Zum Problem des häretischen Papstes

Welche Optionen kennt die Kirche für eine unbekannte Situation?


Papst Franziskus schockierte in Asien mit der Aussage, daß alle Religionen "gleich" seien. Doch welche Konsequenzen hat eine solche häretische Aussage?
Papst Franziskus schockierte in Asien mit der Aussage, daß alle Religionen "gleich" seien. Doch welche Konsequenzen hat eine solche häretische Aussage?

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Die Erklä­rung von Papst Fran­zis­kus über die ver­schie­de­nen Reli­gio­nen, die er am 13. Sep­tem­ber in Sin­ga­pur abge­ge­ben hat, ist wahr­schein­lich dazu bestimmt, einem gewis­sen Sedis­va­kan­tis­mus Vor­schub zu lei­sten, der sich wei­gert, die Auto­ri­tät des amtie­ren­den Pap­stes wegen sei­ner tat­säch­li­chen oder ver­meint­li­chen Häre­si­en anzuerkennen.

Auch wenn der Dis­sens oder Wider­stand gegen vie­le Äuße­run­gen des Pap­stes gerecht­fer­tigt sein mag, so ist die Ober­fläch­lich­keit nicht gerecht­fer­tigt, mit der das schwie­ri­ge und heik­le The­ma der höch­sten Auto­ri­tät in der Kir­che in eini­gen Krei­sen behan­delt wird.

In einem bahn­bre­chen­den Buch „Ipo­te­si Teo­lo­gi­ca di un Papa ere­ti­co“ („Theo­lo­gi­sche Hypo­the­se eines häre­ti­schen Pap­stes“, Ver­lag Sol­fa­nel­li, Chie­ti 2018)1 hat Arnal­do Xavier da Sil­vei­ra (1929–2018) eine syste­ma­ti­sche Dar­stel­lung der Fra­ge nach dem häre­ti­schen Papst vor­ge­legt. Auf der Grund­la­ge sorg­fäl­ti­ger Recher­chen zeigt der Autor, daß die Mög­lich­keit, daß ein Papst in Häre­sie ver­fal­len kann, von den mei­sten Theo­lo­gen geteilt wird. Hin­ge­gen besteht kein Kon­sens dar­über, ob ein mög­li­cher­wei­se häre­ti­scher Papst sein Amt ver­liert und wenn ja, wann und wie dies geschieht.

Die theo­lo­gi­sche Hypo­the­se eines häre­ti­schen Papstes

Das sicher­ste Urteil scheint nach da Sil­vei­ra und ande­ren Autoren das des hei­li­gen Robert Bell­ar­min zu sein, dem­zu­fol­ge ein Papst, der öffent­lich und noto­risch der Häre­sie ver­fällt, auf­hört, Mit­glied der Kir­che zu sein, und damit ipso fac­to auf­hö­ren wür­de, Ober­haupt der Kir­che zu sein.

Auf die­ser Grund­la­ge argu­men­tie­ren eini­ge Sedis­va­kan­ti­sten: a) Fran­zis­kus hat durch sei­ne Wor­te und Taten bewie­sen, daß er ein öffent­li­cher Häre­ti­ker ist; b) wenn Fran­zis­kus ein öffent­li­cher Häre­ti­ker ist, dann ist er kein Mit­glied der Kir­che mehr und kann in die­sem Fall nicht als wah­res Ober­haupt der von Chri­stus ein­ge­setz­ten sicht­ba­ren Kir­che betrach­tet wer­den; c) des­halb ist Fran­zis­kus nicht der Papst, son­dern ein­fach Jor­ge Mario Berg­o­glio und „ini­micus Eccle­siae“ [ein „Feind der Kirche“].

Das Pro­blem ist in Wirk­lich­keit kom­ple­xer und muß gera­de im Lich­te der Leh­re des hei­li­gen Robert Bell­ar­min und der zuver­läs­sig­sten Theo­lo­gen behan­delt werden.

In sei­ner Enzy­kli­ka Mysti­ci cor­po­ris vom 29. Juni 1943 erklärt Pius XII., daß der mysti­sche Leib der Kir­che nach dem Vor­bild des fleisch­ge­wor­de­nen Wor­tes ein tie­fes geist­li­ches Leben sowie eine orga­ni­sche und sozia­le Struk­tur besitzt. Wie ihr Grün­der besteht die Kir­che aus einem mensch­li­chen, sicht­ba­ren und äuße­ren Ele­ment, das von den Men­schen gege­ben wird, die sie bil­den, und einem gött­li­chen, gei­sti­gen und unsicht­ba­ren Ele­ment, das von den über­na­tür­li­chen Gaben gege­ben wird, die die mensch­li­che Gesell­schaft unter den Ein­fluß des Hei­li­gen Gei­stes stel­len, der die See­le und das eini­gen­de Prin­zip des gan­zen Orga­nis­mus ist.

