Die Verurteilung von Kardinal Pell, die Kirche und die Welt

Die Kirche hat ihr Verhältnis zur Welt zu klären


Die Situation in Australien verlangt, das seit den 1960er Jahren bestehende Verhältnis der Kirche zur Welt aufzugeben.
Die Situation in Australien verlangt, das seit den 1960er Jahren bestehende Verhältnis der Kirche zur Welt aufzugeben.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Die Ver­ur­tei­lung von Kar­di­nal Pell, die blitz­ar­tig auf den vati­ka­ni­schen Son­der­gip­fel folg­te, erin­nert an eine Wahr­heit, die man seit 50 Jah­ren ver­ges­sen will: Zwi­schen der Kir­che und der Welt ist kein Kom­pro­miß mög­lich, weil die Welt die Kir­che haßt und ihre Zer­stö­rung will. Das Urteil beweist zudem das Schei­tern der Stra­te­gie die­ses Pon­ti­fi­kats, das, in der Hoff­nung in der Welt Ver­ständ­nis zu fin­den, auf die Aus­übung der kirch­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät ver­zich­tet hat.

Die Sou­ve­rä­ni­tät der Kir­che drückt sich vor allem in ihrem Kir­chen­recht aus. Die katho­li­sche Kir­che als sicht­ba­re Gesell­schaft ver­fügt über ein Recht, auch über ein eige­nes Straf­recht, das sie besitzt, um die Gläu­bi­gen, die eine Ver­let­zung ihres Geset­zes began­gen haben, zu bestra­fen. Die Straf­tat ist eine äuße­re Ver­let­zung der kirch­li­chen Rechts­ord­nung und ist von der Sün­de zu unter­schei­den, die eine Ver­let­zung der Moral­ord­nung ist.

„Kraft eige­nen und aus­schließ­li­chen Rech­tes“ ent­schei­det die Kir­che: „über die Ver­let­zung kirch­li­cher Geset­ze“ und kann Kir­chen­stra­fen ver­hän­gen (Can. 1401). Zu den zahl­rei­chen kano­ni­schen Delik­ten, die im Codex ange­führt wer­den, gehört die Apo­sta­sie (Glau­bens­ab­fall), die Häre­sie (Leug­nung einer Glau­bens­wahr­heit), das Schis­ma (Spal­tung der Kir­che), die Ent­wei­hung hei­li­ger Sachen und auch eine Rei­he von schwer­wie­gen­den Ver­let­zun­gen des Sech­sten Gebots (s. Can. 1364, 1376, 1395).

Die Unter­schei­dung zwi­schen Sün­den und Straf­ta­ten scheint Papst Fran­zis­kus nicht klar zu sein, der „Null­to­le­ranz“ bei welt­li­chen Delik­ten wie Pädo­phi­lie ver­kün­det, aber „Ver­ge­bung“ und Barm­her­zig­keit bei „Jugend­sün­den“ wie Homo­se­xua­li­tät for­dert. Dabei ver­gißt er, daß letz­te­re in den Geset­zen der Kir­che als Straf­tat ent­hal­ten ist.

Wegen der Geset­ze und dem all­ge­mei­nen Emp­fin­den gilt die Pädo­phi­lie im Groß­teil der west­li­chen Staa­ten als nie­der­träch­ti­ges Ver­bre­chen, nicht aber weil die Tat in sich unmo­ra­lisch ist, son­dern wegen der Ver­let­zung der Rech­te der Kin­der. Dem Bei­spiel der welt­li­chen Staa­ten fol­gend schei­nen die kirch­li­chen Auto­ri­tä­ten eini­ge Sün­den von Ver­bre­chen gegen die Moral zu Ver­bre­chen gegen die Per­son deklas­siert zu haben.

Die Sün­de besteht nicht dar­in, das Natur­recht ver­letzt zu haben, son­dern mit Gewalt das Indi­vi­du­um dar­an zu hin­dern, sei­nen Instink­ten und Nei­gun­gen zu fol­gen. Die vati­ka­ni­sche Auto­ri­tät behan­delt Ver­bre­chen wie die Homo­se­xua­li­tät, als hand­le es sich dabei nur um pri­va­te Sün­den und beschränkt sich in kon­kre­ten Fäl­len auf die For­de­rung nach Buße, ohne die vor­ge­se­he­nen Stra­fen zu verhängen. 

Die ein­zi­gen Straf­ta­ten, die auch als sol­che aner­kannt wer­den, sind jene, die von den welt­li­chen Staa­ten bestraft wer­den. Was die­se Art von Ver­bre­chen angeht, wie die Pädo­phi­lie, pas­sen sich die kirch­li­chen Auto­ri­tä­ten den Schuld- oder Frei­sprü­chen der welt­li­chen Gerich­te an und ver­zich­ten auf eige­ne Ermitt­lun­gen und Pro­zes­se – außer wenn es unum­gäng­lich ist, um nicht die „Glaub­wür­dig­keit“ zu ver­lie­ren, wie es im Fall McCar­ri­ck gesche­hen ist. Doch sogar die Lai­sie­rung des ehe­ma­li­gen Kar­di­nals Theo­do­re McCar­ri­ck, wie jüngst San­dro Magi­ster fest­stell­te, ist nicht das Ergeb­nis eines Gerichts­ver­fah­rens, son­dern eines Ver­wal­tungs­ak­tes (Set­ti­mo Cie­lo, 15. Febru­ar 2019).

