(Rom) Papst Franziskus sandte heute eine Videobotschaft an die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) mit Sitz in Genf. Der Anlaß ist wenig spektakulär, nämlich die 109. Sitzung der IAO, doch spektakulärer ist, was Papst Franziskus mitzuteilen hatte.
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO, engl. International Labour Organization, ILO) ist eine Sonderorganisation der UNO, war aber bereits eine ständige Einrichtung des Völkerbundes. Ihre Gründung erfolgte im April 1919 als Teil der Pariser Friedenskonferenzen nach dem Ersten Weltkrieg und wurde erstaunlicherweise im Versailler Vertrag festgeschrieben, der als Diktatfrieden dem Deutschen Reich auferlegt wurde. Die Anregung ging auf eine Forderung des sozialistisch dominierten Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) zurück, der sie von der damals nicht mehr existierenden sozialistischen Zweiten Internationale übernommen hatte.
Der IAO gehören 186 von 193 Staaten an und damit faktisch die Gesamtheit der UNO-Mitgliedsländer. Sie tritt einmal jährlich, wie derzeit, in Genf zusammen. Dabei ist jedes Mitgliedsland durch vier Delegierte vertreten: zwei Regierungsvertreter, einen Arbeitnehmer- und einen Arbeitgebervertreter. Hauptaufgabe ist die Weiterentwicklung internationaler Arbeitsstandards durch Zusammenarbeit von Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Sie spielt daher beim Internationalen Arbeitsrecht eine führende Rolle. 1998 wurde von ihr die sogenannte „Kernarbeitsnorm“ veröffentlicht, die Sozialstandards definiert, die menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantieren sollen. 1969 wurde der IAO der Friedensnobelpreis u. a. für die Verbesserung der Brüderlichkeit und des Friedens zwischen den Staaten verliehen. Sie ist Mitglied der Entwicklungsgruppe der Vereinten Nationen (UNDG), einer „Koalition von UN-Organisationen zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (UNO-Agenda 2015–2030).
Seit 2012 ist der Brite Guy Ryder Generaldirektor der IAO. Ihn sprach Papst Franziskus in seiner Videobotschaft persönlich an. Ryder studierte Sozial- und Politikwissenschaften in Cambridge. Seine berufliche Karriere begann er in der internationalen Abteilung des britischen Gewerkschaftsdachverbandes Trades Union Congress (TUC), aus dem die Labour Partei hervorging. Im Alter von 29 Jahren war er erstmals beruflich in Genf tätig. Seit 1988 wechselte er mehrfach zwischen dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (ICTU) und der ILO und stieg jeweils eine Stufe die Karriereleiter nach oben. 2017 wurde Ryder für eine zweite Amtszeit als ILO-Generaldirektor bestätigt.
In seiner heutigen Videobotschaft an Ryder und die Teilnehmer der ILO-Jahresversammlung betonte Papst Franziskus, daß die universelle Bestimmung von Waren wichtiger sei als die Achtung des Privateigentums. Wörtlich sagte das Kirchenoberhaupt in seiner auf spanisch gehaltenen Botschaft:
„Neben dem Recht auf Privateigentum gibt es immer den Vorrang und den Präzedenzfall der Unterordnung allen Privateigentums unter die universelle Bestimmung der Güter der Erde und daher das Recht aller, es zu nutzen. (…) Manchmal vergessen wir, wenn wir von Privateigentum sprechen, daß es ein sekundäres Recht ist, das von diesem primären Recht abhängt, dem der universellen Bestimmung der Güter.“
Die Internetseite des Heiligen Stuhls gibt die Stelle wie folgt wieder:
„ ‚Immer gibt es neben dem Recht auf Privateigentum das vorrangige und vorausgehende Recht der Unterordnung allen Privatbesitzes unter die allgemeine Bestimmung der Güter der Erde und daher das allgemeine Anrecht auf seinen Gebrauch‘ (Fratelli tutti, 123). Manchmal vergessen wir, wenn wir von Privateigentum sprechen, daß es ein sekundäres Recht ist, das von diesem primären Recht abhängt, dem der universellen Bestimmung der Güter.“
Es kann also kein Zweifel daran bestehen, daß Papst Franziskus erneut das Privateigentum in Frage stellte, wie er es bereits in seiner Enzyklika Fratelli tutti zu Papier brachte, die von ihm am 3. Oktober 2020 am Grab des heiligen Franz von Assisi unterzeichnet wurde.
Wer aber hat das Recht, zu bestimmen, wann das Privateigentum zugunsten des Allgemeinwohls enteignet werden kann? Wer das Recht, das Ausmaß der Enteignung zu bestimmen? Und wer das Recht, zur Enteignung zu schreiten?
Die sozialistischen Sympathien von Papst Franziskus sind bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, daß diese Aussage in seiner Enzyklika und ihre Wiederholung heute mit den Forderungen nach einem Great Reset zusammenfallen, der die Idee mit einschließt, das Privateigentum abzuschaffen. The Great Reset wurde erstmals am 15. Mai 2020 in einem Artikel des Weltwirtschaftsforums erwähnt, in dem gesagt wurde, Covid-19 sei die „Chance“, die Welt „zurückzusetzen und neu zu gestalten“. The Great Reset war kurz darauf der Titel einer Konferenz, zum „nachhaltigen Wiederaufbau von Gesellschaft und Wirtschaft nach der Covid-19-Pandemie“, zu der Prinz Charles und das Weltwirtschaftsforum am 3. Juni 2020 geladen hatten. Zentrale Komponente des Post-Covid-Wiederaufbaus sollen Maßnahmen gegen den Klimawandel sein. Im Juli 2020 legte Klaus Schwab, der Gründer und Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Details zur Idee in Buchform vor. Es gehe um die „vierte industrielle Revolution“, in der die Grenzen zwischen „physischer, digitaler und biologischer Sphäre“ verschwimmen würden. Zentrale Stichworte dazu lauten: künstliche Intelligenz, Robotik, selbstfahrende Fahrzeuge usw.
Vielleicht ein Zufall, vielleicht auch nicht.
Text: Giuseppe Nardi
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