
(Paris) Das Le Figaro Magazine widmet Papst Franziskus die Titelgeschichte seiner jüngsten, am 1. September erschienenen Ausgabe. Die Titelseite ziert sein Bild mit der Frage: „Ist der Papst links?“ Grund ist ein neues Gesprächsbuch des Papstes, das in wenigen Tagen in den Buchhandel kommen wird. Während die meisten Medien sich auf reißerische Nebensächlichkeiten konzentrieren, dürfte interessanter sein, was er zur Frage der wiederverheirateten Geschiedenen und zu den Traditionalisten sagt. Um genau zu sein, werden beide Themen miteinander verknüpft.
12 Gespräche mit dem Soziologen Dominique Wolton
Papst Franziskus gewährte dem französischen Soziologen Dominique Wolton insgesamt 12 Gespräche, die dieser nun unter dem Titel „Politique et société“ (Politik und Gesellschaft) auf als Buch vorlegt.
Jean-Marie Guénois, Religionsredakteur bei Le Figaro, veröffentlichte im neuen Le Figaro Magazine längere Vorab-Auszüge. Auch dem Spiegel war das Buch sofort eine Meldung wert, wenn auch unter dem zweideutigen und etwas reißerischen Titel
„Ich habe eine Psychoanalytikerin konsultiert.“

Die meisten Medien haben sich auf diese Episode aus dem Leben des Papstes gestürzt. Jorge Mario Bergoglio suchte Ende der 70er Jahre, im Alter von 42 Jahren – das war nach seiner Abwahl als Jesuitenprovinzial -, ein halbes Jahr lang eine jüdischen Psychoanalytikerin auf. Es ist eine von zahlreichen Episoden, die er Wolton erzählte.
Erzbischof Bruno Forte, ein Vertrauter des Papstes, den dieser zum Sondersekretär der beiden Bischofssynode über die Ehe und die Familie gemacht hatte, beeilte sich gestern gegenüber der Presseagentur ADNKronos zu betonen, daß es „keinen Widerspruch“ zwischen dem Glauben und der Psychoanalyse gebe.
Der Religionssoziologe Massimo Introvigne, der sich ebenso zu Wort meldete, gab seiner Stellungnahme den Titel:
„Der Papst beim Psychoanalytiker, aber es ist kein Film. Die Enthüllung Bergoglios erstaunt, aber die Kirche und Freud sind keine Feinde mehr“.
„Zu traditionalistische Kreise“ – Der Satz den Andrea Tornielli „vergessen“ hat
Gewichtiger als diese Episode ist, was Papst Franziskus zur Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten zu sagen hat. Wolton widmet der Frage einen eigenen Absatz. Der päpstliche Hausvatikanist Andrea Tornielli veröffentlichte auf Vatican Insider bereits am 31. August die betreffende Stelle im neuen Gesprächsbuch – allerdings mit einem Haken. Ein Satz wurde nicht aus dem Französischen übersetzt. Zunächst aber, was Franziskus sagte und auch von Tornielli auf der von ihm koordinierten Seite in verschiedenen Sprachen zitiert wurde:
„Die Versuchung ist immer die der Uniformität der Regeln… Nehmen Sie beispielsweise das Apostolische Schreiben Amoris laetitia. Wenn ich von Familien in Schwierigkeiten spreche, sage ich: ‚ Wir müssen annehmen, begleiten, unterscheiden, integrieren…‘, und dann wird jeder die Türen offen sehen. Was wirklich geschieht, ist, daß die Menschen die Leute sagen hören: ‚Sie dürfen nicht zur Kommunion‘, ‚Sie dürfen das nicht tun‘: Die Versuchung der Kirche liegt dort. Aber ‚Nein‘, ‚Nein‘ und noch einmal ‚Nein‘! Diese Art von Verbot ist dasselbe, das wir im Drama von Jesus mit den Pharisäern finden. Dasselbe! Die Großen der Kirche sind jene, die eine Vision haben, die darüber hinausgehen, jene, die verstehen: die Missionare.“
Der Satz, der auf Torniellis Seite nicht übersetzt wurde, lautet:
„Etwas ist klar und positiv: daß bestimmte, zu traditionalistische Kreise es bekämpfen, indem sie sagen, daß es nicht die wahre Lehre ist.“
Warum von Tornielli, der direkten Kontakt mit Papst Franziskus unterhält, dieser Satz ausgelassen wurde, dafür dürften taktische Gründe ausschlaggebend gewesen sein.
Wen meint Franziskus mit „zu traditionalistische Kreise“?
Wen aber meint Franziskus mit „zu traditionalistischen Kreisen“? Auskunft gibt eine andere Aussage des Papstes im Wolton-Buch, in der er über die „traditionalistische Ideologie“ spricht. Franziskus wörtlich:
„Wie wächst die Tradition? Sie wächst, wie ein Mensch wächst. Der Dialog mit der Welt ist wie die Fütterung für die Kinder. Der Dialog mit der Welt, die uns umgibt. Der Dialog läßt wachsen. Wenn jemand nicht den Dialog pflegt, kann er nicht wachsen. Er bleibt verschlossen, klein, ein Zwerg. (…) Der Dialog läßt wachsen und läßt die Tradition wachsen. Durch den Dialog und das Hören anderer Meinungen kann ich, wie zum Beispiel in der Frage der Todesstrafe, der Folter, der Sklaverei, meinen Standpunkt ändern. Ohne die Doktrin zu ändern. Die Doktrin läßt das Verständnis wachsen. Sie ist die Basis der Tradition. (…)
Die traditionalistische Ideologe hingegen hält an einem Glauben fest wie ihn die hatten (macht die Geste der Vorfahren): der Segen muß so gegeben werden, die Finger müssen während der Messe so sein, mit Handschuhen, wie es früher war… Was das Zweite Vaticanum von der Liturgie gesagt hat, war eine große Sache, weil es den Gotteskult für das Volk geöffnet hat. Heute nimmt das Volk daran teil.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Le Figaro Magazine/Wikicommons