Die New York Times und Papst Franziskus

John Gehring und der ständige progressive Zuruf


John Gehrings Kommentar in der New York Times - und die Wechselwirkung dieser Zeitung mit Papst Franziskus.
John Gehrings Kommentar in der New York Times - und die Wechselwirkung dieser Zeitung mit Papst Franziskus.

(New York) Seit eini­gen Jah­ren ist bei dem ein­fluß­reich­sten Leit­me­di­um der Welt, der links­li­be­ra­len New York Times, ein erstaun­li­ches Phä­no­men zu bemer­ken. Anhand eines schein­bar harm­lo­sen Bei­spiels soll zudem auf eine bemer­kens­wer­te Wech­sel­wir­kung zwi­schen die­ser Tages­zei­tung und Papst Fran­zis­kus hin­ge­wie­sen werden.

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Die Tages­zei­tung der Fami­lie Sulz­ber­ger hält auch unter dem argen­ti­ni­schen Papst unver­än­dert an ihrem kir­chen­feind­li­chen Kurs fest. Seit dem jüng­sten Kon­kla­ve von 2013 zeigt sich das Blatt aber erstaun­lich papst­freund­lich. Die­se Zwei­glei­sig­keit, man könn­te auch von einem Wider­spruch spre­chen – die Kir­chen­feind­lich­keit bei gleich­zei­ti­ger Papst­freund­lich­keit –, stellt das bemer­kens­wer­te Phä­no­men dar. Die „Gray Lady“, wie die 167 Jah­re alte Tages­zei­tung auch genannt wird, för­der­te vom ersten Augen­blick nach dem Kon­kla­ve ein posi­ti­ves Image von Papst Fran­zis­kus. Sie unter­stützt eben­so eini­ge sei­ner Posi­tio­nen, jene, die in das links­li­be­ra­le Spek­trum inte­grier­bar sind.

Im Gegen­satz dazu zeig­te sich das­sel­be Blatt gegen­über den Vor­gän­gern Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. sehr feind­se­lig. Die Zei­tung war Teil von regel­rech­ten Kam­pa­gnen gegen die­se Päp­ste, manch­mal sogar deren Initiatorin.

Die New York Times war es bei­spiels­wei­se, die im ver­gan­ge­nen Som­mer mit zwei Arti­keln den Sturz von Kar­di­nal Theo­do­re McCar­ri­ck her­bei­führ­te. Bis dahin, wie der ehe­ma­li­ge Nun­ti­us in den USA, Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò, nach­wei­sen konn­te, küm­mer­te sich Papst Fran­zis­kus nicht um Mel­dun­gen über das homo­se­xu­el­le Dop­pel­le­ben des Kar­di­nals und eben­so­we­nig um sei­ne sexu­el­le Kor­rum­pie­rung sei­ner eige­nen Semi­na­ri­sten und Prie­ster. Obwohl die Zei­tung einen Skan­dal los­trat, der die Kir­che in den USA erschüt­tert, hält sie auch in die­ser Sache ihre schüt­zen­de Hand über Papst Fran­zis­kus. Trotz des Viganò-Dos­siers wird Fran­zis­kus selbst nach wie vor mit Samt­hand­schu­hen angefaßt.

