
Ein Kommentar von Don Michael Gurtner*
Als man in den 1960er Jahren ohne Grund die Liturgie der katholischen Kirche änderte, tat man dies aus eher ideologischen Gründen heraus: Man wollte sich den Protestanten annähern, und deshalb „mehr Wort, weniger Ritus“ in der Liturgie.
Freilich gibt es für die Zurückdrängung von Kult und (Meß-)Opfer keine Grundlage zu finden, auf die man sich berufen könnte: Weder in der Tradition noch im Lehramt, schon gar nicht in der Heiligen Schrift, zielt sie doch letztlich einzig auf das Kreuz und damit auf das Opfer und somit letztlich auf Liturgie ab. Vermutlich um den Eindruck zu erwecken, daß die Abkehr von Kult und Liturgie auch biblisch gedeckt sei und Christus im Grunde genommen gar keinen zeremoniellen Kult wollte, hat man sich in der Leseordnung des 22. Sonntages im Jahreskreis B aus biblischen Versatzstücken eine – anscheinend – passende Aussage zusammengezimmert, die in Wirklichkeit dem entgegengesetzt ist, was Jesus in der betreffenden Perikope tatsächlich sagte.
Das Zynische daran ist, daß man dafür ausgerechnet jenes Evangelium heranzog, in dem der Heiland genau dieses Vorgehen scharf verurteilt: die Offenbarung Gottes so zu verdrehen, daß das gewünschte Resultat menschlichen Kalküls dabei herauskommt.
Konkret handelt es sich dabei um den 22. Sonntag im Jahreszyklus B, der in den August oder September fällt. An diesem Sonntag läßt die Liturgie der Kirche Mk 7,1–8.14–15.21–23 lesen. Allein schon an der Angabe der Schriftstelle sieht man, wie viele Auslassungen es hier innerhalb des liturgisch vorgesehenen Sonntagsevangeliums gibt: Von 23 Versen sind 10 entfernt worden, nämlich 9–13 und 16–20. Das sind immerhin 43 Prozent! Und das ist in diesem konkreten Fall dann auch komplett sinnentstellend. Denn die verbliebenen Stellen, die aneinander gestückelt wurden und denen durch die Auslassung von jeweils ganzen fünf Versen der Zusammenhang fehlt, lesen sich dann so, als wäre Jesus gegen sämtliche religiöse Riten und Regeln, ganz besonders gegen die liturgischen. Zwar liest es sich so, aber nur weil man sehr gezielt und willkürlich die erklärenden Stellen ausgelassen hat. Und darauf zielen dann auch viele dieser „Hinführungen“ zum Evangelium ab, die man auf offiziellen kirchlichen Seiten liest und die vielen Priestern als Predigtvorbereitung dienen und die den Inhalt einfach übernehmen und etwas umformulieren. So hört man in jeder zweiten Predigt: Jesus wollte eigentlich gar keine Liturgie, keine religiösen Riten und Vorschriften, er hätte sich gegen alles „Äußerliche“ aufgelehnt, nur das Innere zähle (obwohl Jesus explizit davor warnt, daß auch das „Innere“ die Gefahr birgt, die Seele des Menschen zu verunreinigen), und warum machen wir überhaupt das alles. Liturgie erscheint als etwas Suspektes, Gott nicht Wohlgefälliges.
Dieser Eindruck kann zwar tatsächlich entstehen, allerdings nur weil durch die Auslassungen eine vollkommen neue Situation entsteht, die sich so gar nicht zugetragen hat bzw. die Jesus absolut nicht gemeint hat. Hier wird durch Auslassungen die Bibelstelle sehr gezielt verfälscht und manipuliert.
Denn ausgelassen wurden ausgerechnet jene Stellen, in denen Jesus selbst seine eigenen Worte interpretiert und erklärt! Er kritisiert genau das Gegenteil von dem, was uns durch diese Auslassungen suggeriert wird, nämlich nicht die Regeln kritisiert er, überhaupt nicht, sondern er kritisiert, daß die Pharisäer versuchen, durch geschickte, ganz gezielte Manipulation Gottes Gebote, die Regeln und die Gesetze auszuhebeln und die Offenbarung Gottes so zu mißbrauchen, daß sie in böswilliger Absicht Teile der Offenbarung Gottes dazu verwenden, um andere Teile der Offenbarung Gottes für ungültig zu erklären und manipulativ zu verändern. Wörtlich sagt er: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an Überlieferung der Menschen. Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure eigene Überlieferung aufzurichten“. Er kritisiert also nicht Liturgie, rituelle Praktiken, Regeln oder Gesetze, sondern das genaue Gegenteil davon, nämlich daß die Überlieferungen nicht befolgt werden, wobei man dreisterweise dabei sich auf Gott selbst beruft, indem man seine Offenbarung so manipuliert, wie es einem selbst gerade paßt: geradezu so als ob Gott sich selbst widersprechen würde.
Kurz gesagt: Zynischerweise kritisiert Jesus in dieser Perikope, wenn man sie ganz und mitsamt ihren Auslassungen liest, genau das, was hier selbst geschieht: nämlich den Sinn der Heiligen Schrift so zu manipulieren, daß ein völlig anderer Sinn, nämlich der gewollte, dabei herauskommt. Sie ersetzen wie die Pharisäer das, was Gott gefügt hat, mit ihrem Eigenen und berufen sich dabei noch auf die von ihnen zu ihren eigenen Zwecken manipulierte Offenbarung.
Und auch hier fragt man sich wieder: Welche Motivation und welche Intention stehen hinter dieser Manipulation der Heiligen Schrift? Was ist Sinn und Zweck, und was sollte das bei den Gläubigen bewirken? Warum entscheidet man so etwas? Was bezweckt man?
