Vom 4. bis 9. September tagte im rumänischen Sibiu, dem Siebenbürger Hermannstadt, die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung (EÖV3). Mehr als 2000 Delegierte der katholischen Kirche, der autokephalen orthodoxen Kirchen und zahlreicher Gemeinschaften der Reformation trafen sich nach Basel 1989 und Graz 1997 ein weiteres Mal zur ökumenischen Bestandsaufnahme. Insgesamt waren, wie die Veranstalter betonten, 140 „Kirchen und kirchliche Gemeinschaften“ anwesend. Die Veranstalter wiederum waren die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der katholische Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).
In Hermannstadt trafen nicht Bischöfe oder Kirchenleitungen aufeinander, sondern „Delegierte“, um „ein gemeinsames Zeugnis der Christen in Europa“ abzulegen, in einer Zeit, in der das christliche Antlitz Europas Gefahr läuft, von Kräften und Tendenzen verdunkelt zu werden, die nicht immer antichristlich sind, aber häufig der christlichen Tradition Europas fern stehen.
Die Versammlung wurde durch eine Reihe von Vortreffen vorbereitet, deren erstes im Januar 2006 in Rom stattfand. Papst Benedikt XVI. übermittelte am 20. August Peter Kardinal Erdö, dem Vorsitzenden des CCEE und Jean-Arnold de Clermont, dem Vorsitzenden der KEK, eine Botschaft, in der er die „vollkommene und sichtbare Einheit aller Christen“ als seine „pastorale Priorität“ bezeichnete.
An dieser Stelle soll weder eine Bilanz dieser Versammlung gezogen werden noch in theologischer Hinsicht Annäherung oder Auseinanderstreben der christlichen Konfessionen in dogmatischer Hinsicht untersucht werden. Das Augenmerk soll vielmehr auf den Lebensschutz gerichtet werden.
Die Versammlung wurde am 4. September mit einem Gedankenaustausch zwischen Walter Kardinal Kasper, dem Vorsitzender des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen, dem EKD-Vorsitzenden Walter Huber und dem Metropoliten Kyrill in Vertretung des Moskauer Patriarchen eröffnet, womit bereits ausgesagt ist, welche Kräfte maßgeblich sind oder zumindest als maßgeblich angesehen werden.
Alle offenen Fragen wurden angesprochen: das unterschiedliche Kirchenverständnis, das unterschiedliche Eucharistieverständnis und nicht zuletzt auch das unterschiedliche Amtsverständnis. Neben diesen drei „gordischen Knoten“ der Ökumene traten am zweiten Versammlungstag unbeabsichtigt bioethische Themen in den Vordergrund. Dazu hatte die Anwesenheit sowohl des Präsidenten der Europäischen Kommission JosਠManuel Barroso als auch des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates René Van der Linden geradezu herausgefordert. Beide hochrangigen Europa-Politiker betonten in ihren Reden die Bedeutung des Christentums für Europa. Barroso sprach davon, daß der Beitrag des Christentums „unverzichtbar“ sei, wenn Europa nicht nur als wirtschaftliche und politische Gemeinschaft verstanden werden soll, sondern auch als „Wertegemeinschaft“: „Diese Werte sind der Zement der europäischen Einheit.“ Van der Linden bekräftigte, daß „die Bewahrung des religiösen Erbes des Kontinents eine Priorität“ darstelle. Diese Aussagen sorgten unter zahlreichen Delegierten für einiges Staunen und hörbaren Unmut. Die haben sich gefragt, weshalb man sich in den EU-Gremien dann weigere, die christlichen Wurzeln Europas im europäischen Verfassungsentwurf zu erwähnen. Und weiter, warum dann das Europäische Parlament und der Europarat Initiativen und Verhaltensformen fördere und ermutige, die in offenem Gegensatz zum christlichen Glauben und der christlichen Moral stehen?
Die weiteren Arbeiten der Versammlung sollen hier nicht näher berücksichtigt werden. Am 9. September endete die Hermanstädter Versammlung mit der Vorstellung eines Schlußdokuments mit dem Titel: „Das Licht Christi scheint für alle“. Die „Botschaft“ betont die „Pilgerschaft hin zur sichtbaren Einheit“ der Christen und spricht von der andauernden Trennung als „schmerzende Wunde“. Es enthält aber auch zehn konkrete Empfehlungen, die zum gemeinsamen Einsatz der Christen „für den Frieden“, die „Gerechtigkeit“, den Kampf „gegen die Armut“, die „Bewahrung der Schöpfung“, den Kampf „gegen Antisemitismus“, die Achtung von „Einwanderern“ und „Asylanten“ auffordern. Das Dokument zeigt sich besorgt über die „militärische Aufrüstung“, das „Weltklima“ und empfiehlt die „Förderung eines nachhaltigen Lebensstils“.
Soweit schien sich alles im gewohnten Rahmen zu bewegen, ohne Aufregung, ohne Paukenschläge und – wie mancher Anmerken würde – scheint der Zeitgeist zu einem Teil Stichwortgeber gewesen zu sein. Doch ein Satz der „Botschaft“ bereitete Probleme.
Neben katholischen „Delegierten“ forderte auch der orthodoxe Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel die Kirchen und Konfessionen auf, gerade auch in den Bereichen Lebensschutz und Verteidigung von Ehe und Familie stärker zusammenzuarbeiten. Entsprechend sollte in der vorbereiteten Fassung des Schlußdokuments auch der Lebensschutz Erwähnung finden, wenngleich er manche teilnehmende Konfession und manchen „Basisdelegierten“ im Vergleich zum Weltklima weit weniger zu bewegen scheint und für diese offensichtlich von keiner oder bestenfalls untergeordneter Priorität ist. Eigentlich ging es nur um einen Nebensatz eines Vorspanns. Der Entwurf lautete: „Wir glauben, daß jeder Mensch nach dem Ebenbild und zur Ähnlichkeit Gottes erschaffen wurde (Gen 1:27) und das gleiche Maß an Achtung und Liebe verdient trotz aller Unterschiede des Glaubens, der Kultur, des Alters, des Geschlechts oder der Abstammung von der Zeugung bis zum natürlichen Tod.“ Der Lebensschutz sollte damit nicht einmal Teil einer Empfehlung für ein konkretes Verhalten sein. Ein solches Ansinnen hätte wohl von vorneherein alle realen Aussichten auf allgemeine Zustimmung überfordert. Denn selbst gegen die vorgeschlagene Formulierung erhoben sich im Plenum die Stimmen verschiedener Delegierter. Die forderten, daß man das Wort „Zeugung“ (conception) durch das Wort „Beginn“ (beginning) ersetzen sollte, oder gar nur „von der Geburt bis zum natürlichen Ende“ sprechen sollte. (Im Schlußdokument findet sich dazu folgender Hinweis in der Fußnote 1: „An dieser Stelle in der Verlesung der Botschaft an der Versammlung wurde mündlich der Satz ‚von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod’ eingeschoben, der dann als ‚von der Geburt bis zum natürlichen Ende – vom Beginn des Lebens bis zu seinem natürlichen Ende’ übersetzt wurde. Beide Formulierungen sind nicht Teil des offiziellen Textes der Botschaft.“) Mit einem schwammigen Begriff oder der völligen Ausklammerung der ungeborenen Kinder sollte die beabsichtigte Aussage inhaltlich aufgeweicht oder unkenntlich gemacht werden. Damit sollte auch den Delegierten jener christlichen Konfessionen die Zustimmung erleichtert werden, denen das ungeborene Leben offensichtlich keinen Einsatz wert ist und die sich mit dem herrschenden Abtreibungsklima und seiner Gesetzgebung längst arrangiert haben.
Die Schlußbotschaft wurde letztlich von der großen Mehrheit der Delegierten verabschiedet. Die Letztentscheidung über die Verwendung von „conception“ oder „beginning“ sollten die beiden Versammlungsvorsitzenden, Kardinal Erdö und Reverend Clermont, im Einvernehmen der beiden Veranstalter treffen.
Am 29. September wurde schließlich der endgültige Text des Schlußdokuments von Hermannstadt veröffentlicht. Durch einseitige Entscheidung der Konferenz Europäischer Kirchen war jeglicher Hinweis auf den Schutz des menschlichen Lebens aus dem Dokument verschwunden.
Man darf durchaus von einem schwerwiegenden Vorfall sprechen, wenngleich er in der Berichterstattung über die Versammlung kaum Niederschlag gefunden hat. Das mag zum Einen mit der allgemeinen Tabuisierung des Themas zusammenhängen, zum Anderen mit dem Bestreben, möglichst dissonante Töne zu vermeiden. Bezeichnend macht der Vorfall deutlich, daß die europäischen Christen nicht nur in einigen grundlegenden dogmatischen Wahrheiten voneinander getrennt sind, sondern auch in grundlegenden moralischen Fragen der Bioethik. Ganz konkret in den zentralen Themen: Abtreibung, Euthanasie, Verhütungspraktiken, Sexualmoral, Ehe, Homosexualität oder Scheidung.
Die strapazierten Begriffe vom „ökumenischen Winter“ oder einer „ökumenischen Eiszeit“ sollen an dieser Stelle zwar nicht bemüht werden. Sehr wohl aber soll die Bedeutung der sich widersprechenden Haltungen aufgezeigt werden, die die Spitze einer innerchristlichen Eiszeit im Lebensschutz zum Vorschein gebracht haben. Hermannstadt hat gezeigt, daß die Trennung der Christenheit wesentlich tiefer ist, als oft genug behauptet wird. Gleichzeitig kann als symptomatisch verstanden werden, daß gerade die katholische Kirche an erster Stelle den Kampf um den Lebensschutz führt und sich auch darin als Wahrerin von Wahrheit und Auftrag erweist. Die katholische Kirche mit den orthodoxen Kirchen und jene Kräfte der Reformation, die sich der Bedeutung des Lebensschutzes bewußt sind, haben eine große Aufgabe vor sich, den anderen Christen, die grundlegenden Wahrheiten über das Leben in Erinnerung zu rufen. Die „ökumenische Reise“ wie es in der Schlußbotschaft von Hermannstadt heißt, kann nur eine Reise für das Leben und mit dem Leben sein, wenn es eine christliche Reise sein soll.
Siehe auch:
Europäischen Ökumenischen Versammlung