Als Nachtrag zum Friedenstreffen von Assisi 3 vom 27. Oktober 2011 veröffentlichen wir in deutscher Übersetzung den Beitrag von Sandro Magister, Vatikanist des Wochenmagazins L’Espresso (das ist der italienische Spiegel), über die häufig gebrauchte Formel „Geist von Assisi“.
von Sandro Magister
(Rom) Die Formel wird in den Medien häufig gebraucht und ist ein Mantra der Franziskaner und der Gemeinschaft von Sant’Egidio. Der Vatikan gebraucht sie aber nicht (mehr). Und Benedikt XVI. schon gar nicht.
In der Tageszeitung Europa schrieb Aldo Maria Valli, Vatikanist des staatlichen italienischen Fernsehens RAI, daß mit dem ersten Treffen von Assisi 1986 „der ‚Geist von Assisi‘ geboren wurde, der dann zur Formel wurde: wunderschön für einige, zerstörerisch für andere“.
Anläßlich der „Wallfahrt“, mit der Benedikt XVI. des 25. Jahrestages dieses Ereignisses gedenken wollte, wurde die Formel „Geist von Assisi“ von den Medien vielfach wiederholt und emphatisch beschworen.
Viele haben es so gemacht. Um nur einige Beispiel zu nennen: der Prior des ökumenischen Klosters von Bose, Enzo Bianchi, in der Presse; der Vorsitzende der Gemeinschaft Sant’Egidio, Marco Impagliazzo, in einem Editorial der Tageszeitung der italienischen Bischöfe; der Gründer dieser Gemeinschaft, Andrea Riccardi, im Corriere della Sera und anderen Medienorganen; der Untersekretär des Päpstlichen Rats für die sozialen Kommunikationsmittel, Angelo Scelzo; Kardinal Roger Etchegaray, der Hauptorganisator des ersten Assisi-Treffens 1986, der die Schirmherrschaft für ein Buch der Gemeinschaft Sant’Egidio mit dem Titel „Der Geist von Assisi“ übernahm; die Franziskaner von Assisi und der Bischof von Assisi, die katholischn Tageszeitung Frankreichs La Croix, der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel beim Treffen selbst …
Vom Medienjubel über den „Geist von Assisi“ wurde auch die Berichterstattung des Osservatore Romano und von Radio Vatikan angesteckt. Nicht aber die Leitartikel und Kommentare der Presseleiter des Heiligen Stuhls, Giovanni Maria Vian (Osservatore Romano) und Pater Federico Lombardi (Pressesaal des Heiligen Stuhls).
Ist ihr Schweigen bloßer Zufall oder Ausdruck eines präzisen Willens?
In der Vorbereitung des 25. Jahrestages von Assisi veröffentlichte der Osservatore Romano im Juli eine Reihe von Artikeln mit dem Ziel, das Ereignis genau zu erklären, die dann in Buchform zusammengefaßt wurden.
Die Artikel stammten von allen Leitern der vatikanischen Dikasterien, die in die Organisation des Ereignisses eingebunden waren, den Kardinälen Tarcisio Bertone, Jean-Louis Tauran, William Levada, Kurt Koch, Peter Turkson und Gianfranco Ravasi.
In keinem der Beiträge findet sich auch nur einmal die Bezeichnung „Geist von Assisi“. Sie findet sich hingegen in drei von vier Beiträgen der vom Osservatore Romano veröffentlichten Artikelreihe, die von Autoren verfaßt wurden, die nicht der römischen Kurie angehören.
Die Formel taucht im Beitrag des Bischofs von Assisi, Domenico Sorrentino, in jenem von Riccardi und in dem der Vorsitzenden der Fokolarbewegung, Maria Voce, auf. Nicht aber in jenem des Vorsitzenden der Gemeinschaft Comunione e Liberazione, Julián Carrón.
Und Benedikt XVI.? Er, der als Kardinal einer der wenigen Purpurträger der römischen Kurie war, die nie an den jährlichen, vielbesuchten interreligiösen Meetings von Sant’Egidio teilnahm, die sich „Geist von Assisi“ nannten, kann nur zwei Mal mit der Formulierung in Zusammenhang gebracht werden.
Einmal wurde sie in den Dokumentarfilm eingebaut, der den Teilnehmern der Wallfahrt nach Assisi und dem Papst selbst während des Treffens am 27. Oktober vorgeführt wurde.
Der Film wurde vom italienischen Staatsfernsehen unter der Leitung des Vatikanisten Don Filippo Di Giacomo und Giuseppe Corigliano, dem früheren Pressesprecher des Opus Dei gestaltet. Seine Ausrichtung läßt erkennen, daß der Heilige Stuhl keine Stimme im Kapitel hatte.
Selbst gebrauchte Benedikt XVI. die Formel “Geist von Assisi“ lediglich im September 2006 und das nur, um darzulegen, wie sie richtig zu verstehen sei, um „nicht für synkretistische Interpretationen, die auf einer relativistischen Konzeption beruhen“ verwendet zu werden.
Jedenfalls seit Benedikt XVI. ankündigte, daß er den 25. Jahrestag von Assisi 1 gedenken will, hat er nie dessen „Geist“ beschworen.
Er tat es nicht am 1. Januar 2011 beim Angelus, als er überraschend seine Absicht bekanntgab.
Er tat es in keiner folgenden Ansprache oder Grußbotschaft zu Assisi und in Assisi.
Er tat es auch nicht beim Angelus am Sonntag nach der Wallfahrt vom 27. Oktober.
Um die Kategorien von Valli aufzugreifen, wird die Formel „Geist von Assisi“ für Benedikt XVI. vielleicht nicht “zerstörerisch“ sein, wie die Lefebvrianer meinen. Sie erscheint ihm jedoch mit solcher Zweideutigkeit beladen, wie übrigens auch jene vom „Geist des Konzils“, daß er alles tut, um sie zu meiden.
Text: Sandro Magister/Übersetzung von Giuseppe Nardi
Bild: Il Sussidiario