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Papst Leo XIV. empfing belgische Mißbrauchsopfer, Glaubenspräfekt Tucho Fernández ließ sie vor verschlossener Tür stehen


Am Freitag war der Glaubenspräfekt, trotz des vereinbarten Termins, abwesend
Am Freitag war, trotz des vereinbarten Termins, der Glaubenspräfekt abwesend

Wäh­rend Papst Leo XIV. am Frei­tag der Vor­wo­che bel­gi­sche Miß­brauchs­op­fer emp­fing, blieb der Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums für die Glau­bens­leh­re, Kar­di­nal Vic­tor Manu­el „Tucho“ Fernán­dez, abwe­send – aus­ge­rech­net an dem Tag, an dem die Opfer ihn spre­chen sollten.

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Es war ein Ter­min, der für die fünf­zehn bel­gi­schen Miß­brauchs­op­fer von gro­ßer Bedeu­tung war – und für die Kir­che eine Gele­gen­heit, Glaub­wür­dig­keit zurück­zu­ge­win­nen. Doch was als Zei­chen der Nähe und des Dia­logs geplant war, ende­te in einer Sze­ne, die eini­ge Beob­ach­ter als sym­pto­ma­tisch emp­fin­den: Das Tref­fen mit dem Prä­fek­ten des Glau­bens­dik­aste­ri­ums fiel aus. Der Grund? Kar­di­nal Tucho Fernán­dez, der ober­ste Ver­ant­wort­li­che für die Unter­su­chung kirch­li­cher Miß­brauchs­fäl­le, „arbei­tet frei­tags nicht“.

Wie bel­gi­sche Medi­en berich­ten, hat­te ein Unter­ge­be­ner den Ter­min auf den Frei­tag­nach­mit­tag gelegt – offen­bar in Unkennt­nis die­ser Gewohn­heit. Das Ergeb­nis: fünf­zehn Men­schen, die über Jahr­zehn­te um Aner­ken­nung und Gehör rin­gen, fan­den bei Papst Leo XIV. offe­nen Türen, wäh­rend sie beim Glau­bens­prä­fek­ten vor ver­schlos­se­nen stan­den. Der Mann, der nach eige­nem Bekun­den die Kir­che „vom Miß­trau­en zur Zärt­lich­keit“ füh­ren will, hat­te frei.

Der Vor­fall über­schat­te­te den Besuch der Betrof­fe­nen, die am fol­gen­den Tag von Papst Leo XIV. emp­fan­gen wur­den. Der Papst, der im Mai das Erbe sei­nes Vor­gän­gers Fran­zis­kus antrat, erfüll­te damit ein Ver­spre­chen, das Fran­zis­kus wäh­rend sei­ner Pasto­ral­rei­se nach Bel­gi­en im Sep­tem­ber 2024 gege­ben hat­te. Das Gespräch im Vati­kan dau­er­te über zwei Stun­den – län­ger als geplant – und wur­de von den Teil­neh­mern als ehr­lich und sehr mensch­lich beschrieben.

„Der Papst hat uns zuge­hört und Mit­ge­fühl gezeigt“, erklär­te Ali­ne Col­paert, eine der Betrof­fe­nen. Sie sprach über die Not­wen­dig­keit, ange­hen­de Prie­ster bes­ser auf ihre Ver­ant­wor­tung vor­zu­be­rei­ten, damit sich Miß­brauch nicht wie­der­ho­le. Der Papst, so berich­te­te sie, habe zuge­stimmt und erzählt, er selbst habe in sei­ner Aus­bil­dung ent­spre­chen­de Schu­lung erhal­ten – ohne frei­lich zu behaup­ten, das kön­ne jedes Risi­ko bannen.

Auch Jean Marc Turi­ne, Schrift­stel­ler und einer der Teil­neh­mer, zeig­te sich bewegt, doch zugleich ernüch­tert: „Er war ehr­lich, aber wir dür­fen nicht zu viel erwar­ten. Beson­ders nicht von der Kir­che in Bel­gi­en“. Meh­re­re Opfer über­ga­ben dem Papst eine schrift­li­che Bit­te um die Ent­las­sung des Erz­bi­schofs von Mecheln-Brüs­sel, Luc Ter­lin­den, dem sie völ­li­ge Empa­thie­lo­sig­keit vorwerfen.

Leo XIV. zeig­te Ver­ständ­nis. Er ver­sprach, die bel­gi­sche Kir­che zur Über­nah­me grö­ße­rer Ver­ant­wor­tung zu drän­gen. Doch zugleich räum­te er ein, sei­ne Ein­fluß­mög­lich­kei­ten sei­en begrenzt: „Ich bin erst seit sechs Mona­ten im Amt“, habe er wie­der­holt gesagt.

In Bel­gi­en selbst blei­be die Situa­ti­on pre­kär. Die von der Kir­che gegrün­de­te Stif­tung Dignity gewährt seit 2022 aner­kann­ten Opfern von Miß­brauch von Kle­ri­kern und kirch­li­chen Mit­ar­bei­tern eine Unter­stüt­zung von 3.000 Euro für psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Behand­lung – zusätz­lich zu frü­he­ren Ent­schä­di­gun­gen zwi­schen 2.500 und 25.000 Euro, wie sie der bel­gi­sche Staat 2012 gesetz­lich fest­ge­legt hat­te. Für die Betrof­fe­nen ist das zu wenig, wie sie beto­nen, denn „die sel­li­gen und kör­per­li­chen Fol­gen beglei­ten sie ein Leben lang“.

Zum Ver­gleich: In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und den Nie­der­lan­den exi­stie­ren kla­re Ent­schä­di­gungs­pro­gram­me; in den USA hin­ge­gen, wo ein ganz ande­res Ent­schä­di­gungs­sy­stem gilt, muß­ten Diö­ze­sen – dar­un­ter Los Ange­les, San Fran­cis­co und Mil­wau­kee – infol­ge mil­li­ar­den­schwe­rer Scha­den­er­satz­for­de­run­gen Insol­venz anmelden.

Im Gegen­satz dazu bleibt die bel­gi­sche Kir­che zurück­hal­tend. Der Zwi­schen­fall mit Kar­di­nal Fernán­dez wur­de in Brüs­sel wie in Rom als beschä­mend emp­fun­den. Denn er berührt die Glaub­wür­dig­keit eines Man­nes, der sich selbst als gei­sti­gen Erneue­rer ver­steht, als Hüter der Leh­re und Freund des ver­stor­be­nen Pap­stes Fran­zis­kus. Doch sein Image des ver­ständ­nis­vol­len Theo­lo­gen wirkt brü­chig, wenn ihm die Opfer von Miß­brauch gegen­über­ste­hen möch­ten – und er ein­fach nicht erscheint.

Wäh­rend Papst Leo XIV. ehr­lich bemüht war, Nähe zu zei­gen, wie die bel­gi­schen Besu­cher atte­stier­ten, gönn­te sich Kar­di­nal Fernán­dez lie­ber einen frei­en Tag.

Völ­lig offen bleibt, ob Leo XIV. – anders als sein Vor­gän­ger Fran­zis­kus – den Mut und die Absicht haben wird, das Haupt­pro­blem des sexu­el­len Miß­brauchs durch Kle­ri­ker beim Namen zu nen­nen, denn die Zah­len sind ein­deu­tig: In über acht­zig Pro­zent der Fäl­le han­delt es sich um homo­se­xu­el­len Miß­brauch. Fran­zis­kus ver­schloß davor die Augen – und die Bel­gi­sche Bischofs­kon­fe­renz tat es ihm gleich. Doch wer wirk­lich Hei­lung will, muß die Wahr­heit aus­spre­chen, auch wenn sie unbe­quem ist. Schwei­gen heißt fort­set­zen. Fran­zis­kus schwieg. War­um? Wen woll­te er scho­nen – und wen scho­nen heu­te Bel­gi­ens Bischö­fe? Wie­viel Gen­der-Ideo­lo­gie bedingt das Handeln?

Auch was die Opfer betrifft, wären eini­ge Anmer­kun­gen ange­bracht, auf die aber an die­ser Stel­le ver­zich­tet wer­den soll.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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