(Rom) Die neue italienische Rechtsregierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sorgt für Anfeindungen, aber auch Interesse. Verschiedene italienische Stimmen sollen eine differenziertere Sichtweise erlauben, als sie die einseitige Berichterstattung im deutschen Sprachraum ermöglicht. Heute soll Carlo Freccero Raum gegeben werden. Freccero ist einer der führenden Medienprofis in Italien. Er hofft auf Veränderungen durch die neue Regierung, gibt sich aber noch skeptisch, ob es zu dem versprochenen Bruch mit der jüngeren Vergangenheit kommen wird. Der ehemalige Linke sieht in der politischen Linken zutiefst lebens- und menschenfeindliche Kräfte am Werk.
Nach seinem Studium der Philosophie an der Universität Genua gehörte er Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zu den Pionieren des italienischen Privatfernsehens um Silvio Berlusconi, der ihn in der zweiten Hälfte der 80er Jahre auch nach Frankreich schickte, um dort den privaten Fernsehsender La Cinq zu leiten.
Freccero ist seit den 90er Jahren Lehrbeauftragter für Journalistik und Medienanalyse an verschiedenen in- und ausländischen Universitäten, darunter auch an der Sorbonne in Paris. 1996 wurde er von der damaligen Mitte-links-Regierung von Romano Prodi zum Intendanten von RAI 2 ernannt, dann zum Chef von RaiSat und schließlich zum Gründungsintendanten von RAI 4, ehe er dann wieder bis 2019 Intendant von RAI 2 wurde.
Zwischen 2013 und 2018 vollzog Freccero einen grundlegenden Richtungswechsel seiner politischen Ansichten. Er stand viele Jahre der radikalen Linken nahe, näherte sich 2015 der Fünfsternebewegung und vertritt seit 2018 patriotische und EU-kritische Positionen der Souveränitätsbewegung. In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung La Verità spricht er über die neue Regierung von Giorgia Meloni und die lebensfeindliche Politik der politischen Linken.
Freccero zeigt sich zurückhaltend in der Einschätzung der neuen Regierung: Er sei noch nicht überzeugt davon, daß es unter Giorgia Meloni tatsächlich zur „angekündigten Wende“ kommen werde. Dafür brauche es „noch stärkere Beweise der Diskontinuität gegenüber der jüngeren Vergangenheit“. Ihm sei noch zu gut die EU-skeptische Regierung aus Fünfsternebewegung und Lega von 2018/2019 in Erinnerung, die nach nur einem Jahr im Amt, um Ursula von der Leyen ins Amt der EU-Kommissionspräsidentin zu heben, zum „gestürzten Umsturz“ wurde.
Dieselben „starken Mächte“, so der Medienanalyst, die 2018 auf die Fünfsternebewegung gesetzt hatten, hätten nun nach denselben Kriterien Giorgia Meloni an die Macht gelassen.
„Meloni hat nun zwei Möglichkeiten: zu gehorchen, oder – im Gegensatz zur Fünfsternebewegung – die Regeln des Systems zu ihren Gunsten zu nützen.“
Tue sie das nicht, wäre sie nur eine Neuauflage von Mario Draghi, dem bisherigen Ministerpräsidenten und ehemaligen EZB-Chef, „mit blonder Perücke“.
Kann sich Giorgia Meloni freischwimmen?
Unter „starken Mächten“ versteht Freccero den „Deep State der USA und der EU“. Dabei handle es sich nicht um „Verschwörungstheorien“, wie gerne behauptet werde, denn er beziehe seine Informationen nur aus dem Studium von Fakten und Dokumenten. Jeder müsse selbst entscheiden, ob er „unwissend“ bleiben wolle, er wolle es jedenfalls nicht.
Heute sei es sehr schwer, so Freccero, als Außenseiter in die Politik einzusteigen, und noch schwerer sei es dann Politik zu machen. Das politische Personal werde im Vorfeld ausgewählt und gesiebt, müsse bestimmte Ausbildungsprogramme durchlaufen und werde erst dann zu bestimmten Machtzirkeln zugelassen. Auch Meloni habe diesen Zutritt gesucht und sei häufig in die USA gereist: „Sie macht nicht den Eindruck einer Systemkritikerin.“ Den Wahlsieg habe sie errungen, weil sie als einzige nicht der Regierung Draghi angehörte und die Wählerklientel der Lega erbte, die Unternehmer der Klein- und Mittelbetriebe Norditaliens und deren Angestellte und Arbeiter, die Schutz vor den globalistischen Wirtschaftseliten suchen, die ihnen den Tod bringen. Melonis einziger Weg könne es unter den gegebenen Bedingungen nur sein, sich „Freiräume“ innerhalb der aufgezwungenen Regeln zu verschaffen.