Die Kir­che hat aber die Pflicht, ein ordent­li­ches Straf­ver­fah­ren gegen­über Per­so­nen ein­zu­lei­ten, die des sexu­el­len Miß­brauchs ange­klagt sind, ohne deren Grund­rech­te zu ver­let­zen. Es gibt nicht nur die Rech­te jener, die sich als Opfer beken­nen, son­dern auch jener, die von den Opfern beschul­digt werden.

Sie sind nach dem Kir­chen­recht vor Gericht zu stel­len, um die Wahr­heit der Fak­ten fest­zu­stel­len, und das mög­lichst bevor es der welt­li­che Staat tut. Sobald die­se Wahr­heit fest­ge­stellt wur­de, müs­sen bei einer Ver­ur­tei­lung gegen den Ange­klag­ten die gerech­ten Stra­fen ver­hängt wer­den, wäh­rend er bei Schuld­lo­sig­keit auch gegen­über der welt­li­chen Gerichts­bar­keit zu ver­tei­di­gen ist. 

Die Kir­che, die über ein eige­nes Straf­recht und eige­ne Gerichts­hö­fe ver­fügt, muß den Mut haben, sich auch Urtei­len welt­li­cher Gerich­te zu wider­set­zen aus der Über­zeu­gung her­aus, daß nicht die Welt über die Kir­che zu urtei­len hat, son­dern die Kir­che über die Welt.

Die mora­li­sche Kri­se der Kir­che löst man nicht, durch die soge­nann­ten Best prac­ti­ces, die prak­ti­schen Anlei­tun­gen, die eine lai­zi­sti­sche Orga­ni­sa­ti­on aus­gibt, die Schul­se­xu­al­erzie­hung för­dert, und die möch­te, daß Ver­hü­tung und Abtrei­bung in alle natio­na­len Fami­li­en­pla­nungs­pro­gram­me auf­ge­nom­men wer­den. Man löst die Kri­se auch nicht durch die Errich­tung neu­er Kom­mis­sio­nen oder Exper­ten-Task Forces, son­dern mit einer über­na­tür­li­chen Sicht­wei­se, die in der Rede von Papst Fran­zis­kus, mit der er am 24. Febru­ar das Gip­fel­tref­fen im Vati­kan been­de­te, völ­lig fehlte.

Die Kon­se­quen­zen sind, daß man von einer grö­ße­ren Syn­oda­li­tät der Orts­kir­chen redet, die „offen“ ist für Bei­trä­ge der säku­la­ri­sier­ten Welt und von einer Abschaf­fung des Secre­tum Pon­ti­fi­ci­um, des Päpst­li­chen Geheim­nis­ses, im Namen der „Trans­pa­renz“. Auch Fré­dé­ric Mar­tel beklagt die „Kul­tur der Geheim­hal­tung“ in sei­nem neu­en Buch, das dar­auf abzielt, die Homo­se­xua­li­tät in der Kir­che zu „nor­ma­li­sie­ren“. Gibt es aber eine Geheim­hal­tung, die unum­stöß­li­cher ist, als das Beicht­ge­heim­nis, zu dem sich jeder Prie­ster in der Beich­te ist? Sie scheint der näch­ste Stein des Ansto­ßes, den die Fein­de der Kir­che aus dem Weg räu­men wol­len. Das Gerichts­ur­teil von Vic­to­ria scheint den Weg dafür zu ebnen.

In Austra­li­en, im Ter­ri­to­ri­um von Can­ber­ra, wur­de ein Gesetz erlas­sen, das Prie­ster straf­bar macht, die Fäl­le von sexu­el­lem Miß­brauch, von denen sie in der Beich­te erfah­ren, nicht bei den staat­li­chen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den zur Anzei­ge bringen.

Das Gesetz, das Emp­feh­lun­gen der Roy­al Com­mis­si­on umsetzt, einer Kom­mis­si­on, die von der austra­li­schen Regie­rung ein­ge­setzt wur­de, um sich mit dem sexu­el­len Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen zu befas­sen, wur­de im ver­gan­ge­nen Juni von der Austra­li­an Capi­tal Ter­ri­to­ry Legis­la­ti­ve Assem­bly, dem Par­la­ment des Haupt­stadt­ter­ri­to­ri­ums beschlos­sen. Es wei­tet die Mel­de­pflicht bei Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen auch auf die Kir­che und die kirch­li­chen Akti­vi­tä­ten aus, ein­schließ­lich den Beicht­stuhl. Zu den Emp­feh­lun­gen der Kom­mis­si­on gehör­te auch die Idee, eine nicht erfolg­te Anzei­ge durch einen Prie­ster, der bei einer Beich­te Kennt­nis von einem sexu­el­len Über­griff auf einen Min­der­jäh­ri­gen erhal­ten hat, zur Straf­tat zu erklären. 

