Der „Geist von Assisi“, dem Benedikt XVI. mißtraut


Ekstase des heiligen Franz von Assisi (Giotto, Oberkirche in Assisi, 1295).
Ekstase des heiligen Franz von Assisi (Giotto, Oberkirche in Assisi, 1295).

Als Nach­trag zum Frie­dens­tref­fen von Assi­si 3 vom 27. Okto­ber 2011 ver­öf­fent­li­chen wir in deut­scher Über­set­zung den Bei­trag von San­dro Magi­ster, Vati­ka­nist des Wochen­ma­ga­zins L’Espresso (das ist der ita­lie­ni­sche Spie­gel), über die häu­fig gebrauch­te For­mel „Geist von Assisi“.

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von San­dro Magister

(Rom) Die For­mel wird in den Medi­en häu­fig gebraucht und ist ein Man­tra der Fran­zis­ka­ner und der Gemein­schaft von Sant’Egidio. Der Vati­kan gebraucht sie aber nicht (mehr). Und Bene­dikt XVI. schon gar nicht.

In der Tages­zei­tung Euro­pa schrieb Aldo Maria Val­li, Vati­ka­nist des staat­li­chen ita­lie­ni­schen Fern­se­hens RAI, daß mit dem ersten Tref­fen von Assi­si 1986 „der ‚Geist von Assi­si‘ gebo­ren wur­de, der dann zur For­mel wur­de: wun­der­schön für eini­ge, zer­stö­re­risch für andere“.

Anläß­lich der „Wall­fahrt“, mit der Bene­dikt XVI. des 25. Jah­res­ta­ges die­ses Ereig­nis­ses geden­ken woll­te, wur­de die For­mel „Geist von Assi­si“ von den Medi­en viel­fach wie­der­holt und empha­tisch beschworen.

Vie­le haben es so gemacht. Um nur eini­ge Bei­spiel zu nen­nen: der Pri­or des öku­me­ni­schen Klo­sters von Bose, Enzo Bian­chi, in der Pres­se; der Vor­sit­zen­de der Gemein­schaft Sant’Egidio, Mar­co Impa­gliaz­zo, in einem Edi­to­ri­al der Tages­zei­tung der ita­lie­ni­schen Bischö­fe; der Grün­der die­ser Gemein­schaft, Andrea Ric­car­di, im Cor­rie­re del­la Sera und ande­ren Medi­en­or­ga­nen; der Unter­se­kre­tär des Päpst­li­chen Rats für die sozia­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel, Ange­lo Scel­zo; Kar­di­nal Roger Etche­ga­ray, der Haupt­or­ga­ni­sa­tor des ersten Assi­si-Tref­fens 1986, der die Schirm­herr­schaft für ein Buch der Gemein­schaft Sant’Egidio mit dem Titel „Der Geist von Assi­si“ über­nahm; die Fran­zis­ka­ner von Assi­si und der Bischof von Assi­si, die katho­lischn Tages­zei­tung Frank­reichs La Croix, der Öku­me­ni­sche Patri­arch von Kon­stan­ti­no­pel beim Tref­fen selbst …

Vom Medi­en­ju­bel über den „Geist von Assi­si“ wur­de auch die Bericht­erstat­tung des Osser­va­to­re Roma­no und von Radio Vati­kan ange­steckt. Nicht aber die Leit­ar­ti­kel und Kom­men­ta­re der Pres­se­lei­ter des Hei­li­gen Stuhls, Gio­van­ni Maria Vian (Osser­va­to­re Roma­no) und Pater Feder­i­co Lom­bar­di (Pres­se­saal des Hei­li­gen Stuhls).

Ist ihr Schwei­gen blo­ßer Zufall oder Aus­druck eines prä­zi­sen Willens?

In der Vor­be­rei­tung des 25. Jah­res­ta­ges von Assi­si ver­öf­fent­lich­te der Osser­va­to­re Roma­no im Juli eine Rei­he von Arti­keln mit dem Ziel, das Ereig­nis genau zu erklä­ren, die dann in Buch­form zusam­men­ge­faßt wurden.

Die Arti­kel stamm­ten von allen Lei­tern der vati­ka­ni­schen Dik­aste­ri­en, die in die Orga­ni­sa­ti­on des Ereig­nis­ses ein­ge­bun­den waren, den Kar­di­nä­len Tar­cis­io Ber­to­ne, Jean-Lou­is Tauran, Wil­liam Leva­da, Kurt Koch, Peter Turk­son und Gian­fran­co Ravasi.

In kei­nem der Bei­trä­ge fin­det sich auch nur ein­mal die Bezeich­nung „Geist von Assi­si“. Sie fin­det sich hin­ge­gen in drei von vier Bei­trä­gen der vom Osser­va­to­re Roma­no ver­öf­fent­lich­ten Arti­kel­rei­he, die von Autoren ver­faßt wur­den, die nicht der römi­schen Kurie angehören.

Die For­mel taucht im Bei­trag des Bischofs von Assi­si, Dome­ni­co Sor­ren­ti­no, in jenem von Ric­car­di und in dem der Vor­sit­zen­den der Foko­lar­be­we­gung, Maria Voce, auf. Nicht aber in jenem des Vor­sit­zen­den der Gemein­schaft Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne, Julián Carrón.

Und Bene­dikt XVI.? Er, der als Kar­di­nal einer der weni­gen Pur­pur­trä­ger der römi­schen Kurie war, die nie an den jähr­li­chen, viel­be­such­ten inter­re­li­giö­sen Mee­tings von Sant’Egidio teil­nahm, die sich „Geist von Assi­si“ nann­ten, kann nur zwei Mal mit der For­mu­lie­rung in Zusam­men­hang gebracht werden.

Ein­mal wur­de sie in den Doku­men­tar­film ein­ge­baut, der den Teil­neh­mern der Wall­fahrt nach Assi­si und dem Papst selbst wäh­rend des Tref­fens am 27. Okto­ber vor­ge­führt wurde.

Der Film wur­de vom ita­lie­ni­schen Staats­fern­se­hen unter der Lei­tung des Vati­ka­ni­sten Don Filip­po Di Gia­co­mo und Giu­sep­pe Cori­glia­no, dem frü­he­ren Pres­se­spre­cher des Opus Dei gestal­tet. Sei­ne Aus­rich­tung läßt erken­nen, daß der Hei­li­ge Stuhl kei­ne Stim­me im Kapi­tel hatte.

Selbst gebrauch­te Bene­dikt XVI. die For­mel “Geist von Assi­si“ ledig­lich im Sep­tem­ber 2006 und das nur, um dar­zu­le­gen, wie sie rich­tig zu ver­ste­hen sei, um „nicht für syn­kre­ti­sti­sche Inter­pre­ta­tio­nen, die auf einer rela­ti­vi­sti­schen Kon­zep­ti­on beru­hen“ ver­wen­det zu werden.

Jeden­falls seit Bene­dikt XVI. ankün­dig­te, daß er den 25. Jah­res­tag von Assi­si 1 geden­ken will, hat er nie des­sen „Geist“ beschworen.

Er tat es nicht am 1. Janu­ar 2011 beim Ange­lus, als er über­ra­schend sei­ne Absicht bekanntgab.

Er tat es in kei­ner fol­gen­den Anspra­che oder Gruß­bot­schaft zu Assi­si und in Assisi.

Er tat es auch nicht beim Ange­lus am Sonn­tag nach der Wall­fahrt vom 27. Oktober.

Um die Kate­go­rien von Val­li auf­zu­grei­fen, wird die For­mel „Geist von Assi­si“ für Bene­dikt XVI. viel­leicht nicht “zer­stö­re­risch“ sein, wie die Lefeb­vria­ner mei­nen. Sie erscheint ihm jedoch mit sol­cher Zwei­deu­tig­keit bela­den, wie übri­gens auch jene vom „Geist des Kon­zils“, daß er alles tut, um sie zu meiden.

Text: San­dro Magister/​Übersetzung von Giu­sep­pe Nardi
Bild: Il Sussidiario

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