(Madrid) Die „Brüderlichkeit“ aller Menschen ist das Bekenntnis, das Papst Franziskus mit seiner jüngsten Enzyklika „Fratelli tutti“ am 3. Oktober ablegte. Dazu verwendet er ein Zitat des heiligen Franz von Assisi, dessen Autorität er damit in Anspruch nimmt, aber dessen Worte er eigenmächtig uminterpretiert. Der Heilige wandte sich mit „fratelli tutti“ an seine Brüder. Das christliche Verständnis von Brüderlichkeit meint, daß die Getauften im Namen Jesu Christi Brüder sind. Papst Franziskus erweitert die „Brüderlichkeit“ hingegen zur universellen „fraternité“ der Französischen Revolution, wie sie von der Freimaurerei im 18. Jahrhundert proklamiert wurde. So dauerte es auch nur zwei Tage, bis sich nach der Vorstellung der Enzyklika die Logenbrüder zu Wort meldeten.
Die Großloge von Spanien/Spanischer Großorient betont in einer am 5. Oktober veröffentlichten Stellungnahme, daß sich die neue Enzyklika von Papst Franziskus „die universelle Brüderlichkeit, das große Prinzip der modernen Freimaurerei“ zu eigen mache. Diese freimaurerische „Brüderlichkeit“ sieht die Großloge in der neuen Enzyklika verkündet. Darin zeige sich, so die Logenbrüder, „wie weit die gegenwärtige katholische Kirche von ihren früheren Positionen entfernt ist“.
Die Großloge von Spanien ist die größte Freimaurerobödienz Spaniens und gehört zur „regulären“ Freimaurerei, die der Vereinigten Großloge von England untersteht. 2001 vereinigte sie sich mit dem Spanischen Großorient, der damit auch „regulär“ wurde.
In Spanien entstand die erste Freimaurerloge 1728 von England aus. Legalisiert wurde die Freimaurerei 1868. Ihre Blüte erlebte sie in der Zwischenkriegszeit, als Spanien zur Republik wurde und Linksregierungen an die Macht gelangten. Im Bürgerkrieg unterstützte sie die Volksfront aus Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten und Linksliberalen. 1937 wurde sie von Francisco Franco nach seinem Sieg verboten und überlebte in Lateinamerika, besonders in Mexiko. Während des Krieges arbeitete sie im Kampf gegen den Nationalsozialismus mit den USA zusammen. Ein Gerichtsurteil erzwang 1979 die Anerkennung der Freimaurerei durch den Staat.
Wörtlich heißt es in der Stellungnahme der Großloge von Spanien/Spanischer Großorient:
„Vor 300 Jahren wurde die moderne Freimaurerei ins Leben gerufen. Das große Prinzip dieser Initiationsschule hat sich in drei Jahrhunderten nicht geändert: der Aufbau einer universellen Brüderlichkeit, in der sich die Menschen gegenseitig Brüder nennen, unabhängig von ihren spezifischen Glaubensbekenntnissen, ihren Ideologien, ihrer Hautfarbe, ihrer sozialen Stellung. ihrer Sprache, ihrer Kultur oder ihrer Nationalität. Dieser brüderliche Traum kollidierte mit dem religiösen Fundamentalismus, der im Fall der katholischen Kirche zu harten Texten führte, mit denen die Toleranz der Freimaurerei im 19. Jahrhundert verurteilt wurde. Die jüngste Enzyklika von Papst Franziskus zeigt, wie weit die derzeitige katholische Kirche von ihren früheren Positionen entfernt ist. In ‚Fratelli tutti‘ begrüßt der Papst die universelle Brüderlichkeit, das große Prinzip der modernen Freimaurerei.
Für den Aufbau dieser universellen Brüderlichkeit plädiert der Papst dafür, dem Horizont der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu folgen, die noch ‚nicht ausreichend global‘ sind.“
Die Großloge beklagt und sekundiert zugleich, was auch Papst Franziskus beklagt, nämlich daß die digitale Welt, „geschlossene Kreisläufe von Menschen begünstigt, die gleich denken, und die Verbreitung von Fake News erleichtert, die Vorurteile und Haß fördern.“
Die Freimaurer zitieren beipflichtend Franziskus, der schreibt: „Wir müssen zugeben, dass von solchem Fanatismus, der zur Zerstörung anderer führen kann, auch religiöse Menschen – Christen nicht ausgeschlossen – befallen sind, die »über das Internet und die verschiedenen Foren und Räume des digitalen Austausches Teil von Netzwerken verbaler Gewalt werden [können]. Sogar in katholischen Medien können die Grenzen überschritten werden; oft bürgern sich Verleumdung und üble Nachrede ein, und jegliche Ethik und jeglicher Respekt vor dem Ansehen anderer scheinen außen vor zu bleiben.“ (Fratelli tutti, 46).
Die Freimaurerei attestiert Papst Franziskus, daß die Kirche mit seiner Enzyklika Fratelli tutti mit dreihundertjähriger Verspätung ein Hauptprinzip der Freimaurerei übernehme. Das bedeute auch das Eingeständnis, daß sich die Kirche bisher geirrt habe, weshalb auch ihre Verurteilungen der Freimaurerei ein Irrtum waren.
Zugleich klagen die Logenbrüder zusammen mit Franziskus die Christen und auch die Katholiken an, Fanatismus zu schüren, weshalb es von der Kirche eine Distanzierung und dessen Bekämpfung brauche. Sie sagen damit, daß die Anerkennung der freimaurerischen „Brüderlichkeit“ nur ein erster Schritt sein könne, denen weitere folgen müßten. Die Kirche müsse dieses neue Verständnis von „Brüderlichkeit“, mit dem sie ihr altes, falsches (christliches) Verständnis von Brüderlichkeit ersetzt, auch konsequent umsetzen, indem sie bestimmte, mit dem Zeitgeist nicht vereinbare Positionen aufgibt und jene in der Kirche bekämpft, die an den alten, überlieferten Vorstellungen festhalten.
Damit bestätigt sich, was sich seit 2013 zeigt, daß die Freimaurerei das Pontifikat von Papst Franziskus mit großem Wohlwollen betrachtet.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana/gle.sp (Screenshot)