Gehring-Kommentar in der New York Times

Am 15. Novem­ber ver­öf­fent­lich­te die New York Times den Kom­men­tarCatho­lic Reform Starts With the Bishops“ (Die katho­li­sche Reform beginnt bei den Bischö­fen). Der Kom­men­tar stammt vom katho­li­schen Jour­na­li­sten und Buch­au­tor John Geh­ring. Geh­ring ist Pro­gramm­di­rek­tor der 2006 gegrün­de­ten, inter­re­li­giö­sen Orga­ni­sa­ti­on Faith in Public Life. Sie setzt sich für eine stär­ke­re Prä­senz der Reli­gi­on in den Medi­en ein und bemüht sich um „stra­te­gi­sche Koali­tio­nen und Part­ner­schaf­ten“ mit einer Aus­rich­tung links der Mit­te. Die Grün­der stamm­ten vor allem aus dem Umfeld der „Demo­kra­ti­schen Sozia­li­sten“. Von Geh­ring stammt unter ande­rem das Buch „The Fran­cis Effect: A Radi­cal Pope’s Chall­enge to the Ame­ri­can Catho­lic Church” (Der Fran­zis­kus-Effekt. Eine radi­ka­le, päpst­li­che Her­aus­for­de­rung für die katho­li­sche Kir­che in den USA). Kri­ti­ker der päpst­li­chen Amts­füh­rung sehen kei­nen Fran­zis­kus-Effekt, son­dern viel­mehr einen Defekt.

Im aktu­el­len Kom­men­tar vom ver­gan­ge­nen Don­ners­tag befaß­te sich Geh­ring mit der Kri­se des sexu­el­len Miß­brauchs­skan­dals durch Kle­ri­ker und dem damit ver­bun­de­nen Glaub­wür­dig­keits­ver­lust für die Kirche.

Geh­ring sieht die Kri­se „nicht nur“ als Pro­dukt des sexu­el­len Miß­brauchs, zu dem er auch nicht die not­wen­di­gen und logi­schen Schluß­fol­ge­run­gen zieht. Geh­ring nützt viel­mehr die Kri­se, um die libe­ra­le Agen­da als Lösung anzu­bie­ten und ein­zu­for­dern. Das­sel­be „Rezept“, das die Kri­se ver­ur­sach­te, soll dem­nach die Lösung der Kri­se bie­ten. Mit den Wor­ten Geh­rings aus­ge­drückt: „Die katho­li­schen Füh­rungs­ver­ant­wort­li­chen müs­sen offe­ner für eine Rei­he dor­ni­ger The­men sein.“

Geh­ring attackiert die „patri­ar­cha­le Kul­tur“ der Kir­che, die „im größ­ten Teil dar­in zum Aus­druck kommt, daß die Frau­en vom Prie­ster­tum aus­ge­schlos­sen sind“. Obwohl der Miß­brauchs­skan­dal sexu­el­ler, um genau zu sein, homo­se­xu­el­ler Art ist, was Geh­ring ver­schweigt, kri­ti­siert er die „kirch­li­che Leh­re über die mensch­li­che Sexua­li­tät und Gen­der“, die „nicht nur von vie­len US-Ame­ri­ka­nern, son­dern auch von einem beacht­li­chen Teil der katho­li­schen Gläu­bi­gen abge­lehnt wird“.

Wie aber, so Geh­rings Fra­ge, wol­le die Kir­che Ein­fluß auf die Kul­tur neh­men, wenn „ihre Hir­ten von vie­len in ihren eige­nen Rei­hen igno­riert werden“?

„Nachdenken über LGBT-Menschenrechte und Frauenpriestertum“

Geh­ring sieht in der der­zeit so schwie­ri­gen Lage der Kir­che jedoch eine Chan­ce und erteilt Papst Fran­zis­kus einen Rat­schlag. „Sie bie­tet Papst Fran­zis­kus und den Bischö­fen die Gele­gen­heit, eine neue Sicht­wei­se der Kir­che“ zu gewin­nen. Geh­ring emp­fiehlt eine „beten­de Unter­schei­dung“, um de „Gren­zen des Patri­ar­chats“ zu erken­nen, aber auch ein Nach­den­ken „über die Men­schen­rech­te für die LGBT-Men­schen und über den Aus­schluß der Frau­en vom Priestertum“.

Franziskus verleiht den Ratzinger-Preis 2018 (17.11.)
Fran­zis­kus ver­leiht den Ratz­in­ger-Preis 2018 (17.11.)

Geh­rings Kom­men­tar ist ein Bei­spiel dafür, daß in der Kir­che offen­bar pas­sie­ren kann, was will und sei es noch so schreck­lich wie der sexu­el­len Miß­brauchs­skan­dal und die Homo­se­xua­li­sie­rung von Tei­len des Kle­rus, der lin­ke Flü­gel der Kir­che hält unge­rührt an sei­ner Agen­da fest und for­dert deren Umset­zung. Eine kri­ti­sche Refle­xi­on fin­det nicht statt, vor allem wird a prio­ri aus­ge­schlos­sen und erst gar nicht the­ma­ti­siert, ob und in wel­chem Aus­maß gera­de die­se Agen­da ver­ant­wort­lich oder mit­ver­ant­wort­lich für die aktu­el­le Lage der Kir­che ist.

Die Zeitung und der Papst

Doch noch ein­mal zur New York Times: Der Kom­men­tar von John Geh­ring wur­de am 15. Novem­ber ver­öf­fent­licht. Am Sams­tag, den 17. Novem­ber, nur zwei Tage spä­ter, emp­fing Papst Fran­zis­kus in der Sala Cle­men­ti­na des Apo­sto­li­schen Pala­stes die Ver­tre­ter der Vati­ka­ni­schen Stif­tung Joseph Ratz­in­ger Bene­dikt XVI. Bei die­ser Gele­gen­heit ver­lieh Fran­zis­kus den dies­jäh­ri­gen Ratz­in­ger-Preis. Die Wor­te, die er an die Anwe­sen­den rich­te­te, klan­gen, als habe er den Kom­men­tar in der New Yor­ker Tage­zei­tung gele­sen. Das ist nicht aus­ge­schlos­sen, son­dern viel­mehr wahr­schein­lich. Bereits in der Ver­gan­gen­heit zeig­te sich, mit wel­cher Auf­merk­sam­keit im päpst­li­chen Umfeld die Mei­nung des links­li­be­ra­len Welt­leit­blat­tes regi­striert wird. Der Fall McCar­ri­ck ist nur ein Bei­spiel dafür.

„Wich­tig ist aber, dass der Bei­trag von Frau­en auf dem Gebiet der wis­sen­schaft­li­chen theo­lo­gi­schen For­schung und Leh­re, die lan­ge Zeit als fast aus­schließ­lich dem Kle­rus vor­be­hal­te­ne Berei­che gal­ten, immer mehr aner­kannt wird. Es ist not­wen­dig, dass die­ser Bei­trag in Über­ein­stim­mung mit der zuneh­mend weib­li­chen Prä­senz in ver­schie­de­nen Ver­ant­wor­tungs­po­si­tio­nen der Kir­che – beson­ders, aber nicht nur im kul­tu­rel­len Bereich – geför­dert und aus­ge­baut wird. Seit Paul VI. Tere­sa von Avila und Katha­ri­na von Sie­na zu Kir­chen­leh­re­rin­nen erho­ben hat, kann kein Zwei­fel mehr dar­an bestehen, dass Frau­en die höch­sten Stu­fen der Glau­bens­weis­heit errei­chen kön­nen. Das haben auch Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. bestä­tigt und Frau­en wie die hei­li­ge Thé­rè­se von Lisieux und Hil­de­gard von Bin­gen in die Rei­he der Kir­chen­leh­rer aufgenommen.“

Im päpst­li­chen Umfeld wird der Gleich­schritt des Den­kens zwi­schen Papst Fran­zis­kus und der New York Times als „Zufäl­lig­keit“ abge­tan. Eine Tat­sa­che ist er den­noch und dürf­te von nicht weni­gen Tei­len der katho­li­schen Kir­che als erstaun­lich, wenn nicht sogar bedenk­lich gese­hen werden.

Wer sich die Mühe macht und die Chro­no­lo­gie die­ses „zufäl­li­gen“ Gleich­schritts ana­ly­siert, wird noch Bedenk­li­che­res fest­stel­len: Es ist in der Regel die New York Times, die den ersten Schritt setzt, auf den Papst Fran­zis­kus reagiert – wie auf Zuruf.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: New York Times (Screen­shot)

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