„Die Gebeine des Heiligen Nikolaus sind in Bari, sicher nicht in der Türkei“

Das Nachwirken alter Polemiken und das Konzilsgedenken 2025


Die Nikolausbasilika von Myra
Die Nikolausbasilika von Myra

Kurz vor Weih­nach­ten war es soweit. Aus der Tür­kei kamen nicht zum ersten Mal Mel­dun­gen, die sterb­li­chen Über­re­ste des hei­li­gen Niko­laus von Myra befän­den sich nicht in der ihm geweih­ten Päpst­li­chen Basi­li­ka in Bari, son­dern in der Tür­kei. Doch was hat es damit auf sich?

Laut den tür­ki­schen Stim­men hät­ten See­leu­te aus Vene­dig und Bari vor bald tau­send Jah­ren die fal­schen Gebei­ne gebor­gen und ins Abend­land gebracht, nicht die Gebei­ne des hei­li­gen Bischofs, son­dern „eines ande­ren Priesters“.

Dem wider­spricht Pas­qua­le Cor­si, Pro­fes­sor für Mit­tel­al­ter­li­che und Byzan­ti­ni­sche Geschich­te an der Uni­ver­si­tät Bari, in einem Inter­view mit der Wis­sen­schafts­sei­te UCCR online. Prof. Cor­si macht auch auf die Auf­fäl­lig­keit auf­merk­sam, daß sich tür­ki­sche Archäo­lo­gen just kurz vor Weih­nach­ten mit der Nach­richt zu Wort mel­de­ten. Schließ­lich gehe die inter­na­tio­nal wohl bekann­te­re Kunst­fi­gur des „Weih­nachts­manns“ auf den hei­li­gen Niko­laus zurück. Weih­nach­ten und Tritt­brett­fah­rer also?

Niko­laus von Myra wur­de um 280 nach Chri­stus in Pata­ra in Lyki­en gebo­ren, einer Gegend, die heu­te zur Tür­kei gehört, damals jedoch zu dem von Grie­chen bewohn­ten Teil des Römi­schen Reichs gehör­te. Niko­laus wur­de Bischof von Myra, dem heu­ti­gen Dem­re. Er gehört sowohl in der katho­li­schen wie in der ortho­do­xen Kir­che zu den am mei­sten ver­ehr­ten Hei­li­gen der Kir­chen­ge­schich­te. Er bekämpf­te die aria­ni­sche Häre­sie und nahm als Bischof im Jahr 325 am ersten Öku­me­ni­schen Kon­zil der Kir­chen­ge­schich­te in Nicäa teil. Um 350 ist er, der als gro­ßer Wun­der­tä­ter ver­ehrt wird, verstorben.

Am Anfang der Regie­rungs­zeit des byzan­ti­ni­schen Kai­sers Ale­xi­us I. Kom­ne­nos wur­de Myra, wo sich das hoch­ver­ehr­te Grab des hl. Niko­laus befand, von den Sel­dschu­ken, isla­mi­schen Tür­ken, besetzt. Aus Sor­ge, die neu­en mos­le­mi­schen Macht­ha­ber könn­ten Hand an das Grab legen, setz­ten Kauf­leu­te aus Bari 1087 eine wage­mu­ti­ge Tat. Sie bra­chen in einer Nacht-und-Nebel­ak­ti­on das Grab auf, ent­nah­men die sterb­li­chen Über­re­ste und brach­ten sie in ihre Hei­mat­stadt in Apulien.

Kurz dar­auf konn­ten die Byzan­ti­ner Myra zwar befrei­en, doch dann erober­ten 1391 die Osma­nen, eben­falls isla­mi­sche Tür­ken, ganz Lyki­en. Rund 750 Jah­re befand sich das Grab des Hei­li­gen in der ihm geweih­ten Niko­laus-Basi­li­ka in sei­ner Bischofs­stadt. Die­se wur­de bis 1923 als Got­tes­haus genützt, als die grie­chisch-ortho­do­xen Bewoh­ner des Osma­ni­schen Rei­ches aus­ge­bür­gert und zwangs­um­ge­sie­delt wur­den. Ein auf­ge­bro­che­nes Grab in der Basi­li­ka wird bis heu­te von ortho­do­xen Chri­sten als sein ursprüng­li­ches Grab verehrt.

Im vori­gen Jahr­zehnt wur­de die Niko­laus-Basi­li­ka von Dem­re restau­riert und zieht seit­her zahl­rei­che Besu­cher an. Die Tou­ris­mus­in­du­strie freut sich über jede sen­sa­tio­nel­le Ankün­di­gung, man habe „mög­li­cher­wei­se“ irgend­et­was ent­deckt, das mit dem hei­li­gen Niko­laus zu tun hat. Wahr oder nicht wahr, das spie­le dabei eine eher unter­ge­ord­ne­te Rolle.

