(Lima) Der ehemalige peruanische Staatspräsident Alberto Fujimori und drei ehemalige Gesundheitsminister des Landes sollen sich wegen Zwangssterilisationen an fast 350.000 Frauen vor Gericht verantworten müssen.
Das Massenverbrechen ereignete sich in den 90er Jahren. Der japanischstämmige Fujimori war von 1990 bis 2000 Staatschefs des Andenstaates. Nachdem Fujimori 2000 zum dritten Mal in Folge die Wahlen gewonnen hatte, wurden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Im selben Jahr setzte er sich nach Japan ab, um einer Verhaftung zu entgehen, und wurde seines Amtes enthoben. 2005–2007 stand er in Chile wegen eines peruanischen Auslieferungsbegehrens unter Hausarrest. Ende 2007 wurde er an Peru ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt. Es folgten Verurteilungen zu 25 Jahren Gefängnis wegen des Einsatzes von Todesschwadronen und zu siebeneinhalb Jahren wegen Korruption und Bestechung. Am Heiligen Abend 2017 wurde der inzwischen 79jährige Fujimori vom amtierenden Staatspräsidenten Pedro Pablo Kuczynski begnadigt.
Im Namen des Fortschritts
In den 90er Jahren, konkret im Zeitraum 1996–2000 ließ Fujimori 346.219 Frauen, zumeist aus armen Bevölkerungsschichten, durch Ligatur der Eierstöcke zwangssterilisieren. Zu diesem Schluß gelangte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß. Zum Großteil handelte es sich bei den betroffenen Frauen um Angehörige der Ketschua und der Aymara, zweier indigener Völker. In den meisten Fällen hatten die Frauen keine Ahnung, was ihnen angetan wurde. Auch 24.535 Männer wurden sterilisiert.
Laut Untersuchungsbericht gibt es Beweise, daß das ärztliche Personal unter Druck gesetzt wurde, bestimmte Sterilisationsquoten zu erreichen. 2016 hatte der Arzt Oscar Aguirre gegenüber Medien bestätigt, daß das Gesundheitsministerium „Erfolgsquoten“ verlangte. Er habe pro Tag bis zu 25 Menschen sterilisiert. Die Operationen wurden von Ärzten durchgeführt. Die Frauen hatten Krankenpfleger und anderes medizinisches Personal im Auftrag des Gesundheitsministeriums heranzuschaffen. Schafften sie ausreichend Frauen (und Männer) herbei, erhielten sie Prämien. Waren es zu wenige, gab es Sanktionen.
Der Eingriff, über den die Frauen und Männer falsch oder unzureichend informiert wurden, erfolgte laut Untersuchungsausschuß in einem Klima aus Lockangeboten und Drohungen. Den Betroffenen seien Nahrungsmittel oder Geld angeboten worden, wenn sie sich nicht freiwillig einer Untersuchung „für ihre Gesundheit“ unterzogen. Laut Berichten von Betroffenenorganisationen erfolgten die Eingriffe unter prekären, teils lebensgefährlichen Bedingungen. Mindestens 18 Frauen starben an den direkten Folgen des Eingriffes.
Behinderung der Justiz
Eine Aufarbeitung durch die Gerichtsbehörden wurde bisher durch Einflußnahmen erfolgreich verhindert. Dabei hatte die peruanische Regierung unter dem Fujimori-Nachfolger Alejandro Toledo, selbst Ketschua-Abstammung, bereits 2003 die Verantwortung für das „Nationale Programm zur Familienplanung“ eingestanden und Aufklärung versprochen. Dazu kam es bisher aber nicht.
Erste Ermittlungen gab es bereits 2004, die aber 2009 niedergeschlagen wurden. Ein zweiter Anlauf von 2011 wurde 2014 eingestellt. Ebenso erging es einem dritten Versuch 2015, der bereits 2016 abgebrochen wurde. 2011 und 2016 kandidierte Fujimoris Tochter Keiko für das Amt des Staatsoberhauptes und unterlag beide Male nur knapp ihren Herausforderern. Keiko Fujimori war, während die Zwangssterilisationen durchgeführt wurden, Primera Dama (First Lady). Nachdem sich ihre Eltern 1994 scheiden hatten lassen, hatte Fujimori seine Tochter mit diesem Amt an seiner Seite betraut. Ihr wird daher eine Verstrickung in das Zwangssterilisationsprogramm vorgeworfen.
