Infelix Austria?

Eine Antwort an Prof. Paolo Pasqualucci


Unglückliches Österreich? Ein freundschaftlicher Schlagabtausch zur Geschichtsdeutung.
Unglückliches Österreich? Ein freundschaftlicher Schlagabtausch zur Geschichtsdeutung.

Von Vero­ni­ca Rasponi

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Prof. Pao­lo Pas­qu­aluc­ci1 ver­öf­fent­lich­te ein Buch mit dem Titel „Infe­lix Austria“ [„Unglück­li­ches Öster­reich“, in Umkeh­rung der Wen­dung „Felix Austria“, „Glück­li­ches Öster­reich“, die erst­mals 1364 vom habs­bur­gi­schen Erz­her­zog Rudolf IV. von Öster­reich benutzt wur­de, als er Tirol gewann, und im 19. Jahr­hun­dert in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch Ein­gang fand, Anm. GN]. Das Buch ist, wie der Autor sel­ber schreibt, eine „katho­li­sche Ver­si­on der Kri­tik des ‚Habs­bur­ger-Mythos‘“ und ist als Kri­tik an einem Auf­satz von Prof. Rober­to de Mat­tei gedacht, der am 19. Dezem­ber 2018 unter dem Titel „1918–2018. Alles fällt aus­ein­an­der, das Zen­trum trägt nicht mehr“ ver­öf­fent­licht wurde.

Das soeben erschie­ne­ne Buch „Infe­lix Öster­reich? Eine Ant­wort an Prof. Pao­lo Pas­qu­aluc­ci“ ist eine freund­schaft­li­che Ant­wort von Prof. Rober­to de Mat­tei auf die an ihn gerich­te­te Kri­tik. Das zugrun­de­lie­gen­de The­ma betrifft das Wesen, die Ursa­chen und die Fol­gen des Ersten Welt­kriegs, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf Öster­reich-Ungarn, das bis 1918 den Dreh- und Angel­punkt des Gleich­ge­wichts und der Sta­bi­li­tät in Euro­pa dar­stell­te. Der Erste Welt­krieg mit den dar­auf fol­gen­den Frie­dens­ver­trä­gen war ein geo­po­li­ti­scher Umbruch, aber vor allem eine Revo­lu­ti­on in der Kul­tur und Men­ta­li­tät der Euro­pä­er, die mit dem Ende des öster­rei­chi­schen Kai­ser­reichs eine tie­fe Kri­se der Wer­te und Insti­tu­tio­nen des christ­li­chen Abend­lan­des erleb­ten. Die­se Atmo­sphä­re der Sicher­heit, in die nicht nur der öster­rei­chi­sche, son­dern der euro­päi­sche Mensch ein­ge­taucht war, setz­te ein Welt­bild vor­aus; hin­ter den schein­bar uner­schüt­ter­li­chen Insti­tu­tio­nen, auf die sich die Gesell­schaft grün­de­te, von der Fami­lie bis zur Mon­ar­chie, stand ein Men­schen- und Gesell­schafts­bild, das auf der Idee der Dau­er­haf­tig­keit und Sta­bi­li­tät beruh­te, auf dem Pri­mat des Seins über das Wer­den­de; auf dem Pri­mat, mit einem Wort, einer abso­lu­ten Werteordnung.

Der Ver­lust die­ser Wer­te­ord­nung und damit der poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Sta­bi­li­tät war der rote Faden, der sich durch das 20. Jahr­hun­dert zog, das Jahr­hun­dert der Revo­lu­tio­nen, der Welt­krie­ge, des Tota­li­ta­ris­mus und der Bür­ger­krie­ge. Ein Jahr­hun­dert, das mit dem par­al­le­len Fall der Ber­li­ner Mau­er und der Twin Towers ende­te, den Sym­bo­len der schein­ba­ren Festig­keit der bei­den gegen­sätz­li­chen Impe­ri­en, des sowje­ti­schen und des ame­ri­ka­ni­schen, und das nach der Coro­na-Pan­de­mie und den Krie­gen in der Ukrai­ne und im Nahen Osten in den Stru­del des Cha­os ein­ge­tre­ten ist.

Im Gegen­satz zu Pas­qu­aluc­ci ist de Mat­tei von der Exi­stenz eines Kom­ple­xes von revo­lu­tio­nä­ren Kräf­ten über­zeugt, die mit der Zer­stö­rung Öster­reich-Ungarns auch die letz­ten Reste der christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on ver­nich­ten woll­ten. Öster­reich-Ungarn, Erbe des mit­tel­al­ter­li­chen Hei­li­gen Römi­schen Rei­ches, stell­te ihrer Über­zeu­gung nach das Haupt­hin­der­nis für den Fort­schritt der Mensch­heit und die Errich­tung einer „uni­ver­sel­len Demo­kra­tie“ dar. Die revo­lu­tio­nä­re Bedeu­tung des Krie­ges konn­te mit einer Paro­le von Giu­sep­pe Mazzini zusam­men­ge­faßt wer­den: Austria del­en­da est [Öster­reich muß zer­stört wer­den].

Die Geschich­te ist jedoch nicht unaus­weich­lich, und das Ende Öster­reich-Ungarns war kein zwangs­läu­fi­ges Schick­sal. Wären der Frie­dens­vor­schlag Bene­dikts XV. und die vom seli­gen Kai­ser Karl von Öster­reich initi­ier­ten Ver­hand­lun­gen erfolg­reich gewe­sen, hät­te die Geschich­te Euro­pas einen ande­ren Ver­lauf neh­men kön­nen. Die Oxfor­der Histo­ri­ke­rin Mar­ga­ret MacMil­lan schreibt am Ende ihrer umfang­rei­chen Arbeit über den Ersten Welt­krieg: „Euro­pa hät­te einen ande­ren Kurs ein­schla­gen kön­nen, doch im August 1914 ent­schied es sich dafür, einen Weg zu beschrei­ten, der es in die Selbst­zer­stö­rung füh­ren soll­te2. Zu Beginn des Som­mers 1914 zeich­ne­te sich das unvor­her­seh­bar­ste und viel­leicht ver­meid­bar­ste Sze­na­rio ab. Der katho­li­sche Histo­ri­ker, so de Mat­tei in sei­ner Ant­wort auf Pas­qu­aluc­ci, ver­fügt über ulti­ma­ti­ve Kri­te­ri­en, die über die Geschich­te hin­aus­ge­hen und ihm erlau­ben, ihren Ver­lauf zu beur­tei­len. „Der freie Wil­le des Men­schen erlaubt es ihm, vom Guten, Gerech­ten und Wah­ren abzu­wei­chen, die den­noch exi­stie­ren und dem Urteil des Histo­ri­kers nicht fremd sein kön­nen. Die Geschich­te kehrt jedoch nicht zurück, die Sze­na­ri­en ändern sich, und die Ent­schei­dun­gen der Men­schen und der Völ­ker las­sen immer Raum, um wie­der den Plä­nen zu ent­spre­chen, die die gött­li­che Vor­se­hung von Ewig­keit her vor­her­be­stimmt hat, die sie aber unauf­hör­lich erneu­ert. Nur Gott siegt letzt­lich in der Geschich­te immer“ (S. 89).

Übersetzung/​Fußnoten: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Ver­lag Solfanelli/​Wikicommons


1 Pao­lo Pas­qu­aluc­ci ist eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor der Rechts­phi­lo­so­phie an der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Peru­gia. Er lehr­te auch Poli­ti­sche Ideen­ge­schich­te an den Uni­ver­si­tä­ten Rom, Nea­pel und Tera­mo. Er ent­wickel­te eine radi­ka­le Kri­tik des revo­lu­tio­nä­ren Den­kens und sei­nes lai­zi­sti­schen Mes­sia­nis­mus. In den ver­gan­ge­nen fünf­zehn Jah­ren wid­me­te er sich vor allem einer kri­ti­schen Unter­su­chung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und der, laut Pas­qu­aluc­ci, von die­sem ver­tre­te­nen „zwei­deu­ti­gen“ bzw. „anthro­po­zen­tri­schen Chri­sto­lo­gie“. Sei­ne jüng­sten Publi­ka­tio­nen sind „Instru­men­tum dia­bo­li“ (2021) über das Instru­men­tum labo­ris der Ama­zo­nas­syn­ode und „Infe­lix Austria. Eine Kri­tik am Habs­bur­ger-Mythos, katho­li­sche Ver­si­on“ (2022).

2 Mar­ga­ret MacMil­lan: The War That Ended Peace: The Road to 1914, Pen­gu­in Books, Lon­don 2013, ital. Ausg.: 1914. Come la luce si spen­se sul mon­do di ieri, Riz­zo­li, Mai­land 2024, S. 697.

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