In memoria aeterna erit iustus

Der Gerechte wird ewig im Gedächtnis bleiben


Die Unsterblichkeit der Gerechten in Gott
Die Unsterblichkeit der Gerechten in Gott

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Der lit­ur­gi­sche Kalen­der fei­ert am 1. Novem­ber das Fest Aller­hei­li­gen und am fol­gen­den Tag das Fest der See­len der Ver­stor­be­nen. In dem Schrift­wort „In memo­ria aeter­na erit ius­tus“ („Der Gerech­te wird ewig im Gedächt­nis blei­ben“, Psalm 111, 6) kön­nen wir eine Ver­bin­dung zwi­schen die­sen bei­den Gedenk­ta­gen finden.

Jeder Mensch wünscht sich, in Erin­ne­rung zu blei­ben. Es ist ein tie­fes Bedürf­nis, ein­ge­schrie­ben in das mensch­li­che Herz: der Wunsch, nicht gänz­lich zu ver­schwin­den, eine Spur sei­nes Daseins zu hin­ter­las­sen. Grab­stei­ne, Inschrif­ten, Gemäl­de, Foto­gra­fien – ja die Exi­stenz der Fried­hö­fe selbst – sind Ver­su­che, etwas von sich dem Schwei­gen der Zeit zu ent­rei­ßen. Doch die Erin­ne­run­gen der Men­schen kön­nen nicht ewig sein. Das mensch­li­che Dasein ent­fal­tet sich im Strom der Zeit, jener Dimen­si­on, in der – wie Ari­sto­te­les erin­nert – „alles ins Sein tritt und wie­der ver­geht“ (Phy­sik, I, IV, 222b, 16–20). Alles, was der Mensch erschafft, ist zer­brech­lich, denn der Mar­mor ver­wit­tert, die Wor­te ver­blas­sen, und das Ver­ges­sen hüllt alles ein. Und doch weiß der Mensch tief in sei­nem Inne­ren, daß er nicht zum Ver­ge­hen geschaf­fen ist; er kann nicht akzep­tie­ren, daß sein Ich sich im Nichts auf­löst. Selbst wer glaubt, daß nach dem Tod nur das Nichts folgt, möch­te erin­nert wer­den, möch­te eine Spur sei­nes Daseins hin­ter­las­sen – ein Zei­chen, das sagt: „Ich habe existiert“.

Das ist ein Instinkt, der den Men­schen von den Tie­ren unter­schei­det, die leben und ster­ben, ohne das Ver­lan­gen, in Erin­ne­rung zu blei­ben. Phi­lo­so­phen und Theo­lo­gen haben in die­sem Bedürf­nis nach Fort­be­stehen stets einen sitt­li­chen Beweis für die Gei­stig­keit und Unsterb­lich­keit der See­le gese­hen. Wenn der Mensch von Natur aus nach dem Ewi­gen strebt, kann er nicht zum Nichts bestimmt sein – die Natur erzeugt kei­ne ver­geb­li­chen Sehn­süch­te. Jeder tie­fe Wunsch des Men­schen hat ein rea­les Gegen­stück: Wie Hun­ger auf Nah­rung und Durst auf Was­ser ver­weist, so offen­bart der Durst nach Ewig­keit, daß die See­le zum Nicht­ster­ben geschaf­fen ist.

Das Chri­sten­tum begnügt sich nicht damit, die­ses natür­li­che Ver­lan­gen nach Unsterb­lich­keit anzu­er­ken­nen – es erleuch­tet und erfüllt es. Jesus Chri­stus kam nicht nur, um den Men­schen in sei­nem Durst nach Ewig­keit zu trö­sten, son­dern um ihm zu offen­ba­ren, daß die­ser Durst ein wirk­li­ches Ziel hat: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25). Mit die­sen Wor­ten ver­spricht Jesus nicht bloß ein vages Wei­ter­le­ben, son­dern das ewi­ge Leben – die Teil­ha­be am Leben Got­tes selbst.

In die­sem Sinn laden uns die Wor­te des Psalms „In memo­ria aeter­na erit ius­tus“ (Psalm 111, 6) ein, zu beden­ken, daß der Gerech­te kei­ne Sta­tu­en oder Grab­stei­ne braucht, um erin­nert zu wer­den, denn sein Leben selbst ist schon ein Zei­chen der Ewig­keit. Die wah­re „ewi­ge Erin­ne­rung“ ist nicht die, die im Stein bewahrt wird, son­dern jene, die im Geheim­nis Got­tes und im fort­wir­ken­den Guten auf­be­wahrt ist. Das Geden­ken an jene, die ihr Leben in die­ser Welt gering geach­tet haben, um das ewi­ge Leben zu gewin­nen, geht nicht ver­lo­ren (Joh 12,25). Gott selbst hat mehr als ein­mal in der Geschich­te gezeigt, daß die Erin­ne­rung der Gerech­ten nicht zum Staub gehört, wie jene derer, die irdi­sche Ehre suchen, son­dern zur Ewigkeit.

Im Jahr 387 wur­de der hei­li­ge Ambro­si­us, Bischof von Mai­land, von den Aria­nern ver­folgt und wegen sei­ner Treue zum wah­ren Glau­ben vom kai­ser­li­chen Macht­ap­pa­rat bedroht. Die Gläu­bi­gen, von Furcht ergrif­fen, ver­sam­mel­ten sich betend um ihren Bischof. In jenen Tagen erschien Ambro­si­us der hei­li­ge Apo­stel Pau­lus im Traum und offen­bar­te ihm, daß unter der Basi­li­ka der Hei­li­gen Nab­or und Felix die unver­sehr­ten Lei­ber zwei­er Mär­ty­rer, Ger­va­si­us und Prota­si­us, ver­bor­gen lägen, die eini­ge Jahr­hun­der­te zuvor ihr Leben für Chri­stus gege­ben hat­ten. Nie­mand erin­ner­te sich mehr an ihre Exi­stenz, ihre Namen waren bei­na­he aus dem Gedächt­nis der Men­schen ver­schwun­den. Doch ihre Treue zu Chri­stus war von Gott nicht ver­ges­sen worden.

Ambro­si­us, der der Visi­on folg­te, ließ an der bezeich­ne­ten Stel­le gra­ben, und am 17. Juni jenes Jah­res wur­den die Lei­ber der bei­den Hei­li­gen unver­sehrt auf­ge­fun­den, zusam­men mit Spu­ren ihres Mar­ty­ri­ums. Als Ambro­si­us sie ans Licht brach­te, war es, als wol­le der Herr selbst der Welt die Wor­te des Psalms ver­kün­den: „In memo­ria aeter­na erit ius­tus“ – der Gerech­te wird in Ewig­keit in Erin­ne­rung bleiben.

Vie­le Jahr­hun­der­te nach der Auf­fin­dung der Mär­ty­rer Ger­va­si­us und Prota­si­us zeig­te sich in der Kir­che ein ähn­li­ches Zei­chen. Am 10. August 1802 stie­ßen Arbei­ter in den Kata­kom­ben der Pri­scil­la in Rom bei Gra­bun­gen auf eine ver­mau­er­te Nische. Dar­auf war in alten Buch­sta­ben ein­gra­viert: „PAX TECUM FILUMENA“ – „Frie­de sei mit dir, Phi­lo­me­na“. Neben dem Namen spra­chen die Sym­bo­le der Lilie, der Pal­me und der Pfei­le eine kla­re Spra­che: Es waren die Zei­chen einer Jung­frau und Mär­ty­rin. Der sorg­sam gebet­te­te Kör­per wur­de unver­sehrt auf­ge­fun­den, in Tücher und Weih­rauch gehüllt, als hät­te die jun­ge Mär­ty­rin fast sieb­zehn Jahr­hun­der­te lang in einem Licht­schlaf geruht.

Gott woll­te, daß die­ses Mäd­chen, so lan­ge unbe­kannt und still, wie­der zur Glau­bens­treue sei­nes Vol­kes sprach. Nach der Über­füh­rung ihrer Reli­qui­en nach Mug­na­no del Car­di­na­le wur­den sie bald Quel­le von Wun­dern und Bekeh­run­gen. Auch hier öff­ne­te sich das Grab einer Mär­ty­rin, das Jahr­hun­der­te lang geschwie­gen hat­te, um allen in Erin­ne­rung zu rufen, daß, wer für Gott lebt und stirbt, nie­mals ver­schwin­det. Die Welt hat­te Phi­lo­me­na ver­ges­sen – Gott nicht. In sei­nem geheim­nis­vol­len Rat­schluß bewahrt er die Gerech­ten wie Samen, ver­bor­gen in der Erde: eine Zeit lang unsicht­bar, doch bestimmt, in der Ewig­keit neu zu erblühen.

Wenn Gott in sol­cher Wei­se die Lei­ber sei­ner Die­ner ehrt – wie groß wird dann die Ehre der See­len der Gerech­ten sein, die von Ihm in den Him­mel auf­ge­nom­men wer­den! Die See­le, die sich mit Gott ver­eint, braucht kei­ne Denk­mä­ler und kei­ne Inschrif­ten mehr, denn sie lebt in Ihm, in der Gemein­schaft der Hei­li­gen: „In memo­ria aeter­na erit ius­tus.“ Der Gerech­te wird nicht vom Lauf der Zeit ver­zehrt, son­dern in ewi­ger Erin­ne­rung leben, denn Gott läßt für immer fort­be­stehen, was jene See­le an Gutem im Lauf der Zeit getan hat. Wenn die See­le des Gerech­ten in die ewi­ge Herr­lich­keit ein­geht, wird sie von all ihren guten Wer­ken emp­fan­gen – selbst den klein­sten: Jeder gute Gedan­ke, jede über­wun­de­ne Ver­su­chung, jede Tat der Tugend im irdi­schen Leben wird in die Ewig­keit ein­ge­schrie­ben sein. Die­se guten Wer­ke, vor allem die demü­tig­sten und ver­bor­gen­sten, wer­den am Tag des Gerichts allen Men­schen offen­bar wer­den – zur Ehre Got­tes und zur Beschä­mung der Bösen, von denen der Psalm sagt: „per­det de ter­ra omnem memo­ri­am eorum“ (Ps 33,17) – „Er wird jede Erin­ne­rung an sie von der Erde til­gen.“

Dar­um geden­ken wir im Monat Novem­ber der See­len, die zur lei­den­den und tri­um­phie­ren­den Kir­che gehö­ren, und bit­ten sie um ihre Hil­fe für uns, die wir die gering­sten Glie­der, aber vom Durst nach Ewig­keit erfüllt, der strei­ten­den Kir­che auf Erden sind.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!

 




 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*