Papst Franziskus im „Tunnel der Freundschaft“

"Alle Religionen sind gleich"?


Die Schockbotschaft von Papst Franziskus bei seiner Asien-Reise: "Die Religionen sind alle gleich". Wenn aber "alle Religionen gleich sind", bedeutet das...?
Die Schockbotschaft von Papst Franziskus bei seiner Asien-Reise: "Die Religionen sind alle gleich". Wenn aber "alle Religionen gleich sind", bedeutet das...?

Von Vigi­li­us*

Anzei­ge

Papst Fran­zis­kus war bei sei­ner Süd­ost­asi­en­rei­se ganz in sei­nem Ele­ment. Denn er konn­te sich dort erneut eif­rig für den „inter­re­li­giö­sen Dia­log“ enga­gie­ren. Liest man die mitt­ler­wei­le ver­öf­fent­lich­ten Anspra­chen des Pap­stes, genießt die­ser Dia­log einen nach­ge­ra­de sakra­len Erha­ben­heits­sta­tus, der sich aus beein­drucken­den mora­li­schen Prä­di­ka­tio­nen speist. Denn der beab­sich­tig­te Dia­log zielt in sei­nem Wesen auf Ein­heit, Geschwi­ster­lich­keit, Har­mo­nie und Ein­klang. Zen­tral ist beim berg­o­glia­ni­schen Dia­log­be­griff das „Auf­spü­ren des Ver­bin­den­den“, also all des­sen, was uns zuein­an­der­führt, indem es uns das in Wahr­heit immer schon Iden­ti­sche ent­decken lässt – wie es eben der unter­ir­di­sche „Tun­nel der Freund­schaft“ zwi­schen der Isti­ql­al-Moschee und der Mariä-Him­mel­fahrts-Kathe­dra­le in Jakar­ta symbolisiert.

Mit der Erfah­rung der Gemein­sam­keit im Gemein­sa­men ist der berg­o­glia­ni­sche Dia­log­be­griff aber noch nicht zurei­chend bestimmt. Nicht nur in expli­zit inter­re­li­giö­sen, son­dern in über­haupt allen Zusam­men­hän­gen ver­steht Fran­zis­kus den dia-logos wei­ter­ge­hend als eine stuhl­kreis­ar­ti­ge Begeg­nung im Sin­ne des urteils­frei­en Neben­ein­an­der­le­gens von Sicht­wei­sen und Emp­fin­dun­gen, von dem, was jedem per­sön­lich wich­tig ist. Das kann sich fun­da­men­tal unter­schei­den, aber die Dif­fe­renz spielt kei­ne Rol­le. Denn es geht vor­ran­gig dar­um, „zusam­men zu leben, uns unter die ande­ren zu mischen, ein­an­der zu begeg­nen, uns in den Armen zu hal­ten, uns anzu­leh­nen, teil­zu­ha­ben an die­ser etwas chao­ti­schen Men­ge, die sich in eine wah­re Erfah­rung von Brü­der­lich­keit ver­wan­deln kann“ (Evan­ge­lii Gau­di­um, 87).

Es droht hier aller­dings die Gefahr einer Trü­bung des Hoch­ge­fühls. Hat sich näm­lich die durch die päpst­li­che Har­mo­nie­leh­re erzeug­te mora­li­sche Erhe­bung des Gemü­tes ein wenig abge­schwächt und darf ein Gedan­ke sich wie­der regen, könn­te bei dem einen oder ande­ren zum Bei­spiel durch Erin­ne­rung an den eige­nen Grie­chisch­un­ter­richt die Fra­ge auf­tau­chen, ob denn „Dia­log“ klas­si­scher­wei­se nicht gera­de die Kon­no­ta­ti­on von Rede und Gegen­re­de bei sich habe? Genau die­se Kon­no­ta­ti­on ist im berg­o­glia­ni­schen Begriff des Dia­logs aber getilgt, es fehlt jenes zen­tra­le Moment des sokra­ti­schen Dia­logs, das durch den intel­lek­tu­el­len Streit von The­se und Anti­the­se, mit­hin durch ratio­na­le Argu­men­ta­ti­on bestimmt ist, weil sich nur auf die­se Wei­se die Erkennt­nis der Wahr­heit ver­mit­telt. Die Wahr­heit ist in sich selbst jedoch kei­nes­wegs die Syn­the­sis des logisch Unver­söhn­li­chen, sie liegt auch nicht not­wen­dig in der Mit­te. Wäre das so, müss­te ja gera­de nicht um sie gerun­gen wer­den. Sie liegt da, wo sie eben liegt, und sie muss ent­deckt werden.

