Buchbesprechung von Wolfram Schrems*
Wenn man heutzutage im Radio hört, Kardinal XY habe dies oder jenes gesagt, hält man sich schon instinktiv die Ohren zu. Besonders bei denjenigen westeuropäischen und deutschsprachigen Kardinälen, unter denen der offenkundigste kirchliche Niedergang stattgefunden hat. Nun hat sich ein in diesem Forum schon öfter besprochener deutscher Theologieprofessor die Mühe gemacht, einen in den deutschsprachigen Ländern nur Spezialisten bekannten französischen Kardinal des 19. Jahrhunderts einem interessierten Publikum ebenda zu erschließen. Es handelt sich um jemanden, dessen Worte man gerne aufnimmt. Das Resultat ist daher sehr erfreulich: Kardinal Pie von Poitiers – Nachfolger des hl. Hilarius, herausgegeben von Michael Fiedrowicz.
Das Buch und seine beiden Hauptpersonen
Der Herausgeber bietet in gewohnter Ausführlichkeit und Präzision eine Biographie von Kardinal Louis-Édouard Pie (1815 – 1880), ab 1849 Bischof von Poitiers. Sie ist eingebettet in eine Darstellung der Umstände im unruhigen laizistisch-masonischen Frankreich seiner Zeit. Bischof Pie war bischöflicher Nachfolger des hl. Hilarius von Poitiers (*um 315, “ 13. Jänner 367 oder 368), eines der bedeutendsten lateinischen Kirchenväter. Auch dieser wird von Fiedrowicz anschaulich vorgestellt.
Pie seinerseits war ein hervorragender Kenner des umfangreichen Werkes von Hilarius, das er für sein eigenes, ansehnliches Schrifttum intensiv nutzte.
Was beide Kirchenmänner verbindet, ist das Bekenntnis zur Gottsohnschaft Jesu Christi, Kern des christlichen Glaubens, in Zeiten von dessen massiver Bestreitung.
Den Hauptteil des Buches bilden Predigten, Hirtenbriefe und Instruktionen von Kardinal Pie (bzw. Auszüge).
Vieles davon spricht auf die eine oder andere Weise in unsere Zeit. Insofern wird man den Kardinal als durchaus „prophetisch“ bezeichnen können.
Eine alte Häresie, die wieder auftaucht
Während im 4. Jahrhundert der Priester Arius von Alexandrien (ca. 260 – 335) genau diesen Kern leugnete und aus politischen Gründen („Friede“) von Kaiser Konstantius II. unterstützt wurde, sah sich 1500 Jahre später Bischof Pie (1879 von Leo XIII. zum Kardinal kreiert) mit vergleichbaren Umständen konfrontiert: Die Freimaurerei brachte eine Einebnung der religiösen Unterschiede in die Öffentlichkeit, die Verbindlichkeit der Gebote des Christentums für den öffentlichen Raum wurde bestritten. Dabei wurde Frankreich immer instabiler. Die Gottsohnschaft Jesu Christi wurde zugunsten einer („naturalistischen“) Allerweltsreligiosität geleugnet (zur Zeit Kardinal Pies besonders prominent: Ernest Renan).
In verschiedenen Formen taucht diese („arianische“) Häresie immer wieder in der Kirchengeschichte auf: als Islam, als Katharertum, im Unitarismus des 16. Jahrhunderts, bei „Star-Theologen“ des 20. Jahrhunderts und bei Kirchenmännern der Gegenwart.
Den offenbarten Glauben, d.h. die katholischen Glaubensinhalte zu verfälschen und nach zeitbedingten Stimmungen (der berühmte „moderne Mensch“) umzumodeln, ist aber ein schweres Vergehen. Pie sagte:
„Es bedeutet einen Gottesmord, Gott nicht nach seinen Selbstbekundungen zu bemessen, sondern nach dem Willen unserer eigenen Willkür“ (67f).
Das bischöfliche Programm ist also der Glaube an die Menschwerdung Gottes in Christus, wie er im ersten Kapitel des Johannesevangeliums zum Ausdruck kommt:
„Gott hat den Menschen ergriffen, indem er sich im Geheimnis der Inkarnation die menschliche Natur selbst einverleibte. Der Mensch wird Gott erfassen, wenn er sich mit der heiligen Menschheit des inkarnierten Wortes identifiziert. Das ganze christliche Leben ist ein beständiger Lauf, ein atemloser Weg zur Erlangung der ewigen Unsterblichkeit, die nichts anderes ist als der Besitz Gottes selbst“ (288).
Gegen die Präpotenz derer, die sich auf die „neue Zeit“ und den „Fortschritt“ berufen
Kardinal Pie rief in seiner letzten Pfingstpredigt mit den Worten des hl. Hilarius zur unbedingten Wahrhaftigkeit angesichts der Verwirrung einer „neuen Ära“ auf:
„Ihr alle, meine Brüder, wenn Ihr dazu verurteilt seid, den Triumph des Bösen zu erleben, sagt niemals zum Bösen: Du bist das Gute; zur Dekadenz: Du bist der Fortschritt; zur Nacht: Du bist das Licht; zum Tod: Du bist das Leben“ (56).
Er verurteilt folgerichtig die dumme Arroganz der „Rationalisten“, die sich einerseits zu Unrecht auf die ratio berufen und andererseits den von ihnen „mit einer spirituell mehr oder weniger anmaßenden Ignoranz“ kritisierten Kirchenvätern doch nicht das Wasser reichen können. Und weil er weiß, daß diejenigen, die fest austeilen, selten gut einstecken können und sowohl in Erfolg als auch Niederlage unnobel sind, bittet er ironisch „die empfindlichen Ohren der Freidenker unserer Zeit um Entschuldigung“, wenn er die Kritik an den Kirchenvätern mit eher undiplomatischen Worten zurückweist (102).
Die Apostasie im öffentlichen Leben und die Revolutionen
Wenn die Gottesfurcht aus der Öffentlichkeit vertrieben wird und sich auf diese Weise die Apostasie ausbreitet, bleibt das nicht ohne – verheerende – Folgen. Pie nimmt hier die beklagenswerten Ereignisse von 1789 und der Folgejahre ins Visier:
„Aber der christliche Geist, der in den Individuen geschwächt ist, hat sich noch vollständiger aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen; er ist noch ausdrücklicher aus der Gesellschaft, der Macht, den Einrichtungen, dem Gesetz verbannt worden; die Gesellschaft, die Macht, die Gesetze, die Einrichtungen und – sagen wir es – Frankreich hat die Strafe für seinen Abfall in einer Vielzahl und regelmäßigen Wiederkehr von Revolutionen und Katastrophen erfahren, die die Nation tief erschüttert haben und zu wiederholten Malen ihre Existenz selbst gefährdet haben“ (138).
Die Dynamik der theologischen Entwicklung: Schärfung und Verfeinerung der Doktrin
Pie kritisiert die Mentalität in der Kirche, die sich um genauere Definitionen im Glauben zugunsten des „Friedens“ drücken will, damit aber die Verwirrung begünstigt.
In Zeiten eines verwirrten Pontifikats und ebenso verwirrter Bischofssynoden ist der Aufruf zum Verdeutlichung der Glaubens- und Sittenlehre, zur Abgrenzung und Schärfung des Profils von aktuellster Bedeutung:
„Während die katholische Wahrheit im Kampf erstarkt, während sie sich entwickelt, sich präzisiert, sich in der Diskussion erhellt, während sie ihre Fahne mit umso größerem Mut aufpflanzt, je zahlreicher die Angriffe sind, die sie treffen, ist der Irrtum, vom Licht verfolgt, dazu verurteilt, zu schwinden, sich zurückzuziehen, sich in Schatten und Dunkelheit zu hüllen, einen Teil des Terrains preiszugeben und zu zahllosen Verstecken Zuflucht zu nehmen, um eine letzte Verschanzung zu behalten“ (181).
