(New York) Obwohl es auch völkerrechtlicher Ebene kein Abkommen gibt, das ein „Recht“ auf Abtreibung erwähnt, geschweige denn festschreibt, versuchen UNO-Agenturen bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein solches „Recht“ zur Tötung ungeborener Kinder international durchzusetzen und den Mitgliedsstaaten aufzwingen.
Der jüngste Versuch ereignete sich am 23. Juni bei der Sitzung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen (ECOSOC). Das Ziel der in der UNO stark vertretenen Abtreibungslobby ist es, ein generelles Abtreibungsklima zu erzeugen und die staatliche Souveränität in Sachen Lebensschutz auszuschalten.
ECOSOC, MISP, UNFPA – Abtreibung als UNO-Antwort auf Gewalt gegen Frauen
Der Ständige Vertreter des Vatikans kritisierte bei der ECOSOC-Sitzung eine Resolution, die Abtreibungsmethoden in ein Notfall-Kit miteinbeziehen will, das für Länder bestimmt ist, in denen eine humanitäre Krise herrscht. Die Resolution will die „aktualisierte“ ECOSOC-Politik umsetzen. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hatte es im vergangenen April zur „Priorität“ erklärt, Frauen in Krisengebieten Zugang zum umstrittenen Minimum Initial Service Package (MISP) zu verschaffen. Dieses Paket besteht aus 13 verschiedenen Bausätzen zur sogenannten „reproduktiven Gesundheit“. Darin enthalten sind Verhütungsmittel, auch solche mit abtreibender Wirkung, und die Geräte für eine Abtreibung durch Absaugen.
MISP ist eine Aktion des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). Unausgesprochene Hauptaufgabe des 1969 gegründeten UNFPA ist die Bevölkerungsreduzierung und daher die Förderung von Verhütung und Abtreibung. Der Bevölkerungsfonds ist die konkrete Umsetzung der Forderungen des 1968 „gegen die Überbevölkerung“ ins Leben gerufenen Club of Rome. Er vertreibt solche Pakete bereits seit den 90er Jahren in Zusammenarbeit mit anderen UNO-Organisationen wie dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR).
Frauen in Krisengebieten sind in erhöhtem Maße sexueller Gewalt ausgesetzt. Die UNO sieht ihre Priorität aber nicht in der Verhinderung und Bekämpfung der Gewalt, sondern in der Geburtenvermeidung durch Verhütung und Abtreibung. Statt Gewaltprävention wird auf diese Weise den Frauen doppelte Gewalt angetan und das ungeborene Kind getötet.
„Wir können Dienstleistungen, die Abtreibung zufügen oder fördern nicht als Lösung akzeptieren.“
Mit diesen Worten lehnte Erzbischof Ivan Jurkovic, der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Behörden der Vereinten Nationen in Genf und bei der Welthandelsorganisation die Resolution ab. Der Vatikandiplomat erinnerte an den absichtlich herbeigeführten Tod des ungeborenen Kindes und an die Risiken für die Mütter durch Abtreibung, gerade auch durch die im Paket angebotene Abtreibung durch Absaugen.
„Unsere Delegation distanziert sich daher von den Absätzen der Resolution, die MISP als Antwort auf die dramatischen Situationen fördern, denen so viele Frauen und Kinder in einem schwierigen humanitären Umfeld ausgesetzt sind.
Grundsätzliche Vorbehalte gegen UNO-Vokabular
Der Vatikandiplomat äußerte zudem grundsätzliche Vorbehalte gegen die vom ECOSOC gebrauchte Definition von „sexueller und reproduktiver Gesundheit“:
„Der Heilige Stuhl versteht Abtreibung, Zugang zur Abtreibung oder abtreibenden pharmazeutischen Mitteln nicht als Teil des Begriffs ‚sexuelle und reproduktive Gesundheit‘.“
Die Abtreibungslobby interpretiert diesen Begriff, der 1994/1995 in die Schlußdokumente der Weltbevölkerungskonferenz und der Weltfrauenkonferenz eingeführt wurde, als Synonym für Abtreibung, um die Tötung ungeborener Kinder durch die Hintertür in die Politik der internationalen Institutionen einzuführen. Ein Vorgehensweise, die mit Hilfe der US-Regierungen von Bill Clinton und Barack Obama und der EU auf UNO-Ebene weitgehend gelungen ist.
