von Wolfram Schrems*
Es ist ein schwieriges Unterfangen, die flächendeckende Ausbreitung der vielen derzeit zirkulierenden Geschichtslügen rückgängig zu machen. Speziell die Verleumdung der Katholischen Kirche und die Glorifizierung diverser Revolutionen hat sich tief in das dekadente kollektive Bewußtsein eingefressen. In Anbetracht einer präzedenzlosen Christenverfolgung im islamischen Raum und einer feindseligen Marginalisierung von Christentum und Christen im Westen sei Widerspruch in einer spezifischen Sache eingelegt. Nämlich ein Protest gegen die offizielle Glorifizierung der Französischen Revolution und die Verschweigung des Völkermordes an den Katholiken der Vendée. Zu diesem Thema wurde heuer die deutsche Übersetzung eines interessanten Büchleins neu aufgelegt.
Michael Davies (1936 – 2004), Konvertit aus protestantischer Familie, Apologet und Schriftsteller, Präsident von Una Voce International, zeichnet auf engem Raum die wichtigsten Ereignisse der Erhebung nach.
Die Grundaussagen
Die Behauptung, daß das französische Volk in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts pauschal gegen Kirche und Adel gewesen wären, ist Geschichtsfälschung. Es gab zweifelsfrei Verbesserungsbedarf im geistlichen und weltlichen Leben. Die Revolution war aber nicht das Produkt „des Volkes“ sondern einer konspirativen Elite, die sich nicht auf einen „Volkswillen“ berufen konnte. Der über Jahre hinweg erfolgreiche Aufstand katholischer Bauern und Aristokraten in der Vendée beweist eine starke Anhänglichkeit der Gläubigen an Kirche und katholischen Adel. Allerdings forderten die Gläubigen ihren Amtsträgern auch überdurchschnittlichen Einsatz und vorbildlichen Lebenswandel ab. Die Revolutionskräfte konnten die Vendée nur in einem Greuelkrieg gegen Zivilisten niederwerfen. Die Gewährung voller Religionsfreiheit für die Katholiken durch Napoleon ist ein später Sieg der katholischen Gegenrevolution.
Die historischen Ereignisse: Revolution und Gegenrevolution
1790 wurde die Zivilkonstitution eingeführt und die Geistlichen wurden gezwungen, einen Eid darauf abzulegen. Viele verweigerten den Eid und verloren das Recht als Priester zu wirken. Viele leisteten den Eid in gutem Glauben, wovon ihn manche später widerriefen. Manche unterwarfen sich aus Feigheit und Opportunismus. Manche sagten sich vom Priesteramt los.
Davies schreibt dazu:
„Henri Daniel-Rops warnt davor, daß es falsch wäre, ein zu rasches Urteil über den konstitutionellen Klerus zu fällen. Viele waren ausgezeichnete Priester, die den Eid schworen, um ihre Pfarrkinder nicht verlassen zu müssen: Unter ihnen gab es Helden und Feiglinge, Keusche und Unkeusche, Informanten und Opfer der Guillotine. Es wäre unfair, sie alle zu verachten, nur weil sie – oftmals in gutem Glauben – einen Fehler begingen. Doch die Gläubigen als Ganzes wiesen jede derartige Unterscheidung zurück, und der gesamte konstitutionelle Klerus mußte erleben, daß ihn die loyalen Katholiken verurteilten“ (42).
Die Einmischung des Staates in die Kirche und die zwangsweise Verpflichtung des Klerus auf die Zivilkonstitution erregte Widerspruch. Die „September-Morde“ 1792 an über 1000 Gefangenen (unter ihnen 250 Priester und drei Bischöfe), der Königsmord 1793 und die gleich danach angeordnete Aushebung von 300 000 Mann brachten das Faß zum Überlaufen.
Greueltaten waren Teil der revolutionären Logik: Der frühe Kommunist Babeuf („Gracchus“ – siehe die entsprechende Rezension auf dieser Seite) formulierte im Zusammenhang mit der Verstrickung des Volkes in solche Greueltaten als Maxime: „Es ist wesentlich, das Volk Taten verüben zu lassen, die es davon abhalten, sich wieder zurückzuwenden“ (33).
Unter der „Vendée“ versteht man im Zusammenhang mit der Erhebung einige (künstlich gegen jede traditionelle Grenzziehung 1789 eingerichtete) Departements im Westen Frankreichs (Teile von Anjou, Bretagne und Poitou).
Die Erhebung beginnt am 11. März 1793. Unter der Führung von Jacques Cathelinau, Francois-Athanase Charette, Jean-Nicolas Stofflet und Monsieur Henri de la Rochejaquelein, um nur einige zu nennen, gelingen spektakuläre Siege gegen die Revolutionsarmee. Es kommt aber auch zu Rückschlägen und Verrat.
Manche republikanischen Generäle erweisen sich als ehrenhaft, andere als Kriegsverbrecher von satanischer Qualität. Massenerschießungen, Massenertränkungen und die Auslöschung jeglichen Lebens in einigen Landstrichen durch die „Kolonnen der Hölle“ brechen schließlich den Widerstand der katholischen Vendée.
Dieser blieb aber nicht umsonst:
„Die Opfer der Vendeer brachten Früchte. (…) Der Historiker Reynald Secher bezeichnete die republikanischen Vergeltungsmaßnahmen als einen Akt von Völkermord. (…) Dies war der letzte Akt im Letzten Kreuzzug, dem Krieg der Giganten. Napoleon selbst hatte die Vendeer so beschrieben. Sie waren Giganten, welche die Ehre des katholischen Frankreich retteten. (…) Sie waren Giganten, die erkannten, daß der einzige Sieg, der zählte, darin bestand, das zu tun, was sie als richtig erkennt hatten – koste es, was es wolle“ (124).
Napoleon anerkennt also die Tapferkeit der Gegenrevolutionäre. Um in Frankreich inneren Frieden zu gewährleisten, ruft er Religionsfreiheit aus und unterzeichnet ein Konkordat.
Was ihn nicht daran hindert, Europa in ein Inferno zu stürzen.
Zur Zeit der letzten Machtergreifung Napoleons im Frühjahr 1815 gibt es noch einen letzten monarchistischen Aufstand in der Vendée, der „mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Niederlage bei Waterloo zur Folge hat“ (132).
Die propagandistische Delegitimierung geht der physischen Vernichtung voraus
Eine wichtige Lehre ist, daß der physischen Vernichtung hunderttausender Christen, Laien, Priester und Ordensleute deren Verächtlichmachung und Delegitimierung vorausgegangen war. Voltaire und seine Geistesverwandten hatten ihren Haß gegen Kirche und Christentum ausgegossen und das Heilige durch boshaften Spott unterminiert. So wurde die Moral zerstört und der Boden für die Massenmorde der Revolution bereitet.
Ein besonderer Stein des Anstoßes ist das gottgeweihte Leben:
„Das Ordensleben war schon lange von den Philosophen, besonders von Voltaire, in bissiger Weise angeprangert worden. Sie betrachteten ein durch das Gebet Gott geweihtes Leben als nutzlos und ohne Wert für die Gesellschaft“ (27).
Der Schritt zur Enteignung der Orden und dem Aufkauf der Liegenschaften zu Schnäppchenpreisen durch die neuen Privilegierten war somit naheliegend. Wie etwa 250 Jahre zuvor in England führte der Raub des Kirchenvermögens zu einem Zusammenbruch von Armenfürsorge, Hospitalität und Schulsystem. Diese Einrichtungen sind nun einmal kirchliche Erfindungen aus dem Geist des Evangeliums.
Die Abschaffung der Ordensgelübde durch den Staat (1790) und die Zerstörung von Kirchen, besonders prominent Cluny, zeigt den irrational-diabolischen Charakter dieser Geisteshaltung.
Es blieb dann eben nicht bei der Zerstörung von Bauwerken.
Im josephinischen Österreich ging man zwar nicht so weit. Eine ähnliche Geisteshaltung ist aber subkutan weitverbreitet. Derzeit bricht sie wie ein tödliches Virus aus.
Aber wer stellt sich dem entgegen?
Resümee
Das Buch eignet sich als Einstieg in eine kritische Geschichtsschreibung, die der derzeitigen offiziellen Geschichtsdeutung widerspricht. Es eignet sich auch als Ermutigung für eine selbstbewußte katholische Selbstbehauptung im öffentlichen Leben. –
Es ist knapp gehalten und übersichtlich gegliedert. Wertvolle Literaturhinweise (auf englisch- und französischsprachige Literatur) und eine detaillierte Zeittafel sind hilfreich.
Dank daher an den Sarto-Verlag für sein „alternatives“ Buchprogramm!
Michael Davies, Für Thron und Altar – Der Aufstand in der Vendée (1793 – 1796), Sarto, Bobingen, o. J. (²2015), 135 S., (Erstauflage 2005, englisches Original 1997 bei The Remnant Press), www.sarto.de
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, kirchlich gesendeter Katechist, Gründungsmitglied der „Plattform Solidarität mit verfolgten Christen“
Über die Kirche vor der „Konzilskirche“ gibt es massig populäre Lügengeschichten. Da wäre das pauschale Ankreiden der Kirche für die frühneuzeitliche Hexenverfolgung, obwohl Machwerke wie der „Hexenhammer“ nie den Weg ins Lehramt gefunden haben. Ein anderes Märchen ist die angebliche Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche. Die Sozialisten behaupten mit Vorliebe, die Kirche habe mit dem „Faschismus“ paktiert. Das kirchliche Lehramt kann jedoch niemals totalitäre Systeme gutheißen, weil diese den von Gott gegebenen freien Willen des Menschen zu zerstören trachten. Feige Duckmäuser und Ja-Sager gibt es überall, doch sie dürfen niemals mit der übernatürlichen Gemeinschaft Kirche verwechselt werden. Den Geschichtsklitterungen der „Mysterien„schulen in bezug auf die Kirche müssen in der Tat offensiv entlarvt werden!
Ein sehr lesenswertes Buch zum französichen Ehrgefühl, zur Verbindung zwischen Katholizismus, Geschichte und zur Herleitung des Herrschaftsanspruchs vom Gottesgnadentum stammt von Jean d’Ormesson, „Wie es Gott gefällt“ (Orig. Au plaisir de Dieu). Es zeigt, dass es immer noch in Frankreich den Geist der Vendée gibt. Das Buch endet mit dem Konzil, welches richtigerweise vom Verfasser als die Fortsetzung der französischen Revolution im Kirchlichen gesehen wird. Sein Großvater und die Vaterfigur übergibt dem Autor kurz vor seinem Tod seinen größten Schatz – ein Messbuch – in welches all die Familienerinnerungsstücke des Großvaters hineingelegt worden waren. Denn so viel ist von der langen Familiengeschichte übrig geblieben. Ein sehr tief gehendes und bewegendes Buch.
Danke für diese Ergänzung.
Das Motto unter dem Bild heißt übrigens nicht „Gott UND König“, sondern „Gott – der König“. Und letzteres war das Motto – auch wenn man königtreu war.
Ob man sich aber, um der einen Geschichtslüge zu entgehen, eine neue aufbauen darf?
Der Artikel ist mir zu schablonenhaft, zu schwarzweißmalend, zu undifferenziert. Es kann sein, dass das besprochene Buch differenzierter ist. Aber den Kampf der Vendeer ebenso zu glorifizieren wie die Rolle der Kirche in Frankreich vor der Revolution – auch das ist Geschichtsklitterung.
Es stellen sich doch – auch wenn man die Revolution verabscheut! – so viele Fragen:
Die Kirche Frankreichs war zuvor doch schon weithin entgleist und verstrickt in diverse Auseinandersetzungen mit Rom und z.T. total verweltlicht. Gewisse Kleriker waren ja nur noch Politiker und es war kaum zu erkennen, inwiefern sie eigentlich noch Geistliche waren.…. Insbesondere die Machenschaften Ludwigs XIV., auch in der anmaßenden und autoritären Ausschaltung des römischen Einflusses selbst auf Bischofsweihen und das Recht der Bischöfe, nach Rom zu reisen (Gallikanismus), hatten im Vorfeld der Revolution einen einsamen Höhepunkt erreicht.
Die Vendeer waren noch geprägt von Grignion de Montfort und dessen inniger marianischer Frömmigkeit. Aber man darf nicht vergessen, dass Grignion nicht von bösen Revolutionären, sondern von zahlreichen französischen Klerikern verfolgt und abgelehnt wurde. Das hing intensiv mit dem ebenfalls in Frankreich virulenten Jansenismus zusammen, der dort den Klerus durchsetzte.
Die Gemengelage am Vorabend der Revolution war also äußerst komplex. Man kann sagen, dass die Kirchenkritik und der Spott mancher Aufklärer tatsächlich auch wunde Punkte in der spezifisch französischen religiösen Lage aufs genaueste traf.
Damit mich niemand missversteht: Damit will ich die Aufklärer nicht in ihren Absichten verteidigen. Ich will vielmehr sagen, dass die verkommene Kirche in Frankreich selbst das Kanonenfutter für so manche Kritik lieferte.
Eine weitere Frage stellt sich nach Möglichkeiten und Grenzen militärischen Vorgehens in einer solchen Situation. Die Lage erinnert ein wenig an die der „Cristeros“ in Mexiko, in der Rom allerdings ausdrücklich den bewaffneten Kampf für den katholischen Glauben verbot.
Leider kommt im Artikel oben überhaupt nicht zum Ausdruck, welche Stellung die Kirche zu den Kämpfen der Vendeer einnahm. Das Thema ist für mich nämlich nicht so recht geklärt. Und damit meine ich: Was hat Rom dazu gesagt? Und wie genau „unterstütze“ der regionale Klerus diese bewaffneten Aufstände?
Die von W. Schrems aufgestellt Behauptung, man würde die Vorgänge in der Vendée „verschweigen“, wird mit guten Gründen bestritten – es liegt wohl eher eine unterschiedliche Bewertung polarer Ereignisse vor, aber kein Verschweigen:
Ich zitiere mal aus dem Wikipedia-Artikel: (s.u.)
„Tulard behauptet, diese dunkle Seite der Französischen Revolution werde verschwiegen, die Forschung dazu werde von einer „ideologisch“ motivierten Geschichtsschreibung boykottiert. In der Vendée wird die Erinnerung dagegen gepflegt. Auf Betreiben von Furet und Le Roy Ladurie wurde dort im Jahr 1994 das Forschungszentrum „Centre vendéen de Recherches historiques“ gegründet. In der Restaurationszeit hatten die Vendéer schon zahlreiche Monumente für die Anführer ihres Aufstands errichtet. Zahlreiche neugotische Kirchen, die heute für die kleinen Gemeinden überdimensioniert erscheinen, wurden im 19. Jahrhundert an Stelle der von den Revolutionären niedergebrannten Gotteshäuser als Zeichen des Andenkens errichtet.
Alljährlich findet vor dem Hintergrund eines von den Revolutionären abgebrannten Schlosses in Puy du Fou ein Historienspektakel statt, das die Geschichte einer Familie der Vendée über 700 Jahre nachzeichnet. 2008 fand es zum 30. Mal statt, 2007 kamen 390.000 Zuschauer zu der Veranstaltung, die fast ausschließlich von Freiwilligen bestritten wird, deren Motivation in ihrer in den Vendée‑Kriegen geschaffenen Identität liegt. Das Drehbuch verfasste seinerzeit der junge Philippe de Villiers.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_der_Vend%C3%A9e
Und hier noch eine ausführliche Besprechung von 2008:
http://www.welt.de/welt_print/article2168373/Die-dunkle-Seite-der-Revolution.html
Wichtig also: den Bogen v.a. an Vergleichen nicht zu überspannen, z.B. den aus katholischen Kreisen mit der Shoah – das ist eben dann die umgekehrte Geschichtsklitterung. Während die Juden tatsächlich wie ein Lamm zur Schlachtbank gingen, ohne Aufstand, ohne Rebellion, sondern in einer für alle Christen beschämenden Ergebenheit (!), wurde hier ein Volksaufstand durchgezogen.
Wichtig ist auch, dass die neuere Forschung zutage fördert, wie sehr auch in der Vendée zunächst die Überzeugung herrschte, dass die alten Strukturen nicht mehr weiter bestehen könnten. Das royalistische System war total marode, die Bevölkerung litt ökonomisch und sozial und begrüßte die Revolution zunächst.
Der Bruch kam nach neueren Untersuchungen nicht wegen der Hinrichtung Ludwigs XVI., sondern wegen uneingelöster Versprechungen der Revolution bei massiven Truppenaushebungen, vor allem aber und eigentlich ausschließlich aufgrund der religiösen Trennungen, die durch die Heranbildung der neuen bürgerlichen Elite durchgezogen wurden. Klerus und Adel war vertrieben worden und das gehobene Bürgertum, das nun die Macht ergriff, war antireligiös und ausbeuterisch, noch schlimmer als die alte Aristokratie.
Immer wieder kam es zu Angriffen der neuen „Bürger“ gegen Missionare der Montfortianer.
Aufschlussreich und in ausreichendem Maße ausführlich ist eine Seminararbeit von Michael Juranitsch „Der Aufstand in der Vendée“ von 2005 (kann man im Netz finden, ich kann bloß die Adresse nicht eingeben, weil das ein PDF ist – einfach mal den Namen und Titel eingeben!), der auch einige Literaturhinweise bietet.
Belastend ist, dass die Auständischen, die in der Art der Guerillas kämpften, selbst teilweise grausam waren.
Auch der Versuch, 1793 eine Rebellen-Regierung zu bilden, und dies auch noch unter dem Vorsitz eines angemaßten „Bischofs“ https://fr.wikipedia.org/wiki/Gabriel_Guyot_de_Folleville, werfen viel zu viele Fragen auf, als dass man hier eine einfache Heldengeschichte aufbauen könnte.
Es ist nicht nur eine Frage „unterschiedlicher Bewertung“ der französischen Revolution. In jedem Land gibt es einen offizielle Geschichtsinterpretation. Sie wird durch den Schulunterricht vermittelt, durch die höchsten staatlichen Institutionen zelebriert und vom staatlichen Fernsehen verbreitet. Sie wird also von denen bestimmt, die in einem Land Macht ausüben. In diesem offiziellen Kanon sind die Revolutionsideen und der Widerstand dagegen ganz unterschiedlich gewichtet, und das nicht nur in Frankreich.
Helmut Kohl erklärte 1989 zum 200-Jahr-Gedenken der Revolution, die CDU stünde auf den Barrikaden der Revolution. Abgesehen, daß die Vorstellung von Kohl auf den Barrikaden ziemlich lächerlich wirkte, kommt darin exemplarisch der Einfluß dieses offiziellen Geschichtskanons zum Ausdruck: Der deutsche Katholik Kohl, der sich 200 Jahre danach auf die Revolutionsbarrikaden in Paris stellt und nicht an die Seite der Vendeer.
Hier geht es darum, dass diese dunkle Seite der Revolution NICHT verschwiegen wird, wie Schrems behauptet, sondern unterschiedlich bewertet wird!
Ich habe ja einige Literatur und Medienhinweise gegeben, die belegen, dass hier gar nichts verschwiegen wird.
Im Gegenteil – die Vorgänge in der Vendée werden sogar seit einigen Jahren besonders beforscht.
Dass jede Macht auch ihre Geschichtsdeutung vornimmt, ist banal – allerdings ist es auch eine Form der Dummheit, sich an einem Helmut Kohl zu orientieren.
Er war zwar selbst Historiker, aber das lag weit zurück, und nun ist er seit Jahrzehnten nur noch Politiker…
Die Frage ist nicht, was irgendwelche Machthaber tradieren, sondern das, was in der Wissenschaft diskutiert wird. Und da sieht es reichhaltiger aus.
Beim Herrn Schrems habe ich allerdings den begründeten Eindruck, dass er selbst der Geschichtsdeutung folgt, die vonseiten konservativer politischer Kräfte (womöglich dem Umfeld der FPÖ) eine katholisch-royalistische, teilweise auch faschistische Doktrin in die Köpfe zwingen will – auch dieses Unterfangen ist bereits fast 200 Jahre alt und nicht weniger verlogen als das der liberalen Seite.
Geschichtsschreibung ist IMMER ein Versuch von Traditionsbildung einerseits und aufrichtigem Rekonstruktionsversuch. Politiker betonen immer nur ersteres! Seriöse Forscher beides!
Eine angeblich „katholische“ Geschichtsschreibung, die mehr Traditionsbildung als ernsthaften Rekonstruktionsversuch betreibt, ist besonders bedauerlich, weil man von Katholiken Wahrheitsliebe erwarten sollte und nicht den Impuls, die Missstände im eigenen „Lager“ (wobei die Vermischung dieses Lagers mit der reaktioären Politik ein extra Problem darstellt!) stets milde und die der anderen dafür umso deutlicher herauszustellen, als ob der „Satan“, den Herr Schrems für „seine“ Gegner so gerne bemüht, nicht auch ins eigene Haus eindringen könnte!
Ich frage mich da, welche Art der Gewissenserforschung von solchen Meinungsmachern betrieben wird – wissen sie nicht, dass selbs noch im größten Wohlmeinen, ja dort am leichtesten!, der Böse mit seinen Blendungen eindringen kann?!
Vorsicht ist geboten, denn wir haben als Katholiken eigentlich keinen Auftrag, rebellische politische Kämpfe zu kämpfen – Jesus jedenfalls hat radikal anderes gelehrt und mich zumindest lässt das zurückweichen vor einem so ungeprüften Heroismus. Wollte man hier unbesehen zustimmen, dürfte man auch die Theologie der Befreieung nicht mehr vehement ablehnen…
@Zeitschnur Die Frage, ob und wie sich Christen wehren sollen, ist mehr als berechtigt, keine Frage. Das ist eine Frage der Bewertung.
Da es sich bei der Vendée jedoch um eine historische Frage handelt, geht es – Stichwort „verschweigen“ – mehr um eine Gewichtung. Gewichtung hat mit Einfluss und Macht zu tun. Diesbezüglich lagen und liegen seit 200 Jahren Welten zwischen den Revolutionsbarrikaden und der Vendée, denn der Sieger schreibt die Geschichte, immer und überall.
Ein konkretes Beispiel: Man frage zehn beliebige Menschen, ob ihnen die Stichworte „französische Revolution“ und „Vendée“ etwas sagen. Die garantiert erhellende Antwort hat unabhängig von der Bewertung zunächst vor allem mit Einfluß zu tun, damit, wer die Köpfe der Menschen wie „füttern“ kann.
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Am Rande angemerkt: Die französische Revolution ist für die Welt, was das Zweite Vatikanische Konzil für die Kirche ist. In beiden Fällen erklären die Promotren apodiktisch, es könne kein „Zurück“ vor diese Ereignisse geben. Das erklärt bereits warum der Widerstand gegen eine solche revolutionäre und ahistorische Interpretation vernünftig und gesund ist. Dieser gesunde Widerstand zielt auf die Überwindung der Revolution ab, nicht auf eine Rückkehr ante eventum, die ebenso ahistorisch wäre wie die Leugnung jedes relevanten Beitrages durch die vorrevolutionäre Welt.
@ Julien
Natürlich haben Sie recht – die meisten haben schon mal von der Franz. Revolution gehrt und noch nie dom Aufstand in der Vendée..
Aber nun meine Antwort: WAS wissen denn die so instruierten leute über die Revolution?
Außer dem Namen, @ Julien, vermutlich kaum etwas! Vielleicht noch kriegen sie die Guiloutine mit den Ereignissen verbunden… und manche haben auch schon mal den Begriff „Bastille“ gehört.
Wenn es hoch kommt, wissen ein paar Gebildetere von „Liberté, egalité, fraternité…
Dass sie denken, das sei irgendwie was Gutes gewesen, kann sein – muss aber nicht. Selbst diesen Gedankengang schaffen die meisten Zeitgenossen gar nicht mehr…
@ Julien
Sorry für die Tippfehler!
Noch ein Wort zur CDU – auch sie steht zumindest in gewisser Hinsicht auf dem Boden der Revolution, insbesondere auch, was Kohl betrifft, auf der Revolution, die sich 1848 mit dem Nationalismus verbunden hat, Hambacher Fest, Reichsverfassungskampagne etc. etc.
Das sollte Sie also nicht wundern. Auch wäre es einen genaueren Blick wert, auf was schon die Vorläuferpartei des „Zentrums“ genau fußte.
Die „Kirche“ war und ist weder verkommen noch entgleist,wenn,dann wohl eher diverse Kleriker.
Wer so gern in den Artikeln anderer herumpickt sollte erst mal selber sauber und sachlich argumentieren.
…Und? Bevor Sie Ihre negativen persönlichen Aversionen ungefiltert ausleben, lesen Sie erst noch mal, was ich schrieb:
„Die Kirche Frankreichs war zuvor doch schon weithin entgleist und verstrickt in diverse Auseinandersetzungen mit Rom und z.T. total verweltlicht. Gewisse Kleriker waren ja nur noch Politiker und es war kaum zu erkennen, inwiefern sie eigentlich noch Geistliche waren….. Insbesondere die Machenschaften Ludwigs XIV., auch in der anmaßenden und autoritären Ausschaltung des römischen Einflusses selbst auf Bischofsweihen und das Recht der Bischöfe, nach Rom zu reisen (Gallikanismus), hatten im Vorfeld der Revolution einen einsamen Höhepunkt erreicht.“
Vielleicht lesen Sie lieber erst mal, was ich geschrieben habe, bevor Sie in dieser würdelosen Art kommentieren – …
… – und wenn Sie etwas Substanzielles zu sagen haben, bin ich interessiert an guten Gegenargumenten, die mit kühlem Verstand und ohne persönliche Animosität vorgetragen werden.
@Julien:
Daran sieht man,wes Geistes Kind diese „christliche„Partei ist!
Jetzt wollen die sich ja auch für Moslems öffnen,das muss eine Art Geisteskrankheit sein,anders kann ich mir das nicht erklären!
Mag. Wolfgang Schrems sei herzlich gedankt für diesen schönen Artikel.
Die französische Revolutionäre, die in der Hybris ihrer Fortschrittlichkeitsgefühlen und ‑Gedanken von ihrem Sieg der Vernunft und ihr Bessersein als die Tradition besessen waren, zeigten mit ihren Massakern an einem großen Teil der Bevölkerung der Vendée ihr wahres Gesicht:
die Durchsetzung von einer Ideologie ohne Rücksicht auf das Volk.
Insoweit ist die blutige Niederschlagung des Aufstands der Vendée das erste große Massengemetzel durch „Progressisten“, das dann später im Rußland der Revolution und des Bürgerkriegs und der stalinistischen Säuberungen, im Spanien der 30er Jahren, in China und Vietnam und weitere fortgesetzt wurde.
Und natürlich wurden die Toten der Vendée nach Möglichkeit vergessen, totgeschwiegen, wenig beachtet.
Die Werte von „Liberté, Fraternité, Égalité“ wurden dadurch tatsächlich gezeigt als was sie waren und sind: Worthülse.
Es sind übrigens nicht nur die Linken, Liberale und Freidenker die die Vendée vegessen möchten;
schon in der Restauration wurden diese katholisch geprägte Aufständischen weitgehend vergessen und nicht selten argwöhnisch beachtet.
Jedem autoritären Fürsten, sei er jetzt vor- oder postrevolutionär, war wenig begeistert von der großen Mut und die christlich-traditionellen Überzeugung dieser Aufständischen.
Ähnliches findet man bei den flämischen aufständischen Bauern in dem Boerenkrijg (1798), oder auch bei den Christeros in Mexiko.
Allen gemeinsam ist der gewaltige Blutzoll:
In der Vendée starben viel mehr Menschen als bei dem Rußlandfeldzug von Naploéon;
und in dem flämischen Boerenkrijg (Sommer 1798) starben ca. 15000 Männer- das ist, bezogen auf die damalige Bevölkerung der 5 niederländischsprachigen Provinzen in Belgien, ca. 4x mehr relativ gesehen als in dem ersten Weltkrieg (der mit gewaltigen Verlusten für das belgische Heer einherging).
Gerade bei diesen Meeren von Blut ist das Gedenken der Toten aüsserst lau.
… und jedem „autoritären“ Papst kann das vielleicht auch nicht passen, denn dieser bewaffnete Widerstand hatte eine schwierige Beziehung zu Rom.
Ein Teil dieser konservativem Aufständischen akzeptierte nämlich später auch das Konkordat Pius VII. mit Napoléon 1801 nicht und betrachtete ersteren als Häretiker („Petite‑église-Bewegung“).
Richtig.
Darum ist es wichtig daß jede und jedere sein Pflicht tut.
Ance Deus nunca sera eroe anonimo!
Meinetwegen, aber ist es „Pflicht“, solche Aufstände zu machen?
Noch dazu, wenn die Motive auf einer ungestützten Selbstzuschreibung basieren?
Gehen Sie mal dem Link zu dem Michael-Wagner-Artikel nach.
Auf jeden Fall sollte man die Vendée‑Ereignisse nicht als Projektionsfläche für den eigenen Frust an der Moderne missbrauchen. Dabei kommt nichts heraus!
Falls es jemanden interessiert – ich hab noch einen Link mit einem Abriss über die Forschung zur Gegenrevolution, die sehr differenziert und eingehend ist:
http://francia.digitale-sammlungen.de/Blatt_bsb00016291,00749.html?prozent=1
Selbstbewusste Katholiken, furchtlos, klug und tapfer, braucht die Welt.