
Von Julio Loredo*
Das Pontifikat von Papst Leo verlief bisher recht ruhig, getragen vom Wohlwollen der meisten Gläubigen. Sein gelassener und versöhnlicher Stil spendete Vertrauen. Doch angesichts mehrerer Vorkommnisse in den letzten Wochen beginnen einige Kommentatoren zu fragen, ob diese Taktik wirklich Bestand haben kann – oder ob es nicht doch eines entschlosseneren Vorgehens bedarf.
In diesen Tagen war die Ewige Stadt Schauplatz von Ereignissen, die unter den Gläubigen erheblichen Anstoß erregten und die Debatten unter renommierten Vatikanexperten und katholischen Intellektuellen bestimmten. Gemeint sind das Mega-Konzert auf dem Petersplatz und, nur wenige Tage zuvor, die umstrittene LGBT-Veranstaltung zum Heiligen Jahr. All das bringt mich zu einer grundsätzlichen Überlegung: Abwarten – schön und gut. Aber wie lange ? Und um welchen Preis?
Das Pontifikat von Papst Leo XIV., wie viele wissen, verlief bislang eher ruhig, getragen vom Wohlwollen der meisten Gläubigen und nur leicht erschüttert durch vereinzelte Zweifel. Zu diesem Bild trug sicher auch sein Regierungsstil bei, den der bekannte amerikanische Intellektuelle Robert Royal mit dem des römischen Feldherrn Fabius Quintus Maximus verglich – der „Cunctator“, der Zögerer oder Zauderer, genannt wurde. Angesichts der Kriegsfraktion, die einen offenen Krieg gegen Hannibal forderte, bevorzugte Fabius Maximus den Weg der Verhandlungen. Von ihm hieß es: „Durch sein Zaudern stellte er den Staat wieder her.“
Royal schrieb in der Zeitschrift The Catholic Thing ganz offen, daß Leo kein Mann für große Frontalangriffe sei – auch wenn viele, ich eingeschlossen, sich ein rasches und entschlossenes Handeln wünschen würden. Er sei ein Fabius-Maximus-Typ, dessen Strategie auf der kumulativen Wirkung vieler kleiner Schritte beruhe – in der Hoffnung, daß diese allmählich den Kurs der Kirche für die kommenden Jahrzehnte bestimmen und darüber entscheiden werden, ob sie es schaffen wird, sich gegen die vielen inneren und äußeren Kräfte zu behaupten, die sie zu zerstören drohen. Diese Taktik fand anfangs breite Zustimmung, verbunden mit der Hoffnung, daß Papst Leo XIV. durch sein besonnenes Vorgehen die Einheit und den Frieden in der Kirche wiederherstellen könne.
Die Ereignisse der letzten Wochen haben jedoch einige Kommentatoren – treue Katholiken und überzeugte Papstanhänger – dazu veranlaßt, sich zu fragen, ob es nicht in gewissen Fällen eines anderen Vorgehens bedarf. Ein Beispiel dafür ist Robert Royal selbst, der den kontroversen Pilgerzug von LGBT-Gruppen zum Thema machte. Seiner Meinung nach hätte Papst Leo das Ereignis mit den kleinen, ihm eigenen Mitteln leicht unterbinden können. Royal verweist auf das Beispiel Johannes Pauls II., der im Jahr 2000 – unfähig, die von Roms Stadtverwaltung genehmigte Pride-Parade zu stoppen – eine eindringliche Rede hielt, in der er seinen tiefen Schmerz über die Entweihung des Großen Jubiläums und die Beleidigung christlicher Werte zum Ausdruck brachte. Damals zitierte Johannes Paul II. auch Stellen aus dem Katechismus, die homosexuelle Handlungen klar verurteilen.
Riccardo Cascioli, Direktor der Nuova Bussola Quotidiana, bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „Gegenüber der LGBT-Lobby reicht Schweigen nicht mehr aus.“ Seiner Meinung nach verlangt die „Machtdemonstration“ der LGBTQ-Gruppen mit ihrem Heilig-Jahr-Event auf dem Petersplatz – zusammen mit der „klaren Komplizenschaft der vatikanischen Maschinerie“ – eine angemessene Reaktion. Denn es geht um die Verteidigung der katholischen Moral und um den eigentlichen Sinn des Heiligen Jahres. All dies, so Cascioli weiter, zeige, wie mächtig die Homo-Lobby im Vatikan sei – so mächtig, daß sie Papst Leo unter Druck setzen könne. Cascioli betont, daß der Papst bisher kein einziges Wort zu dem Thema verloren habe – er habe sich aus den medialen Fallen herausgehalten, keine Stellung bezogen, keine Botschaften übermittelt, keine Grüße beim Angelus gesprochen. Angesichts der Dreistigkeit der LGBTQ-Organisationen und der medienwirksamen Inszenierung ihrer Initiativen sei die Strategie des „Nicht-Einmischens“ aber nicht länger tragbar.
Der Minimalismus eines Zauderers, das muß ich zugeben, ist in vielen Situationen durchaus verständlich und sogar ratsam. Aber in allen? Oder gibt es Momente, in denen die Verteidigung des Minimums nicht mehr reicht – und es eines klaren Eintretens für das Maximum bedarf? Diese Frage stellt sich zum Beispiel auch Weihbischof Athanasius Schneider in einem Interview mit der Vatikanistin Diane Montagna. Nachdem er beklagt hatte, daß die vatikanischen Autoritäten sich „zurückgehalten haben und zugelassen haben, daß Gott verspottet wird“, geißelte er das „beschämende Schweigen“ des Heiligen Stuhls. Der Weihbischof von Astana in Kasachstan betonte, daß es in unseren Tagen „unumgänglich ist, daß die Worte des Papstes und die Aussagen des Heiligen Stuhls zur Lehre der Kirche auch durch Taten bestätigt werden“. Er schloß mit einer ernsten Mahnung: „Was für eine furchtbare und welch ungeheure Verantwortung vor dem Richterstuhl Christi!“ Von Herzen wünschte Bischof Schneider Papst Leo XIV. die Gnade Gottes, den Mut zu finden, „diesen abscheulichen Akt zu sühnen, der die Heiligkeit des Jubiläumsjahres befleckt hat“, und zitierte den heiligen Paulus: „Ich habe euch nichts vom Ratschluß Gottes verschwiegen.“
Kaum hatten sich die Spannungen um das umstrittene LGBT-Event etwas gelegt, da löste ein weiteres Ereignis neue Irritationen aus: die Ernennung von Cristina Perella zur neuen Vorsitzenden der Päpstlichen Akademie der Schönen Künste. Der bekannte Intellektuelle Tommaso Scandroglio kommentierte in der Nuova Bussola Quotidiana, dies sei eine „zweifelhafte Ernennung, die an einen Skandal grenzt“. Perella sei für ihre Arbeiten im LGBT-Bereich bekannt; einige von ihr kuratierte Ausstellungen seien bewußt provokativ, sexuell explizit gewesen und hätten sogar die Grenze zur Gotteslästerung berührt. Scandroglio fragt: „Drängen die Regenbogenlobbys dem Papst Entscheidungen auf? Und zu welchem Preis soll die Wahrheit für die Einheit verschwiegen werden?“ Zwar seien die Schriften des Papstes in Fragen der Homosexualität klar an der kirchlichen Lehre orientiert, doch stünden ihnen manche zweifelhafte Entscheidungen gegenüber. Es sei offensichtlich, so Scandroglio, daß die Regenbogenlobby – äußerst mächtig im Vatikan – versuche, den Papst zu Zugeständnissen zu bewegen. Und dieser könnte womöglich nachgeben – „dem lieben Frieden“ zuliebe, um die ohnehin schon durch das vorherige Pontifikat zerrissene Einheit der Kirche zu wahren. Doch erneut stellt sich die Frage: um welchen Preis?
Wie man sieht, ist es genau diese Frage, die sich heute viele Vatikanisten und Kommentatoren stellen. Und ich wiederhole: Wir sprechen hier von treuen Katholiken, die dem Papsttum in tiefer Loyalität verbunden sind – nicht von Widersachern. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragen muß, ob Abwarten immer noch die richtige Strategie ist – und was sie kostet. Die Grenze ist erreicht, wenn Schweigen oder Unklarheit Verwirrung stiften und den Glauben der Gläubigen erschüttern.
Der Theologe Larry Chapp, einst Berater der US-Bischofskonferenz, warnt davor, daß wir dringend den religiösen Relativismus zurückweisen müssen. Er kritisiert die Haltung, alle „so wie sie sind“ willkommen heißen zu wollen, ohne zur Umkehr zu rufen – ein neuer Paradigmenwechsel, der sich in der Kirche auszubreiten scheint. Ein besonders eindrückliches Beispiel sei laut Chapp ein LGBT-Aktivist, der während des Jubiläums in der Petersbasilika ein T‑Shirt trug – mit einer auf Englisch vulgären Aufschrift, die wir hier nicht wiedergeben können, aber sinngemäß lautete: „Zum Teufel mit den Regeln.“ Chapps Kommentar dazu: „Wir können das besser. Wir müssen es besser machen.“ Der Einsatz ist zu hoch, um zu versagen. Es ist Zeit, den Nebel des Relativismus zu vertreiben und den katholischen Glauben klar zu bekennen. Doch dafür braucht es Mut – und dieser Mut im Glauben kommt allein aus der göttlichen Gnade.
Ich schließe daher mit einem erneuten Aufruf zu Gebet und Buße. Bitten wir die göttliche Vorsehung, Papst Leo Klarheit und Stärke zu schenken – durch die Fürsprache derjenigen, von der die Liturgie sagt: „Du allein hast alle Häresien in der ganzen Welt zerstört.“
*Julio Loredo ist Vorsitzender der italienischen Sektion der internationalen Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) und Autor mehrerer Bücher, darunter eine Widerlegung der „Befreiungstheologie“ (2015) und jüngst zusammen mit José Antonio Ureta die beiden Bestseller: „Eine Büchse der Pandora. Der weltweite synodale Prozeß“ (2023) und „Der Dammbruch. Die Kapitulation von Fiducia Supplicans vor der Homosexuellen-Bewegung“ (2024). Auf Youtube betreibt er den Kanal „Visto da Roma“.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
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