Fran­zis­kus exklu­diert die wahr­heits­theo­re­ti­sche Grund­be­stim­mung des Dia­logs aus­drück­lich: „Der Tun­nel wur­de von einer Sei­te zur ande­ren gebaut, um eine Ver­bin­dung zwi­schen zwei unter­schied­li­chen und von­ein­an­der ent­fern­ten Orten zu schaf­fen. Dazu ist der unter­ir­di­sche Gang da. Er ver­bin­det, das heißt, er schafft eine Bin­dung. Manch­mal den­ken wir, dass die Begeg­nung der Reli­gio­nen eine Fra­ge ist, bei der es dar­um geht, um jeden Preis Gemein­sam­kei­ten zwi­schen ver­schie­de­nen Leh­ren und reli­giö­sen Bekennt­nis­sen zu fin­den. In Wirk­lich­keit kann es pas­sie­ren, dass ein sol­cher Ansatz uns am Ende aus­ein­an­der­bringt, weil die Leh­ren und Dog­men einer jeden Reli­gi­on unter­schied­lich sind. Was uns ein­an­der wirk­lich näher­bringt, ist eine Ver­bin­dung zwi­schen unse­ren Unter­schie­den zu schaf­fen, dar­auf zu ach­ten, Ban­de der Freund­schaft, der Auf­merk­sam­keit und der Gegen­sei­tig­keit zu pfle­gen.“1

Genau das wie­der­hol­te Fran­zis­kus bei sei­ner „inter­re­li­giö­sen Begeg­nung mit Jugend­li­chen“ in Sin­ga­pur: „Eines der Din­ge, die mich an euch jun­gen Men­schen hier am mei­sten beein­druckt haben, ist eure Fähig­keit zum inter­re­li­giö­sen Dia­log. Und das ist sehr wich­tig, denn wenn ihr anfangt zu strei­ten, „Mei­ne Reli­gi­on ist wich­ti­ger als dei­ne…“, „Mei­ne ist die wah­re, dei­ne ist nicht wahr…“, wohin führt das? Wohin? Ant­wor­tet mir jemand, wohin? [Jemand ant­wor­tet: „Zer­stö­rung“]. So ist es. Alle Reli­gio­nen sind ein Weg, um zu Gott zu gelan­gen. Sie sind – ich mache einen Ver­gleich – wie ver­schie­de­ne Spra­chen, ver­schie­de­ne Idio­me, um dort­hin zu gelan­gen. Aber Gott ist Gott für alle. Und weil Gott der Gott für alle ist, sind wir alle Kin­der Got­tes. „Aber mein Gott ist wich­ti­ger als dei­ner!“ Ist das wahr? Es gibt nur einen Gott, und wir, unse­re Reli­gio­nen sind Spra­chen, Wege zu Gott. Eini­ge sind Sikhs, eini­ge Mus­li­me, eini­ge Hin­dus, eini­ge Chri­sten, aber es sind ver­schie­de­ne Wege. Under­s­tood?“2

Ich den­ke, wir haben die Bot­schaft ver­stan­den. Viel­leicht haben wir sie sogar bes­ser ver­stan­den als der Fra­gen­de. Daher erlau­be ich mir zwei Anmerkungen.

