Von Wolfram Schrems*
Vorbemerkung: Dieser Text ist die leicht überarbeitete Version eines im Attersee Report, Nr. 24 vom Juni 2020, S. 16, unter dem Titel Zur (Nicht-)Rolle der Kirche erschienenen Essays. Die Aufgabenstellung bestand in einer Ursachenuntersuchung der Selbstaufgabe der Kirche und ihrer Hinwendung zum Utilitarismus in der Corona-Krise aus theologischer Sicht. Einreichdatum war der 7. Mai. Der Herausgeber dieser Publikation, der Atterseekreis, eine „Denkfabrik“ innerhalb der FPÖ unter dem Vorsitz von Parlamentsrat Mag. Norbert Nemeth, Klubdirektor des freiheitlichen Parlamentsklubs und Autor von drei auf dieser Seite bereits besprochenen Romanen, zeigt ein erfreulich starkes Interesse an geistesgeschichtlichen, philosophischen und explizit theologischen Fragestellungen. Chefredakteur Jörg R. Mayer erteilte die freundliche Erlaubnis zur Weiterverwendung des Textes.
Wie wir nun wissen, war es ein verhältnismäßig harmloses Virus, weswegen die Wirtschaft lahmgelegt, Menschen der Verarmung preisgegeben und Bürger ihrer fundamentalen Rechte beraubt und wegen Lappalien mit hohen Strafen belegt wurden. Die Sterblichkeit bei nicht vorerkrankten Hochbetagten blieb sehr niedrig. Die drakonischen Maßnahmen erzielten nach Meinung von Fachleuten keine Wirkung auf die Ausbreitung des Virus. Warum also der Maßnahmenwahnsinn?
Abseits medizinischer Fachfragen wollen wir uns hier grundsätzliche Gedanken machen. Diese betreffen das skandalöse Agieren der hiesigen Kirchenführer. Es waren ja die Bischöfe, die – wohl in Abstimmung mit der Regierung oder auf deren Befehl – noch vor amtlichen Maßnahmen ihre eigenen Gläubigen auf eine Art Gesundheitsreligion eingeschworen und der Sakramente beraubt hatten. Der heutige Klerus unterscheidet sich somit vom „vorkonziliaren“, etwa vom hl. Papst Gregor dem Großen (590–604), der während der Pest in Rom eine Bittprozession abhielt, und vom hl. Karl Borromäus (1538–1584), der während der Pest in Mailand Messen auf den Straßen anordnete, denen die Menschen von den Fenstern und Balkonen aus folgen sollten, und seine eigenen Gesundheit riskierte, um den Gläubigen nahe zu sein.
Mittlerweile gibt es wieder die Möglichkeit öffentlicher Gottesdienste, bis vor kurzem aber unter demütigenden, ja idiotischen und geradezu blasphemischen Auflagen, die teilweise immer noch aufrecht sind.[1]
Warum diese Farce? Warum die Selbstdemolierung? Denn natürlich bewirkt die neo-josephinische Staatshörigkeit auf Kosten der Glaubenssubstanz, daß die Kirche kaum noch Bedeutung für die Leute hat. Oder wie es jemand sagte: Bei den Menschen in Österreich fehle offenkundig jeder Bezug „zu etwas jenseits des reinen Utilitarismus“. Ja, klar, wer sollte die Menschen denn diesen Bezug lehren, wenn nicht die Gottesmänner?
Auf diese Weise ergibt sich zwanglos eine Kontinuität unserer bereits erfolgten Überlegungen im Attersee Report: Wie in Nr. 21 ausgeführt, verdanken die europäischen Völker ihre Kultur, ja ihre schiere Existenz dem kirchlichen Glauben. Streng genommen gibt es also keinen rein „binnenkirchlichen“ Bereich. Gute und schlechte Taten der Hierarchen bestimmen unvermeidlich die weltlichen Bereiche. Dieser kausale Nexus ist auch ein Bestandteil der Fatima-Botschaft, die wir in Bezug auf die Rußland-Frage in Nr. 13 thematisierten. Und in Nr. 23 gingen wir auf den innerkirchlichen Nihilismus ein, der sich destruktiv auf die Gesellschaft auswirkt. Nun zeigt sich in der Krise eindrucksvoll, wie destruktiv er wirklich ist: Er beraubt die Menschen der Orientierung und verstärkt damit eine gespenstisch willkürliche Politik. Die kirchliche Politik war eben ihrerseits schon gespenstisch geworden:
Kirchliches Wirken als Farce
Der durch staatshörigen Übereifer der Kirchenführer verursachte Seelsorgestillstand der Fasten- und Osterzeit 2020 hat also eine Vorgeschichte: Das Zweite Vaticanum begann, durch die Einführung falscher Ideen den überlieferten Glauben zu unterminieren. Die Umsetzung der Konzilsdokumente führte – wir sehen es jeden Tag um uns herum – zum Zusammenbruch der christlichen Zivilisation. Gleichzeitig wurde durch das Konzil eine präzedenzlose Huldigung der säkularen, ja ausdrücklich nicht- oder antichristlichen politischen Macht vollzogen und der Kommunismus zu einem humanistischen (wenn auch vielleicht etwas irregeleiteten) Projekt erklärt. UNO und schwerreiche linke Oligarchen gelten dem Vatikan nunmehr als Partner im Aufbau einer „brüderlichen“ – und neuerdings „klimafreundlichen“ – Welt.
