(Santiago de Chile) Die Theologen proben den Aufstand: Der Fakultätsrat der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile antwortete Papst Franziskus auf sein Schreiben an die Kirche in Chile. Eine Antwort, die „mir gar nicht gefällt“, so der spanische, katholische Kolumnist Francisco Fernandez de la Cigoña. „Und daß es sich um die Universität handelt, an die zahlreiche chilenische Bischöfe ihre Priester schicken, besorgt noch mehr.“
Im Zuge der Aufarbeitung des sexuellen Mißbrauchsskandals des Ex-Priesters Fernando Karadima veröffentlichte Papst Franziskus am 31. Mai ein längeres Schreiben an die Kirche von Chile. Was dazu dienen sollte, die Einheit der Ortskirche und das Vertrauen der Chilenen in die Kirche wiederherzustellen, wurde von der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile genützt, eine neue Front zu eröffnen.
Die 1888 gegründete Universität wurde 1930 von Papst Pius XI. als Päpstliche Universität und 1931 staatlich anerkannt. Sie zählt fast 30.000 Studenten und einen rund 3500köpfigen Lehrkörper. Großkanzler ist der jeweilige Erzbischof von Santiago de Chile. Mit 18 Fakultäten an vier Standorten handelt es sich um eine Volluniversität. Die Theologische Fakultät macht nur einen kleinen Teil der Gesamtuniversität aus.
Mit einem ebenso ausführlichen Schreiben wandte sich der Fakultätsrat der Theologischen Fakultät an den Papst. Unterzeichnet ist das Schreiben von Dekan Prof. Dr. Joaquín Silva, Vize-Dekan Prof. Dr. Guillermo Rosas, Sekretär Prof. Dr. Fernando Berríos und den Vertretern des Lehrkörpers Prof. Dr. Samuel Fernández, Prof. Dr. Claudia Leal, Prof. Dr. Juan Francisco Pinilla, Prof. Dr. Fernando Verdugo sowie dem Studentenvertreter im Fakultätsrat Diego Theza und dem Vertreter der Doktoranden Lic. Javier Barrera. Es wurde am 8. Juni von Dekan Silva dem Apostolischen Nuntius in Chile übermittelt.
Der Fakultätsrat beruft sich auf die Stelle im Papstschreiben, in der Franziskus alle einlädt,
„eine theologische Reflexion zu fördern, die in der Lage ist, im Heute zu bestehen, und einen reifen, erwachsenen Glauben zu fördern, der mit seinem Suchen und seinen Fragen den vitalen Humus des Gottesvolkes aufnimmt.“
Die Fakultätsvertreter schreiben dazu:
„In Wirklichkeit ist Ihre Einladung eine Provokation. Sie veranlaßt uns, eine Theologie im Dienst des Gottesvolkes und im Dialog mit seinen Sehnsüchten und Hoffnungen zu entwickeln, die imstande ist, das Fühlen des Glaubens zu empfangen und zu interpretieren, das ihm der Geist des Herrn geschenkt hat.“
Es folgt ein eigentümliches Mea culpa: Von den „Theologen und Theologinnen“ werde eine „tiefe Umkehr“ verlangt.
„Wir bekennen mit Demut, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein und eine selbstbezogene Theologie zu betreiben.“
„In diesem Sinne haben wir uns eingeladen gefühlt, unsere theologischen Ausbildungsprogramme kritisch zu überdenken, um sie an die Herausforderungen unserer Kultur anzupassen.“
„Ihre provokante Einladung, Heiliger Vater, wollen wir uns in Wahrheit und Verantwortung zu eigen machen.“
Dann nennen die Fakultätsräte „konkrete Situationen, in denen wir nicht auf der Höhe des Dienstes sind, den wir für die Kirche und die Gesellschaft leisten wollen.“
1.