Zum einen: Sokra­tes und Pla­ton geht es des­we­gen grund­le­gend dar­um, dass wir zur Erkennt­nis des Wah­ren gelan­gen, weil es die wirk­li­che Wirk­lich­keit – das Sein – ist. Der Mensch ist von sei­ner gei­sti­gen Natur her auf die­ses wahr­haft Wirk­li­che hin­ge­ord­net, es bil­det den Gegen­stand sei­ner tief­sten Sehn­sucht. Das Wah­re ist zugleich das Gute, bei­de Dimen­sio­nen sind naht­los auf­ein­an­der abbild­bar. Und weil nie­mand umhin kommt, so Ari­sto­te­les, für sich das Gute, also die eige­ne Glück­se­lig­keit zu wol­len, sucht der Mensch die Wahr­heit und erstrebt die Auf­lö­sung des Scheins. Denn er spürt ganz genau, dass der­je­ni­ge, der außer­halb der Wahr­heit, also in der trü­ge­ri­schen Welt des Illu­sio­nä­ren lebt, nie zum Glück und damit nie zu sich selbst fin­det. Er ver­steht, dass es außer­halb des Wah­ren nur die Ver­wü­stung im Unei­gent­li­chen, im Nich­ti­gen gibt. Das Nich­ti­ge bedeu­tet zugleich die Zer­stö­rung der Gemein­schaft. Im Unwah­ren kann es kei­ne Ein­heit geben, weil sich in der Unwahr­heit alle gera­de nicht in der wirk­li­chen Wirk­lich­keit fin­den, son­dern sich nur in ihrer jewei­li­gen illu­sio­nä­ren Per­spek­ti­ve wech­sel­sei­tig bestä­ti­gen. Außer­halb der Wahr­heit gibt es nur Sepa­ra­ti­on, die auch dann noch eine sol­che ist, wenn sich alle im Stuhl­kreis schein­bar har­mo­nisch zusam­men­fin­den und ihre mög­li­chen Trug­ge­bil­de kri­tik­los neben­ein­an­der legen.

Aus die­sem Grund ist der dia-logos der grie­chi­schen Meta­phy­sik wesen­haft dar­auf aus­ge­rich­tet, dass wir uns über die Unwahr­heit auf­klä­ren. Das hat schon Sokra­tes den Tod gebracht. Er for­dert näm­lich, dass sich die Gesprächs­teil­neh­mer gemein­sam auf das Wah­re hin tran­szen­die­ren und bereit sind, ihre jewei­li­gen Schein­wel­ten zu ver­las­sen. Die­ser Dia­log sieht in der Gemein­schaft im Gemein­sa­men aprio­ri über­haupt kei­nen Wert. Denn es könn­te ja sein, dass eini­ge oder alle Dia­log­part­ner gera­de im Unwah­ren über­ein­stim­men und sich mit der wech­sel­sei­tig respekt­vol­len Aner­ken­nung ihrer unwah­ren Posi­tio­nen mora­lisch hoch­tra­bend im Nich­ti­gen ver­schan­zen. Das wäre dann nichts ande­res als gemein­sa­mes Ein­sam­sein. Des­we­gen geht es den Grie­chen um einen Dia­log, in dem sich die Dia­log­part­ner gera­de dadurch respek­tie­ren, dass sie sich durch das erkennt­nis­theo­re­tisch unver­zicht­ba­re Mit­tel von Rede und Gegen­re­de unnach­sich­tig in Fra­ge stel­len und in Fra­ge stel­len las­sen. Sie haben die­sen Wil­len, weil sie sich um ihre Selbst­auf­klä­rung bemü­hen wol­len, was nichts ande­res heißt, als dass sie sich gera­de um ihrer eige­nen Glück­se­lig­keit wil­len auf die Wahr­heit hin über­schrei­ten wol­len. Wäh­rend sich im berg­o­glia­ni­schen Dia­log­ver­ständ­nis kei­ne gemein­sa­me Selbst­tran­szen­denz ereig­net, weil aus sen­ti­men­ta­len Har­mo­nie­er­wä­gun­gen der Argu­men­ta­ti­ons­streit um die wah­re Leh­re fehlt und des­we­gen alle doch nur bei sich selbst und in ihren mög­li­chen Irr­tü­mern ver­blei­ben, ent­hält der sokra­ti­sche Dia­log­be­griff nicht nur die Mög­lich­keit ech­ter Selbst­über­schrei­tung, weil es den Dia­log­part­nern dar­um geht, der Wahr­heit die Ehre zu geben, son­dern eben­so die Chan­ce des Errei­chens einer im Wort­sin­ne wah­ren Gemein­sam­keit, eben weil sie durch die Wahr­heit sel­ber gestif­tet wird.