Um geret­tet zu wer­den, ist es not­wen­dig, durch über­na­tür­li­chen Glau­ben zur See­le der Kir­che zu gehö­ren, denn „ohne Glau­ben ist es unmög­lich, Gott zu gefal­len“ (Hebr 11,6). Der Glau­be ist jedoch nur der Anfang unse­rer gött­li­chen Exi­stenz: Das vol­le, inten­si­ve Leben wird hei­lig­ma­chen­de Gna­de genannt. Wer die schwe­re Sün­de der Häre­sie begeht, trennt sich von der See­le der Kirche.

Statt­des­sen sind drei Ele­men­te erfor­der­lich, um zum Leib der Kir­che zu gehö­ren: das äuße­re Bekennt­nis zum katho­li­schen Glau­ben, die Teil­nah­me an den Sakra­men­ten der Kir­che und die Unter­ord­nung unter die recht­mä­ßi­gen Hir­ten. Sind Häre­ti­ker auch auto­ma­tisch vom Leib der Kir­che getrennt?

In der­sel­ben Enzy­kli­ka Mysti­ci Cor­po­ris stellt Pius XII. fest, daß „zu den Glie­dern der Kir­che aus­schließ­lich die­je­ni­gen zu zäh­len sind, die die Waschung der Rege­ne­ra­ti­on emp­fan­gen haben und sich, indem sie den wah­ren Glau­ben beken­nen, sich nicht in schänd­li­cher Wei­se von die­sem Leib getrennt haben und nicht von der recht­mä­ßi­gen Auto­ri­tät durch schwe­re Ver­feh­lun­gen von ihm getrennt wurden“.

Hier gibt es eine impli­zi­te, aber grund­le­gen­de Unter­schei­dung zwi­schen der recht­li­chen und der geist­li­chen Tren­nung der Häre­ti­ker vom Mysti­schen Leib, die sich auf den Unter­schied zwi­schen der See­le und dem Leib der Kir­che bezieht. Der Papst erklärt, daß die Häre­sie ihrem Wesen nach die Per­son geist­lich von der Kir­che trennt, wäh­rend die recht­li­che Tren­nung nur dann erfolgt, wenn die Per­son die Kir­che frei­wil­lig ver­läßt oder durch eine kirch­li­che Ent­schei­dung von ihr getrennt wird.

Man soll­te nicht die Sün­de und das Ver­bre­chen der Ket­ze­rei ver­wech­seln. Erste­re gehört zur mora­li­schen Sphä­re, letz­te­re zur recht­li­chen Sphä­re. Die Häre­sie ist ihrem Wesen nach eine Sün­de und trennt uns geist­lich von der Kir­che, was uns auch zur recht­li­chen Tren­nung prä­dis­po­niert. Aber die geist­li­che Bin­dung unter­schei­det sich von der juri­sti­schen. John Sal­za und Robert Sis­coe haben die­sen Punkt in „True or Fal­se Pope“ („Wah­rer oder fal­scher Papst“, Saint Tho­mas Aqui­nas Semi­na­ry, 2015, S. 143–189) näher erläu­tert. Die for­ma­le Tren­nung erfolgt, wenn die Auto­ri­tät der Kir­che das Ver­bre­chen der Häre­sie aner­kennt und den Häre­ti­ker öffent­lich ver­ur­teilt. Aber wer hat die Auto­ri­tät, ein Urteil gegen den Papst zu fäl­len, der kei­nen Vor­ge­setz­ten hat? Es ist klar, daß jeg­li­ches Ein­grei­fen der Kir­che, der Kar­di­nä­le oder des Kon­zils eine rein dekla­ra­to­ri­sche Hand­lung wäre, die das Vor­lie­gen eines Ver­bre­chens der Ket­ze­rei öffent­lich bekun­det. Der Stell­ver­tre­ter Jesu Chri­sti unter­liegt in der Tat kei­ner mensch­li­chen Gerichts­bar­keit: Sein direk­ter und unmit­tel­ba­rer Rich­ter kann nur Gott selbst sein.

Der Papst kann sich von der Kir­che tren­nen, aber nur nach einer noto­ri­schen Häre­sie, die gegen­über dem katho­li­schen Volk offen­kun­dig ist und mit Beharr­lich­keit bekun­det wird. Der Ver­lust des Papst­tums ist in die­sem Fall nicht das Ergeb­nis einer Abset­zung durch irgend­je­man­den, son­dern eines Aktes des Pap­stes selbst, der sich, indem er for­mell und noto­risch zum Häre­ti­ker wird, aus der sicht­ba­ren Kir­che aus­ge­schlos­sen und still­schwei­gend auf das Papst­tum ver­zich­tet hat.

