Von Cristina Siccardi*
„Für die Wissenschaft ist die Frage weiterhin offen, doch die Echtheit des Heiligen Grabtuchs ist eine fundierte und plausible Hypothese“, hatte Professor Pier Luigi Baima Bollone, der international renommierte Forscher zum Turiner Grabtuch, der Heiligen Sindone, in der Wochenzeitschrift Credere (13. April 2025) erklärt. In seinem letzten Interview sagte Baima Bollone, der vor 88 Jahren in Turin geboren wurde und am 5. November dieses Jahres verstarb: „Ich glaube daran: In dem Grabtuch ist Jesus auferstanden“. Bei dieser Gelegenheit wurde die Veröffentlichung seines letzten Buches angekündigt, das am 24. April unter dem Titel „Gesù e la Sindone“ („Jesus und das Grabtuch“) im Verlag San Paolo erschien und der Königin aller Reliquien im Turiner Dom gewidmet ist.
Die Professorin Franca Giusti, seit vierzig Jahren Freundin der Familie Baima Bollone, berichtet: „Der Professor ist nicht einfach verschwunden, er ist dorthin gegangen, wohin er wußte, daß sein Weg führt. Ich war bis zum Vorabend seines Todes zusammen mit seinen Angehörigen an seiner Seite. Bei seinen Trauerfeierlichkeiten, zelebriert von Monsignore Guido Fiandino, emeritierter Weihbischof von Turin, war die Kirche der Seligen Jungfrau der Gnaden von Crocetta bis auf den letzten Platz gefüllt. Pier Luigi Baima Bollone war ein Gentleman vergangener Zeiten, ein herausragender Mediziner auf dem Gebiet der Rechtsmedizin und der Sindonologie; er wirkte zwar manchmal streng, doch in Wirklichkeit war er ein Mensch von tiefem Gefühl und großem Herzen. Er wurde nicht nur zu prestigeträchtigen Kongressen eingeladen, sondern vermittelte sein Wissen über das Grabtuch auch jungen und älteren Menschen auf großzügige Weise.“
Franca Giusti, Vorsitzende der Vereinigung ChaTo (Chambéry–Turin auf den Spuren der Sindone), weiter: „Gemeinsam mit meinem Vater Franco, der im Mai 2024 verstarb, war es möglich, die ‚Sindone-Routen‘ zu schaffen, die die Gebiete Savoyens mit denen Piemonts in einem Pilgerweg verbinden, der sich an den historischen und künstlerischen Zeugnissen des Grabtuchs orientiert, insbesondere an deren Transport von Chambéry nach Turin – oftmals unter gefährlichen Umständen, sei es durch die Hugenotten, die das Heilige Tuch zerstören wollten, oder durch Räuber. Auf diese Weise wurden diese Stationen von religiöser, landschaftlicher und kultureller Bedeutung hervorgehoben.“
Gemeinsam mit Baima Bollone verfaßte sie auch das Buch „La notte della prova. La conferenza dimenticata e il verbale ritrovato“ („Die Nacht des Beweises. Die vergessene Tagung und das wiedergefundene Protokoll“), erschienen bei Kemet. Darin wird unter anderem der bekannte Ägyptologe Silvio Curto behandelt, der 1969 eingeladen wurde, die Natur des Grabtuchs zu untersuchen. 1977 hielt er einen Vortrag, dessen Dokumentation über Jahre vergessen war, später wiedergefunden und in diesem Werk veröffentlicht wurde. In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1978 entnahm ein Team europäischer und US-amerikanischer Wissenschaftler in der Bibliothek des Turiner Königspalastes Proben von Pollen und Fasern aus der Heiligen Sindone. Die äußerst aufschlußreiche Chronik dieser Nacht ist in dem Buch akribisch dokumentiert, auch dank der Wiederentdeckung des handschriftlichen Protokolls.
Frau Professor Paola Carlotta Conti Puorger Maki aus Ann Arbor (Michigan) sandte für die Trauerfeier eine Botschaft, die Franca Giusti verlas:
„Mit meinem Herzen bin ich bei Ihnen in Turin zur Feier der Rückkehr zu Gott und des Eintritts in das ewige Leben des angesehenen Arztes und Mannes des Glaubens Pier Luigi Baima Bollone. Ich danke ihm noch einmal für den Vortrag am 6. September in der Kirche Santo Volto, die ich mit der Gruppe teilen konnte, und während derer wir seinem letzten gelehrten Vortrag sowie der Bestätigung seiner Studien beiwohnen durften. Möge der Herr ihm lohnen und ihn mit Freude erfüllen; nun kann er das Licht und die Herrlichkeit jenes Antlitzes betrachten, das er so eingehend studiert, verteidigt und geliebt hat.“
Als Mann von Glauben und Wissenschaft, eine Persönlichkeit von großer Integrität und Seriosität, übernahm Baima Bollone 1972 den Lehrstuhl für Rechtsmedizin an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Turin, wo er über dreißig Jahre lang Ordinarius blieb und Generationen von Medizinern und Juristen ausbildete, nicht zuletzt durch sein Standardwerk „Medicina legale“ („Gerichtsmedizin“), das weiterhin aufgelegt wird. Seine Expertise im Bereich der forensischen Medizin führte ihn dazu, als Sachverständiger in Gerichtsverfahren tätig zu sein, wobei er sein Wissen und seine Einsichten einsetzte, um Todesumstände und kriminelle Vorgänge zu rekonstruieren. Gleichzeitig begann er, sich wissenschaftlich mit dem Turiner Grabtuch zu befassen, dessen Faszination bereits aus den Berichten seiner katholischen Eltern in der Kindheit herrührte. Ab 1976 widmete er sich systematisch der Sindone.
In dieser Zeit arbeitete Baima Bollone an Blutspuren in der Rechtsmedizin, als Don Piero Coero Borga, damals Rektor der Bruderschaft des Heiligen Sudariums von Turin und Sekretär des Internationalen Zentrums für Sindonologie, den Professor um ein Gutachten bat. Die Antwort erfolgte in einem Schreiben, in dem der Rechtsmediziner ausführlich darlegte, wie er die Herkunft der Blutflecken auf dem Grabtuch untersuchen würde. Dies war der Beginn seines Weges, der ihn zu einem der weltweit führenden Experten der Heiligen Sindone machte. Ihm verdanken wir 24 Bücher und über 160 wissenschaftliche Artikel, viele davon mit interdisziplinärem Ansatz.
1978 wurden die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen an dem Grabtuch genehmigt, und Pier Luigi Baima Bollone wurde unter den Forschern ausgewählt, um mikroskopische Proben von Fasern zu entnehmen. Darin identifizierte er menschliches Blut der Blutgruppe AB sowie Spuren von Aloe und Myrrhe, die ihn dazu führten, das Leichentuch ins erste Jahrhundert zu datieren – und damit die gegenteiligen Theorien zu widerlegen, von der mittlerweile als unzuverlässig geltenden C14-Datierung bis hin zur unrealistischen Annahme eines künstlichen Herstellungsprozesses.
Eine weitere bedeutende Entdeckung war die Identifikation von DNA im Gewebe. Neben dem Blut Christi konnte Baima Bollone Blut der Frauen nachweisen, die das Heilige Leichentuch gewebt hatten, sowie das der Klarissinnen, die es an einigen Stellen flickten, nachdem Teile durch den Brand in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1532 in der Sainte-Chapelle du Saint-Suaire in Chambéry beschädigt worden waren. Daraus entstanden Kontroversen mit skeptischen Wissenschaftlern, denen er bis zum Schluß mit der Überzeugung begegnete, daß Unglaube gegenüber der Sindone oft aus der Ablehnung der Vorstellung resultiert, daß Gott als Mensch auf die Erde gekommen ist. In einem Interview mit Il Timone vom 20. April 2015 erklärte er zur Widerlegung seiner Kritiker:
„Meine Erziehung und meine Spiritualität haben nichts mit meiner Überzeugung bezüglich der Sindone zu tun. Ich bin aus rationalen und wissenschaftlichen Gründen überzeugt, daß wir es hier mit dem Leichentuch zu tun haben, in das Jesus Christus vor zweitausend Jahren gewickelt wurde. Das würde ich auch sagen, wenn ich Atheist wäre. Unter den Forschern, die an seine Echtheit glauben, sind zahlreiche Juden, Protestanten und Agnostiker.“
Die Tradition der Heiligen Kirche, so Baima Bollone weiter, hat Gewicht: Wenn die Päpste sich mit der Sindone beschäftigten, dann aus gutem Grund. Paul II. (1417–1471) und Sixtus IV. (1414–1484) kümmerten sich persönlich darum, indem sie die Kirche von Chambéry zur Kollegiatskirche erhoben und später zur Sainte-Chapelle machten, wo die Herzöge von Savoyen die bedeutendste Reliquie der Welt aufbewahrten und verehrten. Auf Antrag des Herzogs Karl II. von Savoyen (1486–1553) genehmigte Papst Julius II. (1443–1513) mit einer Bulle vom 26. April 1506 den öffentlichen Kult in allen Kirchen des Herzogtums, das Amt der Heiligen Sindone und die Missa Sanctissimae Sindonis, sowie die Einrichtung eines liturgischen Festes am 4. Mai, das bis heute allgemein gefeiert wird. Die Wahl des Datums war nicht zufällig: Der 4. Mai ist mit dem Kult des Heiligen Antlitzes verbunden. An diesem Tag wurde in einigen Diözesen die heilige Veronika geehrt. In der Volksfrömmigkeit besteht eine tiefe Beziehung zwischen dem Schweißtuch der Veronika und dem Heiligen Sudarium.
Das Verhältnis zwischen Reliquien und ihrer Herkunft ist ein zentrales Thema des Katholizismus. Im Laufe der Jahrhunderte und über die verschiedensten Länder entstanden Zentren der Verehrung, verbunden mit Liturgien, Andachten und Traditionen – ein beeindruckendes Kaleidoskop aus Gebeten, Musik, Chören und Ikonographien, in denen auch die Heiligen dargestellt sind, die sich vor dem Heiligen Grabtuch verneigten. Diese Traditionen überdauerten die Jahrhunderte und erreichten uns über Bildzeugnisse, nicht nur in Kirchen, sondern auch in einfachen Häusern auf dem Land und in den Bergen sowie entlang von Pilgerwegen, die dank der Arbeit von Forschern und Wissenschaftlern wiederentdeckt wurden.
*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X“ („Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und erneuert hat“, 2014), „San Francesco“ („Heiliger Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Gestalten der Geschichte“, 2019), „Quella messa così martoriata e perseguitata, eppur così viva!“ „Diese so geschlagene und verfolgte und dennoch so lebendige Messe“ zusammen mit P. Davide Pagliarani, 2021), „Santa Chiara senza filtri“ („Die heilige Klara ungefiltert. Ihre Worte, ihre Handlungen, ihr Blick“, 2024),
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana

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