Die Insi­nua­ti­on Berg­o­gli­os ist ein­fach unwahr, dass aus dem Wahr­heits­streit not­wen­di­ger­wei­se nur Zer­stö­rung fol­ge. Das kann nur dann pas­sie­ren, wenn die Dia­log­part­ner nicht von vorn­her­ein dar­in ver­bun­den sind, die Wahr­heit erken­nen zu wol­len. Der Wil­le zu einem argu­men­ta­ti­ven Streit, der der Erkennt­nis der Wahr­heit dient, ist etwas ganz ande­res als der blo­ße Wil­le, über einen ande­ren zu tri­um­phie­ren. Die­se bei­den Wil­len sind gegen­läu­fig; der erste ist selbst­los, der zwei­te ego­zen­trisch. Dem­entspre­chend müss­te der Papst sei­ne Zuhö­rer, die ver­schie­de­nen Reli­gio­nen ange­hö­ren, vor­ran­gig zu jener Selbst­lo­sig­keit auf­for­dern, die die not­wen­di­ge Ermög­li­chungs­be­din­gung eines pro­duk­ti­ven Wahr­heits­strei­tes ist, der allein die Chan­ce in sich trägt, dass die Dia­log­part­ner in der durch ihn ver­mit­tel­ten Erkennt­nis der Wahr­heit ihre Frei­heit vom Trug und damit wirk­lich zuein­an­der finden.

Spe­zi­ell an die Chri­sten gewandt, könn­te der Papst dann dazu ermun­tern, im inter­re­li­giö­sen Dia­log all die Argu­men­te zur Gel­tung zu brin­gen, die die christ­li­che Leh­re ver­nünf­tig plau­si­bi­li­sie­ren: Ist ein abstrak­ter Mono­the­is­mus über­haupt denk­bar? Muss Gott, wenn er leben­dig sein soll, nicht in sich selbst Unter­schie­de her­vor­brin­gen? Ist die Tri­ni­täts­leh­re nicht die Vor­aus­set­zung dafür, Got­tes Wesen als Lie­be zu bestim­men? Ist es ohne Chri­stus über­haupt denk­bar, dass der Mensch am gött­li­chen Leben inne­ren Anteil gewinnt, ohne in sei­ner Krea­tür­lich­keit zer­stört zu wer­den? War es nicht gera­de die christ­li­che Got­tes­re­de, durch die wir unser eige­nes Per­son­sein und damit den spe­zi­fi­schen onto­lo­gi­schen Sta­tus und die unver­äu­ßer­li­che Wür­de der mensch­li­chen Indi­vi­dua­li­tät ent­deckt haben? Die Liste die­ser Fra­gen könn­te lang fort­ge­setzt wer­den. War­um soll­te man ande­ren die Argu­men­ta­ti­ons­lei­stun­gen die­ser Leh­re vorenthalten?

Umge­kehrt könn­ten Chri­sten vom Islam etwa die blei­ben­de Bedeu­tung der „theo­lo­gia nega­ti­va“ wie­der ler­nen. Denn dass Gott Mensch gewor­den ist, bedeu­tet kei­nes­wegs, dass er sei­ne Tran­szen­denz und unbe­ding­te Maje­stät, sei­ne wesen­haf­te Unbe­greif­lich­keit und Unver­füg­bar­keit ver­lo­ren hat. Die sakri­le­gi­schen Aus­wüch­se der libe­ra­len Theo­lo­gie und die atem­be­rau­ben­de Zudring­lich­keit, mit der im Raum des Chri­sten­tums unter Ver­weis auf den geschwi­ster­li­chen Gott die Gott­heit ver­ding­licht und dem mensch­li­chen Ver­fü­gungs­zu­griff unter­wor­fen wird, könn­ten ein inter­re­li­giö­ses Kor­rek­tiv gut gebrau­chen. Ein ech­ter inter­re­li­giö­ser Dia­log könn­te also aus­ge­spro­chen attrak­tiv sein. Lei­der wird er durch Jor­ge Berg­o­gli­os Dia­lo­gidee prä­zi­se verhindert.

