(Rom) Kardinal Gerhard Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, meldete sich nach Dreikönig als erster zu einer möglichen „brüderlichen Zurechtweisung“ von Papst Franziskus durch die Kardinäle zu Wort. Eine solche „Zurechtweisung“ war von Kardinal Raymond Burke für die Zeit nach Epiphanie in den Raum gestellt worden, sollte sich der Papst weiterhin weigern, umstrittene Teile des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia zu korrigieren oder auch nur auf die Dubia (Zweifel) namhafter Kardinäle zu antworten.
In einem Interview mit der Sendung „Stanze Vaticane“ des Nachrichtenkanals TGcom24 von Mediaset, das gestern ausgestrahlt wurde, sagte Kardinal Müller:
„Jeder, vor allem die Kardinäle der Römischen Kirche, haben das Recht, dem Papst einen Brief zu schreiben. Es hat mich aber erstaunt, daß dieser öffentlich gemacht wurde, um den Papst fast zu zwingen, Ja oder Nein zu sagen. Das gefällt mir nicht. Auch eine brüderliche Zurechtweisung scheint mir sehr fern, in diesem Moment ist sie nicht möglich, weil es sich nicht um eine Gefahr für den Glauben handelt, wie der heilige Thomas gesagt hat.“
Und der Kardinal weiter:
„Wir sind sehr weit weg von einer Zurechtweisung, und ich sage, daß es ein Schaden für die Kirche ist, über diese Dinge öffentlich zu diskutieren. Amoris laetitia ist sehr klar in seiner Lehre, und wir können die ganze Lehre Jesu über die Ehe interpretieren, die ganze Lehre der Kirche in 2000 Jahren der Geschichte. Papst Franziskus ersucht, die Situation dieser Personen, die in einer irregulären Verbindung leben, zu prüfen gemäß der Lehre der Kirche über die Ehe, und er ersucht, diesen Personen zu helfen, einen Weg für eine erneute Eingliederung in die Kirche gemäß den Voraussetzungen der Sakramente, der christlichen Botschaft über die Ehe zu finden. Ich sehe aber keinen Widerspruch: auf der einen Seite haben wir die klare Lehre der Kirche über die Ehe, auf der anderen Seite die Pflicht der Kirche, sich um diese Personen in Schwierigkeit zu sorgen.“
Kann Amoris laetitia im Licht der Tradition gelesen werden? „Ja“, sagt Kardinal Müller
Damit bekräftigte der Glaubenspräfekt seinen am 4. Mai 2016 begonnenen Versuch, Amoris laetitia im Licht der Tradition zu lesen und zu interpretieren. Eine Sichtweise, die jede Abweichung von der Lehre ausschließt, selbst für den Fall, daß eine solche im Dokument enthalten wäre. Diese Interpretation setzte der Kardinal im vergangenen Mai mit einer Lectio magistralis in Oviedo den aufkommenden Gegensätze um das nachsynodale Schreiben entgegen.
Der Vatikanist Sandro Magister schrieb damals dazu:
„Mit einer monumentalen Rede in Spanien stellte der Präfekt der Glaubenskongregation das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia in den Fluß der bisherigen Ordnung der Kirche. Zu spät, weil Franziskus es so geschrieben hat, daß man das Gegenteil davon versteht.“
Kardinal Müller versucht gewissermaßen die „Hermeneutik der Kontinuität“ von Papst Benedikt XVI. auf Amoris laetitia anzuwenden. Die Linie hat den Nebeneffekt, einem offenen Konflikt mit Papst Franziskus aus dem Weg zu gehen, der Müller und die Glaubenskongregation in den vergangenen Monaten weitgehend ignorierte, sodaß im September 2016 bereits Ablösungsgerüchte auftauchten.
Obwohl Kardinal Müller bisher keine öffentliche Kritik am Papst äußerte, sich aber einer Änderung der Ehelehre in den Weg stellte, genügte dies bei Franziskus in Ungnade zu fallen. Der Madrider Erzbischof Carlos Osoro, den Franziskus am 19. November zum Kardinal kreiierte, distanzierte sich deshalb präventiv und demonstrativ von Müller, als dieser im April 2016 in Madrid sein jüngstes Buch „Zur Lage der Hoffnung“ vorstellen wollte. Er Erzbischof untersagte die Präsentation an der katholischen Universität des Bistums, da er „nichts von einem Buch wissen will, das gegen den Papst ist“.
Osoro wurde dafür auch nachgesehen, daß er anfangs zwei akademische Grade zuviel nach Rom gemeldet hatte, als er von Franziskus zum Erzbischof von Madrid ernannt wurde. Die beiden „Geistertitel“ (InfoVaticana) sind im Zuge der Kardinalserhebung still und leise aus dem offiziellen vatikanischen Lebenslauf des Neokardinals verschwunden.
Die „grundlose“ Entlassung zum 31. Dezember von drei Mitarbeitern Müllers an der Glaubenskongregation durch Papst Franziskus wurde als „Schuß vor den Bug“ des Glaubenspräfekten gedeutet.
Namhafte Theologen, Philosophen, Bischöfe, so auch die vier Unterzeichner der Dubia, die Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner, teilen hingegen die Einschätzung Magisters. Im Gegensatz zu Kardinal Müller sind sie der Überzeugung, daß die Lesart einer Kontinuität, und damit einer Vereinbarkeit der umstrittenen Aussagen von Amoris laetitia und dem Lehramt der Kirche, nicht möglich ist. Daher sei unbedingt und so bald als möglich eine „Klärung“ der Zweideutigkeiten herbeizuführen.
Siehe dazu:
- Freuden, Betrübnisse und Hoffnungen – Josef Seiferts umfassende Analyse zu Amoris Laetitia
- Roberto de Mattei: Amoris Laetitia ist ein „katastrophales Dokument“
- Eine Interpretation von Amoris Laetitia aus der Tradition ist nicht möglich“ – Interview mit Abbé Claude Barthe
- Bischof Athanasius Schneider zu „Amoris laetitia“: Klärungsbedarf zur Vermeidung einer allgemeinen Verwirrung
- Videoappell 16 namhafter Katholiken an Papst Franziskus: „Korrigieren Sie Amoris laetitia“
- 80 katholische Persönlichkeiten legen ein Treuebekenntnis zur Lehre der Kirche über die Familie ab – Appell an Papst Franziskus
- Amoris Laetitia und die Aufgabe einer verantwortlichen Gewissensbildung durch das kirchliche Magisterium
Text: Giuseppe Nardi
Bild: TGcom24 (Screenshot)
Müller redet sehr spät für seine Stellung zu spät zu diesem aktuellen Thema, so als habe er zunächst den Wind abwarten müssen. Für seine Worte aber zum jetzigen Zeitpunkt gilt: „Si tacuisses.“
Das ist genau Kardinal Müllers Art, wie wir sie in unserer Diözese Regensburg zu seiner Bischofszeit kennengelernt haben. Erst mal abwarten und nichts sagen. Aber irgendwann hat er sich dann wenigstens geäußert, in welche Richtung auch immer. (Vom aktuellen Bischof Voderholzer hört und liest man so gut wie nichts: „etsi non daretur“)
Mein bester @Otto D.,
Was Sie nicht sagen!
Ich warte nämlich immer noch auf die Kommentare v. Bischof Voderholzer zu „Evangelii Gaudium, die er vor mehr als zweieinhalb Jahren ankündigte „nach genauem Studium“ jenes Textes.
S.Em. Kard. Burke hat schon damals öffentlich gesagt: „Evangelii Gaudium gehört NICHT zum Lehramt der Kirche!“.
Eine kritische Beleuchtung hätte mich schon interessiert (P.Schmidberger FSSPX hat das damals sehr fachmännisch kommentiert)
Herrn Kardinal Müller‚s Art von Maulkorberlaß kann die Wunde, die Papst Franziskus und seine Mitstreiter der Kirche, ihren zeitlos gültigen Lehren und dem Volke Gottes seit einigen Jahren nunmehr zufügen, nicht mehr zukleistern. Kardinal Müller‚s Verständnis von AL in allen Ehren, aber die Parteigänger von Papst Franziskus sind selbst völlig anderer Ansicht als er.
Und es ist absolut keine Zumutung und auch keine Unangemessenheit nicht nur nicht allein von den Kardinälen, sondern auch von vielen anderen hochrangigen Persönlichkeiten in Kirche und Welt (wie bspw. dem Philosophen Robert Spaemann) wie auch gemeinen Christen den Papst zu fragen, ob die immergültigen Lehren und Sakramente noch gelten. Und darauf hat und muß dieser Papst antworten und seine Weigerung gepaart mit Wutausbrüchen, Antworten auf die 5 Fragen/Dubia der Kardinäle zu geben, spricht schon Bände.
Korrektur zu: „Kardinal Müller‚s Verständnis von AL in allen Ehren, aber die Parteigänger von Papst Franziskus sind selbst völlig anderer Ansicht als er.“- Diesen von mir wohlgemeinte Satz muß man wohl streichen, da Herr Kardinal Müller nunmehr wohl auch zu denen gehört, die „unterscheiden“, d.h.: die die Betroffenen nach persönlicher Gewissenlage selbst entscheiden lassen möchten.
Ja, so scheint es zu sein. Und daraus ist wohl der Schluss zu ziehen, dass AL doch eine klare Aussage hat: Schwarz-weiß-Denken ist bei der Beurteilung menschlicher Beziehungen – und die Ehe ist einen solche – unangebracht. Man kann eben genau nicht den Einzelfall mit einer allgemeinen und für alle Fälle gültigen Beurteilung und Lösung erfassen. AL versucht die Überwindung der Kasuistik in der Theologie und ist in diesem Sinne durchaus ein Paradigmenwechsel, aber ein sehr heilsamer Paradigmenwechsel. Die doch sehr legalistische Betrachtung der Ehe ist laut AL eben nicht (mehr) angebracht. Es ist auch eine Rückkehr zu den Vätern und zu Jesus. Denn offensichtlich haben die Apostel keine so unbedingte Unauflöslichkeit der Ehe vor Augen gehabt. Sonst hätten die Evangelisten nicht Ausnahmen hinzugefügt (Matthäus mit der Unzucht, Paulus mit dem Paulinischen Privileg). Auch im Rahmen der legistischen Betrachtung der Ehe durch die römische Kirche gibt es einen Auflösungsgrund eine gültig geschlossenen Ehe im Petrinischen Privileg. Da wird nicht ungültig erklärt, sondern aufgelöst.
Übrigens: dieser römische Legismus ist der Ostkirche ja vollkommen fremd und ein Spezifikum der Westkirche.
Die Aussagen von Herrn Kardinal Müller sind sehr irritierend und man ist hin- und hergeworfen bzgl. einer rechten Einschätzung. Er verlor auf harte Weise 3 sehr gute Mitarbeiter.
Vielleicht sieht er das drohende Schisma und versucht es abzuwenden oder zumiondest aufzuhalten. Jedenfalls können seine Worte darauf schließen lassen, daß es im Vatikan an allen Ecken und Enden brodelt.
Kardinal Mueller sagt, AL sei sehr klar in seiner Lehre, und die Lehre der Kirche ueber Ehe und Sakramentenempfang aendert sich nicht. Warum faellt es Papst Franziskus dann so schwer auf die Dubia zu antworten und die Lehre der Kirche zu bekraeftigen?? Ich bin froh, dass der Glaube des Kardinals fest steht mit der Lehre der Kirche. Es kuemmert ihn scheinbar nicht, dass Millionen Seelen verwirrt sind und sogar in Zustand von ernsthafter Suende die Hl. Kommunion empfangen, weil sie sich mit den Aussagen des Papstes bestaetigt sehen. Ist das ein Schwert das das Herz der Muttergottes durchdringt, damit die Gedanken vieler Herzen offenbar werden?
Mich wundert das Wunschdenken so mancher über den Standpunkt Kardinal Müllers doch sehr. Er war in einer der deutschen Gruppen der Synode und hat genau der Theologie von AL zugestimmt (das Ergebnis war nämlich einstimmig). Der Vorschlag seiner Gruppe (moderiert von Kard. Schönborn) war eine Grundlage von AL. Seither verstehe ich den angeblichen Gegensatz zur Glaubenskongregation, der hier und in anderen Blogs etwas verzweifelt konstruiert wird, nicht mehr.
„Um den Papst fast zu zwingen ja oder nein zu sagen“. Es geht doch nicht um eine persönliche Stellungnahme des Papstes, sondern um die Eindeutigkeit der katholischen Glaubenslehre, auf die jeder Katholik ein Recht hat. Ohne den Gesinnungswandel bei Kardinal Müller, wäre er wahrscheinlich der nächste Entlassene. Er ist somit kaum ein Glaubenszeuge, weil auch er uns im unklaren lässt.
@Johann: Hier in der Niederlanden ist der Hauptredaktor des Katholisches Nieuwsblatt,eine Katholische Wochenzeitung, nach20 Jahre Arbeit jetzt entlassen worden da er Papst Franziskus und Amoris Laetitia kritiziert hat.