
Von Roberto de Mattei*
Die Situation in der Welt ist heute so kompliziert, daß sie von jedem, der sich orientieren will, viel Ruhe und Klarheit verlangt. Die Pandemie, der russisch-ukrainische Krieg und die Wahl von Donald Trump haben ein trügerisches internationales Gleichgewicht gestört. Die politische und intellektuelle Klasse, die die Welt seit der Französischen Revolution beherrscht hat, sieht nun ihre Macht und ihre Illusionen bröckeln. Die Katholiken können sich über den Zusammenbruch der aus der Französischen Revolution hervorgegangenen Pseudo-Zivilisation nur freuen und daran erinnern, daß es nur eine Zivilisation gibt, die diesen Namen verdient: die christliche Zivilisation.
Heute jedoch ist die natürliche und christliche Ordnung durch ein globales Chaos bedroht, zu dem alle Positionen beitragen, die von den unveränderlichen Lehren der Kirche abweichen. Und im Lichte dieser Lehren muß auch die komplexe internationale Situation beurteilt werden. Das Bemühen, zu dem die Katholiken in dieser Zeit aufgerufen sind, besteht darin, von einer rein politischen Lesart der Ereignisse zu einer übernatürlichen Lesart zurückzukehren, die zuallererst die Interessen Gottes und der Kirche berücksichtigt.
Um dies zu verstehen, muß man die von den Mönchen von Solesmes gesammelten päpstlichen Lehren in den beiden Bänden, die der Paix Internationale (Desclée, Paris 1956) gewidmet sind, sorgfältig nachlesen, insbesondere die Radiobotschaft, die Pius XII. am 24. Dezember 1951, dem Vorabend der Heiligen Weihnacht, an die ganze Welt richtete (Bd. II, 615–627; vollständiger Text in A.A.S., Bd. 44 (1952), Nr. 1, S. 5–15). In diesem wichtigen Dokument spricht der Papst den Beitrag der Kirche zur Sache des Friedens an, um zu erklären, worin er wirklich besteht.
Der Irrtum, den der Papst ausräumen will, ist der jener, die „die Kirche fast wie irgendeine irdische Macht, wie eine Art Weltreich“ betrachten und von der Kirche verlangen, entweder für die eine oder die andere Seite politisch Partei zu ergreifen oder im Gegenteil eine Position der politischen Neutralität einzunehmen, wobei sie vergessen, daß die Kirche sich nicht in den Dienst rein politischer Interessen stellen kann. Deshalb warnte Pius XII.:
„Politiker und manchmal sogar Männer der Kirche, die beabsichtigen, die Braut Christi zu ihrer Verbündeten oder zum Instrument ihrer nationalen oder internationalen politischen Kombinationen zu machen, würden dem Wesen der Kirche selbst schaden, würden dem Leben der Kirche selbst Schaden zufügen; mit einem Wort, sie würden sie auf die gleiche Ebene herabsetzen, auf der Konflikte um weltliche Interessen ausgetragen werden. Und das ist und bleibt auch dann wahr, wenn es zu Zwecken und Interessen geschieht, die an sich legitim sind.“
Die Kirche trägt nicht durch politische Entscheidungen zum Frieden bei, sondern indem sie die Welt an die großen Wahrheiten erinnert, die über die Politik hinausgehen.
„Wer also die Kirche aus ihrer vermeintlichen Neutralität herauslösen oder sie in der Frage des Friedens unter Druck setzen oder ihr das Recht absprechen will, frei zu entscheiden, ob und wann und wie sie in verschiedenen Konflikten Partei ergreifen will, würde ihr die Mitarbeit am Friedenswerk nicht erleichtern, denn eine solche Parteinahme der Kirche, auch in politischen Fragen, kann niemals rein politisch sein, sondern muß immer ’sub specie aeternitatis‘, im Lichte des göttlichen Rechts, seiner Ordnung, seiner Werte, seiner Normen erfolgen.“
Der Papst fügte ebenso hinzu: „Es ist nicht ungewöhnlich, daß rein irdische Mächte und Institutionen aus ihrer Neutralität heraustreten, um heute im einen, morgen vielleicht im anderen Lager Partei zu ergreifen. Es handelt sich um ein Spiel von Kombinationen, das sich durch die ständige Fluktuation der weltlichen Interessen erklären läßt. Aber die Kirche hält sich von solchen wechselnden Kombinationen fern. Wenn sie urteilt, ist es nicht an ihr, von einer bisher beobachteten Neutralität abzuweichen, denn Gott ist niemals neutral gegenüber den menschlichen Angelegenheiten, vor dem Lauf der Geschichte, und deshalb kann auch seine Kirche es nicht sein. Wenn sie spricht, dann kraft ihrer göttlichen Sendung, die von Gott gewollt ist.Wenn sie zu den Problemen der Zeit spricht und urteilt, dann in dem klaren Bewußtsein, in der Kraft des Heiligen Geistes das Urteil vorwegzunehmen, das ihr Herr und Haupt, der Richter des Universums, am Ende der Zeit bestätigen und billigen wird.“
Der Papst unterstreicht, daß Gott in den menschlichen Angelegenheiten niemals neutral ist, und noch weniger kann dies die Kirche sein. Sie ist niemals „neutral“, sie nimmt an den Kämpfen der Welt teil, aber ihre Kriterien sind nicht politisch, denn sie hat nicht die weltlichen Interessen von Nationen oder Einzelpersonen im Blick, sondern die Ehre Gottes und das Wohl der Seelen. Die Kirche, so mahnt Pius XII., „kann es sich nicht erlauben, nach ausschließlich politischen Kriterien zu urteilen; sie kann die Interessen der Religion nicht an Richtungen binden, die von rein irdischen Zielen bestimmt werden; sie kann sich nicht der Gefahr aussetzen, daß ihr religiöser Charakter grundsätzlich in Zweifel gezogen wird; sie kann nicht einmal für einen Augenblick vergessen, daß ihre Eigenschaft als Stellvertreterin Gottes auf Erden es ihr nicht erlaubt, auch nur für einen einzigen Augenblick zwischen dem ‚Guten‘ und dem ‚Bösen‘ in den menschlichen Angelegenheiten gleichgültig zu bleiben.“ Und weiter: „Das Kind, das in der Wiege von Bethlehem liegt, ist der ewige Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, und sein Name ist ‚Princeps pacis‘, Friedensfürst.“
Aber „wenn sich die Kirche und ihr oberster Hirte von der süßen, friedlichen und herzenswarmen Vertrautheit des Kindes von Bethlehem der Welt zuwenden, die fern von Christus lebt, fühlen sie sich wie von einem eisigen Luftzug getroffen. Diese Welt spricht zwar von nichts als Frieden, hat aber keinen Frieden; sie beansprucht für sich alle möglichen und unmöglichen Rechtstitel, um Frieden zu stiften, kennt und anerkennt aber nicht jene friedensstiftende Mission, die unmittelbar von Gott ausgeht, die Friedensmission der religiösen Autorität der Kirche. Arme Kurzsichtige, deren enges Blickfeld nicht über die überprüfbaren Möglichkeiten der gegenwärtigen Stunde, über die Zahlen des militärischen und wirtschaftlichen Potentials hinausreicht! Wie könnten sie auch nur die geringste Vorstellung von dem Gewicht und der Bedeutung der religiösen Autorität für die Lösung des Friedensproblems haben? Oberflächliche Geister, die nicht in der Lage sind, den Wert und die schöpferische Kraft des Christentums in seiner ganzen Wahrheit und Breite zu erkennen, wie sollten sie da nicht skeptisch und verächtlich gegenüber der friedensstiftenden Kraft der Kirche bleiben?“
Pius XII. schließt mit folgenden Gedanken: „Auch heute, wie bei anderen Gelegenheiten, sehen wir uns vor der Krippe des göttlichen Friedensfürsten in der Notwendigkeit zu erklären: Die Welt ist weit entfernt von jener von Gott in Christus gewollten Ordnung, die einen wirklichen und dauerhaften Frieden garantiert.“
Es ist daher unabdingbar, „den Blick auf die christliche Ordnung zu richten, die heute von zu vielen aus den Augen verloren wird, wenn wir den Kern des Problems sehen wollen, wie es sich heute darstellt, wenn wir nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch den Beitrag erkennen wollen, den jeder, und vor allem die Kirche, wirklich leisten kann, auch unter ungünstigen Umständen und trotz der Skeptiker und Pessimisten. (…) Der Kern des Friedensproblems ist gegenwärtig geistiger Natur, es ist ein geistiger Mangel oder Defekt. Es gibt heute zu wenig zutiefst christliches Empfinden in der Welt, zu wenig wahre und vollkommene Christen. So legen die Menschen selbst der Verwirklichung der von Gott gewollten Ordnung Hindernisse in den Weg. Alle müssen von diesem geistlichen Charakter der Kriegsgefahr überzeugt werden. Diese Überzeugung zu wecken, ist in erster Linie Aufgabe der Kirche, es ist heute ihr erster Beitrag zum Frieden.
Wir sind davon überzeugt, und angesichts aller Krisen unserer Zeit fassen wir unsere Position so zusammen: Nationale und internationale politische Ereignisse müssen immer und ausschließlich „sub specie aeternitatis“, „im Lichte des göttlichen Gesetzes, seiner Ordnung, seiner Werte, seiner Normen“ beurteilt werden, denn nur die von Gott in Christus gewollte Ordnung hält Kriege fern und garantiert jenen wahren und dauerhaften Frieden, der nichts mit dem von Politikern und Weltmenschen beschworenen falschen Frieden zu tun hat.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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