Dazu gehöre die Maßnahme, die Bargeldobergrenze anzuheben, die ein „Überwachungskapitalismus“ in Italien nach unten gedrückt hatte mit dem Ziel, ihn durch Digitalgeld zu ersetzen. Bargeld dürfe nicht unter dem einseitigen Aspekt einer möglichen Steuerhinterziehung gesehen werden, sondern in erster Linie als ein Freiheitsprinzip. Das Gegenteil sei inakzeptabel. Bei Ungehorsam, so Freccero, könnte sogar der Zugang zum eigenen Geld für das Lebensnotwendige gesperrt werden, wie es Justin Trudeau im vergangenen Februar gegen die Lastwagenfahrer getan hatte, die gegen seine Corona-Maßnahmen protestierten. Noch wichtiger als die Anhebung der Bargeldobergrenze müsse für die neue Regierung die Eindämmung der Teuerungsrate sein.
Die Corona-Zeit aufarbeiten
Ein wichtiges Zeichen der Diskontinuität gegenüber der Vorgängerregierung ist für Freccero, daß „Corona-Minister“ Roberto Speranza, Gesundheitsminister unter Mario Draghi, nicht mehr im Amt ist. In ihm müsse „eine genetische Veränderung“ stattgefunden haben, denn er sei so auf Corona fixiert, daß er „die Pandemie am Leben erhalten will, obwohl sie längst tot ist“. In einem „endlich vom Maskenzwang befreiten Parlament erscheine ein noch immer maskentragender Speranza wie ein memento mori. Es sei an eine Mahnung, wachsam zu sein, denn diese Pandemie sei zu Ende, doch „andere Pandemien befinden sich bereits auf der Agenda, wenn man Bill Gates sprechen hört“.
Ein wirklicher Bruch mit der Corona-Vergangenheit, so Freccero, sei ein Paradigmenwechsel im Gesundheitsbereich, in dem inakzeptable Corona-Gesetze beseitigt und repressive Maßnahmen unmöglich gemacht werden. Die Sache nur „einschlafen“ zu lassen hieße, die repressiven Rechtsnormen der Regierungen Conte II und Draghi auf Vorrat beizubehalten und jederzeit und dann viel schneller reaktivieren zu können. Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der Corona-Zeit reiche nicht aus. Bezeichnend sei, so Freccero, daß sich Staatspräsident Sergio Mattarella sofort gegen die Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses ausgesprochen hat. Eine Aufarbeitung sei auf zwei Ebenen notwendig, der strafrechtlichen wegen der potentiellen Gesundheitsgefährung und der Repressionen und der zivilrechtlichen „zur Klärung der Interessenskonflikte“ rund um Maskenzwang, Impfstoffzulassung und Impfstoffeinkauf.
Lebensfeindliche Linke will „die Entvölkerung des Planeten“
Freccero betont, die „Diversität“ und damit auch die Homosexualität gegen Verbote verteidigt zu haben, doch heute finde ein Kampf gegen die Heterosexualität statt, die unter Anklage gestellt werde. In diesem Punkt habe Meloni in ihrer Regierungsansprache Kante gezeigt und die Verteidigung einer traditionellen und konservativen Position versprochen.
„Was sind im Gegensatz dazu heute die Werte der politischen Linken? Abtreibung, Euthanasie und Gender-Ideologie, alles Positionen mit einem dystopischen kleinsten gemeinsamen Nenner: der Entvölkerung des Planeten.“
Die transatlantische Ausrichtung und die EU-Mitgliedschaft scheinen unantastbar zu sein, so Freccero, doch könne diese Einschränkung auch zu einer Chance werden:
„In wenigen Tagen finden in den USA die Zwischenwahlen statt. Den Krieg will Joe Biden, der in der Ukraine einen starken Interessenskonflikt hat, wie die Aktivitäten seines Sohnes Hunter beweisen. Sollten die Republikaner die Mehrheit im Parlament gewinnen, wird sich die amerikanische Politik im patriotischen anstatt im globalistischen Sinn ändern. Auch Meloni könnte diesem Umbruch folgen und ihn nützen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons