Dem Grabtuch-Forscher Pier Luigi Baima Bollone (1937–2025)

Ein Nachruf


Prof. Pier Luigi Baima Bollone, ein führender Grabtuch-Forscher, ist am 5. November verstorben
Prof. Pier Luigi Baima Bollone, ein führender Grabtuch-Forscher, ist am 5. November verstorben

Von Cri­sti­na Siccardi*

Anzei­ge

„Für die Wis­sen­schaft ist die Fra­ge wei­ter­hin offen, doch die Echt­heit des Hei­li­gen Grab­tuchs ist eine fun­dier­te und plau­si­ble Hypo­the­se“, hat­te Pro­fes­sor Pier Lui­gi Bai­ma Bol­lo­ne, der inter­na­tio­nal renom­mier­te For­scher zum Turi­ner Grab­tuch, der Hei­li­gen Sin­do­ne, in der Wochen­zeit­schrift Cre­de­re (13. April 2025) erklärt. In sei­nem letz­ten Inter­view sag­te Bai­ma Bol­lo­ne, der vor 88 Jah­ren in Turin gebo­ren wur­de und am 5. Novem­ber die­ses Jah­res ver­starb: „Ich glau­be dar­an: In dem Grab­tuch ist Jesus auf­er­stan­den“. Bei die­ser Gele­gen­heit wur­de die Ver­öf­fent­li­chung sei­nes letz­ten Buches ange­kün­digt, das am 24. April unter dem Titel „Gesù e la Sin­do­ne“ („Jesus und das Grab­tuch“) im Ver­lag San Pao­lo erschien und der Köni­gin aller Reli­qui­en im Turi­ner Dom gewid­met ist.

Die Pro­fes­so­rin Fran­ca Giu­s­ti, seit vier­zig Jah­ren Freun­din der Fami­lie Bai­ma Bol­lo­ne, berich­tet: „Der Pro­fes­sor ist nicht ein­fach ver­schwun­den, er ist dort­hin gegan­gen, wohin er wuß­te, daß sein Weg führt. Ich war bis zum Vor­abend sei­nes Todes zusam­men mit sei­nen Ange­hö­ri­gen an sei­ner Sei­te. Bei sei­nen Trau­er­fei­er­lich­kei­ten, zele­briert von Mon­si­gno­re Gui­do Fian­di­no, eme­ri­tier­ter Weih­bi­schof von Turin, war die Kir­che der Seli­gen Jung­frau der Gna­den von Cro­cet­ta bis auf den letz­ten Platz gefüllt. Pier Lui­gi Bai­ma Bol­lo­ne war ein Gen­tle­man ver­gan­ge­ner Zei­ten, ein her­aus­ra­gen­der Medi­zi­ner auf dem Gebiet der Rechts­me­di­zin und der Sin­do­no­lo­gie; er wirk­te zwar manch­mal streng, doch in Wirk­lich­keit war er ein Mensch von tie­fem Gefühl und gro­ßem Her­zen. Er wur­de nicht nur zu pre­sti­ge­träch­ti­gen Kon­gres­sen ein­ge­la­den, son­dern ver­mit­tel­te sein Wis­sen über das Grab­tuch auch jun­gen und älte­ren Men­schen auf groß­zü­gi­ge Weise.“

Fran­ca Giu­s­ti, Vor­sit­zen­de der Ver­ei­ni­gung Cha­To (Chambéry–Turin auf den Spu­ren der Sin­do­ne), wei­ter: „Gemein­sam mit mei­nem Vater Fran­co, der im Mai 2024 ver­starb, war es mög­lich, die ‚Sin­do­ne-Rou­ten‘ zu schaf­fen, die die Gebie­te Savoy­ens mit denen Pie­monts in einem Pil­ger­weg ver­bin­den, der sich an den histo­ri­schen und künst­le­ri­schen Zeug­nis­sen des Grab­tuchs ori­en­tiert, ins­be­son­de­re an deren Trans­port von Cham­bé­ry nach Turin – oft­mals unter gefähr­li­chen Umstän­den, sei es durch die Huge­not­ten, die das Hei­li­ge Tuch zer­stö­ren woll­ten, oder durch Räu­ber. Auf die­se Wei­se wur­den die­se Sta­tio­nen von reli­giö­ser, land­schaft­li­cher und kul­tu­rel­ler Bedeu­tung hervorgehoben.“

Gemein­sam mit Bai­ma Bol­lo­ne ver­faß­te sie auch das Buch „La not­te del­la pro­va. La con­fe­ren­za dimen­ti­ca­ta e il ver­ba­le ritro­va­to“ („Die Nacht des Bewei­ses. Die ver­ges­se­ne Tagung und das wie­der­ge­fun­de­ne Pro­to­koll“), erschie­nen bei Kemet. Dar­in wird unter ande­rem der bekann­te Ägyp­to­lo­ge Sil­vio Cur­to behan­delt, der 1969 ein­ge­la­den wur­de, die Natur des Grab­tuchs zu unter­su­chen. 1977 hielt er einen Vor­trag, des­sen Doku­men­ta­ti­on über Jah­re ver­ges­sen war, spä­ter wie­der­ge­fun­den und in die­sem Werk ver­öf­fent­licht wur­de. In der Nacht vom 8. auf den 9. Okto­ber 1978 ent­nahm ein Team euro­päi­scher und US-ame­ri­ka­ni­scher Wis­sen­schaft­ler in der Biblio­thek des Turi­ner Königs­pa­la­stes Pro­ben von Pol­len und Fasern aus der Hei­li­gen Sin­do­ne. Die äußerst auf­schluß­rei­che Chro­nik die­ser Nacht ist in dem Buch akri­bisch doku­men­tiert, auch dank der Wie­der­ent­deckung des hand­schrift­li­chen Protokolls.

Frau Pro­fes­sor Pao­la Car­lot­ta Con­ti Puor­ger Maki aus Ann Arbor (Michi­gan) sand­te für die Trau­er­fei­er eine Bot­schaft, die Fran­ca Giu­s­ti ver­las:
„Mit mei­nem Her­zen bin ich bei Ihnen in Turin zur Fei­er der Rück­kehr zu Gott und des Ein­tritts in das ewi­ge Leben des ange­se­he­nen Arz­tes und Man­nes des Glau­bens Pier Lui­gi Bai­ma Bol­lo­ne. Ich dan­ke ihm noch ein­mal für den Vor­trag am 6. Sep­tem­ber in der Kir­che San­to Vol­to, die ich mit der Grup­pe tei­len konn­te, und wäh­rend derer wir sei­nem letz­ten gelehr­ten Vor­trag sowie der Bestä­ti­gung sei­ner Stu­di­en bei­woh­nen durf­ten. Möge der Herr ihm loh­nen und ihn mit Freu­de erfül­len; nun kann er das Licht und die Herr­lich­keit jenes Ant­lit­zes betrach­ten, das er so ein­ge­hend stu­diert, ver­tei­digt und geliebt hat.“

Als Mann von Glau­ben und Wis­sen­schaft, eine Per­sön­lich­keit von gro­ßer Inte­gri­tät und Serio­si­tät, über­nahm Bai­ma Bol­lo­ne 1972 den Lehr­stuhl für Rechts­me­di­zin an der Fakul­tät für Rechts­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Turin, wo er über drei­ßig Jah­re lang Ordi­na­ri­us blieb und Gene­ra­tio­nen von Medi­zi­nern und Juri­sten aus­bil­de­te, nicht zuletzt durch sein Stan­dard­werk „Medi­ci­na lega­le“ („Gerichts­me­di­zin“), das wei­ter­hin auf­ge­legt wird. Sei­ne Exper­ti­se im Bereich der foren­si­schen Medi­zin führ­te ihn dazu, als Sach­ver­stän­di­ger in Gerichts­ver­fah­ren tätig zu sein, wobei er sein Wis­sen und sei­ne Ein­sich­ten ein­setz­te, um Todes­um­stän­de und kri­mi­nel­le Vor­gän­ge zu rekon­stru­ie­ren. Gleich­zei­tig begann er, sich wis­sen­schaft­lich mit dem Turi­ner Grab­tuch zu befas­sen, des­sen Fas­zi­na­ti­on bereits aus den Berich­ten sei­ner katho­li­schen Eltern in der Kind­heit her­rühr­te. Ab 1976 wid­me­te er sich syste­ma­tisch der Sindone.

In die­ser Zeit arbei­te­te Bai­ma Bol­lo­ne an Blut­spu­ren in der Rechts­me­di­zin, als Don Pie­ro Coe­ro Bor­ga, damals Rek­tor der Bru­der­schaft des Hei­li­gen Suda­ri­ums von Turin und Sekre­tär des Inter­na­tio­na­len Zen­trums für Sin­do­no­lo­gie, den Pro­fes­sor um ein Gut­ach­ten bat. Die Ant­wort erfolg­te in einem Schrei­ben, in dem der Rechts­me­di­zi­ner aus­führ­lich dar­leg­te, wie er die Her­kunft der Blut­flecken auf dem Grab­tuch unter­su­chen wür­de. Dies war der Beginn sei­nes Weges, der ihn zu einem der welt­weit füh­ren­den Exper­ten der Hei­li­gen Sin­do­ne mach­te. Ihm ver­dan­ken wir 24 Bücher und über 160 wis­sen­schaft­li­che Arti­kel, vie­le davon mit inter­dis­zi­pli­nä­rem Ansatz.

1978 wur­den die ersten wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen an dem Grab­tuch geneh­migt, und Pier Lui­gi Bai­ma Bol­lo­ne wur­de unter den For­schern aus­ge­wählt, um mikro­sko­pi­sche Pro­ben von Fasern zu ent­neh­men. Dar­in iden­ti­fi­zier­te er mensch­li­ches Blut der Blut­grup­pe AB sowie Spu­ren von Aloe und Myr­rhe, die ihn dazu führ­ten, das Lei­chen­tuch ins erste Jahr­hun­dert zu datie­ren – und damit die gegen­tei­li­gen Theo­rien zu wider­le­gen, von der mitt­ler­wei­le als unzu­ver­läs­sig gel­ten­den C14-Datie­rung bis hin zur unrea­li­sti­schen Annah­me eines künst­li­chen Herstellungsprozesses.

Eine wei­te­re bedeu­ten­de Ent­deckung war die Iden­ti­fi­ka­ti­on von DNA im Gewe­be. Neben dem Blut Chri­sti konn­te Bai­ma Bol­lo­ne Blut der Frau­en nach­wei­sen, die das Hei­li­ge Lei­chen­tuch gewebt hat­ten, sowie das der Kla­ris­sin­nen, die es an eini­gen Stel­len flick­ten, nach­dem Tei­le durch den Brand in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezem­ber 1532 in der Sain­te-Cha­pel­le du Saint-Suai­re in Cham­bé­ry beschä­digt wor­den waren. Dar­aus ent­stan­den Kon­tro­ver­sen mit skep­ti­schen Wis­sen­schaft­lern, denen er bis zum Schluß mit der Über­zeu­gung begeg­ne­te, daß Unglau­be gegen­über der Sin­do­ne oft aus der Ableh­nung der Vor­stel­lung resul­tiert, daß Gott als Mensch auf die Erde gekom­men ist. In einem Inter­view mit Il Timo­ne vom 20. April 2015 erklär­te er zur Wider­le­gung sei­ner Kritiker:

„Mei­ne Erzie­hung und mei­ne Spi­ri­tua­li­tät haben nichts mit mei­ner Über­zeu­gung bezüg­lich der Sin­do­ne zu tun. Ich bin aus ratio­na­len und wis­sen­schaft­li­chen Grün­den über­zeugt, daß wir es hier mit dem Lei­chen­tuch zu tun haben, in das Jesus Chri­stus vor zwei­tau­send Jah­ren gewickelt wur­de. Das wür­de ich auch sagen, wenn ich Athe­ist wäre. Unter den For­schern, die an sei­ne Echt­heit glau­ben, sind zahl­rei­che Juden, Pro­te­stan­ten und Agnostiker.“

Die Tra­di­ti­on der Hei­li­gen Kir­che, so Bai­ma Bol­lo­ne wei­ter, hat Gewicht: Wenn die Päp­ste sich mit der Sin­do­ne beschäf­tig­ten, dann aus gutem Grund. Paul II. (1417–1471) und Six­tus IV. (1414–1484) küm­mer­ten sich per­sön­lich dar­um, indem sie die Kir­che von Cham­bé­ry zur Kol­le­gi­ats­kir­che erho­ben und spä­ter zur Sain­te-Cha­pel­le mach­ten, wo die Her­zö­ge von Savoy­en die bedeu­tend­ste Reli­quie der Welt auf­be­wahr­ten und ver­ehr­ten. Auf Antrag des Her­zogs Karl II. von Savoy­en (1486–1553) geneh­mig­te Papst Juli­us II. (1443–1513) mit einer Bul­le vom 26. April 1506 den öffent­li­chen Kult in allen Kir­chen des Her­zog­tums, das Amt der Hei­li­gen Sin­do­ne und die Mis­sa Sanc­tis­si­mae Sin­do­nis, sowie die Ein­rich­tung eines lit­ur­gi­schen Festes am 4. Mai, das bis heu­te all­ge­mein gefei­ert wird. Die Wahl des Datums war nicht zufäl­lig: Der 4. Mai ist mit dem Kult des Hei­li­gen Ant­lit­zes ver­bun­den. An die­sem Tag wur­de in eini­gen Diö­ze­sen die hei­li­ge Vero­ni­ka geehrt. In der Volks­fröm­mig­keit besteht eine tie­fe Bezie­hung zwi­schen dem Schweiß­tuch der Vero­ni­ka und dem Hei­li­gen Sudarium.

Das Ver­hält­nis zwi­schen Reli­qui­en und ihrer Her­kunft ist ein zen­tra­les The­ma des Katho­li­zis­mus. Im Lau­fe der Jahr­hun­der­te und über die ver­schie­den­sten Län­der ent­stan­den Zen­tren der Ver­eh­rung, ver­bun­den mit Lit­ur­gien, Andach­ten und Tra­di­tio­nen – ein beein­drucken­des Kalei­do­skop aus Gebe­ten, Musik, Chö­ren und Iko­no­gra­phien, in denen auch die Hei­li­gen dar­ge­stellt sind, die sich vor dem Hei­li­gen Grab­tuch ver­neig­ten. Die­se Tra­di­tio­nen über­dau­er­ten die Jahr­hun­der­te und erreich­ten uns über Bild­zeug­nis­se, nicht nur in Kir­chen, son­dern auch in ein­fa­chen Häu­sern auf dem Land und in den Ber­gen sowie ent­lang von Pil­ger­we­gen, die dank der Arbeit von For­schern und Wis­sen­schaft­lern wie­der­ent­deckt wurden.

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ („Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat“, 2014), „San Fran­ces­co“ („Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te“, 2019), „Quella mes­sa così mar­to­ria­ta e per­se­gui­ta­ta, eppur così viva!“ „Die­se so geschla­ge­ne und ver­folg­te und den­noch so leben­di­ge Mes­se“ zusam­men mit P. Davi­de Pagli­a­ra­ni, 2021), „San­ta Chia­ra sen­za fil­tri“ („Die hei­li­ge Kla­ra unge­fil­tert. Ihre Wor­te, ihre Hand­lun­gen, ihr Blick“, 2024), 

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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