Von Roberto de Mattei*
Am 4. November 2025 wurde die lehrmäßige Note Mater populi fidelis veröffentlicht, mit welcher das Dikasterium für die Glaubenslehre Bedeutung und Grenzen bestimmter marianischer Titel erläutern möchte, die sich auf Marias Mitwirkung am Erlösungswerk beziehen. Die Erklärung hat unter einfachen Gläubigen wie auch unter Mariologen Bestürzung und Betroffenheit hervorgerufen, weil sie eine objektive Minderung jener Vorrechte darstellt, die die kirchliche Tradition der Gottesmutter zuschreibt. Es stellt sich nun die Frage, welche praktischen Folgen dies haben wird.
Um sich in dem durch das Dokument hervorgerufenen Verwirrungsfeld zurechtzufinden, kam ein Wortwechsel zwischen Diane Montagna und Kardinal Víctor Manuel Fernández, dem Präfekten des Glaubensdikasteriums, äußerst gelegen. Die Vatikanistin veröffentlichte ihn am 27. November auf ihrer Substack-Seite. In seiner Antwort erklärte Kardinal Fernández, daß die in der Nr. 22 der lehrmäßigen Note Mater populi fidelis enthaltene Aussage – wonach es „immer unangebracht“ sei, den Titel „Miterlöserin“ zu verwenden, um Marias Mitwirkung am Erlösungswerk Christi zu bezeichnen – sich ausschließlich auf den offiziellen Gebrauch des Titels beziehe, also in liturgischen Texten und Dokumenten des Heiligen Stuhls, jedoch nicht auf private Andacht oder theologische Debatten unter Gläubigen.
Der zentrale Moment betrifft die Bedeutung des Ausdrucks „immer unangebracht“ in bezug auf den Titel Miterlöserin. Diane Montagna fragt, ob der Ausdruck, wonach es „immer unangebracht ist, den Titel ‘Miterlöserin’ zu verwenden“, sich auch auf die Vergangenheit beziehe, insbesondere da dieser Titel von Heiligen, Kirchenlehrern und dem ordentlichen Lehramt verwendet worden sei. Der Kardinal antwortet: „Nein, nein, nein. Er bezieht sich auf die gegenwärtige Zeit (…)“. Die Journalistin hakt nach: „Also bedeutet ‘immer’: von jetzt an?“ Der Kardinal bestätigt: „Von jetzt an, ohne Zweifel.“ Nicht zufrieden fragt die Journalistin erneut nach der Bedeutung des Wortes „immer“. Fernández bekräftigt, daß es sich nicht auf die Vergangenheit, sondern ausschließlich auf die Gegenwart beziehe – beschränkt auf offizielle Dokumente.
Diese wichtige Präzisierung muß zur Kenntnis genommen werden. In der lehrmäßigen Note hat das Adverb „immer“ nicht die Bedeutung, die es im allgemeinen Sprachgebrauch besitzt. Jeder vernünftige Mensch weiß, daß „immer“ einen ununterbrochenen Zeitraum bezeichnet – ohne Ausnahmen und Vergangenheit wie Zukunft umfaßt. Das göttliche und natürliche Gesetz ist beispielsweise immer gültig, zu jeder Zeit, an jedem Ort und unter allen Umständen. In der Antwort des Kardinals jedoch wird der Begriff „immer“ auf die Gegenwart und – hypothetisch – die Zukunft beschränkt: „von jetzt an“. Doch wenn, wie der Präfekt erklärt, „immer“ lediglich „ab jetzt“ bedeutet, folgt daraus, daß, wie es bereits einen Wandel von der Vergangenheit zur Gegenwart gab, ebenso ein Wandel von der Gegenwart zur Zukunft möglich ist. Das bedeutet, daß Mater populi fidelis, obwohl sich dieses Dokument als lehrmäßige Note präsentiert, ihre Begründung auf pastorale Maßnahmen stützt, die historischen Umständen unterliegen. Die im Dokument enthaltene Bewertung von Marientiteln ist daher weder absolut noch dauerhaft, sondern zeitbedingt und vorläufig.
Der Kardinal bestätigt den vorläufigen Charakter der Note mit folgenden Worten: „Dieser Ausdruck (Miterlöserin) wird weder in der Liturgie, also in liturgischen Texten, noch in offiziellen Dokumenten des Heiligen Stuhls verwendet werden.“ Aber: „Wenn Sie zusammen mit Ihrer Gebetsgruppe oder Ihren Freunden meinen, den wahren Sinn dieses Ausdrucks gut zu verstehen, wenn Sie das Dokument gelesen haben und sehen, daß auch seine positiven Aspekte dort bestätigt werden, und wenn Sie genau dies in Ihrer Gebetsgruppe oder unter Freunden zum Ausdruck bringen wollen, dann können Sie den Titel verwenden – jedoch nicht offiziell, also weder in liturgischen Texten noch in offiziellen Dokumenten.“
Der Titel, dessen Gebrauch „weder in liturgischen Texten noch in offiziellen Dokumenten“ angebracht sei, kann rechtmäßig in allem verwendet werden, was außerhalb dieses begrenzten Bereichs liegt. Das Verbot betrifft ausschließlich den „offiziellen“ Rahmen. Wenn eine Gruppe von Gläubigen den „wahren Sinn des Ausdrucks“ versteht (nämlich Marias untergeordnete Mitwirkung mit Christus), „das Dokument gelesen hat und dessen Sinn teilt“, kann sie den Titel Miterlöserin frei gebrauchen. Die Schlußfolgerung lautet: Die Gläubigen bleiben frei, die Wahrheit zu glauben und zu fördern, daß Maria immer Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden gewesen ist, und daran zu arbeiten, daß diese Wahrheiten als Dogmen definiert werden. Wenn der Gebrauch des Titels Miterlöserin in der Vergangenheit nicht unangebracht war, könnte er es morgen ebenso wenig sein. Die Wahrheit von Marias Miterlösung gehört, obwohl sie nie als Dogma verkündet wurde, zum lehrmäßigen Erbe der Kirche. Die Note des Glaubensdikasteriums erkennt dies an, indem sie die Grenzen seines Gebrauchs auf die Gegenwart und bestimmte Umstände beschränkt. Eben deshalb könnte dieser Marientitel, obwohl er derzeit kein offizielles Dogma ist, in Zukunft zu einem solchen werden. Und dies schließt die Note des Dikasteriums nicht aus – und kann es auch nicht.
Die dogmatische Definition der Unbefleckten Empfängnis stammt aus dem Jahr 1854, jene der Aufnahme Mariens in den Himmel aus dem Jahr 1950. Seit diesen Zeitpunkten fällt jeder Katholik, der diese Wahrheiten leugnet, in Häresie – aber die Gottesmutter war „immer“ unbefleckt empfangen und aufgenommen. Ebenso sind wir frei, nicht nur zu glauben, daß die Madonna immer Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden gewesen ist, sondern auch mit aller Kraft dafür zu wirken, daß diese Wahrheiten so bald wie möglich zu Glaubensdogmen erhoben werden. Dann wäre jeder Katholik verpflichtet, für immer das zu glauben, was gegenwärtig als unangebracht bewertet wird, aber immer wahr gewesen ist.
Auf die letzte Frage der Vatikanistin: „Haben Sie (das Dikasterium für die Glaubenslehre) irgendeinen Mariologen für die lehrmäßige Note Mater populi fidelis konsultiert?“ antwortet der Präfekt der Glaubensdikasteriums: „Ja, viele, viele, ebenso wie auf Christologie spezialisierte Theologen.“
Doch Don Maurizio Gronchi, Consultor des Dikasteriums für die Glaubenslehre, der das Dokument gemeinsam mit Kardinal Fernández vorgestellt hat, erklärte am 19. November gegenüber CNA, daß „es nicht möglich gewesen sei, Mariologen zu finden, die zur Mitarbeit bereit waren“. Er merkte an, daß weder die Mitglieder der Päpstlichen Theologischen Fakultät Marianum noch jene der Päpstlichen Internationalen Marianischen Akademie an der Präsentation in der Kurie der Jesuiten teilgenommen hätten – ein „Schweigen“, das seiner Meinung nach „als Dissens interpretiert werden kann“.
Eine indirekte Bestätigung für diesen vorhandenen Dissens kam von einem bekannten Mariologen, Pater Salvatore Maria Perrella OSM, der erklärte, Mater populi fidelis „hätte von sachkundigen Personen vorbereitet werden müssen“ – was soviel heißt wie: Das Dokument sei von Personen ohne mariologische Kompetenz verfaßt worden, und man könnte respektvoll hinzufügen: auch mit wenig Geschick im logischen Denken…
Da wir nun jedoch wissen, daß die Absicht von Mater populi fidelis nicht darin besteht, der Marienverehrung willkürliche Grenzen zu setzen oder Marias Mitwirkung am Erlösungswerk Christi zu leugnen, und daß sich das „Verbot“ ausschließlich auf den offiziellen Gebrauch des Titels „Miterlöserin“ in liturgischen Texten und Akten des Lehramts bezieht, ohne sich auf private Frömmigkeit oder theologische Debatten auszudehnen – welche bessere Gelegenheit könnte es geben, in den geistlichen Kampf zu treten?
Wir bekräftigen, was wir am Tag nach der Veröffentlichung des Dokuments geschrieben haben: „Wir sind überzeugt, daß es heute in der Welt eine kleine Schar von Priestern und Laien gibt, edel und mutig im Herzen, bereit, das zweischneidige Schwert der Wahrheit zu ergreifen, um alle Vorrechte Mariens zu verkünden und am Fuß ihres Thrones zu rufen: ‘Quis ut Virgo?’. Über sie werden die notwendigen Gnaden für den Kampf in diesen stürmischen Zeiten herabsteigen. Und vielleicht wird – wie es in der Geschichte stets geschieht, wenn versucht wird, das Licht zu verdunkeln – das Dokument des Glaubensdikasteriums, das die Heiligste Jungfrau Maria zu schmälern sucht, ungewollt ihre unermeßliche Größe bestätigen.“
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana

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