„Die jüngsten Entwicklungen zeigen, daß es keinen Willen gibt, dieses Land in Frieden zu lassen.“
Mit diesen Worten kommentierte der Apostolische Vikar der Lateiner von Aleppo, Msgr. Georges Abou Khazen, die derzeitige Eskalation im Syrienkrieg.
Das sich auf die Alawiten stützende Regime von Staatspräsident Baschar al-Assad, das auch von Christen des Landes wohlwollend gesehen wird, konnte dank russischer Militärhilfe die Oberhand zurückgewinnen. Die Regierungstruppen gingen zum Angriff gegen Douma über, einer der letzten Rebellenbastionen im Land.
Die Rebellen behaupten, die Regierung habe dabei chemische Waffen zum Einsatz gebracht. Der Vorwurf ist nicht neu, sondern eine Konstante im Propagandakrieg. Chemische Waffen sind international geächtet, weshalb ihr Einsatz als besonders moralisch verwerflich gilt. Der Vorwurf wurde im Irakkrieg gegen Saddam Hussein eingesetzt und ebenso am Beginn des Syrienkrieges gegen Assad. Bewiesen konnte er weder im einen noch im anderen Fall werden. Daher besteht der Verdacht, daß es sich wie in der Vergangenheit um eine Desinformationskampagne handelt.
Die USA scheinen gewillt, die unbewiesenen Vorwürfe, die von Rebellen mediengerecht, wenn auch etwas plump ins Bild gesetzt wurden, zum Anlaß zu nehmen, um einen neuerlichen Versuch zu unternehmen, den Krieg noch zu ihren Gunsten zu entscheiden. Erklärtes Ziel der USA ist seit Kriegsbeginn der Sturz der Regierung Assad. Seither gibt es begründete Gerüchte, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sei nicht nur ein Trittbrettfahrer im Krieg, sondern verdeckter Teil der Strategie zum Sturz der syrischen Regierung.
Stabiles Land wurde durch das Ausland destabilisiert
Abou Khazen ist Franziskaner und Titularbischof von Rusadus, eines im islamischen Eroberungssturm untergegangenen Bistums in der einstigen römischen Provinz Mauretania Caesariensis in Nordafrika. Der lateinische Syrer ist mit den tatsächlichen Verhältnissen in seiner Heimat vertraut und orientiert sich nicht an den politischen, strategischen und ökonomischen Interessen des Westens. Deshalb erhob er bereits mehrfach heftige Vorwürfe gegen die westlichen Regierungen mit ihrer Politik, die Christen des Landes nicht nur der Gefahr preiszugeben, sondern ihre Auslöschung in Kauf zu nehmen.
Bereits in der Vergangenheit machte er kein Hehl daraus, wie er den Syrienkonflikt sieht. Eine stabile Regierung, die dem Land einen verhältnismäßigen Wohlstand sicherte und vor allem die Rechte der Christen wahrte, soll von ausländischen Mächten gestürzt werden. Damit meint er eine US-geführte westlich-sunnitisch-israelische Allianz. Die Interessen der beteiligten Mächte, allen voran die USA, Saudi-Arabien und Israel seien zwar verschieden, aber der gemeinsamer Feind eine sie. Da diese Mächte nicht direkt militärisch intervenieren konnten, um sich nicht international ins Unrecht zu setzen, wurden verschiedene Gruppen unterstützt, ausgebildet und aufgerüstet, die stellvertretend den Kampf in Syrien führen. Offiziell sind das die syrischen Rebellen, inoffiziell, so die Meinung zahlreicher Beobachter, auch unter den Christen des Nahen Ostens, sind das auch die islamischen Dschihad-Milizen.
Msgr. Khazen betonte gegenüber AsiaNews, daß „Syrien den Weltsicherheitsrat auffordert, eine Untersuchungskommission ins Land zu schicken“, um die Rebellen-Behauptungen zu prüfen. Der westliche „Anti-Assad-Block“ (USA, Großbritannien, Frankreich) wolle jedoch die Gelegenheit nützen, um sich mit „eiserner Faust“ einzumischen. Deshalb scheinen sie „jeden Kompromiß abzulehnen“, so der Bischof.
Die Rebellen behaupten, daß beim Angriff der Regierungstruppen 60 Personen, darunter Frauen und Kinder getötet worden seien. Wie AsiaNews betonte, fehlt dafür eine Bestätigung von unabhängiger Seite. Dennoch sprach US-Präsident von einem „barbarischen Akt“, auf den er eine „starke Antwort“ geben werde.
Vor allem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron betätigte sich in den vergangenen Tagen und Stunden als lautstarer Kriegstreiber. London verzichtet auf ein verbales Säbelrasseln, steht aber entschieden an der Seite der USA.
Um Frieden beten
Am Montag dementierte der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja mit Nachdruck Behauptungen, die syrische Regierung habe chemische Waffen eingesetzt. „Dafür gibt es keine Beweise“, so der Botschafter, der seine Wortmeldung als Versuch zur Deeskalation verstanden wissen wollte. Dabei zeigte er mit dem Finger auf Washington, Paris und London. Die drei Westmächte hätten eine „Kampagne der Aggression gegen Rußland und Syrien, einem souveränen Staat,“ begonnen. Damit stellte sich Moskau unzweideutig vor Assad.
„Ihr seid euch nicht bewußt, auf welche Risikoebene ihr die internationale Situation treibt“, so Wassili Nebensja.
Die US-Botschafterin Nikki Haley konterte mit dem Vorwurf, Rußland würde „ein Monster unterstützen“. Die „russische Obstruktion wird die USA nicht daran hindern, zu antworten“, so die Ständige Beobachterin der USA bei der UNO.
„Die USA und Rußland sagen alles und das Gegenteil von allem“, so Msgr. Khazen. Washington klage an, habe aber keine Beweise.
„Was ich mir nicht erklären kann: Welchen Sinn hätte ein chemischer Angriff, nachdem die Regierung bereits das gesamte Gebiet befreit hatte? Mir scheinen die Behauptungen wenig glaubwürdig, und ich frage mich, wer daraus einen Vorteil zu ziehen versucht.“
Entscheidend sei der Wunsch und Wille nach Frieden, so der Bischof, wie in Papst Franziskus in den vergangenen Tagen betont und gefordert habe.
„Die Menschen haben wegen dieser Drohungen Angst vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Ich wüßte nicht, was sich in den vergangenen Wochen im Land geändert hätte. Ich sehe aber, daß man einen Vorwand sucht, um unser Land zu zerstören.“
Msgr. Khazen äußerte daher die Hoffnung, daß die Logik des Friedens und des Dialogs wieder die Oberhand gewinne.
„Dafür beten wir jeden Tag. Dafür sollten wir alle beten. Dafür bitte ich christlichen Brüder in der Welt zu beten. Wir überlegen gerade die Ausrufung eines landesweiten Gebetstages für den Frieden. Wir brauchen gemeinsame Lösungen. Wenn aber nicht die Wahrheit der Maßstab ist, sondern Lügen ausgenützt werden, wird es schwierig. Den Preis werden die syrischen Familien zu bezahlen haben, die durch einen Krieg ohne Ende ohnehin schon auf wirtschaftlicher, sozialer und moralischer Ebene so schwer getroffen sind.“
Text: Andreas Becker
Bild: AsiaNews