des Lebens und spiel­te eine wich­ti­ge Rol­le in dem neu ent­ste­hen­den Fach­ge­biet der Bio­ethik, die er fest in der jahr­hun­der­te­al­ten ethisch-anthro­po­lo­gi­schen Den­ken des Tho­mis­mus verankerte.

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Mari­sa Orec­chia läßt in ihrem Nach­ruf für die Cor­ri­spon­den­za Roma­na auch kri­ti­sche Aspek­te nicht uner­wähnt. Es „schmer­ze“ ange­sichts der vie­len Ver­dien­ste des Kar­di­nals, dar­an erin­nern zu müs­sen, so Orec­chia, daß Kar­di­nal Sgreccia vie­le Jah­re die „Kom­pro­miß­stra­te­gie“ des Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ten und Vor­sit­zen­den der ita­lie­ni­schen Bewe­gung für das Leben (MplV), Car­lo Casi­ni, unterstützte.

1997 hat­te sich auf Ein­la­dung der Stif­tung von Casi­ni eine Grup­pe von Abge­ord­ne­ten zusam­men­ge­fun­den, um einen „katho­li­schen“ Gesetz­ent­wurf zur künst­li­chen Befruch­tung aus­zu­ar­bei­ten. Kar­di­nal Sgreccia ließ sich durch eine Ver­trau­te in der Grup­pe ver­tre­ten. Der Gesetz­ent­wurf wur­de somit unter sei­ner Auf­sicht aus­ge­ar­bei­tet und fand sei­ne Zustim­mung. Zur Ableh­nung der hete­ro­lo­gen Inse­mi­na­ti­on (Befruch­tung mit Sper­mi­en frem­der Män­ner) und ande­rer Wild-West-Metho­den unter­stütz­te der Ent­wurf die homo­lo­ge Inse­mi­na­ti­on (Befruch­tung mit Sper­mi­en des eige­nen Mannes).

Der Ent­wurf wur­de am römi­schen Prie­ster­se­mi­nar Capra­ni­ca vom katho­li­schen Fami­li­en­fo­rum vor­ge­stellt und Teil eines katho­li­schen Mani­fests zur künst­li­chen Befruch­tung. Es han­del­te sich somit in jeder Hin­sicht um das, was Außen­ste­hen­de als katho­li­schen Vor­schlag in der Fra­ge ver­stan­den. Die Ver­ant­wort­li­chen, letzt­lich somit auch Kar­di­nal Sgreccia, wei­ger­ten sich, die In-Vitro-Fer­ti­li­sa­ti­on (IVF) kate­go­risch abzu­leh­nen. Sie folg­ten dabei zwei­fel­los dem, was „poli­ti­scher Rea­lis­mus“ genannt wird. Als Poli­ti­ker, die mit den par­la­men­ta­ri­schen Ver­hält­nis­sen ver­traut waren, such­te die Grup­pe eine Stra­te­gie, die Erfolgs­aus­sich­ten bot.

Orec­chia spricht hin­ge­gen von einem „oppor­tu­ni­sti­schen Kurs“, mit dem der Embryo­nen­schutz geop­fert wur­de. Die künst­li­che Befruch­tung nimmt gene­rell in Kauf, daß der Groß­teil der Embryo­nen geop­fert wer­den. Die In-vitro-Fer­ti­li­sa­ti­on bedeu­tet sogar ein Mas­sa­ker unter den Embryo­nen. Dabei wur­de in Ita­li­en die Zahl der befruch­te­ten Eizel­len, die der Frau ein­ge­setzt wer­den kön­nen, auf drei begrenzt. In ande­ren Län­dern fehlt jede Beschrän­kung – mit den ent­spre­chen­den Folgen.

„Noch schwer­wie­gen­der“, so die Autorin, sei aber der Ver­zicht gewe­sen, die gan­ze Wahr­heit zu sagen. Der Gesetz­ent­wurf besaß die Zustim­mung des mit der Sache ver­trau­ten Kir­chen­für­sten. Die Bischofs­kon­fe­renz stell­te sich dahin­ter und die Tages­zei­tung der Bischofs­kon­fe­renz unter­stütz­te den Ent­wurf. Für Außen­ste­hen­de muß­te er also „gut“ sein. Das galt vor allem für die Katho­li­ken, die Ori­en­tie­rung suchten.