Zum ande­ren: Die berg­o­glia­ni­sche Bot­schaft eines Dia­logs, der den Wahr­heits­streit syste­ma­tisch aus­klam­mert, hat etwas ent­schie­den Infa­mes an sich. Sie ist mani­pu­la­tiv und selbst­herr­lich. Das ist die­se Bot­schaft des­we­gen, weil sie eine Ebe­ne dis­kre­di­tiert, die sie tat­säch­lich sel­ber bespielt und durch ihre Dis­kre­di­tie­rung zugleich – und zwar auf zwei­fa­che Wei­se – unan­greif­bar macht. Dis­kre­di­tiert wird das Prin­zip „Leh­re“, also einer in gedank­li­cher Gestalt auf­tre­ten­den Theo­rie. Es soll ja nicht mehr um argu­men­tie­ren­de Ratio­na­li­tät, son­dern um Emp­fin­dungs­sen­si­bi­li­tä­ten gehen. Aber die­se Dis­kre­di­tie­rung ent­stammt sel­ber einer Leh­re. Tat­säch­lich gibt es über­haupt kei­ne Theo­riefrei­heit, das ist uns schlech­ter­dings unmög­lich. Der schein­bar theo­riefreie Fran­zis­kus ist sei­ner­seits voll­ge­stopft mit Theo­rie, all sei­ne Äuße­run­gen, auch die zum inter­re­li­giö­sen Dia­log, sind Resul­ta­te einer bestimm­ten theo­lo­gi­schen Posi­ti­on. Die­se Theo­rie ist mise­ra­bel, aber es ist, jeden­falls rudi­men­tär, eine Theo­rie. Sofern die­se Theo­rie argu­men­ta­ti­ve Streit­zu­sam­men­hän­ge aber nicht nur für uner­heb­lich, son­dern für zer­stö­re­risch hält, immu­ni­siert sie sich gegen argu­men­ta­ti­ve Infra­ge­stel­lun­gen ihrer selbst. Der theo­re­tisch gegen die­se Theo­rie argu­men­tie­ren­de Theo­re­ti­ker wird von die­ser anti­theo­re­ti­schen Theo­rie als theo­re­ti­sie­ren­der Theo­re­ti­ker beschimpft und aus dem Spiel geschla­gen. Das heißt: Die berg­o­glia­ni­sche Posi­ti­on rea­li­siert scham­los einen per­for­ma­ti­ven Selbst­wi­der­spruch, über den sie sich im Zir­kel die­ses Selbst­wi­der­spruchs noto­risch nicht auf­klä­ren las­sen will. Man steht fas­sungs­los vor die­ser Unver­schämt­heit und ist geneigt, mit Ari­sto­te­les zu sagen: Es gibt Leu­te, die ver­die­nen auch gar kei­ne Argu­men­te mehr, son­dern nur noch Zurechtweisung.

Die­ser eigen­tüm­li­chen Selbst­im­mu­ni­sie­rung der berg­o­glia­ni­schen Leh­re ent­spricht die mora­li­sche Dis­kre­di­tie­rung ihrer Geg­ner. Betrach­tet man die berg­o­glia­ni­schen Ein­las­sun­gen zum Dia­log mit schär­fe­rem Auge, sieht man, dass der mora­li­sche Erha­ben­heits­nim­bus des anti-argu­men­ta­ti­ven Dia­logs genau die­sen mora­li­schen Dele­gi­ti­mie­rungs­ef­fekt der Kri­ti­ker pro­du­ziert. Jeder, der bei Berg­o­gli­os Dia­log nicht mit­macht und statt des­sen den sokra­ti­schen Dia­log for­dert, muss ein böses Sub­jekt, also ein ratio­na­li­sti­scher, solip­si­sti­scher, hart­her­zi­ger, spal­ten­der, rigo­ri­sti­scher Fun­da­men­ta­list sein. Er ist nach­ge­ra­de sakri­le­gisch. Auf jeden Fall gilt er als anti-jesu­a­nisch. Die­se Fin­ster­lin­ge wol­len kei­nen „Tun­nel der Freund­schaft“, sie ver­wei­gern sich der „Erfah­rung der Brü­der­lich­keit“. Und in der Tat fehlt es in des Pap­stes Anspra­chen nicht an War­nun­gen vor die­sen bezie­hungs­ge­stör­ten „Star­ren“, die im schöp­fe­ri­schen berg­o­glia­ni­schen Wort­schatz auch als die „Indiet­ri­sti“ hin­läng­lich bekannt sind.