Erzbischof Jurkovic deponierte auch einen zentralen Vorbehalt gegen den Gebrauch des Wortes „Gender“. Der Begriff sei nur in direktem Zusammenhang mit dem biologischen Geschlecht zu gebrauchen, so der Vatikandiplomat, der seine Erklärung in die offiziellen Tagungsakten aufnehmen ließ. Mit seinen Präzisierungen trat Jurkovic der schleichenden Förderung einer Verhütungs- und Abtreibungsmentalität durch die UNO entgegen.
Widersprüchliche Vatikan-Aussagen rund um Nachhaltigkeitsgipfel 2015
Seine Präzisierungen waren auch deshalb besonders wichtig, weil derzeit im Vatikan ein Versuch im Gange ist, die katholische Kirche als letzte Bastion im Kampf gegen Abtreibung und für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder zu schleifen. Jurkovics Stellungnahme bereinigte auch mißverständliche Erklärungen, die 2015 durch den damaligen Vatikan-Vertreter Joseph Grech erfolgt waren.
Am 25. September 2015 beschloß die UNO beim „Nachhaltigkeitsgipfel“ die Ziele zur nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals), auch als Post-2015-Agenda oder Agenda 2030 bekannt. Sie enthalten die „globalen Ziele der UNO“ für den Zeitraum 2015–2030. „Mit Abtreibung die Welt retten“, kritisierten Lebensrechtler die UNO-Ziele im Vorfeld. Dennoch akzeptierte der Vatikan die Agenda 2030 vorbehaltlos. Die UNO hatte den Vatikan im Vorfeld wissen lassen, daß es nur ein „Alles oder nichts“ gebe. Eine Zustimmung der Kirche mit Vorbehalten werde nicht akzeptiert. Im Gegenzug wurde Papst Franziskus eingeladen, vor Beginn der Abstimmung über die Agenda 2030 als einziger Redner zu den Gipfelteilnehmern sprechen zu dürfen. Der Vatikan entschied sich für die Rede des Papstes und verzichtete auf Vorbehalte, obwohl die Agenda 2030 zweifelsfrei die weltweite Durchsetzung der Abtreibung zum UNO-Ziel erklärte.
Kardinal Robert Sarah kritisierte damals als „kategorisch falsch, daß die Kirche das Vokabular der UNO verwendet“. Bevor sich der Vatikan mit der UNO über den Nachhaltigkeitsgipfel „verständigte“, leistete der Vatikandiplomat, Erzbischof Silvano Maria Tomasi, damals Ständiger Beobachter des Heiligens Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf, noch heftigen Widerstand gegen die „getarnte“ tödliche Abtreibungsagenda. Im August 2015 lehnte er die Nachhaltigkeitsziele mit deutlichen Worten ab:
„Es ist, als wäre die UNO der Meinung, daß durch die Beseitigung der Personen auch die Probleme beseitigt würden.“
Unterschiedliche Stellungnahmen der Vatikan-Vertretungen in New York und Genf
Einen ganz anderen Kurs verfolgte damals bereits die Ständige Vertretung des Heiligen Stuhls bei der UNO in New York. Msgr. Joseph Grech, der den eigentlichen Vatikanbotschafter Msgr. Bernadito Auza vertrat, hatte am 22. Juni 2015 angekündigt, daß der Heilige Stuhl die Nachhaltigkeitsziele der UNO „wörtlich“ unterstütze. Er schob zwar kurz darauf einige Vorbehalte nach, dennoch zeichnete sich jene „Verständigung“ ab, die Papst Franziskus eine herausragende Stellung beim Nachhaltigkeitsgipfel einbrachte, die offenbar durch das Schweigen des Vatikans zur Abtreibungsagenda erkauft war. Papst Franziskus übte in seiner Rede im New Yorker Glaspalast der UNO keinerlei Kritik an den UNO-Zielen, sondern lobte sie als „ein wichtiges Hoffnungszeichen“ für die Welt und die Menschheit.
Um so wichtiger gelten nun die Erklärungen von Erzbischof Jurkovic, dem Nachfolger von Msgr. Tomasi. Es gibt das Gerücht, Msgr. Auza habe sich nicht zufällig im Juni 2015 von Msgr. Grech vertreten lassen. 2016, einige Monate nach dem Inkrafttreten der Agenda 2030 veröffentlichte er eine „klärende Note“, mit der er jeder Auslegung der Nachhaltigkeitsziele zugunsten von Verhütung, Abtreibung, Bevölkerungskontrolle und Gender-Ideologie eine Absage erteilte.
Das Durcheinander bei den Stellungnahmen rund um den Nachhaltigkeitsgipfel vom September 2015 und die Verabschiedung der Agenda 2030 deutet an, welches Ringen derzeit im Vatikan hinter den Kulissen im Gange ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/MiL (Screenshots)