Franz Kronbeck, Martin Luthers Kampf mit Gott


Bronzeepotaph (1548), ursprüglich für Luthers Grabmal gedacht. d
Bronzeepitaph (1548), ursprünglich für Luthers Grabmal gedacht.

Von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

Im Hin­blick auf das „Luther-Jahr“ 2017 erschie­nen lau­fend Publi­ka­tio­nen zu Per­son und Leh­re Mar­tin Luthers von unter­schied­li­chem Wert. Eine von die­sen ist ein wert­vol­les Büch­lein des bay­ri­schen katho­li­schen Phi­lo­so­phen und Lati­ni­sten Franz Kron­beck. Die­ses ver­dient unse­re vol­le Aufmerksamkeit.

Profunde Publikationen über Martin Luther – Widerspruch zur „offiziellen Geschichtsschreibung“

Nach zwei kri­ti­schen Büchern zu Mar­tin Luther, die bereits auf die­ser Sei­te bespro­chen wur­den, näm­lich Paul Hackers Das Ich im Glau­ben bei Mar­tin Luther und Theo­bald Beers Der fröh­li­che Wech­sel und Streit sei also nun­mehr der neue­ste und eben­so qua­li­täts­vol­le Bei­trag gegen das „offi­zi­el­le“ Nar­ra­tiv vorgestellt.

Der Aus­gangs­punkt des Autors ist folgender:

Der „Kampf mit Gott“ und das schlechte Gewissen

Kronbeck: Luthers Kampf mit Gott
Kron­beck: Mar­tin Luthers Kampf mit Gott

Mar­tin Luther war mit Gott und mit sich nicht im Rei­nen. Dar­aus folg­te alles andere.

Luther, „als Stu­dent ein lebens­lu­sti­ger Bur­sche“ (13) und höchst­wahr­schein­lich Vater unehe­li­cher Kin­der (11), ver­such­te mit sei­nem Klo­ster­ein­tritt vor den juri­sti­schen und psy­cho­lo­gi­schen Kon­se­quen­zen eines Ver­ge­hens zu flie­hen, näm­lich der Tötung eines Kom­mi­li­to­nen im (bei Todes­stra­fe ver­bo­te­nen) Duell. Der Ein­tritt ins Klo­ster war somit nicht inner­lich frei voll­zo­gen und daher Anlaß zu gro­ßem See­len­leid. Um die­ses her­um bau­te Luther sei­ne Theologie.

Sie bestand aus Selbst­recht­fer­ti­gun­gen, Pro­jek­tio­nen, Aus­re­den und Anklagen.

Hier kom­men wir in eine Pro­ble­ma­tik, die heut­zu­ta­ge ende­misch gewor­den ist, näm­lich das Abwäl­zen eige­ner Schuld und die damit ver­bun­de­nen Ratio­na­li­sie­run­gen und son­sti­gen Ver­ren­kun­gen, die in wei­te­rer Fol­ge nach einer Recht­fer­ti­gung des Men­schen an sich stre­ben („Anthro­po­di­zee“):

„Luther woll­te, wer könn­te es ihm ver­ar­gen, wie­der frei sein, er woll­te eine Schuld los­wer­den, die er wahr­schein­lich nie als die eige­ne ange­nom­men hat, und über die er nie zu einer ech­ten Reue gekom­men ist“ (18).

Um damit – ver­meint­lich – fer­tig­zu­wer­den, leug­net Luther die Wil­lens­frei­heit und schreibt Gott die Allein­wirk­sam­keit für das mensch­li­che Han­deln, auch für das böse, zu. Damit gelangt er zu einer dop­pel­ten Prä­de­sti­na­ti­on (27) und einem gro­tes­ken Got­tes­bild (50).

Was in Zei­ten einer mas­si­ven Isla­mi­sie­rung Euro­pas die Will­kür­herr­schaft Allahs begün­sti­gen muß.