Eine Dis­kus­si­on des Ent­wur­fes wur­de nicht gedul­det. Kri­ti­ker wur­den durch Zen­sur und Behin­de­rung zum Schwei­gen gebracht. Das galt vor allem inner­halb der Lebens­rechts­be­we­gung, wie sie damals orga­ni­siert war. Nicht alle lie­ßen sich den Mund ver­bie­ten und such­ten die Schwei­ge­spi­ra­le zu durch­bre­chen. Sie ver­wie­sen auf das Natur­recht und das Gemein­wohl der Gesellschaft.

Kar­di­nal Sgreccia ver­tei­dig­te ener­gisch den „gefun­de­nen Kom­pro­miß“, wie ein Arti­kel aus sei­ner Feder im Osser­va­to­re Roma­no vom 8. April 1998 belegt. Ihm gab er die Über­schrift: „Für ein bedeu­ten­des Gesetz zur künst­li­chen Befruch­tung“. Der Arti­kel wur­de von ande­ren katho­li­schen Medi­en ganz oder teil­wei­se über­nom­men. Nur weni­ge wag­ten zumin­dest die Anmer­kung, daß die katho­li­sche Leh­re nach wie vor von den katho­li­schen Paa­ren ver­langt, daß jeder Mensch durch einen ver­ant­wor­tungs­vol­len und per­sön­li­chen Lie­bes­akt gezeugt wird, der in der Fül­le der ehe­li­chen Hin­ga­be zum Aus­druck kommt.

Kri­ti­sche Anmer­kun­gen zu den tie­fe­ren anthro­po­lo­gi­schen und kul­tu­rel­len Grün­den, die gegen die IVF spre­chen, zu dem bei künst­li­cher Befruch­tung in hoher Zahl auf­tre­ten­den Früh­ab­or­tus, auch bei der homo­lo­gen Inse­mi­na­ti­on, und zur Zer­set­zung der Fami­lie, die durch die hete­ro­lo­ge Inse­mi­na­ti­on geför­dert wird, waren sel­ten und auch gar nicht erwünscht. 

Das Gesetz ent­hält noch einen schwer­wie­gen­den Defekt: Es fehlt jeder Hin­weis auf ein Recht der Ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den, das im Abtrei­bungs­ge­setz von 1979 für Ärz­te und ande­res medi­zi­ni­sches Per­so­nal noch fest­ge­schrie­ben wurde.

Es sei, so Orec­chia, bei aller Nach­sicht not­wen­dig, auch die­sen Teil aus dem Leben von Elio Kar­di­nal Sgreccia zu berichten. 

Der Christ­de­mo­krat Car­lo Casi­ni von Beruf Rechts­an­walt, dann Staats­an­walt und schließ­lich Rich­ter am Ober­sten Gerichts­hof, war von 1979 bis 1994 Abge­ord­ne­ter zum Ita­lie­ni­schen Par­la­ment und von 1984 bis 2009 auch Abge­ord­ne­ter zum Euro­päi­schen Par­la­ment. Dort ver­trat er zunächst die Demo­cra­zia Cri­stia­na (DC) und nach deren Zusam­men­bruch 1992 ver­schie­de­ne Nach­fol­ge­par­tei­en. Dem lang­jäh­ri­gen Vor­sit­zen­den der ita­lie­ni­schen Lebens­rechts­be­we­gung wur­de der Vor­wurf gemacht, die Lebens­rechts­be­we­gung für die regie­ren­de Poli­tik zu kon­trol­lie­ren und nie­der­zu­hal­ten, nach­dem sich Christ­de­mo­kra­ten und Bischofs­kon­fe­renz mit dem „Abtrei­bungs­kom­pro­miß“ von 1979 abge­fun­den hatten.

Die Dis­kus­si­on bzw. Nicht-Dis­kus­si­on, die zum Gesetz von 1997 zur künst­li­chen Befruch­tung statt­fand, wur­de zur Initi­al­zün­dung, daß sich die Lebens­schüt­zer aus der „Obhut“ von Casi­nis Movi­men­to per la Vita (MplV) eman­zi­pier­ten. Die Lebens­rechts­be­we­gung kon­sti­tu­ier­te sich außer­halb in neu­en Orga­ni­sa­tio­nen. Auf die­sen Neu­an­fang in Unab­hän­gig­keit geht der Marsch für das Leben zurück, der seit 2012 auch in Ita­li­en stattfindet.

Car­lo Casi­ni war bis Ende 2016 Mit­glied der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben. Dann wur­de auch er wie alle ande­ren Mit­glie­der, obwohl auf Lebens­zeit ernannt, im Auf­trag von Papst Fran­zis­kus vor die Tür gesetzt. Das ist aller­dings ein ganz ande­res, wenig erfreu­li­ches Kapi­tel.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­re­spon­den­za Romana

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