Man muss sich die Fra­ge stel­len, war­um sich die berg­o­glia­ni­sche Posi­ti­on der­art hart­näckig dem sokra­ti­schen dia-logos ver­wei­gert und sich nicht scheut, selbst die bös­ar­tig­sten Mit­tel der Dis­kre­di­tie­rung ihrer Geg­ner anzu­wen­den. „Dis­kurs­po­li­zei­li­che Maß­nah­men“ nennt Fou­cault das. Zu die­sen Maß­nah­men greift nur eine Posi­ti­on, die ihrer Macht noch nicht voll­kom­men sicher ist, die noch nicht alles durch­drun­gen hat und dar­um noch repres­siv wer­den, das Licht der Ver­nunft mei­den und die argu­men­ta­ti­ve Dis­kus­si­on ver­ächt­lich machen muss.

Ich den­ke, es ist ziem­lich klar, was das hin­ter­grün­di­ge ner­vö­se Zen­trum, der gehei­me Bezugs­punkt der über­bor­den­den berg­o­glia­ni­schen Dia­log­theo­rie ist. Das ist der Chri­stus. Der Dia­log ist genau so kon­zi­piert, dass über ihn nicht mehr gespro­chen wer­den soll – und auch nicht mehr gespro­chen wer­den kann. Denn der­je­ni­ge, der von sich sagt: „Ich bin der Weg, die Wahr­heit und das Leben, nie­mand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6), sprengt eo ipso den von jed­we­der par­ti­ku­la­ren Glau­bens­tra­di­ti­on befrei­ten Dia­log, des­sen Ziel es ist, sich unter­halb der dog­ma­ti­schen Bekennt­nis­se im Tun­nel zu begeg­nen und dort den „einen Gott für alle“ zu feiern.

Aber war­um haben über­haupt alle reli­giö­sen Leh­ren und Tra­di­tio­nen zwar als „kul­tu­rel­le Reich­tü­mer“ zu gel­ten, müs­sen sub­stan­ti­ell aber unbe­deu­tend sein? Der Chri­stus ist mit sei­nem reli­gi­ons­ge­schicht­lich sin­gu­lä­ren Selbst­an­spruch nur der ärger­lich­ste Fall der abso­lu­ten Wahr­heits­an­sprü­che par­ti­ku­la­rer reli­giö­ser Tra­di­tio­nen, die sich logisch nicht inein­an­der über­set­zen las­sen. War­um ist es für Jor­ge Berg­o­glio so wich­tig, dass die ver­schie­de­nen Erlö­sungs­leh­ren, somit auch der Chri­stus, nur „Dia­lek­te“, prin­zi­pi­ell gleich­ran­gi­ge Annä­he­rungs­ver­su­che an den „einen Gott für alle“ sind? Woher kommt die­ser Eifer für die Schlei­fung der reli­giö­sen Dog­ma­ti­ken und die Apo­theo­se der unter­ir­di­schen One-World-Religion?