Wie sehr die Liturgiereform an diesem Punkt bzw. an diesem Sonntag das Herrenwort selbst verdreht, wird deutlich, wenn wir die gesamte Textstelle anschauen und die ausgelassenen Teile wieder hinzunehmen (hier wiedergegeben in der empfehlenswerten Allioli-Übersetzung):
1. Und es versammelten sich bei ihm die Pharisäer und einige von den Schriftgelehrten, die von Jerusalem kamen.
2. Als sie nun sahen, wie einige seiner Jünger mit unreinen, das ist mit ungewaschenen Händen Speise nahmen, rügten sie es.
3. Denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, ohne sich öfter die Hände gewaschen zu haben, indem sie festhalten an den Überlieferungen der Alten.
4. Auch essen sie nicht, wenn sie vom Markte kommen, ohne sich zuvor zu baden. Und so gibt es noch viele andere Dinge, die zu beobachten sie von den Vorfahren überkommen haben: Abwaschen von Bechern und Krügen und Kupfergeschirren und Betten.
5. Daher fragten ihn die Pharisäer und Schriftgelehrten: Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Satzung der Alten, sondern essen ihre Speisen mit ungewaschenen Händen?
6. Er aber antwortete, und sprach zu ihnen: Treffend hat Isaias von euch Heuchlern geweissagt, wie geschrieben steht: Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, ihr Herz aber ist fern von mir.
7. Vergeblich aber ehren sie mich, weil sie Lehre und Satzungen von Menschen lehren.
8. Denn während ihr das Gebot Gottes hintansetzet, haltet ihr die Überlieferung der Menschen, Waschungen von Krügen und Bechern; und anderes derart tut ihr vieles.
9. Und er sprach zu ihnen: Schön lasset ihr das Gebot Gottes nichts gelten, damit ihr euere Überlieferung wahret.
10. Denn Moses hat gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter. Und: Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben.
11. Ihr aber saget: Wenn einer zum Vater oder zur Mutter sagt: Korban, das heißt Weihegeschenk, sei alles, was dir von mir zugutekommt,
12. da lasset ihr ihn nichts mehr für seinen Vater oder seine Mutter tun,
13. indem ihr das Wort Gottes für ungültig erklärt durch euere Überlieferung, die ihr gegeben habt; und ähnliches derart tut ihr vieles.
14. Und er rief abermals das Volk herbei, und sprach zu ihnen: Höret mich alle, und verstehet es wohl!
15. Nichts ist außerhalb des Menschen, was in denselben eingehend ihn unrein machen könnte, aber was von dem Menschen herauskommt, das ist es, was den Menschen verunreinigt.
16. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
17. Als er nun vom Volke weggehend in ein Haus eingetreten war, befragten ihn seine Jünger über das Gleichnis.
18. Und er sprach zu ihnen: Seid auch ihr so ohne Verständnis? Sehet ihr nicht ein, daß alles, was von außen in den Menschen eingeht, ihn nicht verunreinigen kann,
19. weil es nicht in sein Herz eingeht, sondern in den Leib kommt und den natürlichen Ausgang nimmt, der alle Speisen ausscheidet?
20. Was aber, sprach er, von dem Menschen ausgeht, das macht den Menschen unrein.
21. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Ehebrüche, Unzucht, Mordtaten,
22. Diebstähle, Geiz, Bosheit, Betrug, Schamlosigkeit, Scheelsucht, Gotteslästerung, Hoffart und Torheit.
23. All dies Böse kommt von innen heraus und verunreinigt den Menschen.
Die Liturgiereform hat jedoch genau dies getan: Gott hintangesetzt und den Menschen in seinem flüchtigen Geschichtsaugenblick an seine Stelle gesetzt, und diesen Paradigmenwechsel mit frommen, salbungsvollen Worten gerechtfertigt, indem man Teile der göttlichen Offenbarung geschickt gegen die Offenbarung Gottes selbst ausspielte.
Der Applaus der Welt ist der Kirche dabei gewiß. Ob auch der Himmel dabei applaudiert, darf getrost angezweifelt werden.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen (Corona-) Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Von ihm stammt die Kolumne „Zur Lage der Kirche“.
Bild: Wikicommons
Wie wahr!
In anderthalb Jahren Konfirmandenunterricht hat der Pastor mit uns nie die Bergpredigt vollständig gelesen, sondern nur diese und ähnliche Stellen, völlig aus dem Kontext gerissen und in den neuen, kranken, protestantischen gesetzt, und dann auch nur noch alles von dieser Lesart aus behandelt. Man hat uns in sinnlose Gedankenspiele, die immer ins nichts führten und führen mussten, verwickelt, an Theologen, die sich in diesen ergangen haben, mangelte es freilich nicht.
Ich weiss schon lange, dass das kein Zufall, sondern Teil der Freimaurerstrategie, um uns geistlich zu entwurzeln und zu einer unglücklichen, missgünstigen, rückgratlosen, heuchlerischen, entmannten, eben sehr leicht steuerbaren Personen zu machen.
Bzw. unseren jugendlichen Idealismus ein ums andere Mal ins Leere laufen zu lassen, bis wir nicht mehr konnten.
Mein Bruder verfing sich in dieser satanischen Strategie, und spürt die Folgen bis heute deutlich, durch die Gnade Gottes wurde ich innerlich damit nicht erreicht, aber dafür fast in den Selbstmord getrieben, wenn der Herr, der Adonai, der dreieinige Gott, mich nicht gerettet hätte, und die Jungfrau und Gottesmutter Maria mich wieder zu ihm geführt hätte!