Aus Grün­den der Auf­merk­sam­keit und des Tou­ris­mus wer­den dem­nach von tür­ki­scher Sei­te in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den irre­füh­ren­de Nach­rich­ten in die Welt gesetzt. Zuletzt war 2017 behaup­tet wor­den, man habe in Dem­re die „ech­ten Kno­chen“ des hei­li­gen Niko­laus ent­deckt. Die­ses Mal fan­den angeb­lich tür­ki­sche Archäo­lo­gen in der Nähe der St.-Nikolaus-Kirche in Dem­re einen Sar­ko­phag.

Die Lei­te­rin der Aus­gra­bungs­stät­te, Ebru Fat­ma Fin­dik, beeil­te sich, die Ent­deckung bekannt­zu­ma­chen, und mach­te sich dabei zudem über Ita­li­en lustig: „Wir haben Grund zu der Annah­me, daß die Ein­woh­ner von Bari und Vene­dig die Gebei­ne eines ande­ren Prie­sters gestoh­len haben, wäh­rend die des Hei­li­gen in einer ver­steck­te­ren Kryp­ta lie­gen“.

Prof. Cor­si, einen der größ­ten Exper­ten für die Zeit, als die Gebei­ne des hei­li­gen Niko­laus nach Euro­pa gebracht wur­den, beein­drucken die tür­ki­schen Mel­dun­gen nicht. Sie ver­wun­dern ihn besten­falls: „Es ist nicht das erste Mal, daß tür­ki­sche Archäo­lo­gen sol­che Vor­schlä­ge machen, aber sie sind völ­lig halt­los“. Wohl auch in Zukunft sei mit sol­chen und ähn­li­chen Mel­dun­gen aus der Tür­kei zu rech­nen. Die Quel­len über die Ver­brin­gung der Gebei­ne nach Bari sind jedoch „fun­diert“:

„Wir ver­fü­gen über so prä­zi­se und gesi­cher­te Infor­ma­tio­nen, daß es kei­nen begrün­de­ten Zwei­fel geben kann“.

Der Histo­ri­ker ver­weist auf das Zeug­nis von Nike­pho­rus, der die Ver­brin­gung der sterb­li­chen Über­re­ste selbst mit­er­leb­te. Sein Zeug­nis ist eine von drei zeit­ge­nös­si­schen Quel­len zur Aktion. 

„Er hin­ter­ließ uns eine Chro­nik mit einer Rei­he von sehr genau­en Hin­wei­sen auf die Etap­pen der Hin- und Rück­rei­se von Bari nach Myra. Hät­te er sie gefälscht oder bestün­den irgend­wel­che Zwei­fel, wären Unstim­mig­kei­ten auf­ge­tre­ten, statt­des­sen stimmt alles über­ein. Bei den Gebei­nen des hei­li­gen Niko­laus und dem Sar­ko­phag hier in Bari kann man sich also sicher sein.“

Die heu­ti­gen tür­ki­schen Behaup­tun­gen gehen, so Prof. Cor­si, auf eine jahr­hun­der­te­al­te Pole­mik zurück, die ihren Aus­gang in Vene­dig nah­men. Die Vene­zia­ner waren damals kurz nach den Kauf­leu­ten aus Bari in das tür­kisch besetz­te Myra gekom­men. Die Bare­si hat­ten bereits voll­ende­te Tat­sa­chen geschaf­fen. Die Vene­zia­ner, die viel­leicht eine ähn­li­che Absicht hat­ten oder erst durch die Tat, von der sie erfuh­ren, auf die Idee gebracht wur­den, ärger­ten sich offen­sicht­lich, daß die Bare­si, Kon­kur­ren­ten Vene­digs in der Adria und im Ori­ent­han­del, so bedeu­ten­de Reli­qui­en in ihre Stadt brin­gen hat­ten kön­nen. Die Vene­zia­ner behaup­te­ten, sie hät­ten noch eini­ge Kno­chen des Hei­li­gen im Grab vor­ge­fun­den und die­se nach Vene­dig gebracht.

Die­ser Dar­stel­lung wider­spricht die genann­te Chro­nik des Nike­pho­rus, laut der offen­sicht­lich alle vor­han­de­nen Kno­chen voll­stän­dig dem Sar­ko­phag in Myra ent­nom­men, unter­sucht und nach Bari gebracht wurden. 