Nun beschäftigt sich die peruanische Justiz zum vierten Mal mit den schrecklichen Vorkommnissen, und erstmals scheint es zu einer Anklageerhebung und der Eröffnung eines Gerichtsverfahrens zu kommen. Der Fujimori-Clan verfüge nicht mehr über ausreichend Einfluß und Macht, die Justiz zu behindern, heißt es in Lima.
Politische Instrumentalisierung
Daß nie jemand vor Gericht gestellt wurde, hat aber nicht nur mit dem Fujimori-Clan zu tun. Der Kreis der stillschweigenden Befürworter neomalthusianischer Ideen geht weit darüber hinaus. Zudem wurden die Zwangssterilisationen Teil des politischen Machtkampfes. Jedesmal wenn die Tochter Fujimoris kandidierte, wurde im Wahlkampf die grausame Bevölkerungspolitik ihres Vaters von den politischen Konkurrenten gegen sie eingesetzt. Die Gegner gewannen, doch kaum waren die Wahlen geschlagen, zeigten sie kein wirkliches Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Diese politische Instrumentalisierung zeigt sich auch an Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation beteiligte sich in Wahlkämpfen durch die Kampagnisierung der Zwangssterilisationen als Verbrechen, während sie gleichzeitig in Peru die Legalisierung der Tötung ungeborener Kinder fordert. Zwangssterilisation und Abtreibung sind jedoch zwei Seiten ein und derselben Bevölkerungsagenda.
Die politische Instrumentalisierung wurde auch an Vorwürfen des Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa sichtbar, der selbst 1990 in der Präsidentschaftswahl Alberto Fujimori unterlegen war. Der Kirchengegner Vargas Llosa warf Kardinal Cipriani Thorne im Wahlkampf 2011 vor, als es galt, die Wahl von Keiko Fujimori zu verhindern, zu den Zwangssterilisationen geschwiegen zu haben. Das Gegenteil ist wahr. Der Primas von Peru war nicht nur der erste Bischof, sondern überhaupt einer der ersten, der seine Stimme gegen die menschen- und frauenfeindliche Bevölkerungspolitik erhob. Ende 1997 kritisierte er das Vorgehen Fujimoris öffentlich und veranlaßte die Peruanische Bischofskonferenz am 23. Januar 1998 zur einer energischen Stellungnahme, mit der gegen das Sterilisationsprogramm Anklage erhoben wurde. Wer damals, als das Programm noch im Gange war, dazu schwieg, waren hingegen der Abtreibungsbefürworter Mario Vargas Llosa und seine liberalen Freunde.
Der Schriftsteller trat erst 2002 auf, als Fujimori längst gestürzt war. Anlaß war eine wortgewaltige Predigt von Kardinal Cipriani Thorne am 24. November 2002, in der er Politiker, die Abtreibung befürworten, als „Feiglinge und Heuchler“ bezeichnete. Vargas Llosa antwortete mit einem Kommentar in der linksliberalen, spanischen Tageszeitung El Pais und fragte polemisch, wo der Kardinal gewesen sei, als in Peru „massenhaft Frauen gedemütigt wurden“. Die Wahrheit in der Sache interessierte ihn offensichtlich nicht, sonst hätte er seine verleumderischen Vorwürfe nicht jahrelang faktenresistent wiederholt.
Weltbank, UNO, feministische NGOs und die Regierung Clinton
Mitangeklagt werden sollen drei Minister, Marino Costa Bauer, Carlos Augusto de Romana y Garcia und Alejandro Aguinaga Recuenco, die nacheinander vom April 1996 bis November 2000 das Gesundheitsministerium leiteten. Alejandro Aguinaga, der später für Keiko Fujimoris Liste Parlamentsabgeordneter wurde, gestand 2015 Zwangssterilisationen ein. Allerdings wolle er „nur von 34 Fällen“ gewußt haben.
Konkret werden Alberto Fujimori und den Ministern der Tod von fünf Frauen und schwere Körperverletzung von 2.074 Frauen zur Last gelegt. Da die Vorwürfe auf schwere Verletzung des Völkerrechts lauten, gebe es dafür keine Verjährung. Auf diese Weise könnte an den genannten Fällen zumindest indirekt auch das Schicksal der übrigen rund 370.000 Betroffenen aufgerollt werden und die Verletzung ihrer Menschenrechte gerichtlich geahndet werden. Ihre Unversehrtheit kann ihnen damit nicht mehr zurückgegeben werden.