Logisch kann es dar­auf nur eine Ant­wort geben: weil es die­ser Per­spek­ti­ve über­haupt nicht mehr pri­mär um die Reli­gi­on als sol­che, son­dern um ein reli­gi­ons­ver­schie­de­nes Motiv geht, das sodann zum Haupt­mo­tiv der Reli­gi­on über­haupt erklärt wird. Und die­ses lei­ten­de Motiv ist die För­de­rung der „einen ein­zi­gen glo­ba­len Mensch­heits­fa­mi­lie“3, also der uni­ver­sa­len natür­li­chen Geschwi­ster­lich­keit, der die Reli­gio­nen zu die­nen haben. Der Jor­ge Berg­o­glio lei­ten­de Reli­gi­ons­be­griff ist streng funk­tio­na­li­stisch. Das gesam­te berg­o­glia­ni­sche Pon­ti­fi­kat hat sich – bis in die Kom­pli­zen­schaft mit der glo­ba­li­sti­schen Hoch­fi­nanz und dem World Eco­no­mic Forum – in den aus­schließ­li­chen Dienst an der natür­li­chen Mensch­heits­fa­mi­lie und dem Schutz für „Mut­ter Erde“ gestellt. Die­sen öko-huma­ni­ta­ri­sti­schen Dienst kön­nen die Reli­gio­nen nur dann rei­bungs­los erbrin­gen, wenn sie ihre jewei­li­gen Dog­ma­ti­ken rela­ti­vie­ren und sich mit dem abstrak­ten Gott für alle zufrie­den geben, der für sich selbst nichts mehr rekla­miert und des­we­gen als Funk­ti­on am Öko-Huma­ni­ta­ris­mus bestimm­bar ist. Auf die­se Selbst­re­la­ti­vie­rung zielt die hoch­mo­ra­lisch auf­ge­la­de­ne Dia­log­pro­pa­gan­da, die den Reli­gio­nen sug­ge­rie­ren will, dass es der zen­tra­le reli­giö­se Impe­ra­tiv sei, sich pri­mär der Pfle­ge der natür­li­chen uni­ver­sa­len Brü­der­lich­keit zu verschreiben.

Unmit­tel­ba­ren Zugriff hat Berg­o­glio jedoch nur auf die katho­li­sche Kir­che. Von die­ser Zugriffs­mög­lich­keit macht er reich­lich Gebrauch, denn die Kir­che soll nach des Pap­stes Absicht für alle Reli­gio­nen der öko-huma­ni­ta­ri­sti­sche Leucht­turm wer­den. Inten­siv wid­met sich Fran­zis­kus seit Pon­ti­fi­kats­be­ginn der Umprä­gung der Kir­che zu einer sol­chen inte­gra­ti­ven Funk­ti­on an der „Brü­der­lich­keit aller Men­schen“, einer Umprä­gung, die an ihrer wich­tig­sten Stel­le den johannei­schen Chri­stus unkennt­lich machen muss, weil sich der Chri­stus schlech­ter­dings nicht für Zwecke, die außer­halb sei­ner selbst lie­gen, funk­tio­na­li­sie­ren lässt. Dem Chri­stus geht es nur dar­um, dass alle Men­schen an Sei­nen hei­li­gen Namen glau­ben, Ihn anbe­ten und so ihr ewi­ges Heil fin­den. Aber wie kann man die­se Chri­sto­lo­gie hin­ter sich las­sen? Das geht für einen Papst nur indi­rekt. Unkennt­lich gemacht wer­den soll der Chri­stus durch die Tak­tik, ihn zu einer sekun­dä­ren reli­giö­sen Tra­di­ti­ons­bil­dung zu erklä­ren. Er bekommt den Sta­tus eines net­ten kul­tu­rel­len Ornaments.

Den Chri­stus der­ge­stalt los­zu­wer­den ist aber ein zähes Pro­jekt. Es gibt vie­le Wider­stän­de und hart­näcki­ge tra­di­tio­na­le Resi­du­en. Noch leuch­tet es nicht jedem ein, dass der Chri­stus nichts ande­res sein soll als eine blo­ße Tra­di­ti­ons­bil­dung oder der Jesus der gren­zen­lo­sen Barm­her­zig­keit, der „alle, alle, alle“ vor­aus­set­zungs­los will­kom­men heißt und des­sen Bot­schaft ledig­lich in der Rede von der allein bedeut­sa­men natür­li­chen Geschwi­ster­lich­keit aller und eines Got­tes bestehen soll, der alles und alle gütig akzep­tiert – bis auf die Star­ren. Noch gibt es also in der Kir­che letz­te Echos die­ses stö­ren­den Glau­bens an die gött­li­che Per­son Chri­sti. Bis die­se Erin­ne­rungs­spu­ren völ­lig para­ly­siert sein wer­den, gibt es daher noch viel zu tun. Kein Ele­fant ver­west an einem Tag. Des­halb ver­sucht Papst Fran­zis­kus mit gro­ßer Ener­gie, vor allem die reli­giö­se Jugend der Welt über sein inter­re­li­giö­ses Dia­log-Pro­jekt für sei­ne eigent­li­che Ideo­lo­gie zu instru­men­ta­li­sie­ren, post­christ­li­che Bischö­fe zu för­dern, argu­men­ta­ti­ons­feind­li­che Stuhl­krei­se, Syn­oden genannt, in der Kir­che struk­tu­rell zu imple­men­tie­ren und anson­sten die Wei­chen für Papst Fran­zis­kus II. zu stellen.

