
Vincenzo Rizza, regelmäßiger Gastautor des Blogs Duc in altum, des ehemaligen Vatikanisten der RAI Aldo Maria Valli, befaßt sich in seinem jüngsten Beitrag mit dem Unterschied zwischen dem von Papst Franziskus so herausgestrichenen Armutsverständnis und jenem des neugewählten Papstes Leo XIV.:
Lieber Aldo Maria,
im jüngsten Schreiben zum 9. Welttag der Armen betonte Papst Leo XIV., dass „die schlimmste Armut darin besteht, Gott nicht zu kennen“. Dabei bezog er sich auf die Worte von Papst Franziskus, der in Evangelii gaudium schrieb:
„Die schlimmste Diskriminierung, unter der die Armen leiden, ist der Mangel an geistlicher Zuwendung. Die überwältigende Mehrheit der Armen ist besonders offen für den Glauben; sie brauchen Gott, und wir dürfen es nicht versäumen, ihnen seine Freundschaft, seinen Segen, sein Wort, die Feier der Sakramente und einen Weg zu Wachstum und Reifung im Glauben anzubieten.“
Mir scheint – auch wenn ich mich irren mag – dass zwischen den Aussagen des aktuellen Pontifex und denen seines Vorgängers keine vollständige Übereinstimmung besteht. Es ist eine Sache zu sagen, dass die schlimmste Armut das Nichtkennen Gottes ist (eine durchaus nachvollziehbare Sichtweise), und eine andere, dass Arme aufgrund mangelnder geistlicher Aufmerksamkeit diskriminiert würden. Die beiden Aussagen sind nicht zwingend aufeinander aufbauend oder logisch miteinander verbunden.
Ich will mich keineswegs – denn weder habe ich die Autorität noch den Anspruch – zu jenen zählen, die dem neuen Papst symbolisch „am Pileolus zupfen“ (zumal er dessen Gebrauch wieder eingeführt hat). Doch habe ich das Gefühl – oder vielleicht ist es eher eine Hoffnung –, dass gewisse Zitate von Papst Franziskus im aktuellen Kontext gezielt eingesetzt werden, um stillschweigend Korrekturen am früheren Lehramt vorzunehmen. Es scheint eine Politik der kleinen Schritte zu sein, die ohne Brüche eine Kontinuität suggeriert, obwohl man sich in Wahrheit langsam von ihr entfernt.
Ein Blick auf die Botschaften von Papst Franziskus zu früheren Welttagen der Armen zeigt klar, dass sein Fokus – abgesehen von einigen zurückhaltenden Verweisen auf Tradition und Katechismus – eher auf der materiellen als auf der spirituellen Armut lag. Besonders deutlich wird dies in seiner dritten Botschaft von 2019:
„Wo immer man auch hinschaut, zeigt das Wort Gottes: Die Armen sind diejenigen, die nicht das Notwendige zum Leben haben, weil sie von anderen abhängig sind.“
Papst Leo XIV. hingegen vergisst nicht, dass Gerechtigkeit – noch vor der Nächstenliebe – verlangt, Bedürftige zu unterstützen. Doch legt er den Schwerpunkt klar auf die geistliche Armut. Denn, wie er schreibt:
„Alle Güter dieser Erde, materielle Dinge, weltliche Genüsse, wirtschaftliches Wohlergehen – so wichtig sie auch sein mögen – genügen nicht, um das Herz glücklich zu machen. Reichtum täuscht oft und führt zu dramatischen Formen der Armut, vor allem zu der, zu glauben, man brauche Gott nicht und könne sein Leben unabhängig von ihm führen.“
Armut – die uns alle treffen kann – wird hier verstanden als der Verlust all jener Dinge, die uns einst Sicherheit gaben: nicht nur materielle wie Wohnung, Nahrung, medizinische Versorgung, sondern auch immaterielle wie Bildung, Information, Religionsfreiheit und Meinungsäußerung.
So sind „alle Formen der Armut, ohne Ausnahme, ein Ruf, das Evangelium konkret zu leben und wirksame Zeichen der Hoffnung zu setzen“.
Am Ende seiner Botschaft spricht Papst Leo XIV. jenen seinen Dank aus, die sich bereits für die Armen einsetzen, und lobt „die bereits bestehenden Initiativen und das tägliche Engagement unzähliger Männer und Frauen guten Willens auf internationaler Ebene“. Ich sehe in diesem Dank einen bewussten Verweis auf Rerum Novarum von Leo XIII., der betonte, dass die Kirche
„gemeinsame Mutter von Arm und Reich ist, überall den Heroismus der Nächstenliebe inspiriert und hervorruft, religiöse Vereinigungen und andere wohltätige Einrichtungen geschaffen hat, die kaum eine Form von Not ohne Hilfe ließen. Viele – wie einst die Heiden – kritisieren die Kirche selbst für diese feine Nächstenliebe und meinen, gesetzliche Wohltätigkeit sei ein besserer Ersatz. Doch keine menschliche Institution kann die christliche Nächstenliebe ersetzen, die ganz dem Wohl des Nächsten gewidmet ist. Sie ist nur als Tugend der Kirche möglich, denn sie entspringt einzig dem heiligsten Herzen Jesu Christi: und wer sich von Christus entfernt, entfernt sich auch von der Kirche.“
Von Vincenzo Rizza
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Duc in altum (Screenshot)
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