Der US-amerikanische Soziologe und Überbevölkerungsideologe Kingsley Davis veröffentlichte 1967 im Wissenschaftsmagazin Science ein politisches Programm. Dieses hatte er schon früher entwickelt und nach der 1960 erfolgten Einführung der Anti-Baby-Pille modifiziert. Er war nämlich der Meinung, daß auch die Anti-Baby-Pille nicht ausreiche, um das als Katastrophe behauptete Bevölkerungswachstum zu reduzieren. Daher müßten, so Davis, radikalere Maßnahmen ergriffen werden, die er selbst als „Katalog des Schreckens“ bezeichnete. Wie lautet dieses erschreckende Zitat und wer war Kingsley Davis? Wer waren seine Partner? Wer seine Sponsoren?
„Daraus folgt, daß in Ländern, in denen Empfängnisverhütung praktiziert wird, ein realistischer Vorschlag für eine Regierungspolitik zur Senkung der Geburtenrate sich wie ein Katalog des Schreckens liest: Druck auf die Verbraucher durch Besteuerung und Inflation; Verknappung des Wohnraums durch Einschränkung der Bautätigkeit; Zwang für Ehefrauen und Mütter, außer Haus zu arbeiten, um die unzureichenden Löhne der Männer zu kompensieren, wobei nur wenige Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen; Förderung der Abwanderung in die Städte durch niedrige Löhne auf dem Land und wenige Arbeitsplätze auf dem Land; Erhöhung der Verkehrsdichte in den Städten durch Aushungern des Verkehrssystems; Erhöhung der persönlichen Unsicherheit durch Förderung von Bedingungen, die Arbeitslosigkeit erzeugen, und durch willkürliche politische Verhaftungen.“
Der Originaltext:
„It follows that, in countries where contraception is used, a realistic proposal for a government policy of lowering the birth rate reads like a catalogue of horrors: squeeze consumers through taxation and inflation; make housing very scarce by limiting construction; force wives and mothers to work outside the home to offset the inadequacy of male wages, yet provide few child care facilities; encourage migration to the cities by paying low wages in the country and providing few rural jobs; increase congestion in the cities by starving the transit system; increase personal insecurity by encouraging conditions that produce unemployment and by haphazard political arrests.“
Kingsley Davis, “Population Policy: Will Current Programs Succeed?”, in: Science, [1967] 158, 3802, S. 730–739, S. 739
Kingsley Davis (1908–1997) war ein US-amerikanischer Soziologe und wird den Universitätsstudenten als „Klassiker“ der Soziologie präsentiert. 1955–1977 war er Professor an der University of California in Berkeley, ein Lehrstuhl, der ihm faktisch von der Ford Foundation finanziert wurde. Nach seiner Emeritierung lehrte er bis 1992 er an der Hoover Institution on War, Revolution and Peace in Stanford.
Bekannt wurde Davis in den 40er Jahren als neomalthusianischer Bevölkerungswissenschaftler. Als Neomalthusianismus gilt jene Überbevölkerungsideologie, die sich auf die Theorien des anglikanischen Pastors Thomas Malthus stützen und Ende des 19. Jahrhunderts von den Sozialdarwinisten um Francis Galton, den Vetter von Charles Darwin, wiederaufgegriffen wurde. Das Ziel der Neomalthusianer ist eine Bevölkerungsreduzierung, bevorzugt durch Geburtenkontrolle. Wie bereits die Thesen von Malthus wurden auch jene der Neomalthusianer widerlegt. Ihre Prämissen sind falsch. Mehrfach behaupteten sie, die Welt könne mehr Bevölkerung nicht ertragen, sonst komme es zur Katastrophe, weshalb das Bevölkerungswachstum gebremst werden müsse. Als Höchstgrenzen wurden 1947 2,5 Milliarden Menschen, 1968 3,5 Milliarden Menschen usw. behauptet. Die Realität hätte sie eines Besseren belehren sollen. Die Welt ernährt heute nicht nur problemlos 8 Milliarden Menschen. Es gibt auch keine naturbedingte Hungersnot mehr. Die letzte große Hungersnot ereignete sich 1984/85, vor nunmehr schon 40 Jahren, in Äthiopien und war nicht allein durch Dürre, sondern auch durch politische Umstände verursacht worden.
Da die Überbevölkerungsideologen offensichtlich unrecht hatten, vertreten sie heute – unverändert im Panikmodus – eine modifizierte Variante, die in ihrer radikalsten Form besagt, daß die Erde zwar jetzt noch so viele Menschen ernähren könne, doch sei bei steigendem Lebensstandard und gleichzeitiger Ressourcenverknappung, Umweltverschmutzung, CO2-Ausstoß, Ansteigen des Meeresspiegels und Erderwärmung langfristig nur Platz für maximal 500 Millionen. Sie vertreten radikale Bevölkerungsdezimierungstheorien, obwohl es heute kaum noch Bevölkerungswachstum durch Geburten gibt. Das gilt nur mehr für Schwarzafrika und einige wenige, meist kleinere Staaten. Alle Berechnungen besagen, daß spätestens 2080 die Weltbevölkerung schrumpfen wird. Und selbst bis dahin wächst sie faktisch nur mehr aufgrund einer höheren Lebenserwartung.
Die Neomalthusianer aber bleiben sich treu: Alle ihre Behauptungen sind Zukunftsprojektionen, bloße Rechenmodelle, die nicht verifizierbar sind. Jedes Mal, wenn sie irgendwann in der Zukunft verifiziert werden konnten und sich stets als völlig falsch erwiesen, hatten die Neomalthusianer aber jahre- und jahrzehntelang das politische Klima und das Denken vergiftet. Eine fatale Entwicklung, die sich aufgrund eines Denkfehlers auf unbestimmte Zeit fortzusetzen droht. Der ebenso schwerwiegende wie radikale neomalthusianische Denkfehler ist, andere Menschen, bei Bedarf in Kategorien einteilbar, als unnötige Mitesser, Sauerstoff- und Ressourcenverbraucher und damit als Feinde zu sehen.
Davis war es, der zur Erreichung der neomalthusianischen Agenda die politischen Kampfbegriffe „Bevölkerungsexplosion“ und „Nullwachstum“ prägte, die ab 1968 vom Club ob Rome publikumswirksam propagiert wurden. Davis war Vorsitzender der neomalthusianischen Population Association of America, die 1930 vom Eugeniker Frederick Osborn unter anderem mit dem Geld der Abtreibungspionierin Margaret Sanger gegründet wurde. Sanger war 1921 die Gründerin des heute weltgrößten Abtreibungskonzerns Planned Parenthood, der damals noch American Birth Control League hieß.
Davis war auch Vertreter der USA in der 1946 gegründeten United Nations Population Commission.
Sein Modell des „demographischen Übergangs“ hatte er in den frühen 40er Jahren am neomalthusianischen Office of Population Research (OPR) entwickelt, das 1936 von der Population Association of America in Princeton errichtet worden war. Das OPR war das erste Zentrum für demographische Studien in den USA. Der erste Leiter des Office of Population Research, Franc W. Notestein, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Gründungsdirektor der UN Population Division und 1959 als Nachfolger von Frederick Osborn Vorsitzender des 1952 von John D. Rockefeller und dem Rockefeller Brothers Fund gegründeten neomalthusianischen Population Council.
Kingsley Davis war, neben Notestein und Frederick Osborn, Neffe von Henry Fairfield Osborn, eine der 30 Personen, die von John D. Rockefeller im Juni 1952 persönlich nach Williamsburg in Virginia eingeladen wurden, darunter auch der Nachfolger von Notestein als Vorsitzender der UN Population Division, um den Anstoß zur Gründung des Population Council zu geben.1
Der alles beherrschende Antrieb der Neomalthusianer sind die Ressourcenkontrolle und die „Überbevölkerung“ als Bedrohung derselben, wobei einige von ihnen in anderen, ihnen unnötig erscheinenden Menschen wohl auch eine physische Bedrohung sehen. Guy Irving Burch und Elmer Pendell, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg ihre eugenischen und rassebiologischen Überzeugungen verbreiten wollten, hatten 1945 in der Erstauflage ihres Buches „Human Breeding and Survival: Populations Roads to Peace or War“ geschrieben, die Erde könne maximal 2,5 Milliarden Menschen ernähren, ein Wert, der bereits um 1940 erreicht worden war. Es sollte, darum geht es bei den Überbevölkerungsideologen immer, Panik erzeugt werden. Dem lag im konkreten Fall allerdings ein banales Mißverständnis zugrunde (oder war es doch eine böswillige Fehlinterpretation?), was perfekt zu den generell falschen Prämissen der malthusianischen Theorie paßte. Jedenfalls behaupteten die Neomalthusianer dringenden Handlungsbedarf.
1948 verließ Kingsley Davis Princeton, um an die Columbia University zu gehen, wo er einen akzentuierten Öko-Malthusianismus vertrat. Es ist unklar, ob er diesen Wechsel wegen inhaltlicher Differenzen vollzog, um einen radikaleren Kurs zu verfolgen, oder ob es sich um eine taktische Entscheidung anderer handelte, um das Netzwerk und den Einfluß auf die akademische Welt zu erweitern.
Der Öko-Malthusianismus ist eine Variante des Neomalthusianismus, der seine Anfänge in der Zwischenkriegszeit hat, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt an die Öffentlichkeit trat. Er ersetzte die noch von Burch und Pendell vertretenen, aber für nicht mehr vermittelbar gehaltenen eugenischen und rassenideologischen Aspekte des Neomalthusianismus durch Natur‑, Tier- und Umweltschutz, heute Ökologie genannt. So fällt es nicht schwer, den Zusammenhang zwischen der politischen Öko-Bewegung und dem gnadenlosen Abtreibungsfanatismus zu erkennen.
Der Wechsel von Kingsley Davis wurde von Geldzahlungen der Conservation Foundation begleitet, die der äußerst wohlhabende Überbevölkerungs-Ideologe Henry Fairfield Osborn jun., Sproß und Exponent einer Eugeniker-Familie, soeben gegründet hatte. Im selben Jahre 1948 hatte Fairfield Osborn auch sein Buch „Our Plundered Planet“ veröffentlicht und damit der Kombination von Ökologismus und Neomaltusianismus einen wichtigen Schub gegeben. Die Conservation Foundation ging 1990 im World Wildlife Fund (WWF) auf.
Mitte der 50er Jahre gründete Kingsley Davis dann mit Hilfe von Geldern der Ford Foundation an der University of California das International Population and Urban Research Program, das zu einem wichtigen neomalthusianischen Forschungszentrum für demographische Studien wurde. Die in den 60er Jahren erfolgte Koppelung der US-Entwicklungshilfepolitik an eine Fertilitätsregulierung (sprich Geburtenreduktion) wurde nicht zuletzt von Davis und seinem Forschungszentrum wissenschaftlich unterfüttert. Was das konkret zu bedeuten hatte, schrieb Davis 1967 in dem eingangs zitierten Science-Aufsatz.
Das Rockefeller-Archiv schreibt zu dem Science-Aufsatz von Davis:
„Viele dieser Post-mortem-Evaluierungen [bezogen auf Rückschläge der Neomalthusianer] zeigen auch, daß die von [der 3. UN-Weltbevölkerungskonferenz 1974 in] Bukarest ausgehenden Veränderungen Ideen widerspiegelten, die schon seit einiger Zeit im Umlauf waren. Im Jahr 1967 veröffentlichte der Demograph Kingsley Davis einen Artikel, der in bevölkerungspolitischen Kreisen einflußreich wurde.
Er plädierte für einen breiteren, sozialer ausgerichteten, weniger medizinischen und technokratischen Ansatz bei der Familienplanung. Mit anderen Worten, die Vorstellung, daß ‚Bevölkerungspolitik aus mehr besteht als einem Programm zur Bereitstellung von Familienplanungsdiensten‘, war schon seit einigen Jahren im Umlauf.“
Das Dargelegte zeigt, daß schon lange an Netzwerken von Superreichen und ihnen dienstbaren Wissenschaftlern, Medien und Politikern gewoben wird. Am Beispiel der Familie Rockefeller, einer der führenden neomalthusianischen „Institutionen“, lassen sich die geburtenfeindlichen Aktivitäten bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgen. Wer das Geld dazu hat, läßt seine eigenen wissenschaftlichen Institute gründen und schafft ein Netzwerk an abhängigen Institutionen. Was anfangs noch rudimentär war, konnte schrittweise etabliert und ausgebaut und das Netz verfeinert und verdichtet werden. Die Gleichung scheint zu lauten: Mehr Geld bedeutet mehr Medienbesitz, mehr besoldete Wissenschaftler, mehr Einfluß auf die Politik, mehr Macht, was in Summe wieder mehr Geld bedeutet. So zeigt das Netzwerk, das hier nur schlaglichtartig beleuchtet wurde, heute eine weit größere Schlagkraft als vor 50 oder hundert Jahren.
Quellen:
- Kingsley Davis: Population Policy. Will Current Programs Succeed?, in: Science, [1967] 158, 3802, S. 730–739.
- Kingsley Davis: The World Demographic Transition, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 237, World Population in Transition (Jan., 1945), S. 1–11.
- Annika Hartmann: Bevölkerung als Problem? Familienplanung, Gesundheit und Entwicklung in Guatemala, 1944–1986, Bielefeld 2022.
- Emily Klancher Merchant: Environmental Malthusianism and demography, in: Soc Stud Sci. 2022 Aug; 52 (4), S. 536–560.
- Googie Karrass: A very small number of men control all the money and the ideas”: Women Revolutionize Population Programs in the 1970s, in: RE:source, 22. März 2024.
- Frank W. Notestein/Frederick H. Osborn: Reminiscences: The Role of Foundations, the Population Association of America, Princeton University and the United Nations in Fostering American Interest in Population Problems, in: The Milbank Memorial Fund Quarterly, Vol. 49, Nr. 4, Part 2: Forty Years of Research in Human Fertility: Retrospect and Prospect. Proceedings of a Conference Honoring Clyde V. Kiser. Held at the Carnegie Endowment International Center New York City, May 5/6, 1971 (Oct., 1971), S. 67–85.
- John D. Rockefeller: On the Origins of the Population Council, in: Population and Development Review, Vol. 3, Nr. 4 (Dez. 1977), S. 493–502.
- Wikipedia dt, eng.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 John D. Rockefeller: On the Origins of the Population Council, in: Population and Development Review, Vol. 3, Nr. 4 (Dez. 1977), S. 493–502.