„In unserer Ortskirche erleben wir nicht die klare Wertschätzung des theologischen Dienstes als eines von dem kirchlichen Lehramt verschiedenen Dienstes. Fälschlich erwartet man von der Theologie, ein Resonanzkasten des Lehramtes zu sein, daß wir Theologen und Theologinnen Sprecher des Episkopats sind, daß unsere akademische Aufgabe darin besteht, die lehramtlichen Aussagen zu rechtfertigen. Diese falschen Erwartungen haben die Theologie sehr geschwächt.“
Das Lehramt habe die „Freiheit der theologischen Forschung und die legitime Autonomie“ anzuerkennen, die der Theologie in der Kirche zukomme.
2.
Der Fakultätsrat beklagt, daß „wir Theologen und Theologinnen“ wegen dieser Verwirrung und Mißachtung des speziellen Stellenwertes der theologischen Forschung „in unserer Kirche Machtmißbrauch erlitten haben“. Es gebe eine „lange Liste von Theologen und Theologinnen in Chile, in Lateinamerika und in der Welt, „die mehr aus ideologischen als theologischen Gründen eingeschränkt und von der Ausübung der Theologie ausgeschlossen wurden“, weil sie „danach gefragt haben, ob Dinge anders gedacht werden könnten“, weil sie „nach neuen Möglichkeiten gesucht haben, um die Offenbarung Gottes in Christus zu verstehen“.
„Wir haben mit Hoffnung gesehen, daß in den Jahren Ihres Pontifikats die Prozesse gegen Theologen zurückgegangen, ja fast verschwunden sind.“
„In unserem Land gibt es Kollegen, denen die akademische Beförderung oder die Lehrerlaubnis vorenthalten wird aus Gründen, die nichts mit ihrer akademisch-theologischen Arbeit zu tun haben.“
In Chile herrsche in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß die Theologie anders als alle anderen Disziplinen sei, weil es ihr „an Lehrfreiheit“ fehle, da diese „wegen dem Verhältnis der Theologie zum kirchlichen Lehramt eingeschränkt“ sei. Damit „kann sie nicht frei und kritisch am sozialen Dialog teilnehmen“. Die Theologie „verlangt eine kritische und prophetische Haltung, doch unglücklicherweise, wurde diese Haltung nicht selten mit Verrat an der Kirche und der Heilsbotschaft verwechselt, die uns anvertraut wurde.“
3.
Der Fakultätsrat verweist darauf, daß an der Fakultät „Professoren tätig sind, die der von Fernando Karadima angeführten Priesterbruderschaft angehören“. Diese Professoren seien „Opfer des Mißbrauchs des Gewissens und der Autorität durch den Priester Karadima geworden und haben unter den Schäden und Folgen gelitten, die dieser Mißbrauch provozieren kann.“ Der Fakultätsrat verteidigt ihre Fakultätszugehörigkeit. Offenbar hat die Emeritierung des Karadima-Zöglings Barros, die im Schreiben nicht erwähnt wird, für Aufregung gesorgt. Medien haben bereits die Emeritierung auch aller anderen Bischöfe ankündigt, die Karadima-Zöglinge sind.
„Wir denken, daß die Zukunft der kirchlichen Gemeinschaft nicht auf Groll oder eine illusorische religiöse oder moralische Überlegenheit einiger weniger errichtet werden kann, sondern auf Wahrheit und Barmherzigkeit, derer wir alle bedürfen.“
4.
Schließlich beklagt der Fakultätsrat, daß der Dekan einer kirchlichen Fakultät durch die römische Kongregation für das Katholische Bildungswesen ernannt oder zumindest bestätigt werden muß.
„Wir sind der Meinung, daß das kein Zeichen des Vertrauens in die theologische Gemeinschaft ist, ebensowenig ein Zeichen der Gemeinschaft oder der Synodalität, sondern einfach nur der Versuch einer Ausübung von Herrschaft und Kontrolle.“
5.
Zuletzt spricht der Fakultätsrat von einem „starken pneumatologischen Akzent“ im päpstlichen Schreiben, den „wir vertiefen wollen“.
„Tatsächlich lebt die Kirche durch die Gnade des Heiligen Geistes, wie der große Theologe Yves Congar oft lehrte. Gemäß dem Glauben, den wir bekennen, glauben wir an die Kirche, weil wir glauben, daß der Heilige Geist in ihr wirkt.“
„Wie Sie hingewiesen haben, zielen die theologischen Studien nicht nur auf die Ausbildung der Priester, der Gottgeweihten und der Laien, sondern ‚bilden eine kulturelle Werkstatt der Vorsehung‘ […] Wir wollen, daß unsere Fakultät zusammen mit vielen anderen auf der ganzen Welt wirklichen, offenen Raum für den Dialog, die Lehre, die Forschung, die Unterscheidung der Aktion des Geistes haben.“
Franziskus bestätigte den Erhalt und lobte den Fakultätsrat
Franziskus bestätigte am 18. Juni persönlich und schriftlich dem Dekan der Theologischen Fakultät den Eingang des Fakultätsschreibens. Der Inhalt dieser Bestätigung sei „besonders besorgniserregend“, so Francisco Fernandez de la Cigoña.
„Ich danke Ihnen für die Arbeit, die Sie geleistet haben, und den reichen und ernsten Beitrag, den Sie mir vorlegen. Möge der Herr Ihre Großzügigkeit belohnen. Mit der Gruppe der Mitarbeiter haben wir bereits ein Treffen geplant, um ihn zu studieren.
Ich bitte Sie, meine Grüße zu übermitteln und allen zu danken, die diesen Beitrag erarbeitet haben.
Ich bete für Sie. Bitte, tun Sie es auch für mich. Möge Jesus Sie segnen und die Heilige Jungfrau Sie behüten.
Brüderlich
Franziskus“
Der Fakultätsrat fordert mit seinen fünf Forderungen im Namen einer abstrakten Lehrfreiheit nichts weniger als „Freiheit und Autonomie“, sogar gegen das kirchliche Lehramt Stellung zu nehmen. Die theologische Lehrfreiheit wird im Schreiben über die kirchliche Doktrin gestellt. Trotz dieser „besorgniserregenden“ Forderungen, übermittelte der Papst mit erstaunlicher Eile eine Empfangsbestätigung. Mehr noch: Franziskus dankte dem Fakultätsrat überschwenglich, lobte das Papier ausdrücklich und kündigte eine konkrete Besprechung der Anliegen mit seinen Mitarbeitern an.
Nichts dergleichen haben glaubenstreue Unterzeichner verschiedener Petitionen und Schreiben erhalten, die sich mit ihren Fragen, Bitten und Bedenken an den Papst wandten. Selbst die vier Kardinäle, die Dubia zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetita vorlegten, erhielten keine Empfangsbestätigung, geschweige denn wurden sie von Franziskus in Audienz empfangen, obwohl sie mehrfach darum baten.
Inzwischen läßt sich erahnen, warum der Papst nicht einmal den Empfang der Dubia bestätigte. Vergangene Woche behauptete er gegenüber Reuters wahrheitswidrig, erst „aus den Zeitungen“ von den Dubia erfahren zu haben.
Der Fakultätsrat nennt Jesus Christus zwar „Herr und Meister“ und suggeriert mit verschiedenen Formulierungen eine Treue. Doch Treue wozu? Im Text fehlen die entsprechenden, traditionellen Formulierungen, die Klarheit schaffen würden. Die Theologen kritisieren vielmehr die Autorität der Kirche und verlangen von dieser befreit zu werden. Damit fordern sie für sich eine autonome Autorität, die völlig losgelöst von der Kirche existieren und ihnen eine institutionalisierte Sonderstellung in der Kirche einräumen soll, für die aber weder kirchliche Doktrin noch kirchliche Ordnung zu gelten haben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: PUC/Wikicommons/Facebook (Screenshots)
„Aufstand“ ist gut, wenn man Papst, Hierarchie und Mainstream auf seiner Seite hat. Es dürfte sich vielmehr um so etwas wie eine „konzertierte Aktion“ handeln – ein weiterer Schritt zur Herstellung von Normativität des Faktischen.