Die Ver­ein­ten Natio­nen haben Ita­li­en auf­ge­for­dert, eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ein­zu­rich­ten, „die unab­hän­gig und unpar­tei­isch alle Miß­brauchs­fäl­le an Kin­dern durch reli­giö­ses Per­so­nal der katho­li­schen Kir­che“ unter­su­chen soll. Die UNO for­dert zudem „für alle, auch für reli­giö­ses Per­so­nal der katho­li­schen Kir­che, eine Pflicht, jeden Fall mut­maß­li­cher Gewalt an Min­der­jäh­ri­gen den staat­li­chen Behör­den mel­den zu müssen“.

Die For­de­rung stammt vom UNO-Kin­der­rechts­ko­mi­tee. (1) Das Komi­tee for­der­te auch eine Revi­si­on der staat­li­chen Kon­kor­da­te zwi­schen Ita­li­en und dem Hei­li­gen Stuhl wie den Late­ran­ver­trä­gen in den Tei­len, wo die kirch­li­che Hier­ar­chie von der Mel­de­pflicht ent­bun­den ist. Das gel­ten­de Kon­kor­dat von 1984 besagt: „Die ita­lie­ni­sche Repu­blik garan­tiert, daß die Gerichts­be­hör­de der ter­ri­to­ri­al zustän­di­gen kirch­li­chen Behör­de Mit­tei­lung macht über Straf­ver­fah­ren gegen Kir­chen­ver­tre­ter“ (Zusatz­pro­to­koll Nr. 2b).

Die­ser Grund­satz soll ins Gegen­teil ver­kehrt wer­den, weil die UNO vom Vati­kan vol­le Kol­la­bo­ra­ti­on mit den statt­li­chen Behör­den ver­langt, die Miß­brauchs­fäl­le in den jewei­li­gen Län­dern ver­fol­gen. Der Vati­kan müß­te dem­nach sämt­li­che der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zu einem Fall oder einer Per­son vor­lie­gen­den Unter­la­gen aushändigen.

Zur Fra­ge der Mel­de­pflicht gegen­über welt­li­chen Behör­den erklär­te der ehe­ma­li­ge Vati­kan­spre­cher P. Feder­i­co Lom­bar­di, der ver­gan­ge­ne Woche Mode­ra­tor des vati­ka­ni­schen Gip­fel­tref­fens war: „Es ist rich­tig, daß die­ses The­ma bei die­sem Tref­fen behan­delt wird“. Es berei­tet den Weg , von den Prie­stern die Ver­let­zung des Beicht­ge­heim­nis­ses und des Päpst­li­chen Geheim­nis­ses zu for­dern. Frü­her war der Staat der „welt­li­che Arm“ der Kir­che, nun soll die Kir­che zum „kirch­li­chen Arm“ des Staa­tes werden. 

Ein staat­li­ches Gesetz, das die Ver­let­zung des Beicht­ge­heim­nis­ses erzwingt, und sei es nur bei bestimm­ten Straf­ta­ten wie der Pädo­phi­lie, wäre ein unge­rech­tes Gesetz. Die Prie­ster hät­ten sich ihm mit einem non pos­su­mus zu wider­set­zen – bis zum Mar­ty­ri­um. Die­ses Zeug­nis, und nicht ande­re, wür­den die Kir­che glaub­wür­dig machen vor Gott, aber auch vor der Welt. Dafür muß aber das Ver­hält­nis umge­sto­ßen wer­den, das die Kir­che seit mehr als 50 Jah­ren mit der säku­la­ri­sier­ten und anti­christ­li­chen Welt unterhält.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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(1) Der UN-Kin­der­rechts­aus­schuß über­wacht seit 1991 die Ein­hal­tung der Rech­te, die in der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on fest­ge­legt wur­den. Der Aus­schuß ließ bis­her sei­ne Stim­me nie gegen die mas­sen­haf­te Tötung unge­bo­re­ner Kin­der hören. Das ver­wun­dert nicht, da er beim Hoch­kom­mis­sar der Ver­ein­ten Natio­nen für Men­schen­rech­te in Genf ange­sie­delt ist, einem Amt, das erst­mals 1994 besetzt wur­de. Seit­her übten fak­tisch nur Abtrei­bungs­be­für­wor­ter das Amt aus, der­zeit die ehe­ma­li­ge chi­le­ni­sche Staats­prä­si­den­tin und akti­ve Abtrei­bungs­lob­by­istin Michel­le Bachelet.

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