Was müs­sen wir tun? Wir müs­sen die berg­o­glia­ni­sche Ideo­lo­gie prä­zi­se iden­ti­fi­zie­ren, die Mani­pu­la­ti­ons­ma­schi­ne­rie die­ses Pon­ti­fi­ka­tes ana­ly­sie­ren, des­sen Macht­po­li­ti­ken, rhe­to­ri­sche Selbst­schutz­stra­te­gien und dis­kurs­po­li­zei­li­che Machen­schaf­ten durch­schau­en, und dann müs­sen wir uns unein­ge­schüch­tert dem päpst­li­chen Ver­nunft- und Sprech­ver­bot wider­set­zen und prä­zi­se und immer lau­ter gera­de von dem reden, von dem nicht gere­det wer­den darf, von Jesus Chri­stus, dem ein­zi­gen und wah­ren Logos Gottes.

*Vigi­li­us, deut­scher Phi­lo­soph und Blog­ger: www​.ein​sprue​che​.sub​stack​.com

Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)


  1. Anspra­che von Papst Fran­zis­kus bei der inter­re­li­giö­sen Begeg­nung in der Isti­ql­al-Moschee in Jakar­ta, Indo­ne­si­en, am 5. Sep­tem­ber 2024. ↩︎
  2. Anspra­che von Papst Fran­zis­kus bei der inter­re­li­giö­sen Begeg­nung mit Jugend­li­chen am Catho­lic Juni­or Col­lege in Sin­ga­pur, am 13. Sep­tem­ber 2024. ↩︎
  3. Wort­laut der „Gemein­sa­men Erklä­rung von Isti­ql­al 2024″ zur „För­de­rung des Ein­klangs der Reli­gio­nen zum Wohl der Mensch­heit“, unter­zeich­net von Papst Fran­zis­kus und Groß­i­mam Nasar­ud­din Umar am 5. Sep­tem­ber 2024 in Jakar­ta, Arbeits­über­set­zung von Vati­can News. ↩︎

Bis­he­ri­ge Bei­trä­ge von Vigilius:

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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1 Kommentar

  1. Der bekann­te Bischof Ful­ton Sheen (gestor­ben 1979) aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sagte:
    „Der fal­sche Pro­phet wird eine Reli­gi­on ohne Kreuz haben. Eine Reli­gi­on ohne eine zukünf­ti­ge Welt. Eine Reli­gi­on zur Zer­stö­rung der Reli­gi­on. Es wird eine fal­sche Kir­che geben. Die wah­re Kir­che Chri­sti [die katho­li­sche Kir­che] wird eine sein. Und der fal­sche Pro­phet wird eine ande­re Kir­che schaf­fen. Die fal­sche Kir­che wird welt­lich, öku­me­nisch und glo­bal sein. Es wird eine Föde­ra­ti­on von Kir­chen sein. Und die Reli­gio­nen wer­den eine Art glo­ba­le Ver­ei­ni­gung bil­den. Ein Welt­par­la­ment der Kir­chen. Von allen gött­li­chen Inhal­ten ent­leert, wird es der mysti­sche Leib des Anti­chri­sten sein. Der mysti­sche Kör­per auf der heu­ti­gen Erde wird sei­nen Judas Iska­ri­ot haben, und er wird der fal­sche Pro­phet sein. Satan wird ihn aus den Rei­hen unse­rer Bischö­fe rekrutieren.“

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