Der jüngste Apostolische Besuch von Papst Leo XIV. in der Türkei und im Libanon hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Doch kein Moment dieses Reiseprogramms wurde so intensiv kommentiert wie der stille Aufenthalt des Heiligen Vaters am 29. November in der Blauen Moschee von Istanbul. Während die vatikanische Pressestelle noch am selben Tag von einer „in Stille, im Geist der Sammlung und des Hörens, mit tiefem Respekt für den Ort und den Glauben der dort Betenden“ vollzogenen Visite sprach, entwickelten sich in den Medien rasch Spekulationen darüber, warum der Pontifex nicht sichtbar gebetet habe, wie dies einige seiner Vorgänger getan hatten – und was das bedeute.
„Wer hat gesagt, daß ich nicht gebetet habe?“
Zwei Päpste hatten vor Leo XIV. bereits die Sultan-Ahmed-Moschee im einstigen Konstantinopel besucht, besser bekannt als Blaue Moschee: Benedikt XVI. im Jahr 2006 und Franziskus im Jahr 2014. Beide nahmen dort eine Haltung des sichtbaren bzw. zumindest offensichtlichen inneren Gebetes ein, also ein Innehalten zum stillen Gebet. Dies wurde allgemein als „Zeichen des Respekts“ interpretiert und als „symbolischer Akt des Dialogs“ gegenüber der muslimischen Glaubensgemeinschaft. Innerkirchlich war der Gestus aber keineswegs unumstritten.
Bei Benedikt XVI. wurde dieses Zeichen in einen ausgleichenden Zusammenhang mit seiner berühmten Regensburger Rede gebracht, die teils scharf kritisiert wurde. Anderthalb Monate nach Regensburg besuchte Benedikt im Zuge seiner Türkei-Reise auch die Blaue Moschee. Während der Mufti dort sprach, schloß Benedikt die Augen, was als wohlwollende Geste gedeutet wurde, wenngleich der Papst dies selbst nie bestätigte. Vatikansprecher Federivo Lombardi sprach später von einer „Meditation“, zu der sich das Kirchenoberhaupt gesammelt habe.
Bei Franziskus war von einem Zeichen der interreligiösen Offenheit und des Dialogs die Rede. Franziskus verharrte mit dem Großmufti Rahmi Yaran einige Minuten mit gesenktem Kopf, geschlossenen Augen und gefalteten Händen, während der Mufti ein muslimisches Gebet sprach. Der Vatikan erklärte dazu, Franziskus habe einen „Moment der stillen Anbetung“ vor Gott gehalten, aber nicht ein muslimisches Gebet. Es sei eine geste des „gegenseitigen Respekts gewesen“, aber nicht eine Übernahme islamischer Gebetspraxis, sondern eine „interreligiöse Geste“.
Moscheebesuche von Päpsten, ein Phänomen des dritten Jahrtausends
Insgesamt haben Moscheebesuche von Päpsten noch keine lange Tradition. Zwei ganze christliche Jahrtausende blieben gämzlich unberührt davon. Erst im Jahr 2001 setzte erstmals ein Papst seinen Fuß in eine Moschee, die im Gegensatz zu einer katholischen oder orthodoxen Kirche keine Kultstätte ist, sondern eine Gebetshalle. Der Unterschied ist von großer Bedeutung.
Erst Johannes Paul II. setzte den ersten Schritt, indem er 2001 die Umayyaden-Moschee in Damaskus aufsuchte, während er 1985 zwar Istanbul besucht, aber weder die Blaue Moschee noch irgendeine andere Moschee betreten hatte. Moscheebesuche der Päpste, seither von jedem zumindest einmal wiederholt, sind ein Phänomen des dritten Jahrtausends.
Im Gegensatz zu seinen beiden direkten Vorgängern nahm Leo XIV. bei seinem Besuch der Blauen Moschee keine äußerlich erkennbare Gebetshaltung an. Das sorgte für Aufsehen, und die Medienberichterstattung konzentrierte sich darauf.
Die Fragen von Castel Gandolfo
Leo XIV. hält den Dienstag frei von offiziellen Terminen und zieht sich an diesem Tag gerne nach Castel Gandolfo zurück. So tat er es auch gestern. Wenn er abends die päpstliche Sommerresidenz verläßt, um nach Rom zurückzukehren, erwarten ihn zahlreiche Journalisten, denen er nicht immer, aber meistens einige Fragen beantwortet. Gestern wurde er darauf angesprochen, warum er in der Blauen Moschee nicht gebetet habe. Seine Antwort fiel knapp und nüchtern aus:
„Wer hat gesagt, daß ich nicht gebetet habe? Man hat behauptet, ich hätte nicht gebetet, aber darauf habe ich bereits im Flugzeug geantwortet. Ich erwähnte ein Buch: ‘Die Praxis der Gegenwart Gottes’ von Bruder Lorenzo). Vielleicht bete ich sogar in diesem Moment.“
Nach einer kurzen Pause fügte er, fast beiläufig, aber mit spürbarer Entschiedenheit, hinzu:
„Ich bete am liebsten in einer katholischen Kirche – vor dem Allerheiligsten Sakrament.“
Mit dieser Bemerkung setzte der Papst einen deutlichen Akzent und machte eine wichtige Klarstellung: die Primatstellung der eucharistischen Anbetung. Respekt gegenüber anderen Religionen bedeutet nicht, die eigene zu relativieren oder eine andere inhaltlich anzuerkennen oder sich gar zu eigen zu machen. Der Unterschied liegt auch zwischen Gebet und Kultus, worauf Leo XIV. durch seinen Hinweis auf das Altarsakrament und damit die reale Gegenwart Gottes in einer Kirche hinwies. Keine andere Religion kennt dergleichen. Diese Realpräsenz unterscheidet auch ein Gotteshaus von einem bloßen Gebetsort von Juden und Moslems oder auch, wenn auch nuanciert anders, zahlreicher protestantischer Denominationen.