Eine nach außen hin bekun­de­te Häre­sie kann jedoch als öffent­lich bezeich­net wer­den, ohne not­wen­di­ger­wei­se noto­risch zu sein. Der berühm­te Kano­nist Franz Xaver Wernz macht in sei­nem Ius Decre­ta­li­um (Tomus VI, 1913, S. 19–23) eine wich­ti­ge Unter­schei­dung zwi­schen öffent­li­chem und noto­ri­schem Ver­bre­chen. Ein Ver­bre­chen ist publi­cum [öffent­lich], wenn es zwar weit ver­brei­tet ist, aber nicht von der gan­zen Bevöl­ke­rung als sol­ches erkannt wird. Noto­risch bedeu­tet mehr: Das Ver­bre­chen wird von allen als Beweis aner­kannt. „Noto­ri­sche Tat­sa­chen brau­chen kei­nen Beweis“ (can. 1747). Die Noto­rie­tät setzt vor­aus, daß sich der Hörer der ket­ze­ri­schen Wor­te der intrin­si­schen Bos­heit des­je­ni­gen bewußt ist, der sie aus­spricht. Han­delt es sich dabei um einen Papst, der sie aus­spricht, so bleibt der Ket­zer, solan­ge die­ses Bewußt­sein fehlt und der Papst von der Welt­kir­che gedul­det und akzep­tiert wird, ein wah­rer Papst und sei­ne Hand­lun­gen sind im Prin­zip gültig.

Heu­te inter­pre­tiert die gro­ße Mehr­heit der Katho­li­ken, beson­ders die kirch­li­chen Hier­ar­chien, die Wor­te und Taten von Papst Fran­zis­kus pro bono. Man kann also nicht sagen, daß sein Glau­bens­ver­lust offen­sicht­lich und offen­kun­dig ist. Es scheint auch nicht mög­lich zu sein, sei­ne Hart­näckig­keit zu bewei­sen. So sind die rich­ti­gen Hin­wei­se der gro­ßen klas­si­schen Theo­lo­gen in der Pra­xis schwer zu befol­gen. Als der hei­li­ge Robert Bell­ar­min oder Pater Wernz ihre Bücher schrie­ben, war die Gesell­schaft noch katho­lisch, der Sen­sus fidei war ent­wickelt und es war leicht, die Häre­sie eines Prie­sters, eines Bischofs oder sogar eines Pap­stes zu erken­nen. Heu­te lebt die gro­ße Mehr­heit der Getauf­ten, der ein­fa­chen Gläu­bi­gen, der Prie­ster, der Bischö­fe in der Häre­sie, und nur weni­ge sind in der Lage, zwi­schen der Wahr­heit und dem Irr­tum zu unter­schei­den, der in den Tem­pel Got­tes ein­ge­drun­gen ist.

Keh­ren wir zur Unter­schei­dung zwi­schen der geist­li­chen und der recht­li­chen Sphä­re zurück. Der hei­li­ge Robert Bell­ar­min gibt im zwei­ten Buch von „De Roma­no Pon­ti­fi­ce“ ein inter­es­san­tes Bei­spiel über Nova­ti­an und Bajus. Nova­ti­an (220–258) war ein Ket­zer, der die Legi­ti­mi­tät von Papst Cor­ne­li­us bestritt und so weit ging, sich selbst zum Papst zu ernen­nen und die Auto­ri­tät der Kir­che öffent­lich abzu­leh­nen. Micha­el Bajus (1513–1589), ein Pro­fes­sor in Löwen in den Nie­der­lan­den, ver­fiel der Ket­ze­rei und wur­de von Pius V. und Gre­gor XIII. geta­delt, leug­ne­te aber im Gegen­satz zu Nova­ti­an nicht den Papst und die Kir­che als unfehl­ba­re Glau­bens­re­gel. Bell­ar­min erklärt, daß Nova­ti­an ein offen­kun­di­ger Häre­ti­ker war, der im Gegen­satz zu Bajus Ämter und Juris­dik­ti­on in der Kir­che verlor.

Zusam­men­fas­send läßt sich sagen, daß es vor­kom­men kann, daß ein Papst sich gei­stig von der Kir­che trennt, wäh­rend er kano­nisch Papst bleibt, genau­so wie es vor­kom­men kann, daß die Gläu­bi­gen sich gei­stig von einem Papst tren­nen, wäh­rend sie sei­ne kano­ni­sche Legi­ti­mi­tät aner­ken­nen. Wah­re Katho­li­ken müs­sen sich nicht vom Papst tren­nen, son­dern von den Irr­leh­ren und Irr­tü­mern, die lei­der von den höch­sten Rän­gen der Kir­che ver­kün­det wer­den, und dann war­ten alle auf Gott.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


1 Der Titel der por­tu­gie­si­schen Aus­ga­be lau­tet: „A Hip­óte­se teoló­gi­ca de um Papa Here­ge“. Eine deut­sche Aus­ga­be gibt es noch nicht.

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