Luthers Problem mit dem Hauptgebot – und die Folgen

Was vie­len nicht bewußt sein wird, ist, daß Luther, obwohl ein theo­re­ti­scher Ver­tre­ter der Näch­sten­lie­be, die Mög­lich­keit der Got­tes­lie­be leugnet.

Die­ser Man­gel ist im Haupt­strom­pro­te­stan­tis­mus, außer­halb des Pie­tis­mus, zu einem Cha­rak­te­ri­sti­kum geworden.

Kron­beck erläutert:

„Wie ver­krüp­pelt die Grund­stim­mung sei­ner See­le war, zeigt das nach­fol­gen­de Zitat Luthers: ‚Male­dic­ta sit humi­li­tas‘ (WA I 181,21). ‚Male­dic­ta sit cari­tas‘ (…) ‚Ver­flucht sei die Demut, ver­flucht sei die Lie­be!‘. Fol­ge­rich­tig kommt Paul Hacker zu dem Schluß, daß Luther in sei­ner geist­li­chen Ent­wick­lung geschei­tert ist“ (72).

Und da es sich bei die­ser Wei­chen­stel­lung nicht um aka­de­mi­sche Spitz­fin­dig­kei­ten han­delt, folg­ten unfaß­ba­re Exzes­se, die in Krie­ge und Ver­fol­gun­gen mün­de­ten, Chri­sten­heit und Reich spal­te­ten und den Vor­marsch der Osma­nen begün­stig­ten (vgl. 39ff, 54). Zudem zer­fiel die „Refor­ma­ti­on“ in immer wei­te­re Spal­tun­gen. Da Luther die gesun­de Phi­lo­so­phie bekämpft hat, brin­gen pro­te­stan­ti­sche Autoren zwangs­läu­fig wider­ver­nünf­ti­ge Gedan­ken­kon­struk­te her­vor (Kant, Hegel, Nietz­sche u. a., 81).

An den Früch­ten erkennt man eben den Baum.

„Sola scriptura“?

Ein Mythos der „offi­zi­el­len“ Geschichts­schrei­bung ist die Bibel­über­set­zung Mar­tin Luthers im Sin­ne einer Pioniertat:

„[Die] Aus­sa­ge, Luther hät­te den Deut­schen die Bibel erst zugäng­lich gemacht, ist nicht kor­rekt. In den Jah­ren 1466 bis 1521 gab es nicht weni­ger als 14 hoch­deut­sche und 4 nie­der­deut­sche Über­set­zun­gen der Bibel. Über­set­zun­gen, die nicht so will­kür­lich waren, und die wesent­lich weni­ger phi­lo­lo­gi­sche Män­gel auf­wie­sen als die Über­set­zung Luthers. Wenn Luther zudem sagt, daß allein die Hei­li­ge Schrift die Quel­le des Glau­bens ist, dann ist die­ses Wort von Grund auf falsch: In der Bibel steht aus­drück­lich geschrie­ben, wie wich­tig die Tra­di­ti­on ist (2 Thess 2,15 und 3,6)“ (74).

Kron­beck ist in sei­ner Kri­tik an der Ideo­lo­gie des Sola Scrip­tu­ra, die evi­den­ter­wei­se einen Selbst­wi­der­spruch dar­stellt, erfrischend:

„Die Paro­le ‚sola scrip­tu­ra‘ ist ver­lo­gen, weil Luther die Bibel will­kür­lich liest, weil er sie will­kür­lich über­setzt und will­kür­lich aus­legt“ (75).

Luther-Wahn unter katholischen Kirchenmännern

Karikatur von 1529
Kari­ka­tur von 1529

Kar­di­nal Karl Leh­mann äußer­te in einem Inter­view im Febru­ar die­ses Jah­res (98) die Hoff­nung, daß Luther kirch­li­cher­seits als „Zeu­ge des Evan­ge­li­ums“, „gemein­sa­mer Leh­rer“ und sogar „Vater im Glau­ben“ dekla­riert wer­den möge (was etwa der Lin­zer Bischof Man­fred Scheu­er schon 2016 und der Vati­kan Anfang 2017 getan hatten).

Es ist schwer zu erklä­ren, wie ein an sich hoch­ge­bil­de­ter Kir­chen­mann auf eine sol­che Absur­di­tät kommt:

„Wie kann man, selbst wenn man eini­ge zwei­deu­ti­ge und rela­ti­vie­ren­de Wor­te ein­fügt, einen Mann, der so über Gott, Welt und Mensch gedacht hat, jeman­den, der die all­ge­mei­ne Tra­di­ti­on der Kir­che, ihre Dog­men und Bräu­che so von Grund auf ver­wor­fen hat, jeman­den, der in sehr vie­len Berei­chen, ja in fast allen Grund­fra­gen schon von den Prin­zi­pi­en her von der immer­wäh­ren­den Leh­re der Kir­che abge­wi­chen ist, einen ‚Vater im Glau­ben‘ nen­nen? Man hat manch­mal schon den Ein­druck, die Begei­ste­rung für Luther wach­se pro­por­tio­nal zur Unkennt­nis des­sen, was er wirk­lich gesagt und gelehrt hat“ (99).

Resümee

Kron­beck ist es gelun­gen, in einem dün­nen Bänd­chen Luthers Ansatz und des­sen Fol­gen ver­ständ­lich und span­nend dar­zu­stel­len. Damit lei­stet er im „Luther-Jahr“ einen wich­ti­gen Bei­trag zu Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung und Wider­le­gung Luthers.

Martin Luther
Mar­tin Luther, Anfang 17. Jhdt.

Eine 53 Titel umfas­sen­de Lite­ra­tur­li­ste, eine Über­sicht über Luthers Lebens­da­ten und 112 End­no­ten befe­sti­gen den Wert des Buches und lei­ten zu wei­te­rer Ver­tie­fung an. –

Lei­der läßt das Lek­to­rat bei Sar­to auch in die­sem Fall zu wün­schen übrig. Man hofft, daß eine all­fäl­li­ge und anstre­bens­wer­te Neu­auf­la­ge die Ver­schrei­bun­gen kor­ri­gie­ren wird.

Inhalt­lich wird man dem Autor bei einer Neu­auf­la­ge emp­feh­len kön­nen, auf die auf S. 50 genann­te Jesa­ja-Para­phra­se Ego sum, qui creo bonum et malum („Ich bin es, der das Gute und das Böse schafft“, nach Jes 45,7), die Luther zur Begrün­dung sei­ner Leh­ren aus dem Gesamt­zu­sam­men­hang des Glau­bens riß, näher ein­zu­ge­hen. Die­se Stel­le war schon für den Häre­ti­ker Mar­ki­on (gest. 150) ein Beleg, daß das Alte Testa­ment und das Neue Testa­ment zwei ver­schie­de­ne Urhe­ber hät­ten. Was Mar­ki­on bedräng­te, bedräng­te offen­bar auch Luther und wur­de im Nega­ti­ven geschichts­mäch­tig. Das soll­te (auch wegen der Rele­vanz für die Theo­di­zee) doch näher the­ma­ti­siert werden. –

Der Band eig­net sich auf­grund sei­ner schma­len Dimen­si­on und sei­nes gerin­gen Ver­kaufs­prei­ses sehr gut als Gabe für die­je­ni­gen, die sich für eine gründ­li­che Wider­le­gung Luthers inter­es­sie­ren – oder inter­es­sie­ren sollten.

Der Rezen­sent dankt dem Autor für die freund­li­che Zusen­dung eines Exem­plars und dem Ver­lag für die Bei­le­gung eines Extra-Exem­plars bei der Bestellung.

Franz Kron­beck, Mar­tin Luthers Kampf mit Gott, Sar­to, Bobin­gen 2017, 127 S.

*MMag. Wolf­ram Schrems, Wien, katho­li­scher Theo­lo­ge, Phi­lo­soph, Kate­chist, rei­che Erfah­rung im inter­kon­fes­sio­nel­len Gespräch

Bild: Wiki­com­mons

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