In der Tat hatte Leo XIV. auf dem Rückflug von Beirut bereits in anderem Zusammenhang auf das Buch von Bruder Lorenz verwiesen. Wörtlich sagte er:
„Alles liegt in Gottes Hand. Und daran glaube ich fest. Einer von Ihnen – es ist ein deutscher Journalist hier, der neulich zu mir sagte: Nennen Sie mir ein Buch, abgesehen von Augustinus, das wir lesen könnten, um zu verstehen, wer Prevost ist. Mir sind mehrere eingefallen, aber eines davon ist ein Buch mit dem Titel ‘Die Übung, in Gottes Gegenwart zu sein’. Es ist ein sehr einfaches Buch, geschrieben von jemandem, der nicht einmal seinen Nachnamen angibt, Bruder Lorenz. Ich habe es vor vielen Jahren gelesen.“
Gemeint ist Frère Laurent de la Résurrection, ein unbeschuhter Karmelit, der 1614 als Nicolas Herman in Welschlothringen geboren wurde. Im Alter von 26 Jahren trat er als Laienbruder in den Karmelitenorden ein. Im Pariser Karmel lebte er, meist mit der Aufgabe als Koch, bis zu seinem Tod 1691. Das vom Papst genannte Buch ist eine Sammlung von Briefen, geistlichen Anweisungen und Gesprächen, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Sie lehren eine schlichte, radikale und zutiefst katholische Haltung:
- Gott ist gegenwärtig, auch im Lärm des Alltags.
- Das Herz kann beten, selbst wenn die Lippen schweigen.
- Das innere Gebet ist nicht ortsgebunden, sondern eine Haltung beständiger Hinwendung zu Gott.
Auf diese karmelitische Spiritualität spielte Leo XIV. offenbar an, wonach Gebet nicht nur ein äußerer Akt ist, einfangbar für die Kameras, sondern der stille Aufstieg des Herzens zu Gott.
Leo XIV. beließ es gestern in seiner Antwort aber nicht bei dieser Innerlichkeit. Seine Aussage, er bete „am liebsten vor dem Allerheiligsten“, macht klar, daß die Eucharistie der unvergleichliche Mittelpunkt des katholischen Gebetes ist – auch für den Papst, und gerade in Abgrenzung zu interreligiösen Gesten.
Die „Kuriosität“ der öffentlichen Diskussion
Der eine Aspekt ist das Gebet, also die inhaltliche Frage, wenn es um Religionen geht, ein anderer Aspekt ist der Umgang zwischen den Religionen und das Zusammenleben der Menschen. Diesbezüglich ließ Leo XIV. im Libanon keinen Zweifel, den Kurs seiner Vorgänger fortsetzen zu wollen. Auf dem Rückflug aus Beirut sagte er zum Beispiel, demnächst nach Algerien reisen zu wollen, um die Wirkungsorte des heiligen Augustinus zu besuchen, aber auch „um den Dialog fortzusetzen und Brücken zwischen der christlichen und der muslimischen Welt zu bauen“. „Die Figur des heiligen Augustinus ist dabei sehr hilfreich, da er in Algerien als Sohn des Vaterlandes sehr respektiert wird.“ Zudem sagte Leo XIV. am 2. Dezember im Flugzeug: „Einer der Werte dieser Reise besteht gerade darin, die Welt darauf aufmerksam zu machen, dass Dialog und Freundschaft zwischen Muslimen und Christen möglich sind. Ich denke, eine der großen Lektionen, die der Libanon der Welt erteilen kann, besteht gerade darin, ein Land zu zeigen, in dem sowohl der Islam als auch das Christentum präsent sind und respektiert werden und in dem es möglich ist, zusammenzuleben und Freunde zu sein.“ Sie sagte er auch als Mahnung in Richtung Europa und den USA, wo es „Ängste“ geben, die jedoch überwunden werden sollten.
Während Leo XIV. also in theologischen und religiösen Fragen deutliche Präzisierungen vornahm, ließ er zugleich im Rahmen seiner Nahost-Reise erkennen, daß er in der Migrationspolitik grundsätzlich an der Linie seines Vorgängers festhält, wenn auch in abgeschwächter Form. Es scheint für ihn selbstverständlich und akzeptabel, daß die aus Migration entstehenden gesellschaftlichen Veränderungen ein zukünftiges Europa prägen werden, einem Europa, in dem Christen und Muslime gemeinsam leben. Dieses Miteinander beschreibt er als eine Aufgabe, der sich Europa stellen müsse – beinahe wie einem Prüfstein, dessen Bestehen für Christen als notwendig erachtet wird. Migration und ihre Bewältigung erscheinen dabei in seinen Ausführungen als ein übergeordnetes, beinahe geschichtslenkendes Gut im Entwicklungsprozeß der Menschheit. Ist dem aber so?
Gestern jedoch bezeichnete Leo XIV. die Debatte über seine Haltung beim Moschee-Besuch als „kurios“. In der Tat ist ein Papst natürlich weder verpflichtet, sichtbar zu beten, noch hat ein solches Gebet in einem Gebäude einer nichtchristlichen Religion irgendeine liturgische oder doktrinäre Bedeutung.
Zumindest die gestrige Präzisierung zur religiösen Ebene ließe sich in der Botschaft zusammenfassen:
Respekt ja – religiöse Unschärfe nein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews/Youtube (Screenshot)

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