Die fälschlich so genannte „Liturgiereform“ von 1970 bewirkte eine Trivialisierung des sakramentalen Lebens. Den Katholiken wurden die Sakramente plötzlich nachgeworfen. Dabei wurde die Unterweisung in Pfarre und Schule zur Farce, die innere Disposition der Empfänger wurde nicht mehr thematisiert. Unwürdige Gemeindemessen, peinliche Firmungen und komische oder unwahrhaftige Hochzeiten wurden zur Regel. Was aber verramscht wird, kann ja wohl nichts wert sein. Tiefpunkt dieser Entwicklung ist die apostolische Exhortation Amoris laetitia (2016) und deren Folgedokumente, in denen Papst Franziskus de facto zum Sakrileg an Eucharistie und Ehe aufruft.
Und nun war eine angebliche „Pandemie“ (man beachte: „pan“ heißt „alles“, müßte also mehr als nullkommairgendwas Prozent der Bevölkerung betreffen) der Anlaß, um den Sakramentenempfang für etwa zwei Monate abzuwürgen. Bekanntlich war es auch für Hochbetagte und Sterbende in Spitälern und Heimen nicht möglich, die Tröstungen der Kirche von auswärtigen Priestern zu empfangen. Die hiesige Kirchenführung fand das in Ordnung. Und die verunmöglichten Eheschließungen? Sollen warten. Egal. Bei der Pressekonferenz mit der Kultusministerin am 23. April bestätigte Kardinal Schönborn diese Geringschätzung der Gläubigen: Sterilität steht über allem, Weihwasser braucht es keines, sehr wohl aber Quadratmeter, Gesichtsmasken und Plastikhandschuhe. Papst Gregor und Kardinal Borromäus? Irrelevant.
Die Hauptursache dieses Verfalls liegt hier:
Ab etwa 1958 wurde von der kirchlichen Verkündigung die Eschatologie praktisch abgeschafft. Daraus folgten die Entwertung von Glauben und Sakramenten einerseits und die Vergötzung des Weltlichen andererseits.
Eschatologie als Maßstab der Lebenspraxis
Die Eschatologie ist in der Theologie der Traktat über die Letzten Dinge (Tod, Gericht, Himmel, Hölle). Dabei ist wichtig zu verstehen, daß das betreffende Glaubensgut eminent praktische Konsequenzen hat: Was ein Individuum oder eine Gemeinschaft über das éschaton glaubt, wird auch dessen Leben im Hier und Jetzt bestimmen.
Der – wegen kritischer Worte zum Chaos des jetzigen Pontifikats – abgesetzte theologische Berater der US-Bischofskonferenz Pater Thomas Weinandy aus dem Kapuzinerorden veröffentlichte im März einen bemerkenswerten Aufsatz zu diesem Thema. Die Aussage ist: Wenn es kein Scheitern des Lebens, keine Hölle gibt, wenn alle die Seligkeit erlangen, dann ist wirklich alles egal und jegliches Handeln gleich gültig und gleichgültig. Nächstenliebe, Ritterlichkeit, Keuschheit, alles ist letztlich bedeutungslos und der solcherart Handelnde nicht besser dran als der Sadist, Kriegstreiber und Massenmörder:
„[Manche Theologen postulieren], daß eine Bekehrung nach dem Tod möglich sei. Die in schwerer Sünde sterben, mögen für eine Zeit bestraft werden, vielleicht für eine sehr lange Zeit, aber schließlich werden sie gereinigt werden und Vergebung empfangen und werden so in die himmlische Freude eintreten. So eine Position zu vertreten macht jedoch das Leben auf dieser Erde zur Farce.“
Daß das Leben eine Farce sei, ist aber genau das Lebensgefühl vieler Zeitgenossen. Literaten und Künstler künden diese Botschaft ausdrücklich, Bischöfe und ihre Apparate einschlußweise.
Gleich-Gültigkeit, Langeweile, Verzweiflung
Da die Kirchenführung die Lehre von der Hölle unterdrückte, im menschlichen Bewußtsein aber ein tiefinnerliches Gespür für das Falsche, das Unwürdige und das Böse verbleibt, folgte aus diesem Zwiespalt im postchristlichen Seelenleben mehreres: Zunächst verflachte das Lebensgefühl, der Ernst verschwand, damit stellte sich ein Bewußtseinszustand ein, den es beispielsweise im „Mittelalter“ nicht gab und der auch in der Bibel nicht vorkommt: die Langeweile. Es ist ja jetzt alles „gleich gültig“, also egal. Damit ist das Tor zum Unmoralischen und Verbrecherischen offen.
Eine weitere Folge dieser falschen doktrinären Weichenstellung sind viele der weitverbreiteten psychischen Erkrankungen: Das „Mittelalter“ wußte noch um die Realität von Gewissen, Gebot und Hölle, und konnte adäquat reagieren, die „Moderne“ depotenziert den Gewissensbiß zur ethisch neutralen Krankheit. Diese könne man mit Chemie oder durch Zerreden (Psychoanalyse) heilen. Das scheint aber nicht zu funktionieren: Die Sinnlosigkeit ist eben nicht lange auszuhalten, der Gewissensbiß auch nicht. Das entstehende Lebensgefühl ist die Verzweiflung. Das erhöht die Empfänglichkeit der Menschen für propagandistische Panikkampagnen wie die eben laufende.
Auch die Kirchenführer unterwerfen sich ihr:
Was gilt überhaupt im Gleich-Gültigen?
Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es, daß die Sakramente für die Gläubigen „heilsnotwendig“ sind (§ 1129). Damit ist impliziert, daß die Ablehnung der Sakramente zum Verlust des Heils führt. Redaktionssekretär des KKK war Kardinal Schönborn. Er müßte also wissen, was dort steht. Nun hat aber der österreichische Episkopat selbst die Sakramente den Gläubigen vorenthalten und erlegte ab Mitte Mai dermaßen rigide Hygiene-Bedingungen für deren Empfang auf, daß viele Gläubige nicht hingehen oder wegen der Quadratmeterbeschränkungen gar nicht eingelassen werden. Den Bischöfen ist es offenbar egal, denn unter den Bedingungen des Verlustes der Eschatologie ist alles egal.
Schlußfolgerung
Da man innerhalb der Kirche das Offenbarungsgut, besonders die Eschatologie entkernt hat, drängt sich das Weltliche mit aller Macht an dessen Stelle. Dieses ist, wenn es von ewiger Bedeutung abgetrennt ist, banal und wertlos. Andererseits entfaltet es als Götze eine starke Bindekraft, evidenterweise in Form von ungebremster politischer Machtausübung. Linke und kirchenfeindliche Regimes wie in Kanada, Großbritannien, Frankreich und in den von den Demokraten regierten US-Bundesstaaten, verfolgen eine geradezu sadistische Politik in Bezug auf Gottesdienstverbote und hetzen Polizisten auf zelebrierende Priester. Im Hintergrund werden schon Impfzwang, Enteignung und Klimadiktatur als mehr oder weniger folgerichtige Maßnahmen gegen das Wuhan-Virus erwogen.
Und da aufgrund der Abschaffung der Eschatologie die Kirchenführer ihrerseits auf nichts anderes mehr fokussiert sind als auf das Irdische, d. h. auf Machtpolitik, spielen sie mit. Moral spielt keine Rolle mehr. Sie rechnen nicht mehr mit einer endgültigen Großen Scheidung (C. S. Lewis), sondern sehen alles egal und egalitär: Das Integrierte Gesamtjenseits, das sich manche Kirchenmänner zusammenphantasierten, hatte die Bedeutung der Handlungen und Unterlassungen im menschlichen Leben einschließlich des Sakramentenempfanges aufgehoben. Das kirchliche Leben ist steril geworden, was durch den permanenten Desinfektionszwang sinnbildlich ausgedrückt wird. Es ist eine Farce.
Man hatte seitens der Kirchenmänner alles zerstört, was der offenbar bewußt organisierten Krise steuern hätte können. So muß es mit innerer Zwangsläufigkeit zum Prävalieren des morallosen Weltlichen ohne Korrektiv kommen bzw. zum eingangs erwähnten Utilitarismus. Dieser erwies sich aber nicht als utile, sondern als Symptom einer speziellen Form von Wahnsinn.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro Lifer
[1] Man hatte auch den Eindruck, daß besonders die Mundkommunion im Visier der kirchlichen Sterilitätsexperten stand. Darüber hinaus war der Lockdown auch die Stunde der Spitzel und Denunzianten, unter ihnen Anrainer von Kirchen, die wegen der kleinen Gottesdienstgemeinden die Polizei verständigt hätten. Man hörte auch gerüchteweise, daß kirchliche Mitarbeiter das Gottesdienstverbot überwachen und sich widersetzende Priester melden würden. Das kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.