Fres­ko zur Trans­la­tio des hei­li­gen Nikolaus

Die­se Anga­ben decken sich mit einer frü­he­ren Reli­qui­en­ent­nah­me, denn bereits im Über­gang von der Spät­an­ti­ke zum Früh­mit­tel­al­ter waren eini­ge Reli­qui­en des Hei­li­gen sei­nem Grab ent­nom­men und nach Kon­stan­ti­no­pel gebracht wor­den. Als im Jahr 972 Kai­ser Otto II. die byzan­ti­ni­sche Kai­ser­nich­te Theo­pha­nu hei­ra­te­te, brach­te sie die­se Reli­qui­en in das Abend­land mit. Mit die­ser Hoch­zeit erkann­te Kon­stan­ti­no­pel die west­li­che Kai­ser­wür­de an. Reli­qui­en dien­ten im Mit­tel­al­ter als über­na­tür­li­che Garan­ten von beson­ders bedeut­sa­men Rechts­ak­ten. Die Aner­ken­nung der Kai­ser­wür­de war ein sol­cher hoch­be­deut­sa­mer Rechts­akt. Die genann­ten Reli­qui­en befin­den sich seit 1058 im Kai­ser­dom zu Worms.

Vor allem müs­se mit­ge­dacht wer­den, daß auch Bari so wie Myra bis 1071 zum Byzan­ti­ni­schen Reich gehört hat­te. Der Ein­fluß der grie­chi­schen Spra­che und die ost­kirch­li­che Prä­gung waren sehr stark in der Stadt. Die­se Ver­bin­dung brach erst ab, als Bari 1071 von den Nor­man­nen ein­ge­nom­men wur­de. Genau im sel­ben Jahr began­nen die Sel­dschu­ken einen Erobe­rungs­zug durch das christ­li­che Ana­to­li­en und besetz­ten im sel­ben Jahr auch Syri­en und Jeru­sa­lem. Die christ­li­chen Pil­ger­fahr­ten ins Hei­li­ge Land, die bis dahin bereits unter den isla­mi­schen Fati­mi­den gelit­ten hat­ten, kamen nun fast voll­ends zum Erliegen.

Die Iden­ti­tät der Niko­laus-Reli­qui­en von Bari war so ein­deu­tig, daß Papst Urban II. 1098 per­sön­lich die Pro­zes­si­on anführ­te, mit der sie in die Kryp­ta der eigens für sie in Bari erbau­ten Basi­li­ka über­ge­führt wur­den. Zudem berief er ein Kon­zil in der Stadt ein, um den 1054 ein­ge­tre­te­nen Bruch zwi­schen Ost- und West­kir­che zu überwinden.

Als Grund für die dama­li­gen Pole­mi­ken, die zum Ursprung aller fol­gen­den wur­den, nennt Prof. Cor­si ein Kon­kur­renz­den­ken um reli­giö­ses Pre­sti­ge und die Kraft, Pil­ger­fahr­ten in die jewei­li­ge Stadt anzu­zie­hen. Für die heu­ti­gen Pole­mi­ken gehe es eben­so um Pre­sti­ge und tou­ri­sti­sche Aspek­te. Es habe sich nicht all­zu­viel geän­dert. Alle bis­he­ri­gen tür­ki­schen Behaup­tun­gen in der Sache, die älte­ren wie die jüng­sten, sei­en jedoch halt­los. Allen gemein­sam ist, daß irgend­wel­che Fun­de gemacht wer­den, zu denen will­kür­lich eine Ver­bin­dung mit dem hei­li­gen Niko­laus behaup­tet wird.

2025 wird an das Kon­zil von Nicaea vor 1700 Jah­ren erin­nert. Papst Fran­zis­kus will dazu im Mai nach Nicaea rei­sen, dem heu­ti­gen Iznik. In Dem­re möch­te man mög­lichst auch von die­sem Ereig­nis pro­fi­tie­ren.

Das Bei­spiel zeigt auch, wie lan­ge sich aus Neid und Kon­kur­renz in die Welt gesetz­te Pole­mi­ken, wenn auch in abge­wan­del­ter Form, hal­ten kön­nen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wikicommons/​MiL

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1 Kommentar

  1. Man soll­te die Her­aus­ga­be der Gebei­ne for­dern. Was will ein isla­mi­sie­ren­der Staat mit den Reli­qui­en h
    jenes Hei­li­gen, der für jene Wahr­heit über Jesus gekämpft hat, auch mit Fäu­sten, die der Islam am inten­siv­sten bekämpft?

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