Gegen den Totalitarismus des Staates
Ebenso relevant für heute ist die Kritik Pies und seines Vorgängers Hilarius an Anmaßungen des Staates. Die Kirche des 19. Jahrhunderts wußte aus leidvoller Erfahrung, daß sich hinter der Freiheitsrhetorik der Revolutionäre der unerbittlichste Wille zur totalen Macht verbirgt:
„Wenngleich die ehrerbietigste Unterordnung dem Kaiser erwiesen werden muß, weil das Kaisertum von Gott stammt, können dennoch nicht alle kaiserlichen Anordnungen unterschiedslos vom Gewissen der Bischöfe akzeptiert werden, in Anbetracht dessen, daß man dem Kaiser geben muß, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (259).
Resümee
Der Carthusianus-Verlag hat auch diesmal ein sehr gut gearbeitetes Buch auf den Markt gebracht. Die Literaturangaben, die beiden Register und über 700 Fußnoten im Text machen das Werk zu wissenschaftlicher Literatur. Die äußere Gestaltung des Buches ist wiederum sehr ansprechend, Titelbild, Frontispiz und Satz verraten bibliophiles Gespür.
Einige wenige Verschreibungen und inhaltliche Unklarheiten wären für eine wünschenswerte Zweitauflage zu klären.
Das Buch ist nur auf den ersten Blick spezialistische Literatur. Denn in der beispielhaften Person des französischen Bischofs des 19. Jahrhundert ist gleichsam ein Leuchtturm bischöflicher Hirtensorge und doktrinärer Klarheit erkennbar, ein führungsstarker, gelehrter und gleichzeitig sympathischer Mann mit gleichsam prophetischem Ausblick. Unter dieser Rücksicht ist er von zeitloser Bedeutung und ein lohnender Gegenstand theologischer und pastoraler Bildung. Angesichts der besprochenen Themen ist er für die Gegenwart sogar besonders relevant.
In einer Zeit, in der Kardinäle an der Demontage von Glauben und Moral arbeiten, sollte Kardinal Pie Pflichtlektüre bei den Purpurträgern sein (besonders, wenn man ohnehin als frankophil gilt). Und in den Bischofssitzen und Pfarrhäusern auch. Und wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich zu Hilarius und den anderen Kirchenvätern greifen. Es wäre eine gut investierte Zeit.
Wenn das in das Bewußtsein der Hierarchen einsickern würde, dann müßten wir uns bei ihren Predigten auch nicht mehr die Ohren zuhalten.
Angaben zum Buch: Kardinal Pie von Poitiers – Nachfolger des hl. Hilarius, Ausgewählte Texte, hrsg. von Michael Fiedrowicz, Carthusianus-Verlag, Fohren-Linden 2014, 304 Seiten.
Es existiert bereits ein Folgeband aus dem heurigen Jahr. Dem soll eine eigene Besprechung gewidmet werden.
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist, besonderes Interesse für die Kirchenväter
Bild: site-catholique.fr/Centre theologique de Poitiers/Carthusianus-Verlag (Screenshots)
Die Kirchengeschichte zeigt immer wieder ein auf und ab, wie hier im Leben von Kardinal Pier
von Poitiers im 19.Jahrhundert, in Frankreich. Dieser Kirchenkampf bei dem Gott aus der Öffentlichkeit verbannt werden sollte, war auch auf das Wirken der Freimaurer entstanden. Die
Kirche hat sich um des Friedens willen, passiv verhalten und dadurch Dekadenz und Apostasie
gefördert. Auch damals gab es Autoritäten, die arianische Häresien verbreiteten und dem Zeit-
geist frönten. Eine unheimliche Parallele zum heutigen Zustand in der Kirche tut sich auf. Kar-
dinäle und Bischöfe die immer wieder katholische Wahrheiten verdrehen und eine synodale Kir-
che anstreben, anstatt fest den Glauben zu verkünden und gegen alle Widerstände zu verteidi-
gen, tragen dazu bei, nicht nur zu verwirren, sondern der Kirche zu schaden, ja zu zerstören.
Nun muss man sagen, dass das Pontifikat Franziskus diese Entwicklung geradezu fördert.
Durch unfruchtbare Synoden, Unklarheiten und Verwirrungen des Kirchenvolkes, wird es der Kir-
che so ergehen wie dem laizistischen Staat Frankreich, Gott wird es zulassen, dass die katho-
lische Kirche insgesamt geschüttelt wird und dieses mal durch Kirchenfeinden von außen.
Es sei auch noch einmal an die eindringlichen Worte von Kardinal Pie bez. dem grossen Gesetz der Vorsehung für die Nationen erinnert; gerade heute aktueller denn je. An ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Allerheiligsten Dreifaltigkeit gehen Nationen zugrunde:
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Das grosse Gesetz, das gewöhnliche Gesetz der Vorsehung ist der Lenkung der Völker ist das Gesetz der Vergeltung.
Wie die Nationen Gott behandeln, so behandelt Gott die Nationen.
Eine Gesellschaft, die sich um Ihn nicht kümmert, überlässt Er sich selbst, sodass sie an den Folgen ihrer Gottlosigkeit zugrunde geht“
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Leider sind mir die Informationen über Kardinal Pie hier viel zu dürftig und ungeordnet dargestellt.
Der ganze Artikel wird erstickt durch den krampfhaften Versuch, eine Gestalt der Vergangenheit für das Heute zu vereinnahmen, ohne freilich in ausreichender Weise zeigen zu könne, was genau dieser Mann eigentlich für einen Weg genommen hatte.
Als guter Historiker stelle man erst einmal aufgrund der Quellen eine Person der Vergangenheit dar, offenbare, was gut überliefert ist, was unklar blieb und was vielleicht schon damals problematisch war, ob der Dargestellte vielleicht selbst theologische Brüche oder Wandlungen in seiner Biografie aufweist, was sein Hauptanliegen war, wer ihn mit welchen Motiven unterstützt und wer ihn mit welchen Motiven bekämpft hat etc. etc.
Ob man die Einzelheiten dann in einen globalen Zusammenhang gesetzt bewerten mag oder vor allem: wie man sie bewerten mag, ist ein Schritt, mit dem man sehr vorsichtig sein muss.
Identifikationen gegenwärtiger Menschen mit denen der Vergangenheit haben noch nie etwas Vernünftiges gebracht und vielmehr nur die Anzahl der Irrtümer noch vermehrt.
Es müsste ohnehin erst geklärt werden, ob dieses theologische Schwarzweißbild, von dem dieser Aufsatz geleitet ist, überhaupt haltbar ist, wenn man die Faktenlage erst etwas sorgsamer studiert. Ich würde sagen: Nein.
Um nur ein Beispiel zu nennen:
Die krampfhafte Tabuisierung der „Kirchenväter“ hat der Kirche letztendlich den erbitterten und auch höhnischen Widerstand der Zeitgenossen damals eingehandelt.
Man muss aber fragen würfen, wieso man sich diesen Krampf überhaupt antat?
Die Väter galten zwar immer als eine der wichtigsten Quellen der frühen Christenheit, um die Schrift zu interpretieren und die mündlichen Überlieferungen miteinzufangen, aber unter Tabu setzte man sie nicht.
Auch Thomas und viele andere ältere Väter widerlegen sich in vielen einzelnen Fragen oder verwerfen einzelnen Positionen, und dies immer mit guten Gründen.
Da herrschte ja niemals „eitel Einigkeit“.
Im wesentlichen hielt die Kirche das von ihnen fest, worüber sie im wesentlichen alle übereinstimmten.
Einige der Väter haben auch nach der orthodoxen Lehre der Kirche eine rechtgläubige und eine häretische Komponente.
Warum musste man sich in eine Verengung flüchten, die keinen denkenden Menschen überzeugen konnte? Weil man zu dumm und zu verzagt war, den philosophischen Fragen der Moderne zu antworten, zu parieren?
Leo XIII. empfahl die Orientierung an den Vätern, v.a. an Thomas. Er wollte damit ein Werkzeug in die Hand geben. Ausdrücklich gestand er ein, dass aber nicht alles annehmbar sei, was wir bei den Alten finden. Und ausdrücklich ermutigte er, alle neueren Entdeckungen und Methoden nutzen, wo sie helfen, den katholischen Glauben zu stärken.
Für ihn war die Grenze nicht eine bestimmte philosphische Methode, sondern die Leugnung der Lehre.
Insofern wäre hier Pies Weg von Interesse gewesen und nicht seine polemische Verwertung für Traditionalisten.
Schade.