Abtreibung und die Verwirrung auf der rechten Seite

Die fehlenden Grundlagen


Sitzungssaal der italienischen Staatsregierung in Rom
Sitzungssaal der italienischen Staatsregierung in Rom

Der letz­te ita­lie­ni­sche Mini­ster­rat, der sich am 4. August unter dem Vor­sitz von Mini­ster­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni vor der Som­mer­pau­se im Palaz­zo Chi­gi in Rom ver­sam­mel­te, hat das Gesetz Nr. 23 vom 5. Juni 2025 der Regi­on Sizi­li­en mit dem Titel „Bestim­mun­gen im Gesund­heits­be­reich“ ange­foch­ten. Nach Ansicht der Regie­rung ver­stößt das Gesetz unter ande­rem gegen Arti­kel 117 der ita­lie­ni­schen Ver­fas­sung, der die Gleich­be­rech­ti­gung beim Zugang zu öffent­li­chen Ämtern garantiert.

Anzei­ge

Der Schritt der Regie­rung ist von Bedeu­tung. Er wur­de vom Mini­ster für Regio­nal­an­ge­le­gen­hei­ten und Auto­no­mien, Rober­to Cal­der­o­li (Lega), vor­ge­schla­gen und legt dem Ver­fas­sungs­ge­richt ein Gesetz zur Prü­fung vor, das als ver­fas­sungs­wid­rig, unge­recht und dis­kri­mi­nie­rend ange­se­hen wird. Das Gesetz hät­te es der Regi­on erlaubt, öffent­li­che Stel­len­be­set­zun­gen aus­schließ­lich für sol­che Ärz­te aus­zu­schrei­ben, die kei­ne Erklä­rung abge­ge­ben haben, Abtrei­bun­gen aus Gewis­sens­grün­den zu ver­wei­gern – und zwar in Kran­ken­häu­sern, in denen Tötun­gen unge­bo­re­ner Kin­der durch­ge­führt werden.

Die ita­lie­ni­sche Lebens­rechts­be­we­gung begrüßt die­se Ent­schei­dung und hofft auf ein erfolg­rei­ches Ergeb­nis des Ein­spruch­ver­fah­rens. Sie erwar­tet ins­be­son­de­re von der Par­tei Fra­tel­li d’Italia (FdI), der Par­tei der Mini­ster­prä­si­den­tin, gesetz­ge­be­ri­sche Initia­ti­ven, um ähn­li­che Rege­lun­gen künf­tig auf regio­na­ler oder natio­na­ler Ebe­ne zu ver­hin­dern. Sol­che Bestim­mun­gen könn­ten die Objek­ti­vi­tät bei der Ein­stel­lung im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen sowie die ethisch-beruf­li­che Wür­de von Ärz­ten, die aus Gewis­sens­grün­den kei­ne Abtrei­bun­gen durch­füh­ren, ernst­haft gefähr­den – was selbst­ver­ständ­lich für alle Ange­hö­ri­gen des öffent­li­chen Gesund­heits­dien­stes gilt.

Kon­kret wür­de das sizi­lia­ni­sche Gesetz die weni­gen Schutz­me­cha­nis­men des gel­ten­den Abtrei­bungs­ge­set­zes unter­gra­ben. Die­ses sieht aus­drück­lich für Ärz­te und ande­res Gesund­heits­per­so­nal die Mög­lich­keit vor, jede Betei­li­gung an Abtrei­bun­gen aus Gewis­sens­grün­den zu ver­wei­gern. Wenn sie vom regio­na­len Gesetz­ge­ber dafür jedoch schlech­ter gestellt, von Anstel­lung oder Beför­de­rung aus­ge­schlos­sen wer­den, wird die Bestim­mung ad absur­dum geführt und wer­den Ver­wei­ge­rer aus Gewis­sens­grün­den fak­tisch bestraft.

Die Par­tei FdI bekennt sich in einer lan­des­wei­ten Mit­tei­lung zur Anfech­tung des sizi­lia­ni­schen Geset­zes zu einem Grund­satz, der all­ge­mein­ver­bind­lich sein soll­te: „Man darf Ver­wei­ge­rern aus Gewis­sens­grün­den nicht das Recht ver­weh­ren, an öffent­li­chen Aus­schrei­bun­gen teilzunehmen.“

„Die Wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den ist ein Aus­druck der per­sön­li­chen, reli­giö­sen, mora­li­schen und intel­lek­tu­el­len Frei­heit“, erklär­ten dazu der Sena­tor Raoul Rus­so, Vor­sit­zen­der der FdI-Frak­ti­on in der Kom­mis­si­on für die Inseln, sowie Caro­li­na Var­chi, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der FdI im Justiz­aus­schuß der Abge­ord­ne­ten­kam­mer. „Aus die­sem Grund begrü­ßen wir die Ent­schei­dung des Mini­ster­rats, das Gesetz anzu­fech­ten, das die Ein­stel­lung von aus­schließ­lich nicht-objek­tie­ren­den Ärz­ten und ande­rem Per­so­nal im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen vorsah.“

„Das Gesetz ver­stößt gegen Arti­kel 117 der Ver­fas­sung“, so Rus­so und Var­chi, „der die Grund­sät­ze der Gleich­heit, das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung sowie den glei­chen Zugang zu öffent­li­chen Ämtern und das öffent­li­che Aus­wahl­ver­fah­ren schützt. Das Gesetz Nr. 194 von 1978, das die Abtrei­bung in Ita­li­en lega­li­sier­te, garan­tiert alle betref­fen­den Rech­te, und es gibt in Sizi­li­en kei­ner­lei Pro­ble­me bei der prak­ti­schen Umset­zung. Das von Rom ange­foch­te­ne Gesetz hat­te daher einen rein ideo­lo­gi­schen Charakter.“

„Die Wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den ist nicht nur eine Fra­ge des Prin­zips, son­dern auch ein kon­kre­tes Instru­ment zum Schutz der Men­schen­wür­de, der Plu­ra­li­tät der Über­zeu­gun­gen und des demo­kra­ti­schen Zusam­men­le­bens. Allen muß die Mög­lich­keit garan­tiert sein, an einem öffent­li­chen Aus­wahl­ver­fah­ren teil­zu­neh­men“, so die bei­den Abgeordneten.

In Ita­li­en sind öffent­li­che Kran­ken­häu­ser nicht gesetz­lich ver­pflich­tet, eine Abtrei­bung anzu­bie­ten oder durch­zu­füh­ren, wie selbst die Abtrei­bungs­lob­by­istin Anna­ma­ria Ber­nar­di­ni De Pace jüngst beton­te. Das ita­lie­ni­sche Abtrei­bungs­ge­setz Nr. 194 erklärt die Abtrei­bung nicht zum „Recht“, son­dern zur „vom Staat geschütz­ten Wahl“.

Das Wort „Recht“ erscheint im Gesetz 194 nur im Zusam­men­hang mit der bewuß­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Fort­pflan­zung – ein Begriff, der seit dem 68er Jahr tief­grei­fend ideo­lo­gisch umge­deu­tet wur­de (vgl. Art. 1: „Der Staat gewähr­lei­stet das Recht auf bewuß­te und ver­ant­wor­tungs­vol­le Fort­pflan­zung, erkennt den sozia­len Wert der Mut­ter­schaft an und schützt das Men­schen­le­ben von sei­nem Beginn an“).

Vor die­ser ideo­lo­gi­schen Umdeu­tung bezog sich das „Recht auf bewuß­te Fort­pflan­zung“ auf die Kennt­nis über Frucht­bar­keit und Unfrucht­bar­keit. Es bedeu­te­te, daß man neu­es Leben in frucht­ba­ren Zei­ten nicht zurück­weist, es aber auch nicht in unfrucht­ba­ren Zei­ten „ver­langt“. Ver­ant­wort­li­che Fort­pflan­zung soll­te also bei­de Aspek­te – Frucht­bar­keit und Unfrucht­bar­keit – aner­ken­nen und bio­lo­gisch wie ethisch respektieren.

Das von der sizi­lia­ni­schen Regio­nal­re­gie­rung ver­ab­schie­de­te Gesetz erhält beson­de­re Bedeu­tung auch des­halb, weil die Regi­on zu den Gebie­ten mit dem höch­sten Anteil an Ärz­ten gehört, die aus Gewis­sens­grün­den kei­ne Abtrei­bun­gen vornehmen.

Wie aus dem jüng­sten Bericht des Gesund­heits­mi­ni­ste­ri­ums her­vor­geht, betrug im Jahr 2022 der Anteil der ver­wei­gern­den Gynä­ko­lo­gen 60,5 %, was sehr hoch ist, wenn auch regio­nal unter­schied­lich: Die höch­sten Antei­le fin­den sich in Moli­se (90,9 %) und auf Sizi­li­en (81,5 %), die nied­rig­sten im fran­zö­sisch gepräg­ten Aosta­tal (25,0 %) und der einst zu Öster­reich gehö­ren­den Auto­no­men Pro­vinz Tri­ent (31,8 %).

Auf­grund die­ser kon­stan­ten Treue vie­ler ita­lie­ni­scher Ärz­te zum „Eid des Hip­po­kra­tes“ wur­de Ita­li­en mehr­fach von dem für die Abtrei­bung agie­ren­den Euro­päi­schen Aus­schuß für sozia­le Rech­te ver­ur­teilt, weil das Recht von Frau­en auf Zugang zur Abtrei­bung ein­ge­schränkt sei – vor allem durch den hohen Anteil von Ärz­ten, die sich einer Abtrei­bung ver­wei­gern. Die­se Ärz­te ärgern die Abtrei­bungs­ideo­lo­gen. Das ist einer der Haupt­grün­de, war­um die Abtrei­bungs­lob­by auf die che­mi­sche Abtrei­bung durch die Abtrei­bungs­pil­le drängt. Damit kann das „Pro­blem“ der sich wei­gern­den Ärz­te über­gan­gen werden.

Das Ende Mai ver­ab­schie­de­te Gesetz der Regi­on Sizi­li­en sieht nicht nur spe­zi­el­le Aus­wahl­ver­fah­ren aus­schließ­lich für nicht-ver­wei­gern­de Ärz­te vor, son­dern auch die ver­pflich­ten­de Ent­las­sung oder Ver­set­zung von medi­zi­ni­schem Per­so­nal, das nach der Ein­stel­lung sei­ne Mei­nung ändert und die Abtrei­bung ver­wei­gert. Die­se Ungleich­be­hand­lung wird von der Regie­rung in Rom ange­foch­ten. Nun liegt es am Ver­fas­sungs­ge­richt, über die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit des Geset­zes zu ent­schei­den – bis dahin bleibt es in Kraft.

Die staat­li­che Gesetz­ge­bung schützt das Recht auf Ver­wei­ge­rung aus Gewis­sens­grün­den – ein Recht, das in nahe­zu allen west­li­chen Län­dern mit lega­li­sier­ter Abtrei­bung aner­kannt wird.

Bleibt abschlie­ßend noch anzu­mer­ken, daß die Lan­des­re­gie­rung der Regi­on Sizi­li­en pikan­ter­wei­se von den­sel­ben Par­tei­en gebil­det wird, die auch die Staats­re­gie­rung in Rom stel­len. Um genau zu sein, ist der christ­de­mo­kra­ti­sche Anteil an der sizi­lia­ni­schen Regie­rung deut­lich höher als an der Staats­re­gie­rung. Die­ser Umstand irri­tiert und belegt, daß christ­de­mo­kra­ti­sche, bür­ger­li­che oder auch rech­te Par­tei­en kein siche­rer Garant für eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Wen­de sind. Der Grund liegt im pro­gram­ma­ti­schen Defi­zit die­ser Par­tei­en, das sie gegen­über lin­ken und radi­kal­li­be­ra­len Par­tei­en in die Defen­si­ve zwingt. Der tie­fe­re Grund ist jedoch, daß kaum mehr kla­re Vor­stel­lun­gen dar­über bestehen, was rechts und links unter­schei­det. In gesell­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen sind bür­ger­li­che, christ­de­mo­kra­ti­sche und teils auch rech­te Par­tei­en in Wirk­lich­keit links gestrickt und dem lin­ken Spek­trum zuzu­rech­nen. Die Ver­wir­rung ist sehr groß, wie das Bei­spiel der sizi­lia­ni­schen Regie­rungs­ko­ali­ti­on aus For­za Ita­lia, Fra­tel­li d’Italia, Christ­de­mo­kra­ten und Lega zeigt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di in Anleh­nung an einen Arti­kel von Giu­sep­pe Bri­en­za
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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