Kommt es zum Gerichtsverfahren, werden Fragen nach weiteren Verantwortlichen auftauchen, die schwerwiegende internationale Verstrickungen offenlegen könnten.
Fujimori hatte dem von kommunistischen Terrorgruppen und politischer Korruption gebeutelten Land eine strahlende Zukunft versprochen. Dazu bekämpfte und besiegte er militärisch die Guerillabewegung Leuchtender Pfad und startete Programme zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Ausmerzung der Armut. Eine Währungsreform und Privatisierungen verschafften dem Land kurzzeitig das höchste Wachstumsrate Lateinamerikas. Teil des Programms war aber auch die Senkung der Geburtenrate. Um das Ziel schnellstmöglich zu erreichen, griff der „liberale“ Fujimori nicht nur zum Mittel des Staatsdirigismus, sondern zum Mittel der Zwangssterilisation.
Die grausame Familienpolitik, in deren Rahmen hunderttausende Frauen aber auch tausende Männer verstümmelt wurden, nannte sich „Familienplanung“.
Hinter Fujimoris Familienpolitik standen die Weltbank, die UNO und während der Amtszeit von US-Präsident Bill Clinton die USAID, die Entwicklungshilfeagentur der US-Regierung. Sie finanzierten das Sterilisationsprogramm im Namen des Fortschritts.
Die 2012 erschienene Filmdokumentation „La cicatriz de Paulina“ (Die Narbe von Paulina) von Manuel Legarda bestätigte, daß die Regierung von Bill Clinton der Hauptfinancier war. Zudem enthüllte Legarda, daß eine Reihe feministischer NGOs das Sterilisationsprogramm unterstützten, die darin ein Instrument sahen, „das konservativen Tendenzen vor allem aus der kirchlichen Hierarchie entgegenwirken und den Zugang für alle Frauen zu verschiedenen Verhütungsmethoden ermöglichen würde“. Fujimori gab 1995 die Änderung des peruanischen Gesundheitsgesetzes bekannt. Feministische Gruppen feierten, daß die Sterilisation als Verhütungsmethode in das Gesetz aufgenommen worden war. Daß damit ein Programm zur Zwangssterilisation gemeint war, wurde vor der Öffentlichkeit geheimgehalten. Mehrere feministische NGOs scheinen Bescheid gewußt zu haben, denn sie waren in den folgenden Jahren in die Umsetzung des Programa de Planificación Familiar y Salud Reproductiva (Programm der Familienplanung und reproduktiven Gesundheit) eingebunden.
Lau dem Population Research Institute (PRI) kassierte allein der feministische Movimiento Manuela Ramos in den Jahren 1995–2000 25 Millionen US-Dollar von USAID um, so die offizielle Formulierung, „den Einsatz von Methoden der Familienplanung und anderer ausgewählter reproduktiver Gesundheitsdienste in den Zielgebieten zu erhöhen“. Die „Zielgebiete“ waren „mehrere Provinzen Perus“, oder anders ausgedrückt: Die Gebiete, in denen die Zwangssterilisationen stattfanden.
Die peruanische Feministin Maruja Barrig erkannte später in ihrem Buch „La persistencia de la memoria“ über „Feminismus und Staat im Peru der 90er Jahre“ an, daß die feministische Gruppen „zu spät“ ihre Stimme erhoben. Gleichzeitig zollte sie der katholischen Kirche ihren Respekt, weil diese frühzeitig gegen die Zwangsmaßnahmen protestiert hatte.
Für die Tötung von 15 kommunistischen Guerilleros und die versuchte Bestechung eines Oppositionellen saß Fujimori zehn Jahre im Gefängnis. Für die grausame Bevölkerungspolitik im Name der neomalthusianischen Überbevölkerungsideologen wurde er bisher nicht zur Verantwortung gezogen. Angesichts seines fortgeschrittenen Alters könnte es bald zu spät sein.
Peru ist nur ein Beispiel für eine grausame Bevölkerungspolitik, die im Auftrag internationaler Institutionen und im Namen des Fortschritts durchgeführt wurde. Werden auch die Verantwortlichen von Weltbank, UNO und USAID dafür zur Verantwortung gezogen werden?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: NdP/Radio Americana (Screenshots)
Weltbevölkerungskontrolle ist nur die Eisspitze des immer selben Wahns, zu Machen anstatt zu Dienen. Wie gut ist es doch, unseren Gott zu haben und uns nicht an seiner Stelle zu wähnen!
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