
Von Cristina Siccardi*
Während in den Pfarreien Trivialisierung herrscht und manche, wie der Redakteur des Corriere della Sera Aldo Cazzullo, die Bibel als Roman oder gar als Autobiographie Gottes bezeichnen, sprechen die Pfarrer, die für ihre Schäfchen zuständig sind, in einem ekelhaften Klima religiöser Ignoranz kaum noch von den Heiligen – warum?
Obwohl die Kirche weiterhin Zeugen Christi, die das Evangelium verkörpert haben, selig- und heiligspricht (einige von ihnen sind fragwürdig, aber das ist ein anderes Thema, das den Rahmen der Betrachtungen dieses Artikels sprengen würde), werden sie paradoxerweise von vielen heutigen Pfarrern nicht mehr als Vorbilder genannt, sie beziehen sie nicht in ihre Predigten und Katechesen ein und verweigern den Seelen wertvolle Lehren, aber auch Balsam und Trost sowie den konkreten Ansporn, sich selbst und damit ihr Leben zu verbessern. Als ob sie sich dafür schämen würden, schweigen sie säkular über sie. Es liegt auf der Hand, daß sie ein ernsthaftes Problem darstellen, weil sie für die Gewissen wie Einflüsterer sind, die behaupten, katholisch zu sein, sich dann aber wie Protestanten verhalten, die die Existenz von Heiligen verleugnen.
Das dramatische Problem liegt wieder einmal in der neuen weltlichen Theologie, die jede kirchliche Realität entweiht hat, angefangen bei der Heiligen Messe.
Vor ein paar Tagen fragte eine Frau in einem Turiner Stadtviertel Passanten, ob es dort eine katholische Kirche gäbe, und als wir sie auf die Kirche einen Häuserblock weiter hinwiesen, sagte sie mehrmals beharrlich: „Nein, nicht die, die kenne ich… ich will eine katholische Kirche… es soll eine katholische Kirche… eine, die katholisch ist“, und zeigte damit, daß diese Kirche dort nicht mehr katholisch war und sie nicht mehr dorthin gehen wollte. Es gibt eine Logik der Erwartung in den Menschen: Wenn ich zum Arzt gehe, suche ich nach einer Lösung für meine Gesundheit; wenn ich zum Bäcker gehe, dann weil ich Brot haben möchte; wenn ich zu einem Anwalt gehe, dann will ich keinen Wirtschaftsberater… genauso will ich, wenn ich eine katholische Kirche betrete, kein protestantisches Gebetshaus, wo weder Priester, Sakramente, die Muttergottes noch die Heiligen leben.
Die Heiligen, diese Unbekannten, möchte man in diesem abtrünnigen Zeitalter sagen. Doch: „Wir wurden geheiligt“, sagt der heilige Paulus, nicht durch moralische Verwandlung, sondern durch das „ein für allemal“ vollbrachte Opfer Christi, denn durch sein Blut „seid ihr gewaschen, seid ihr geheiligt, seid ihr gerechtfertigt im Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (vgl. Hebr 10,10–29; 2,11; 9,13–14; 10,14; 13,12; Eph 5,25–26), und ruft die Menschen zur Bekehrung auf, die nicht nur notwendig, sondern unerläßlich für die ewige Seligkeit ist. Christus, das Allerheiligste, heiligt die Seelen, die sich bekehren. „Das sind die Verheißungen, die wir haben, liebe Brüder. Reinigen wir uns also von aller Unreinheit des Leibes und des Geistes und streben wir in Gottesfurcht nach vollkommener Heiligung“ (2 Kor 7,1). Manche sagen, daß dies eben „das moralische Klima des ersten Jahrhunderts war“… Was für eine historisierende Täuschung ist das denn? Es ist Christus, der ewige Sohn Gottes, der den einzigen zeitlosen Weg zur Heiligkeit aufgezeigt hat, den einzigen, der es ermöglicht, ins Fegefeuer (die Seelen, die die Möglichkeit haben, geläutert zu werden, werden bereits „selig“ genannt) und ins Paradies zu gelangen.
Die rechtfertigende Tat Jesu Christi stellt die Verantwortung eines jeden Menschen in den Mittelpunkt, indem sie den Sünder vom Verderben der Welt trennt, und der Weg der christlichen Vollkommenheit ist der einzige Weg, um mit Gott vereint zu sein. „Seid also vollkommen, wie auch euer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48). Diejenigen, die ein gutes Beispiel geben, und diejenigen, die wirklich lieben, sind zu Recht anspruchsvoll (gute Eltern sind es, wenn sie klug erziehen), und Christus verlangt von der Seele Reue für ihre Sünden und auch Heiligung, sonst würde der Preis, den er am Kreuz bezahlt hat, nicht unsere Zustimmung, unsere Anerkennung, unseren minimalen (im Vergleich zu ihm unbedeutenden) Beitrag der Liebe finden. Seht, die Heiligen, die Gott immer an die erste Stelle setzen, erfahren diese Dankbarkeit und sehnen sich danach, mit Ihm vereint zu sein, auch durch Verzicht, Opfer und Leiden. All dies schafft Probleme für diejenigen, die die moderne Theologie praktizieren, die das Kreuz, das Opfer der Heiligen Messe und die Sünde abgeschafft hat, die zu einer bloßen „Schwäche“ geworden ist, die „gehört“, „verstanden“ und manchmal sogar „begrüßt“ werden muß. Die Sünde wird nicht mehr als der schlimmste Feind des Menschen betrachtet, den es zu bekämpfen und zu besiegen gilt, sondern als etwas, das mit Barmherzigkeit verwöhnt wird, wobei völlig außer acht gelassen wird, daß es keine göttliche Barmherzigkeit ohne göttliche Gerechtigkeit gibt.
Außerdem gibt es, was viele Seelsorger heute aber behaupten, keine „Heiligkeit von nebenan“. Die Heilige Mutter Kirche hat in der goldenen Furche der zwei Jahrtausende alten Tradition immer die Heldenhaftigkeit der Tugenden der Heiligen hochgehalten: Heilige sind Helden, wenn sie als Märtyrer sterben und ihr Blut für Christus und den Glauben vergießen, als auch wenn sie alle theologischen Tugenden und alle Kardinaltugenden auf heroische Weise leben, denn nur so ist die Anerkennung der Heiligkeit gültig, um Seelen zur Ehre der Altäre zu erheben.
Im Apostolischen Schreiben Gaudete et Exultate „über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“, das Papst Franziskus am 19. März 2018, dem Tag des heiligen Patriarchen Joseph, erhabenes Vorbild als Vater und Ehemann, verkündet hat, erklärt der Papst: „[…] wenn jemand von uns die Frage stellt: ‚Wie wird man ein guter Christ? ‚, so ist die Antwort einfach: Man muß, jeder auf seine Weise, tun, was Jesus in der Predigt über die Seligpreisungen sagt“ (Kapitel III, § 63).
Der Heilige kann nicht einfach ein guter Christ sein, er ist viel mehr, auch weil Heilige von Gott dazu berufen sind, sie sind die Auserwählten, die vom Vater entweder in jungen Jahren (man denke zum Beispiel an die heilige Hildegard von Bingen, den heiligen Pater Pio von Pietrelcina, die heilige Rita von Cascia, an Jacinta und Francisco Marto) oder im Erwachsenenalter (wie der hl. Paulus, der hl. Augustinus, der hl. John Henry Newman) auserwählt wurden, um zu Leuchttürmen zu werden, zu denen man aufschauen kann als Zeugen, die in der erhabenen Gnade des Herrn leben und an die man sich wenden kann, um geistliche und/oder leibliche Hilfe und Beistand zu erbitten, als privilegierte Fürsprecher bei Ihm. Darüber hinaus ist dieses „jeder auf seine Weise“ sehr riskant, denn es könnte den Anschein erwecken, daß es eine Einladung ist, die Bedeutung der Heiligkeit zu relativieren, einschließlich der Seligpreisungen.
Letztlich sprechen die Pfarrer nicht mehr von den Heiligen als dem, was sie sind und was sie lehren, weil sie unbequem, ja sehr unbequem sind. Wenn sie es täten, könnten sie die revolutionäre Theologie nicht mehr rechtfertigen, die die Konnotationen der christlichen Lehre wie auch der Moral verändert hat. Die Profile der Heiligen, ihre Worte und ihre Werke sind Spiegel der Wahrheit, die Jesus gebracht hat und in der man sich nicht spiegeln kann, wenn man sein Leben und seine Denkweise nicht ändert, kurz, wenn man sich nicht nach den Anweisungen bekehrt, die der Heiland dem Schriftgelehrten und Sanhedrin-Mitglied Nikodemus gegeben hat: „Es war unter den Pharisäern ein Mann namens Nikodemus, einer der Obersten der Juden. Er kam zu Jesus in der Nacht und sagte zu ihm: ‚Rabbi, wir wissen, daß du ein Arzt bist, der von Gott gekommen ist; denn niemand kann diese wunderbaren Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist‘. Jesus antwortete ihm: ‚Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen‘. Nikodemus sagte zu ihm: ‚Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Kann er ein zweites Mal in den Schoß seiner Mutter gehen und wiedergeboren werden?‘ Jesus antwortete: ‚Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundert euch nicht, daß ich zu euch gesagt habe: Ihr müßt von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Rauschen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.‘ Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: ‚Wie kann das geschehen?‘ Jesus antwortete ihm: ‚Du bist ein Lehrer Israels, und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Was wir wissen, davon reden wir, und was wir gesehen haben, das bezeugen wir, und doch nehmt ihr unser Zeugnis nicht an. Wenn ich zu euch von irdischen Dingen geredet habe und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr glauben, wenn ich zu euch von himmlischen Dingen rede?“ (Joh 3,1–12).
Der Klerus spricht im allgemeinen weder von den Heiligen noch von der Heiligkeit als einem grundlegenden Glaubenssatz, gerade weil diese Themen sich mit den himmlischen Dingen befassen, die in der Lage sind, den wahren Geist des Glaubens mit dem Geist und dem Herzen, die sich den übernatürlichen Realitäten zuwenden, zu vermitteln, die von dem wissenschaftlichen, soziologischen und liberalistischen Denken so vieler, allzu vieler staatenloser Priester so sehr abgelehnt werden.
*Cristina Siccardi, Historikerin und Publizistin, zu ihren jüngsten Buchpublikationen gehören „L’inverno della Chiesa dopo il Concilio Vaticano II“ (Der Winter der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Veränderungen und Ursachen, 2013); „San Pio X“ („Der heilige Pius X. Das Leben des Papstes, der die Kirche geordnet und erneuert hat“, 2014), „San Francesco“ („Heiliger Franziskus. Eine der am meisten verzerrten Gestalten der Geschichte“, 2019), „Quella messa così martoriata e perseguitata, eppur così viva!“ „Diese so geschlagene und verfolgte und dennoch so lebendige Messe“ zusammen mit P. Davide Pagliarani, 2021), „Santa Chiara senza filtri“ („Die heilige Klara ungefiltert. Ihre Worte, ihre Handlungen, ihr Blick“, 2024),
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL