(Andorra) Papst Franziskus telefonierte persönlich mit dem Regierungschef von Andorra, um ihn zu warnen: Sollte das Land die Tötung ungeborener Kinder legalisieren, werde der Kofürst Joan Enric Vives i Sicilia, der Bischof von Urgell, abdanken. Damit könnte es zu einer Staatskrise kommen, da die verfassungsrechtliche Grundlage verlorenginge, auf der seit dem Hochmittelalter die Eigenständigkeit des Fürstentums beruht.
Andorra ist ein selbst vielen Europäern kaum bekannter Kleinstaat in den Pyrenäen. Mit 486 Quadratkilometern Fläche ist das Land größer als das Fürstentum Liechtenstein, aber kleiner als die Hansestadt Hamburg. Mit rund 80.000 Einwohnern ist es allerdings bevölkerungsreicher als Monaco und San Marino zusammen. Das Land geht direkt auf die Spanische Mark von Kaiser Karl dem Großen zurück. Andorra gehört nicht zur Europäischen Union, führte aber den Euro als Währung ein.
Die Besonderheit des Kleinstaates ist jedoch seine Staatsform. Es handelt sich um ein parlamentarisches Kofürstentum, also eine Monarchie. Bis 1993 war die Souveränität zwischen zwei Landesfürsten geteilt, die das Land seit 1278 als Kondominium regierten. Seit vor 25 Jahren eine Verfassung eingeführt wurde, üben die beiden Kofürsten das gemeinsame Amt des Staatsoberhauptes aus, das weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt wurde. Kofürsten sind der amtierende Staatspräsident von Frankreich, als Rechtsnachfolger des französischen Königs, und der Bischof von Urgell, einer Stadt im Norden Kataloniens.
Die Bewohner Andorras selbst sind Katalanen. Katalanisch ist auch Amtssprache in dem Gebirgsland. Wegen der historischen Grenzlage zwischen Frankreich und Spanien und einst rivalisierenden Interessen diesseits und jenseits der Pyrenäen konnte das Land nur durch ein ausgeklügeltes Gleichgewicht seine Unabhängigkeit bewahren. Dazu gehört, daß im Schulwesen Spanisch (Kastilisch) und Französisch dominieren, obwohl nur zwei Prozent der Andorraner im Alltag vor allem Französisch und 37 Prozent Kastilisch sprechen. In den vergangenen Jahren wurden Anstrengungen unternommen, um die katalanische Sprache zu stärken.
Bischof von Urgell ist seit 2003 der aus Barcelona stammende Katalane Joan-Enric Vives i Sicília. 1993 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof für Barcelona und 2001 zum Koadjutor für Urgell. 2003 folgte er seinem Vorgänger in das Amt des Bischofs und wurde mit der Inthronisation zugleich auch Kofürst des Fürstentums Andorra, dessen Gebiet seit karolingischer Zeit zum Bistum Urgell gehört. Als Bischof von Urgell gehört er der Spanischen Bischofskonferenz an. 2010 gewährte ihm Papst Benedikt XVI. den Titel eines Erzbischofs ad personam. In der Vergangenheit ließ er Sympathien für die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens erkennen.
Regiert wird das Land seit 2011 von einer absoluten Mehrheit der Demokraten für Andorra (DA) einer rechtsliberalen Partei, die am ehesten mit den Ciudadanos in Spanien verglichen werden könnte. Regierungschef ist seit 2015 der Architekt Antoni Marti Petit. Marti gehörte ursprünglich der in Andorra dominierenden bürgerlichen Liberalen Partei von Andorra (PLA) an, deren Mitbegründer er war. Politische Parteien sind im Fürstentum erst seit 1993 zugelassen. Nachdem 2009 die Sozialdemokraten als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgingen und das Land kurzzeitig regierten, verließ Marti den PLA, um die DA zu gründen.
Der Telefonanruf von Papst Franziskus
Mit Marti führte Papst Franziskus nun ein Telefongespräch. Das Fürstentum ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen die ungeborenen Kinder noch Schutz genießen. Die Tötung Ungeborener durch Abtreibung ist illegal. Nun wird auch in dem kleinen Land über die Legalisierung der Kindestötung debattiert. Geredet wird vor allem über eine Verfassungsänderung, mit der der Weg zur Einführung eines Abtreibungsgesetzes ermöglicht werden soll. Gleiches geschah vor kurzem in Irland, wo die Bürger in den 80er Jahren den Schutz des ungeborenen Lebens eigens in der Verfassung verankert hatten, um das Land vom dem Greuel des Kindermordes zu schützen. In einer Volksabstimmung wurde die Änderung der Verfassung gutgeheißen, worauf die irische Regierung sofort eine Abtreibungsfreigabe in die Wege leitete. Gleiches wird auch für Andorra befürchtet.
Wie die Tageszeitung Diari d’Andorra berichtete, rief Papst Franziskus persönlich Ministerpräsident Marti an, um ihm mitzuteilen, daß bei einer Einführung der Abtreibung der Bischof von Urgell als Kofürst abdanken müsse. Es sei nicht denkbar, daß der Bischof ein Gesetz in Kraft setze, das die Tötung ungeborener Kinder legalisiere.
Die Warnung von Papst Franziskus, den Bischof von Urgell zur Abdankung als Kofürst zu zwingen, würde eine bald tausendjährige, institutionelle Form beseitigen und könnte das Land in eine Verfassungskrise stürzen.
Die Abtreibungsbefürworter unter den Abgeordneten des 28köpfigen Parlaments waren sich der Problematik bewußt, einerseits ein Gesetz zur Abtreibungslegalisierung einführen zu wollen, das von den Kofürsten unterzeichnet werden müßte, um Gesetzeskraft zu erlangen, andererseits der Bischof von Urgell einem solchen Gesetz nicht zustimmen könnte. Sie ließen Juristen nach einem Schlupfloch suchen, das Gesetz auch ohne die Unterschrift der Staatsoberhäupter einzuführen. Angeblich habe ein Verfassungsrechtler einen verfassungsrechtlich allerdings „sehr gewagten“ Weg gefunden.
Mit dem Telefonanruf von Papst Franziskus wurde den Bestrebungen, mit Hilfe eines juristischen Tricks die Abtreibung einzuführen, ein Riegel vorgeschoben. Franziskus teilte Marti mit, daß ihn juristische Finessen nicht interessieren: Sollte Andorra ein Abtreibungsgesetz einführen, das müsse allen Verantwortungsträgern bewußt sein, werde das Land einen seiner Kofürsten verlieren.
Das Kirchenoberhaupt soll Marti daran erinnert haben, daß das Lebensrecht der ungeborenen Kinder für die Kirche „nicht verhandelbar“ ist. Ein Parlament könne nie über das Leben von Menschen verfügen. Ein Parlament könne nur Gesetze für den Schutz des Lebens erlassen. Gleiches gelte auch für die Euthanasie.
„Der Ball liegt nun bei der andorranischen Regierung, die sich entscheiden muß, was ihr wichtiger ist: das Lebensrecht zu achten oder auf die seit 1278 geltende Staatsform zu verzichten“, so die spanische Nachrichtenseite InfoVaticana.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana
Vergelt’s Gott, Papst Franziskus. Deo gratias!
Wieder einmal ein Beispiel, dass der amtierende Heilige Vater seine sehr energische Art, zu regieren, auch sehr positiv einsetzen kann. Umso schlimmer, dass er es meistens nicht tut, um aufzubauen, sondern niederzureißen. Wer weiß, was gewesen wäre, wenn Pius IX. seinen argentinischen Nachfolger vorhergesehen hätte.