
(Rom) Vor 25. Jahren, am 6. August 1993, veröffentlichte Papst Johannes Paul II. Veritatis splendor, eine der mit Abstand bedeutendsten Enzykliken der Nachkonzilszeit. Vatican News, der Nachrichtenplattform des Vatikans führte aus diesem Anlaß ein Interview mit Kurienerzbischof Rino Fisichella, den Vorsitzenden des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung. Fisichella nützte ausgerechnet diese Gelegenheit, um die Dubia-Kardinäle zu attackieren, weil sie gewagt haben, Fragen zum Apostolischen Schreiben Amoris laetitia zu stellen.
Unter Verweis auf Veritatis splendor hatten die vier Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner im September 2016 Papst Franziskus fünf Fragen zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia zukommen lassen. Die Fragen sind so formuliert, daß Franziskus mit einem einfachen Ja oder Nein antworten könnte. Seit bald zwei Jahren weigert sich das Kirchenoberhaupt jedoch Stellung zu nehmen.
Zwei der vier Unterzeichner sind verstorben, ohne eine Antwort auf ihre Fragen erhalten zu haben. Seither wurden die vier Kardinäle zur Zielscheibe teils harter Verbalattacken durch Vertraute und Mitarbeiter von Papst Franziskus. Bereits im Oktober 2017 meldete sich auch Msgr. Fisichella zu Wort und kritisierte gegenüber Radio Vatikan „traditionsorientierte“ Kirchenkreise. Dabei stellte der Kurienerzbischof – ohne sich die Position zu eigen zu machen – richtig fest:
„Traditionsorientierte Kreise der katholischen Kirche verteidigen das Glaubensgut als unveränderlich im reinen Sinn. Aus diesem Grund […] lehnen sie das päpstliche Lehrschreiben ‚Amoris Laetitia‘ ab, das im Umgang mit verletzten Familien Barmherzigkeit über Gerechtigkeit stellt und so – nach Ansicht der Kritiker – die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe unterwandert.“
Die betreffende Stelle im gestern veröffentlichten Interview von Vatican News lautet:
Vatican News: Diese Lesart der Wahrheit verlangt daher Treue. Einige Teile der Kirche kritisieren Papst Franziskus, weil er ihrer Ansicht nach von der katholischen Lehre abweiche, und sie berufen sich dabei besonders gerade auf Veritatis splendor. Was sagen Sie dazu?
Fisichella: Das Lehramt darf nie instrumentalisiert werden, um einen Kontrast in der Entwicklung der Lehre zu behaupten. Wenn es eine Instrumentalisierung gibt, dann befürchte ich, daß es am Wunsch fehlt, die Wahrheit zu entdecken, und es auch keine Treue zur Tradition der Kirche gibt. Ich denke, daß es haltlos ist, das Lehramt von Papst Franziskus im Licht des vorhergehenden Lehramtes zu beanstanden. Es ist vielmehr zu betonen, wieviel Kontinuität in der Entwicklung steckt. Ich denke aber, daß es auch wichtig ist, das ganze Lehramt von Papst Franziskus aufmerksam zu lesen und nicht nur die eine oder andere Stellungnahme: Das Mosaik besteht aus allen Steinen, nicht nur aus einem.“
Während manche Kirchenführer Kritik am Papst wegen Amoris laetitia nicht nur für eine Majestätsbeleidigung halten, sondern wie eine schwere Sünde behandeln, sagte Franziskus selbst am 21. Mai 2018 in seiner Rede an die Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz:
„Es ist keine Sünde, den Papst hier zu kritisieren! Es ist keine Sünde. Man darf das tun.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican News (Screenshot)