(Rom) Für die Dauer des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit unterbrach Papst Franziskus mehrere Aktivitäten. Dazu gehörten nicht nur Auslandsbesuche, sondern auch die Ad-limina-Besuche der Bischöfe aus aller Welt. Mit der Wiederaufnahme dieser Besuche nach Abschluß des Jubeljahres, „was nur wenige bemerkt haben“, wurde von Franziskus auch eine neue Praxis eingeführt, auf die der Vatikanist Sandro Magister aufmerksam macht.
Das Kirchenrecht verpflichtet die Bischöfe aus aller Welt, in der Regel alle fünf Jahre, dem Papst in Rom einen Besuch abzustatten. Dieser Besuch läßt die sichtbare Einheit zwischen Petrus und den Mitbrüdern im Bischofsamt konkret werden. Die Bischöfe kommen zur Visitatio ad limina apostolorum nach Rom, zum Besuch an den „Türschwellen“ der Kirchen, in denen die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus begraben sind. Ad-limina-Besuche sind seit fast 1700 Jahren belegt.
Die Ersten, welche die neue Praxis erlebten, waren die Bischöfe Irlands, die von Franziskus am vergangenen 20. Januar empfangen wurden. Dann waren am 26. Januar die Bischöfe Kambodschas an der Reihe, und heute die Bischöfe von Serbien, Montenegro, Mazedonien und dem Kosovo.
Seit Jahrzehnten wurden die Ad-limina-Besuche der Bischöfe mit einer Ansprache des Papstes an die ihn besuchenden Bischöfe abgeschlossen, die sofort im Anschluß vom Vatikan veröffentlicht wurde. Darin fanden sich meist Hinweise auf besonders aktuelle und brennende Fragen des betreffenden Landes und der Kirche dort sowie entsprechende Beurteilungen, Ermahnungen oder Ermutigungen durch den Nachfolger des Petrus.
„Für geschulte Augen waren diese Reden das römische Thermometer zum Gesundheitszustand der Kirche in den verschiedenen Weltgegenden“, so Magister.
Papst Franziskus „entwöhnte“ sich schnell dieser gefestigten Praxis. Die Reden, die er den Bischöfen „bis zum Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit hielt, waren nicht von ihm geschrieben, wenn sie danach auch unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Immer häufiger verzichtete er darauf, sie vorzulesen“. Er fand keinen Gefallen an den Reden. Sie wurden den Bischöfen, die ihm gegenüber saßen, nur mehr ausgeteilt. Franziskus bevorzugte es, mit den Bischöfen ungezwungen zu sprechen, hinter verschlossenen Türen und unter der Bedingung, daß die Worte vertraulich sind.
Ad-limina-Besuch 2015: „Franziskus hatte mit den deutschen Bischöfen eine enge Allianz geschlossen“
So wäre es wohl auch weitergegangen, wenn nicht „passiert wäre, was beim letzten Ad-limina-Besuch vor der Jubiläumspause, am 20. November 2015, mit den bundesdeutschen Bischöfen passiert ist“, so Magister.
Die Doppelsynode über die Familie war soeben zu Ende gegangen, und „Franziskus hatte mit den deutschen Bischöfen eine enge Allianz geschlossen, um seine ‚Öffnungen‘ in der katholischen Ehepastoral, vor allem der vexata quaestio der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene einzuführen“.
Die Kirche in Deutschland „glänzte aber keineswegs im Gesamtbild der Weltkirche. Im Gegenteil: Wegen zu vieler Dinge war sie ein schlechtes Vorbild, und in der Rede, die Franziskus dann bei der Begegnung mit den deutschen Bischöfen, die zum Ad-limina-Besuch gekommen waren, in seinen Händen hielt, stand eine gnadenlose Anklage gegen die vielen Dinge, die dort schiefliefen“, so Magister.
In der Rede wurde ausdrücklich der Niedergang des Glaubens und der Einbruch bei der religiösen Praxis beklagt. „Wo in den Sechziger Jahren noch weiträumig fast jeder zweite Gläubige regelmäßig sonntags zur heiligen Messe ging, sind es heute vielfach weniger als 10 %.“ Und in diesem Ton ging es Schlag auf Schlag und völlig ungeschminkt weiter. „Die Sakramente werden immer weniger in Anspruch genommen. Die Beichte ist vielfach verschwunden. Immer weniger Katholiken lassen sich firmen oder gehen das Sakrament der Ehe ein.“ Die Zahl der Priester- und Ordensberufungen habe „drastisch abgenommen“. Schließlich hieß es im Text: „Angesichts dieser Tatsachen ist wirklich von einer Erosion des katholischen Glaubens in Deutschland zu sprechen.“
Eine Kopfwäsche für die deutschen Bischöfe
Das war alles andere als eine Lobeshymne für jene Bischöfe, die zusammen mit Franziskus gerade Hand an das Ehesakrament legen wollten, samt den sich daraus ergebenden Auswirkungen auf das Buß- und Altarsakrament.
„Die Weltlichkeit verformt die Seelen, sie erstickt das Bewusstsein für die Wirklichkeit. Ein verweltlichter Mensch lebt in einer Welt, die er selbst geschaffen hat. Er umgibt sich gleichsam mit abgedunkelten Scheiben, um nicht nach außen zu sehen.“
In der Rede wurde auch die Bürokratisierung der Kirche kritisiert. Es würden „immer neue Strukturen“ geschaffen, für die es gar keine Gläubigen mehr gebe. Wörtlich wurde den Bischöfen vorgehalten, daß sie „eine Art neuer Pelagianismus“ entstehen hätten lassen, „der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat. Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert aber das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.“ An dieser Stelle wurde auf das Dokument Evangelii gaudium von Papst Franziskus verwiesen.
Zu den theologischen und katechetischen Verirrungen hieß es: „Wie ein treu sorgender Vater wird der Bischof die theologischen Fakultäten begleiten und den Lehrenden helfen, die kirchliche Tragweite ihrer Sendung im Auge zu behalten. Die Treue zur Kirche und zum Lehramt widerspricht nicht der akademischen Freiheit, sie erfordert jedoch eine Haltung der Dienstbereitschaft gegenüber den Gaben Gottes. Das sentire cum Ecclesia muss besonders diejenigen auszeichnen, welche die jungen Generationen ausbilden und formen.“
Kritisiert wurde auch die „Versuchung“, Laien die Messe feiern zu lassen: Es sei „notwendig“ die innere Verbindung „zwischen Eucharistie und Priestertum hervorzuheben“. „Pastoralpläne, die den geweihten Priestern nicht die gebührende Bedeutung in ihrem Dienst des Leitens, Lehrens und Heiligens im Zusammenhang mit dem Aufbau der Kirche und dem sakramentalen Leben beimessen, sind der Erfahrung nach zum Scheitern verurteilt. Die wertvolle Mithilfe von Laienchristen im Leben der Gemeinden, vor allem dort, wo geistliche Berufungen schmerzlich fehlen, darf nicht zum Ersatz des priesterlichen Dienstes werden oder ihn sogar als optional erscheinen lassen.“
„Ohne Priester gibt es keine Eucharistie.“
Die Rede nahm auch zu bioethischen und gesellschaftspolitischen Themen Stellung:
„Eine Aufgabe des Bischofs“ sei sein Eintreten „für das Leben“.
„Die Kirche darf nie müde werden, Anwältin des Lebens zu sein, und darf keine Abstriche darin machen, dass das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod uneingeschränkt zu schützen ist. Wir können hier keine Kompromisse eingehen, ohne nicht selbst mitschuldig zu werden.“
Der Stich ins Wespennest: „Das habe ich nicht geschrieben, nicht gelesen, beachtet es einfach nicht“
Papst Franziskus las den Text nicht vor und offenbar hatte er sich den Text auch vorher nicht angeschaut. Wie in anderen Fällen zuvor, wurde der Text den Bischöfen schriftlich ausgehändigt. Während der Papst sich mit den Bischöfen dem damaligen Vernehmen nach bestens verstand, hielten diese einen Text in der Hand, den sie zu diesem Zeitpunkt nicht lesen konnten, mit dem ihnen schonungslos der Kopf gewaschen wurde, weil sie einer Kirche vorstehen, in der vieles im Argen liegt, ohne daß sie für Ordnung sorgen.
Beobachter trauten damals ihren Augen nicht. Sollte es sich um eine jener schwer entzifferbaren Bergoglianischen Wendungen handeln, das Gegenteil vom Gegenteil vorexerzieren zu wollen?
Auf dem Rückflug oder spätesten zu Hause haben die Bischöfe den Text gelesen, der wie ein Stich ins Wespennest wirkte. Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz „und Anführer der deutschen Neuerer“, sprach bei Franziskus vor, um Aufklärung über die unerwartete Schelte zu bekommen. Die päpstliche Antwort, die Marx dann an andere weitergab, lautete:
„Das habe nicht ich geschrieben. Ich habe es nicht gelesen. Beachtet es einfach nicht“.
„Tatsache ist, daß Franziskus ab jenem Tag die Ad-limina-Besuche einstellte“, offiziell – wie es hieß – „wegen des Heiligen Jahres.“ Und nun, da er sie wiederaufgenommen hat, gibt es gar keine Rede mehr von ihm, weder vorgelesen noch schriftlich.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)