
(Bern) „Mon Père, je vous pardonne“ (Pater, ich vergebe euch) heißt das im vergangenen Februar erschienene Buch des Welschschweizers Daniel Pittet aus Freiburg im Üchtland, in dem er seine Erlebnisse aufarbeitet, als Kind vier Jahre lang von seinem Landsmann, dem Kapuzinerpater Joël Allaz, mißbraucht worden zu sein. Das Vorwort zum Buch hatte Papst Franziskus geschrieben. Nun wurde Pater Joël aus dem Orden und dem Klerikerstand entlassen.
„Ich war allein“
Das Buch über und gegen den sexuellen Kindesmißbrauch durch Priester, erzählt an einem ganz konkreten Beispiel, sorgte für großes Aufsehen, weil das Vorwort von keinem Geringeren als Papst Franziskus verfaßt wurde. Daniel Pittet ist heute 58 Jahre alt. Im Alter von 8–12 Jahren hatte sich der Ordenspriester Joël Allaz an ihm vergriffen. „Ich war ein Kind, versteinert, habe Badewannen vollgeweint, aber konnte mich nicht wehren.“
„Ich habe ihm vergeben“, lautet neben der Faktenschilderung die Botschaft des Autors. Es dürfe aber nichts verschwiegen, nichts geleugnet oder heruntergespielt werden. Es gehe vielmehr darum, „diese Wunden zu heilen“ und „reinen Tisch zu machen“. Er sei ein „schüchternes und zerbrechliches“ Kind gewesen. Die Familienverhältnisse waren zerrüttet.
„Ich war allein.“ Der Kapuzinerpater „hätte mir helfen müssen und nicht die Situation ausnützen dürfen“.
Eine Großtante schöpfte schließlich verdacht und nahm sich des Kindes an.
„80 Prozent der Pädophilen wurden als Kinder vergewaltigt“
Petit schafft es mit Hilfe einer Therapie, seine „Hölle“, die er durchlebte, hinter sich zu lassen. Es war ein langer, schmerzlicher Weg zwischen verdrängen, vergessen wollen und der Suche nach seinem Platz im Leben. „Manchmal frage ich mich, wo ich heute wäre, wenn mir das nicht passiert wäre.“ Er traf seither viele andere Menschen, die Ähnliches erlebten. Es sei wichtig, ihnen zu helfen. Das ist ihrer Menschenwürde geschuldet, aber auch notwendig, weil sonst die Gefahr bestehe, daß sie dieselbe Gewalt anderen antun.
„80 Prozent der Pädophilen wurden als Kinder vergewaltigt“,
so Pittet in einem Interview mit der Tageszeitung La Repubblica im vergangenen Februar. Pittet ist kein Ankläger gegen die Kirche:
„90 Prozent der Mißbrauchsfälle geschehen im familiären Umfeld“,
weiß der Freiburger aufgrund der vielen Begegnungen mit anderen Opfern.
Joël Allaz wurde nach Pittets Anklage nach Frankreich versetzt. Das war Jahre später. Pittet erfuhr dann, daß die Versetzung nichts geändert hatte. Im Nachbarland mißbrauchte der Kapuziner weitere Jungs.
„Er entschuldigte sich nicht“

Etwa ein Jahr vor der Veröffentlichung seines Buches begegnete Pittet dem Mann, der ihn vier Jahr lang mißbraucht hatte. „Er hat mich angeschaut. Ich habe seine Angst gesehen. Er hat sich aber weder entschuldigt noch schien er das Leid zu bereuen, das er mir zugefügt hat.“ Der Kapuziner habe sich auch in diesem Moment als „Egoist“ gezeigt und nur von seinen „Leiden“ gesprochen. Dennoch hat ihm sein Opfer vergeben: „Ich habe in ihm einen Kranken gesehen, der nichts mit meinem Glauben zu tun hat, der davon unberührt bleibt. Ich kämpfe aber dafür, daß die Kirche das Schweigen bricht und die Pädophilen anzeigt.“ Das sei in der Schweiz der Fall, aber in anderen Ländern noch nicht in dem ausreichenden Maße.
Pittet trat in die Benediktinerabtei Einsiedeln ein. Es sollten „vier Jahre des Glücks und des Wiederaufrichtens“ für ihn sein, wie er heute sagt. Er erkennt aber, daß er nicht zum Ordensleben berufen ist. Er war noch ganz auf der Suche nach seinem Platz mit Höhen und Tiefen:
„Ich mußte mich entscheiden, ob ich den Glauben bewahren will oder nicht. Ich folgte einem Rat von Kardinal Charles Journet, bei dem ich Meßdiener gewesen war: Wenn du leidest, dann geh neunmal nach Bürglen [ein Marienwallfahrtsort im Südosten von Freiburg]. Beim neunten Mal traf ich in der Kapelle auf ein Mädchen, das vor sich hin weinte. Ich habe sie der Mutter Gottes anvertraut und mich für den Glauben entschieden.“
Er wurde im Gebetsapostolat aktiv, bis nach einigen Jahren seine Vergangenheit in ihm hochkam. Er wandte sich an den Offizial am Kirchengericht seines Heimatbistums und fand Gehör. Tatsächlich geschieht etwas. Der Orden versetzte den Kapuziner nach Frankreich und erklärte, er werde sich behandeln lassen und keinen Kontakt mehr mit Kindern haben. 2002 mußte Pittet feststellen, daß das nicht stimmte.
„Der Papst hatte Tränen in den Augen“
Papst Franziskus hatte Daniel Pittet 2015 getroffen, als er ihm ein anderes von ihm geschriebenes Buch vorstellte.
„Er hat mich gefragt: Woher nimmst Du die Kraft, Deinen missionarischen Geist? Er war nie zufrieden mit meiner Antwort. Schließlich habe ich ihm gesagt: Heiliger Vater, ich wurde von einem Priester mißbraucht. Er hat mir stumm und mit Tränen in den Augen angeschaut und mich umarmt.“
Der Papst forderte ihn auf, auch darüber in einem Buch Zeugnis zu geben und schrieb selbst das Vorwort dazu.
„Starke und mutige Worte der Verurteilung gegen die Pädophilie und das Schweigen, das tötet“, so der Autor.
Es brauchte das Vorwort von Papst Franziskus, damit sich in Sachen Joël Allaz etwas tut. Die Schweizer Kapuzinerprovinz gab am vergangenen Freitag, dem 23. Juni bekannt, daß Joël Allaz mit Entscheid der römischen Glaubenskongregation vom 20. Mai von seinen Ordensgelübden entbunden und aus dem Klerikerstand entlassen wurde. Mit anderen Worten: Joël Allaz, inzwischen 76 Jahre alt, wurde laisiert und aus dem Kapuzinerorden ausgeschlossen. In der Erklärung heißt es zudem:
„Die Kapuziner stellen aber J. Allaz, der inzwischen krank und gebrechlich geworden ist, nicht einfach auf die Strasse. Gemäss den Ansprüchen des Evangeliums, welches Gerechtigkeit und Barmherzigkeit fordert, gewährt ihm der Orden weiterhin Unterkunft in einem seiner Häuser.“
Am 18. August 2017 wird unter dem Titel „Pater, ich vergebe euch! Missbraucht, aber nicht zerbrochen“ im Herder-Verlag die deutsche Ausgabe des Buches erscheinen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Verlag (Screenshots)
Und was ist jetzt mit pädophilen Bischof van Brügge Roger vanGheluwe?
Der Vatikan wollte hier zeitnah eine Entscheidung treffen (inzwischen sind schon 7 Jahre vergangen).
Der mißbrauchte Neffe Mark vanGheluwe hat übrigens vor Buch geschrieben „Brief an den Papst „(Brief aan de Paus), worauf bis jetzt noch nicht geantwortet wurde.
Das war nach der Geschichte von Morón (Don Julio Cesare Grassi) und der Rehabilitierung von Don Mercedes auch nicht zu erwarten.
da brauchen wir uns keine Hoffnung zu machen, die Nulltoleranzpolitik des aktuellen Pontifex (Pontifexes?) ist so konsequent und konsistent wie die argentinische Politik: Hauptsache, man hat die nötigen Bekannten/Gönner…
Wenn, dann nennen Sie die Einzahl also Pontifex und sollten damit den sogenannten aktuellen meinen. Denn Papst Benedikt VXI hat hierzu leider nichts mehr zu sagen. Er würde es wenn er könnte.
ich war mir ob des Genitivs im Deutschen nicht sicher, von Plural kann keine Rede sein
Bei der Pädophilie in ihrem klinischen Sinne handelt es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung. Diese tiefgreifendste Form des krankhaften Narzissmus ist relativ selten und gilt als sehr schwer behandelbar, da eine der Ursachen eine umfassend gestörte, parentifizierte Bindung an frühe Bezugspersonen ist. Pädophile sind in ihrer sexuellen Präferenz auf ein kindliches Körperschema fixiert.
Für die Mehrzahl der als „Pädophile“ bezeichneten Kindesmissbraucher gilt das aber gar nicht. Sie sind zwar gestört, aber eher im Sinne einer psychosozialen Verwahrlosung, die viele Lebensbereiche betrifft. Bei diesen Menschen handelt es sich um Gelegenheits- und Serientäter. Sie missbrauchen, wann immer sich eine Chance dafür auftut. Da es unsere Kultur traditionell Kindesmissbrauchern so leicht macht, ihre Opfer zu erbeuten, hat jeder Täter oft sehr viele Opfer. Daniel Pittet weist auf einen wichtigen Zusammenhang hin, nämlich den, dass diese Kriminellen häufig in ihrer Kindheit selbst missbraucht wurden. Sie wiederholen also an Kindern, was man ihnen selbst auch einmal angetan hatte. Manch einer wird dabei in einer Art Tätertrance missbrauchen, also im Zustand einer dissoziativen Identitätsstörung. Missbrauchsenergie ist eine sehr destruktive Form sexueller Betätigung. Dass unsere Vorfahren dies mit dem Teufel in Verbindung brachten, kommt nicht von ungefähr. Übergriffige Sexualität wirkt schon auf Erwachsene tief verstörend, wie ein Schock. Aber die können, das was ihnen widerfährt einordnen. Kinder können das aufgrund ihrer ganz normalen kindlichen Eigenschaften nicht. Die Wucht der erwachsenen Sexualität, Hass, Aggression und die ganz gewöhnlichen physischen Erscheinungen, die Sex begleiten, schocken Kinder zutiefst. Viele Opfer berichten, dass sie die Konfrontation mit der Todesenergie, die der Täter beim Missbrauch auf sie richtete nur aushalten konnten, indem sie sich tot stellten oder wegbeamten. Eben in einen dissoziativen Zustand gerieten. Für Täter kann das Gefühl der sexuell konnotierten rauschhaften Ermächtigung zu etwas werden, was ihnen hilft, die schmerzhaften Erinnerungen aus der Kindheit zu kompensieren. Als ein erwachsener sexueller Aggressor sie ähnlich benutzte, wie sonst jemand, der mit heftigem Stuhldrang – endlich – eine Toilette findet. Solcherart entwürdigt und degradiert zu werden ist schrecklich. Wer so etwas tut, offenbart einen tiefsitzenden Hass auf Kinder und eine unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber anderen Menschen.
Sehr geehrte Frau @Angelika Oetken,
Ihr ausführlicher und fundierter Kommentar wird bis ins letzte Detail hervorragend illustriert durch den Opferbericht des mißbrauchten Neffen des Bischofs von Brügge Roger Vangheluwe, erschienen im Frühjahr 2017:
Mark Vangheluwe – „Brief aan de paus“,
bei dem holländischen Verlag „De Bezige Bij“,
S. 232 Preis: € 21,99
Das Buch wurde wie zu erwarten war in Flandern kaum besprochen (wg. Nestverschmutzung, Mafiarestanten und Lobby);
Wochenblatt „Knack“, 3. Mai 2017 (S.42) und
im Magazin dS (Wochenbeilage zu dem Tagblatt DeStandaard), zaterdag 22 April 2017 (Nr. 295 S. 14–19).
(Leider alles auf Niederländisch)
Wenn man bedenkt, dass die Grünen und ihre Sympathisanten in den 70ger Jahren drauf und dran waren, die Pädophilie in der BRD salonfähig zu machen und an der Legalisierung nur um Haaresbreite vorbeischlitterten, kann man sich ausmalen, wie verbreitet eine solch‘ abnorme sexuelle Veranlagung in unserer Spaßgesellschaft sein muss(te).
Kommt jetzt die „Ehe für alle“, haben Kinder wieder das Nachsehen, da homosexuellen Paaren dann diesselben Adoptionsrechte wie heterosexuellen eingeräumt werden. Gute Nacht Deutschland (Europa)!
Ich befürchte, dass die jetzt von Grünen und SPD geforderte und von der Kanzlerin akzeptierte „Ehe für alle“ über die Adoption den pädophilen Menschen neue, ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Arme kommende Opfer: sie werden es unendlich schwer haben, sich gegen ihre „Eltern“ zu behaupten.