
(Ankara) Türkische Archäologen meinen, vielleicht das ursprüngliche oder sogar das wirkliche Grab eines der bekanntesten Heiligen der Christenheit gefunden zu haben. Wie der britische Guardian unter Berufung auf die türkische Zeitung Hürriyet gestern berichtete, glauben die Archäologen, daß es sich bei einem Priestergrab in der Nikolaus-Basilika von Demre im türkischen Antalya, um die letzte Ruhestätte des heiligen Nikolaus handeln könnte. Sie denken sogar, darin noch die sterblichen Überreste des heiligen Bischofs der Stadt vorzufinden. Das dürfte allerdings schwerlich der Fall sein.
„Wir haben sehr gute Ergebnisse erzielt, aber die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt“, wird Cemil Karabayrm, der Direktor des Denkmalamtes der Provinz Antalya zitiert. Karabayrm ist sogar zuversichtlich, die Gebeine des Heiligen zu finden. Die wagemutige Ankündigung sicherte ihm und seinem Amt jedenfalls internationale Aufmerksamkeit.

Der heilige Nikolaus wurde um 280 geboren und ist um 350 gestorben. Er gehört über alle Konfessionsgrenzen hinweg zu den bekanntesten und beliebtesten Heiligen, da er als Gabenbringer in der Adventszeit den Kindern vertraut ist. Über Skandinavien und die USA wurde er zu Santa Claus und schließlich säkularisiert zum Weihnachtsmann. Gesichert ist, daß er 325 als Bischof von Myra am Ersten Konzil von Nicäa teilnahm und die arianische Irrlehre bekämpfte. Rund 750 Jahre befand sich sein Grab in der ihm geweihten Nikolaus-Basilika seiner Bischofsstadt. Dann wurde die Stadt von den muslimischen Türken erobert. Sein aufgebrochener Sarkophag in der Basilika wird noch heute von vielen ostkirchlichen Gläubigen verehrt.
In den vergangenen Jahren wurde die Nikolaus-Basilika von Demre, nahe dem Geburtsort des Heiligen, restauriert und zieht zahlreiche Besucher an. Die Tourismusindustrie freut sich allemal über Karabayrms sensationelle Ankündigung, „möglicherweise“ das Grab des Heiligen gefunden zu haben.
Das heute türkische Demre entspricht dem antiken Myra, der Stadt, deren Bischof der Heilige war. Bei den Arbeiten stießen die Restauratoren auf ein unversehrtes Grab, das sie als Priestergrab identifizierten. Weitere Untersuchungen sollen Klarheit verschaffen, um wessen Grab es sich dabei handelt. Das des heiligen Nikolaus dürfte es aber kaum sein.
Bekannt ist, daß bereits im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter einige Reliquien des Heiligen nach Konstantinopel gebracht wurden. Als der spätere Kaiser Otto II. 972 die byzantinische Prinzessin Theophanu, Nichte von Kaiser Johannes I., heiratete, brachte sie einen Teil davon ins deutsche Reich mit. Sie befinden sich seit 1058 im Kaiserdom zu Worms. Mit dieser Hochzeit erkannte Konstantinopel die westliche Kaiserwürde an. Reliquien kam im Mittelalter bei Rechtsakten die Rolle eines übernatürlichen Garanten zu. Die Anerkennung der Kaiserwürde war sogar von eminenter Bedeutung.

Als die türkischen Seldschuken Teile des Byzantinischen Reiches eroberten und auch die Stadt Myra besetzt hatten, brachen Seeleute aus Bari – wo eine starke Verehrung des Heiligen bereits im Jahrhundert davor belegt ist – am 9. Mai 1087 in einem Handstreich den Sarkophag in der Nikolaus-Basilika auf und brachten die Reliquien des Heiligen in ihre Heimatstadt in Sicherheit. Als sie zu Handelszwecken nach Myra kamen, befanden sich zu viele türkische Krieger in der Stadt, weshalb sie zunächst ihre Geschäfte in Antiochien abwickelten. Auf dem Rückweg schritten sie zur Tat. An der Aktion waren drei Schiffe und 62 Mann beteiligt, darunter ein Priester namens Grimoald. Ob es sich dabei um einen Langobarden, vielleicht der süditalienischen Langobardia Minor, oder bereits um einen Normannen handelte, ist nicht bekannt. Die Aktion und die Überführung der Reliquien aus dem Osten sind durch drei zeitgenössische Quellen gut bezeugt.
Die apulische Stadt Bari gehörte bis 1071 wie Myra zum Byzantinischen Reich. Der Einfluß des Griechischen und die ostkirchliche Prägung waren sehr stark. 1071 wurde Bari von den Normannen eingenommen. Im selben Jahr begannen die Türken unter seldschukischer Führung mit der Eroberung und der Landnahme im christlichen Anatolien. Immer im selben Jahr unterwarfen sie sich auch Syrien und Jerusalem. Die Pilgerfahrten ins Heilige Land, die bereits unter den Fatimiden gelitten hatten, kamen nun fast ganz zum Erliegen.

Reliquien des Heiligen befinden sich nicht nur in Bari. Der Großteil aber schon und nirgends ist eine Stadt eine solche Symbiose eingegangen wie Bari seit der Translation.
Mit der Ankunft der Reliquien wurde für sie mit dem Bau einer großen Basilika begonnen. 1098 war es Papst Urban II. persönlich, der ihre Überführung in die fertiggestellte Krypta leitete. Die Anwesenheit der sterblichen Überreste des hochverehrten Heiligen war von solcher Bedeutung, daß Urban in der Stadt ein Konzil einberief mit dem Ziel, den 1054 erfolgten Bruch zwischen West- und Ostkirche zu überwinden. Die Basilika selbst wurde 1197 von Konrad von Querfurt, dem Bischof von Hildesheim und Kanzler von Kaiser Heinrich VI., geweiht.

In der orthodoxen Kirche, besonders in Rußland, zählt der heilige Nikolaus zu den herausragenden Heiligen. Die russisch-orthodoxe Kirche begeht am 9. Mai (22. Mai nach dem Julianischen Kalender) das „Fest der Translation des heiligen Nikolaus von Myra nach Bari“. Als sich erstmals in der Geschichte ein römischer Papst und ein Moskauer Patriarch begegneten, was im Februar 2016 auf Kuba geschah, verständigten sich Franziskus und Kyrill I. auf eine weitere Premiere. Vom 12. Mai bis 28. Juli besuchten Reliquien des heiligen Nikolaus erstmals in der Geschichte Rußland. Nach fast 950 Jahren verließen einige Reliquien erstmals Italien. Millionen Russen bildeten jeden Tag kilometerlange Schlangen vor der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau und dem Alexander-Newski-Kloster in Sankt Petersburg, um zumindest für wenige Sekunden den sterblichen Überreste des Heiligen die Ehrerbietung zu bekunden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons