
(Wien) „Schönborn warnt vor islamischer Eroberung Europas“ (ORF), „Schönborn: ‚Viele Muslime wollen eine Eroberung Europas‘“ (OE24). Die Schlagzeilen lassen eine Abkehr vom bisherigen „Willkommenskurs“ vermuten. Trifft das aber wirklich zu?
Aktiver Verfechter einer bedingungslosen Grenzöffnung
Wiens Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn, galt bisher als einer der aktivsten Verfechter einer bedingungslosen Grenzöffnung für die Masseneinwanderung. Ein Vorgang, der unter dem Stichwort „Flüchtlingshilfe“ vonstatten geht, und seit vergangenem Jahr nicht nur in Österreich die politische Diskussion beherrscht.
Kirchliche Einrichtungen gehören zu den Hauptdienstleistern, die professionell im Auftrag des Staates, die Aufnahme der Flüchtlinge organisieren. Ein Großteil von ihnen sind allerdings Wirtschaftsmigranten, wie selbst Regierungspolitiker inzwischen zugeben. Der Anteil echter Flüchtlinge im Sinne der internationalen Konventionen wird je nach Schätzung zwischen 20 und 33 Prozent angegeben. Mit jedem echten Flüchtling kamen demnach bis zu vier Wirtschaftsmigranten ins Land.
Kardinal Schönborn verweigerte sich jedoch, zusammen mit der Caritas und weiten Teilen der politischen Eliten, jeder Differenzierung. Eine Weigerung, die der Haltung der Einwanderungspartei schlechthin, den Grünen entspricht, die 2015 aus noch ungeklärten Gründen von beiden österreichischen Regierungsparteien, der sozialdemokratischen SPÖ und der christdemokratischen ÖVP übernommen worden war. Der dazu ausgegebene, plakative Slogan Refugee Welcome entstammt dem Vokabular der extremen Linken.
Wahlempfehlung für Kandidaten der Einwanderungspartei par excellence
Im vergangenen Mai gab Kardinal Schönborn, in einem vom Thema Massenzuwanderung und Islamisierung geprägten Wahlkampf, eine skurrile Wahlempfehlung – die er nicht als solche verstanden wisen wollte – für den Bundespräsidentschaftskandidaten der Grünen, Alexander Van der Bellen, ab. Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz ließ mit der Aussage aufhorchen:
„Niemand hat die Wahrheit, auch man selber nicht“.
In katholischen Kreisen Wiens wertete man die für einen katholischen Bischof ungewöhnliche Aussage als wohlwollendes Signal an die Logenbrüder. Van der Bellen war 1975 in Innsbruck in einen Freimaurerloge aufgenommen worden. Im Gegensatz dazu gehört sein Konkurrent, Norbert Hofer, von der nationalkonservativen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), dem St. Georgs-Orden an, was den Kardinal aber weit weniger zu beeindrucken scheint.
Salzburgs Weihbischof Andreas Laun hatte zuvor auf Wahlempfehlungen katholischer Verbände für Van der Bellen reagiert, nachdem sich die Diözesanbischöfe, einschließlich der Erzbischof von Wien, in Schweigen hüllten:
„Dass Christen darüber entweder nicht nachdenken oder, noch schlimmer, bereits so gehirngewaschen sind, dass sie bereit sind, lieber einen erklärten Gottes- und damit auch Kirchenfeind zu wählen – und andere dazu auch noch verführen wollen – zeigt, in welchem Zustand bestimmte Kreise in der Kirche sind.“
Die Wahl wurde wegen Unregelmäßigkeiten vom Verfassungsgerichtshof annulliert und muß im Herbst wiederholt werden. Ob Schönborn seinen Wahlaufruf, der angeblich keiner war, wiederholt oder nicht, dürfte zum Wahrheitstest für seine am vergangenen Sonntag gemachten Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Kirche in Österreich werden.
Konsequent falsch analysierte Massenimmigration
Im Dezember 2015 hatte Schönborn im slowakischen Wochenmagazin Tyzden scharfe Kritik an der „Flüchtlingspolitik“ der österreichischen Nachbarländer Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen geübt. Er bezichtigte die Regierungen dieser Staaten, „von einer schändlichen Propaganda verblendet“ zu sein. Er „schäme“ sich, daß sich die Ablehnung einer Masseneinwanderung durch diese Länder „auf sogenannte christliche Argumente“ stütze wie die „Furcht vor der Islamisierung“. Eine „Vernunftrechnung“ zeige, daß Europa „Millionen von Zuwanderern braucht, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten“. Womit Schönborn enthüllend ehrlich andeutete, daß es in Wirklichkeit ganz andere Beweggründe hinter der „Flüchtlingskrise“ gibt.
Noch am 13. März 2016 bekräftigte Schönborn in der ORF-Fernsehpressestunde die von der österreichischen Kirchenhierarchie „konsequent falsch analysierte Massenimmigration“ (siehe Der kirchliche „Flüchtlings“-Wahn geht weiter – Kardinal Schönborns gefährliche Illusionen und der Niedergang der Kirche). Die Haltung der kirchlichen Hierarchie sei durch „klandestine Vereinbarungen, Selbstzensur, wirres Gerede“ und „Parteinahme für die Mächtigen“ geprägt, so der katholische Theologe und Lebensschützer Wolfram Schrems.
Was aber sagte Kardinal Schönborn nun?
„Heute vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden. Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas geben? Viele Muslime denken und wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende. Und ich denke, dass das, was heute Moses in der Lesung tut und was Gott der Barmherzige mit seinem jüngeren Sohn tut, wir heute für Europa erbitten sollen: Herr, gib uns noch einmal eine Chance! Vergiss nicht, dass wir dein Volk sind So wie Moses ihn daran erinnert: Es ist doch DEIN Volk, DU hast es herausgeführt, DU hast es geheiligt, es ist DEIN Volk.“
Die Aussage ist zwar weniger spektakulär als einige Medien betonten. Und doch: Aus dem Mund des Wiener Erzbischofs hat es etwas Spektakuläres, zu hören, daß er der Überzeugung ist, daß „viele Muslime denken und wünschen“, daß es zu einem „dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas“ kommt. Um eine wirkliche „Warnung“, wie etwa vom ORF behauptet, handelte es sich allerdings nicht.
Wo sagte es der Kardinal?
Die Aussage fiel am 11. September gegen Ende seiner Predigt zur diesjährigen Maria-Namen-Feier im Wiener Stephansdom. Das Fest ist ein jährlicher Treffpunkt der 1947 vom Franziskaner Petrus Pavlicek gegründeten Gebetsaktion Rosenkranz-Sühnekreuzzug.
Kardinal Schönborn wird die Anpassungsfähigkeit nachgesagt, seinem jeweiligen Publikum entgegenzukommen. Gilt das auch für seine Predigt vom vergangenen Sonntag? Handelte es sich um einen Erkenntnisschub nach einem Nachdenkprozeß, der dem Kardinal vor Augen führte, daß „Europa am Ende“ ist, daß Europa „drauf und dran ist, sein christliches Erbe zu verspielen“? Oder redete der Kardinal nur einem frommen und „konservativen“ Zielpublikum nach dem Mund?
Die Relativierung
Als seine ungewohnten Aussagen im Internet schnelle Verbreitung fanden und als Abkehr vom bisherigen „Willkommenskurs“ in Sachen Einwanderung und Asyl gedeutet wurden, meldetet sich der Kardinal umgehend zu Wort, um korrigierend einzugreifen. Auf Twitter war er bestrebt keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen:
„Bitte meine Predigt nicht als Aufruf zur Abwehr der Flüchtlinge verstehen“.
Gleichzeitig verwies er auf die Internetseite des Erzbistums Wien, auf der „die Intention der Predigt noch einmal präzisiert wurde“, wie der ORF berichtete. Das Erzbistum hatte die Predigt im Wortlaut veröffentlicht und sicherheitshalber noch einen Kommentar dazu, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
Die Schuld treffe nicht den Islam, auch nicht die Islamisten, ließ der Kardinal wissen. Das „christliche Erbe Europas (haben) wir selber in Gefahr gebracht“.
Im Kommentar wird dazu erläutert: „Der Islamismus könnte freilich der Nutznießer sein, […]. Aber die Hoffnung liege in der Barmherzigkeit Gottes.“ Dann wird der Kommentar noch deutlicher: „Aus dem Kontext wird auch klar, dass es dem Kardinal nicht darum ging, in einem Abwehrkampf christliche Werte gegen den Islam zu verteidigen.“
Dem Sonntag, der Wochenzeitung des Erzbistums, gab Kardinal Schönborn „folgende Präzisierung“:
„Europas christliches Erbe ist in Gefahr, weil wir Europäer es verschleudert haben. Mit dem Islam oder gar den Flüchtlingen hat das nichts zu tun. Es ist klar, dass viele Islamisten gerne unsere Schwäche ausnützen würden, aber sie sind für unsere Schwäche nicht verantwortlich. Das sind wir Europäer selber.“
Nichts Neues also in Wien? „Nichts Neues“, bestätigt ein Wiener Gewährsmann.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: OE24 (Screeenshot)